Samstag, 28. Dezember 2019

Everest und "parkrun"

Der erste Schnee der Saison fällt auf das Dresdner Pflaster, als wir zum "parkrun" aufbrechen. Heute begleitet mich meine Tochter, die das "parkrun"-Konzept "irgendwie cool" findet.


Entsprechend motiviert schnellt sie mit dem Startsignal nach vorn. Mir war schon vor dem Lauf klar, dass sie heute schneller sein wird als ich. Mir brennen furchtbar die Oberschenkel, denn vorgestern war ich zum ersten Training an der Spitzhaustreppe. Zwölf Aufstiege hatte ich statt der geplanten zehn absolviert und für die gut 1000 Höhenmeter 2 Stunden gebraucht. Beim Mt. Everest-Treppenmarathon im April werde ich vier Aufstiege pro Stunde über 24 Stunden durchhalten müssen. Zum ersten Mal habe ich Zweifel, das gesetzte Ziel zu erreichen. So viel Gelegenheit zum Treppentraining werde ich gar nicht mehr haben, denn die meisten Wochenenden werde ich doch eher am Rhein als an der Elbe verbringen.

Spitzhaustreppe

Zur Beinpein gesellt sich noch ein hässlicher Magenschmerz. Nach der Wende lässt das Töchterchen so einsam an der Spitze etwas nach. Aber einholen werde ich sie nicht mehr können. Stattdessen schickt sich mein Verfolger an, mich zu überholen. Ich wehre mich anfangs ein bisschen. Muss dann aber einsehen, dass weitere Beschleunigung unmöglich ist.

Die Juniorin finisht eine Sekunde unter meiner Vorwochenzeit und holt sich den Gesamtsieg. Mit 20:50 muss ich zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur der Sohn, sondern inzwischen auch die Tochter schneller als der Vater ist. Eigentlich habe ich dann doch alles richtig gemacht, oder?

Sonntag, 22. Dezember 2019

Pieschener Allee parkrun Dresden

Bisher erlebte ich meinen neuen Zweitwohnort fast nur im Dunkeln bei der täglichen Pendelei zwischen Arbeit, Fitness-Studio und Schlafstatt. Der kürzlich absolvierte Umzug in eine größere Wohnung gibt Gelegenheit, auch mal ein Wochenende an der Elbe zu verbringen, so dass ich heute die Stadt im Hellen erkunden kann - natürlich läuferisch.

Die Sonne geht mit spektakulärer Farbenpracht auf. Schon morgens herrschen windstille sechs Grad. Es ist ein Traum. Auch die Ferse bleibt mir einigermaßen gewogen, als ich die gut 5 km zur Pieschener Allee trabe, wo der "parkrun" über weitere 5 km ausgetragen werden soll. Auf das "parkrun"-Konzept wurde ich durch Olivers Blog aufmerksam. Nach einmaliger Registrierung im Internet erhält man einen Barcode, der nach dem Lauf gescannt wird, um die Zielzeit zuzuordnen. Mehr Regeln gibt es eigentlich nicht. Man muss sich weder einschreiben, noch eine Startgebühr entrichten.

Die Dresdner Truppe scheint eine eingeschworene Mannschaft zu sein. Ich bin der einzige Neue. Ein Starter feiert heute seine 50. Teilnahme. Es sind viele Nationen vertreten, aber interessanterweise sprechen alle Deutsch.


Der Däne, dessen Mutter bereits auf 400 "parkrun"-Läufe zurückblicken kann, setzt sich gleich am Start nach vorne ab. Ich will eigentlich der Ferse zuliebe nur mittraben. Aber das Wettkampffieber entfaltet doch einen gewissen Schub - im Rahmen meiner derzeitigen Möglichkeiten. Seit Oktober bin ich praktisch nicht gelaufen. Mit Stepperin, Rudergerät und Kieser-Training habe ich versucht, mich halbwegs fit zu halten.

Nach ein paar Metern finde ich mich auf dem zweiten Rang wieder. Während der anfänglich gepflasterte Untergrund dem nassen Gras der Elbwiesen weicht, baut der junge Mann aus Dänemark seinen Vorsprung weiter aus. Nach dem Passieren der Wendemarke kommt er mir freundlich grüßend entgegen. Als ich selbst umkehre, begegnet nun mir das Feld. Die meisten scheinen mit sportlichem Ehrgeiz an die Sache heranzugehen. Nur die fröhliche Engländerin klatscht mich lachend ab.

Schon die Zwischenzeiten lassen erkennen, dass es nicht für "unter 20 min" reichen wird. Aber ich muss heute froh sein, dass mich "Ferse, rechts" und "Leiste, links" überhaupt mitlaufen lassen. So nehme ich die 20:32 gelassen in die Bücher, während der dänische Sieger mit seiner 19:03 hadert.


Alle weiteren Finisher werden mit Applaus empfangen. Die Frau aus England verteilt Apfelschnitze. Und danach wollen viele noch im Sportpark Ostra gemeinsam Kaffee trinken gehen. Dass es noch ein derlei ausuferndes Kulturprogramm geben würde, ahnte ich nicht. Daher stehe ich ohne Geld (vielleicht sollte ich Google Pay doch eine Chance geben) und ohne Wechselsachen einige Zeit unschlüssig herum. Dann wird mir so kalt, dass ich die Anwendung abbrechen muss. Ich starte den Heimtrott. Als ich am gegenüberliegenden Ufer etwa die Höhe des Zielgebiets erreiche, ist von dort noch immer Applaus zu hören. Beim nächsten Mal werde ich mich wohl auch besser für die Finisher-Party ausrüsten!

Donnerstag, 12. Dezember 2019

Neue Freundin, Fersenschmerz und Sprengstoffalarm

Mit dem Titel dürfte ich mir die Neugier zumindest der Pulsmesserin gesichert haben. Und auch mancher Leser wird denken: "Kaum schläft der Kerl nicht mehr jede Nacht zu Hause, schon geht er fremd!" Und tatsächlich habe ich meine neue Freundin im Hotel kennengelernt.

Meine Dienstreisen führen mich gelegentlich in einen Übernachtungsbetrieb, dessen hauseigenes Fitness-Studio unter anderem über eine Stepper-Maschine, auch bekannt als Cross-Trainer, verfügt. Als Läufer ließ ich derlei Schönheiten bisher unbeachtet links liegen. Doch die kaputte Ferse öffnet den Blick für Alternativen. So gab ich der Stepperin eine Chance - und habe mich sofort verliebt! Die rhythmischen Bewegungen auf ihr sind äußerst fordernd und doch fersenschonend, da der Fuß auf der Bodenplatte stehen bleibt. Außerdem ist auch Arm-Einsatz nötig, so dass die Übung sehr schweißtreibend ist. Ich empfinde ähnliche Lust wie beim Laufen, habe aber den Eindruck, viel härter zu Werke gehen zu müssen. Nach einem langen Arbeitstag zieht es mich aktuell nicht hinaus in die Natur, sondern zu meiner neuen Freundin ins Hotel.

Es ist die Stepperin rechts im Bild

Am Wochenende steht mir die Geliebte nicht zu Diensten, so dass ich nach altbewährter Bedürfnis-Befriedigung trachte. Sechs Wochen hatte ich die Ferse geschont. Ein Lauf-Versuch soll gewagt werden. Doch schon nach wenigen Hundert Metern macht sich Achilles bemerkbar. Und viel schlimmer, die linke Leiste meldet ihren Widerwillen bei jedem Schritt. Vermutlich nehme ich irgendeine Schonhaltung ein, um die rechte Ferse zu entlasten, was wiederum zu Auswirkungen auf der linken Körperseite führt. Wie soll ich aus diesem Teufelskreis jemals herauskommen?

Es zieht mich also zurück zur neuen Liebe. Doch dazu muss ich erst einmal die Sicherheitskontrolle am Flughafen passieren. Dort schrillt ein Alarm. Und zwei bewaffnete Beamte mit kugelsicheren Westen eilen herbei und flankieren mich zu beiden Seiten.
"Der Sprengstoff-Test war positiv, sowohl an Ihrem Koffer als auch an Ihrem Laptop! Fahren Sie mal den Laptop hoch!"
Ich gehorche artig mit leicht erhöhtem Puls. Als nach dem Booten das Firmen-Logo auf dem Bildschirm erscheint, entfährt es einem der Beamten voller Begeisterung: "Ah, Bosch! Da habe ich mir gerade erst eine Bohrmaschine gekauft! Ich wünsche Ihnen einen gute Reise!"

Montag, 25. November 2019

Vier Achttausender, ein Furz und bald der Mt. Everest

Eine entzündete Ferse verhindert derzeit längere Laufeinheiten. Und die Blog-Aktivitäten werden durch Veränderungen im persönlichen Umfeld ausgebremst. Nach 22 Jahren in derselben Firma habe ich mich beruflich neu orientiert und dabei die Weichen für eine Rückkehr in die sächsische Heimat gestellt. Ich arbeite noch immer in der Landeshauptstadt, nur nicht mehr in der nordrheinwestfälischen, sondern in der von Sachsen.
Blick aus der Straßenbahn auf dem Arbeitsweg
Montagmorgen (4.11.2019, 7:18 Uhr)
Für eine gewisse Übergangszeit werde ich noch pendeln, so dass sportliche Wochenendaktivitäten in Ost und West möglich sind. Derzeit liegt der Fokus jedoch auf dem Erkunden des Dresdner Umlands. Also habe ich den zusätzlichen sächsischen Feiertag, eigentlich ein Buß- und Bettag, zum Start eines Projektes im Osterzgebirge genutzt. Es gibt nämlich ein Finisher-Shirt, wenn man die 14 dortigen Achttausender besteigt. Da habe ich gleich mal vier auf einen Streich erklommen. Die Besteigung sämtlicher Achttausender wäre sogar an einem Tag denkbar. Denn mit rund 60 km und 3500 Hm ist die Tour vergleichsweise harmlos, da die Höhe der Berge in Dezimeter angegeben ist!

Schrammsteinaussicht

Kleines Prebischtor

Landschaftlich deutlich reizvoller ist allerdings die Sächsische Schweiz. Hier ließ die Ferse am letzten Wochenende immerhin einen gewanderten Halbmarathon mit 850 Hm zu. Wobei Gipfelnamen wie Furz und Hohe Liebe zur Belustigung beitrugen und so die Strapazen auf den Stiegen (Heilige Stieg, Rotkehlchenstiege) erträglich machten. Zur Abrundung wurde am zweiten Tag das Elbufer gewechselt, um Gohrischstein und Pabststein zu ersteigen.

Rotkehlchenstiege


Damit das Laufen nicht völlig aus dem Blick gerät, habe ich mir vorsorglich einen Startplatz für den Mt. Everest-Treppenmarathon am 17./18.4.2020 in Radebeul gesichert. Dort gilt es, die Spitzhaustreppe innerhalb von 24 Stunden mindestens 100 Mal zu bezwingen, und so die Höhenmeter des Mt. Everest zu sammeln - ganz ohne Dezimeter-Trick!

Montag, 28. Oktober 2019

Über's Wasser laufen - Der Rügenbrückenmarathon 2019


Nur einmal im Jahr wird die Brücke, die die Insel Rügen mit Stralsund verbindet, für Fußgänger geöffnet, nämlich zum Rügenbrückenlauf. Als Läufer oder Walker kann man den Ausblick auf die Stadt und den Sund vom erhöhten Bauwerk aus genießen und gleichzeitig ein paar für die Gegend untypische Höhenmeter sammeln.

Läufers Begehr
Mit über 5000 Voranmeldern hat die Veranstaltung einen neuen Teilnehmer-Rekord erreicht, die die Organisation an ihre Grenzen bringt. Hinzu kommen unnötig erzeugte Engstellen, wie die im Eingang zur Startunterlagenausgabe aufgebauten Info-Tafeln. Als einer von 205 Marathon-Läufern ist man von alldem wenig betroffen. Wir starten, bevor die Massen anreisen.

"Das ist ja nicht einmal 'ne steife Brise!", meint der Moderator angesichts der Windstärke 3 bis 4. Nun ja, die Leute hier oben sind wohl anderes gewöhnt. Ich finde, es pustet recht ordentlich. Immerhin regnet es nicht, es wird sogar noch Sonne erwartet. Ein Start in "Kurz-Kurz" erscheint mir möglich.

Gleich nach dem Start auf der Stralsunder Hafeninsel laufen wir über Kopfsteinpflaster. "Hier wird die Strecke extra mit Hand poliert!", dachte ich mir schmunzelnd, als ich am Morgen eine ältere Helferin dabei beobachtete, wie sie in gebückter Haltung mit einem Wischlappen in der Hand den Bodenbelag einer alten Klappbrücke für uns Läufer gereinigt hat.

Nun habe ich es aber mit einer anderen Dame zu tun. Ich laufe im Windschatten der führenden Frau und ihres Begleiters. Sie wurde am Start gesondert begrüßt, da sie heute ihren 32. Geburtstag feiert. Vermutlich soll ein Sieg dem Tag das Sahnehäubchen aufsetzen. Ich sonne mich schon mal in ihrem Ruhm, als uns das Kamerateam während der Brückenüberquerung aus einem Begleitfahrzeug heraus minutenlang filmt.

Das Medieninteresse endet abrupt bei Kilometer 4. Da zieht nämlich eine Konkurrentin vorbei. Das Geburtstagskind bleibt aber cool. Sie signalisiert ihrem Begleiter, dass sie ihre Strategie beibehalten will. Ich tippe auf einen negativen Split.

Gorch Fock am Start-/Ziel-Bereich
Mir wird es aber etwas zu gemütlich, als das Tempo über eine 5er Pace zu rutschen droht. Da hänge ich mich lieber an den sehr jungen Mann, der kürzlich überholte. Inzwischen haben wir 10 Kilometer hinter uns, ab Kilometer Elf gönnt man uns nun aller 1000 Meter ein Schild. Warum das erst ab jetzt stattfindet, bleibt ein Geheimnis der Veranstalter.

Nachdem wir durch den Hafen, über die Brücke und entlang einer Landstraße gelaufen sind, durchqueren wir einen kleinen Ort, bevor es auf einer Plattenstraße weitergeht. Erst dann bekommen wir unbefestigtes Geläuf unter die Füße. Das Naturerlebnis steigert sich noch etwas, als wir auf einem Pfad direkt am Sund entlang laufen. Doch schon nach ein paar Kilometern geht es wieder auf eine Plattenstraße, der wir bis zum Wendepunkt bei Kilometer 25 folgen.

Nun haben wir Gegenwind. Immer wieder rutscht mir die Pace über die 5 min. Ich muss richtig kämpfen - nicht nur mit den Elementen, sondern auch mit meinem Körper. Strenggenommen hätte ich gar nicht starten dürfen. Kaum war ich am Urlaubsort angekommen, hatte sich eine Erkältung meiner bemächtigt. Nach der Schnupfen-Regel "Drei Tage kommt er, drei Tage bleibt er, drei Tage geht er" bin ich heute, nach einer getrübten Urlaubswoche, am ersten Tag des Gehens. Der qualvolle Testlauf des Vortages hatte ergeben, dass ich heute nicht starten werde. Doch da ich wegen der Starts der Kinder nun einmal so zeitig aufgestanden und ohnehin hier war ...

Während ich also so heftig wie noch nie zuvor um eine 3:30er Zeit kämpfen muss, stellt der Junior eine pB im Halbmarathon auf, gewinnt seine Altersklasse und wird Neunter Gesamt. Den Ruhm heimst trotzdem meine Tochter ein. Sie, die eigentlich nur Schwimmen trainiert und bisher maximal 5 Kilometer im Wettkampf bestritt, wird zweite Frau über 12 Kilometer und erringt einen fetten Pokal. Am nächsten Tag findet die Leistung sogar Erwähnung in der "Ostseezeitung".

Start einer Fahrrad-Vorhut auf der Hafeninsel
Inzwischen erwärmt die Sonne meinen vom Wind ausgekühlten Leib. Ich bemerke, dass mir der beständige Luftstrom den Schnodder von der Nase gerissen und über meine Laufkleidung verteilt hat. Hinter mir höre ich schnelle Schritte. Kurz darauf überholt mich die Jubilarin, die offenbar nun ihre Strategie der schnelleren zweiten Hälfte tatsächlich umsetzt. Einen Kilometer lang kann ich sie nochmal zur Tempomacherin werden lassen. Aber dann muss ich einsehen, dass eine 4:35er Pace heute einfach zuviel für mich ist. Ob sie noch den Sieg holen kann?

Dann kommt mir das Besenfahrrad entgegen. Es begleitet ein eher untypisches Schlusslicht. Ein gutaussehender, hünenhafter und durchtrainierter Bursche in hautenger, modischer Sportbekleidung trottet lächelnd dahin.

Zurück an der Brücke lässt sich bewundern, wie das Bauwerk von Walkern komplett bevölkert ist. Sie müssen zum Schutz des Asphalts Gummipropfen über ihre Stockspitzen stülpen. Pflichtausrüstung, gewissermaßen.

Glücklicherweise müssen wir uns da nicht durchwühlen. Stattdessen geht es parallel über den alten Rügendamm. Dort staut sich wegen der gesperrten Brücke der Verkehr in beiden Richtungen. Mit anderen Worten, wir laufen etwa vier Kilometer an einer stinkenden Autokolonne entlang. Zusätzlich müssen wir uns auf dem nicht gesperrten Fuß-/Radweg durch die Halbmarathonis schlängeln. Zu allem Überfluss gibt es Radfahrer, die völlig rücksichtslos durch die Menge heizen.

Auf der handpolierten Klappbrücke setze ich zum Endspurt an und kann mich mit 3:29:15 sicher unter die 3:30 bringen. Aber die Zeit, die sonst am Ende eines lockeren Trainingsmarathons steht, hat mich heute richtig Kraft gekostet.

Freitag, 4. Oktober 2019

Gleich drei Pokale in Hitdorf!

Der Junior hat in Hitdorf eine Rechnung offen. Im letzten Jahr war er bei den "5 - 50 km von Hitdorf" für den Gesamtsieg über 10 km angetreten, hatte sich beim Einlaufen aber an der Wade verletzt und musste das Rennen abbrechen. Daher stand der Termin für 2019 schon lange im Kalender, um diese Scharte auszuwetzen.

Strecke am Hitdorfer See

Auch meine Tochter ist wieder mit dabei und komplettiert das Familien-Trio. Sie wird am Start von einer nervösen Konkurrentin gefragt, welche Zielzeit sie für die 5 Kilometer denn anstrebe. Sie kann gerade noch: "21 Minuten" antworten. Dann knallt der Startschuss, der die Läufer aller Distanzen von 5, 10 und 25 Kilometern gemeinsam auf die Strecke entlässt. Nur die 50-km-Aspiranten kreiseln schon seit drei Stunden auf der 5-km-Runde.

Um die Kinder nicht zu lange warten zu lassen, habe ich für die 25 km gemeldet, finde mich aber auf der ersten Runde an Position Vier des gesamten Feldes wieder. Wo sind denn die 5-km-Sprinter? Offenbar zu Hause geblieben. Töchterchen nutzt die Gunst der Stunde, macht ihre Zeit-Ansage wahr und holt den Gesamtsieg aller Männer und Frauen über 5 Kilometer!

Der Junior findet langsam zu alter Form zurück. Die Wadenverletzung hatte die gesamte Frühjahrssaison überschattet und hing ständig als Damoklesschwert über dem Marathontraining. Erst seit wenigen Wochen läuft er wieder beschwerdefrei. Mit dem heutigen Wettkampf meldet sich der Junge zurück ins Geschehen, holt mit großem Vorsprung den Gesamtsieg und stellt mit 37:31 einen neuen Streckenrekord auf.

Dieses Jahr sogar mit Dusche!
Ich selbst bin auch auf einen Pokal aus, hatte ich doch im Vorjahr überraschend gewonnen. Allerdings hält sich ein Verfolger recht hartnäckig in meinem Windschatten. Ob er wohl auch die 25 km läuft? Bei Kilometer Sieben zieht mit hoher Relativgeschwindigkeit ein X-Bionics-Gewandeter vorbei. Ist das nicht derselbe, der voriges Jahr an der 5-km-Marke den seltsamen Zwischensprint einlegte, letztlich aber 10 km lief? Na, dann wird er wohl wieder den Zehner laufen, tröste ich mich, während sich mein Verfolger von mir löst und nun X-Bionics jagt.

Die beiden arbeiten einen ansehnlich Vorsprung heraus, dennoch kann ich noch beobachten, wie sie nach 10 km ins Ziel laufen - und dahinter wieder auf der Strecke erscheinen! Sie laufen also doch die 25 Kilometer! Ich bin sprachlos, ob der sportlichen Entwicklung des Kompressionswäsche-Trägers. Im letzten Jahr war er noch eine 44er Zeit auf 10 gelaufen, und jetzt sprintet er hier derart hurtig über die 25er Distanz. Hut ab! Ihn werde ich nicht mehr einholen können. Aber an den Windschattenmann müsste ich doch auf der dritten Runde wieder rankommen!

Zunächst scheint sein Vorsprung tatsächlich zu schmelzen, aber letztlich muss ich mich der Erkenntnis beugen, dass er ihn in Wirklichkeit weiter ausbaut. Nun gut, dann gilt es, wenigstens den dritten Platz zu halten und zur Ehrenrettung meine Vorjahreszeit zu unterbieten.

Es folgen zwei mental schwierige Runden - mit röchelndem Atem allein gegen die Uhr. Nur ein kleiner Zwischenfall bietet Abwechslung, als ein Mädchen, ohne vorher nach links und rechts zu schauen, eine Reiterin hoch zu Ross auf die Strecke führt. Diese Wahrnehmung erweist sich als Irrtum! Sie biegen nicht in den schmalen Pfad ein, sondern queren ihn! Doch als ich das erkenne, ist es schon zu spät. Ich bin zwischen dem Pferd und einer Parkbank eingeklemmt und kann nicht mehr ausweichen. Meine kinetische Energie treibt mich in das Mädel am Führzügel. Der Zusammenstoß geht für uns beide zum Glück glimpflich aus. Mit noch mehr Adrenalinausstoß keuche ich weiter.

Letztlich kann ich mit 1:48:15 meine Vorjahresleistung um ziemlich genau zwei Minuten verbessern. Und einen kleinen Pokal bekomme ich auch noch ab!

Mitbringsel vom Familienausflug





Sonntag, 15. September 2019

Trailrunner's Paradise - Der Rothaarsteig-Ultratrail



Immer wieder stelle ich mir die Frage, ob ich mich überhaupt noch zu den Ultraläufern zählen darf.  Der letzte längere Lauf war die "Kölsche Naachschicht". Seitdem bin ich nicht über 36 km hinausgekommen. Schlimmer noch, ich musste mich quälen, um überhaupt eine derartige Distanz zustande zu bringen. Beim Rothaarsteig-Ultratrail will ich heute eine Antwort auf die Frage finden.

Bei diesem von Matthias privat organisierten Lauf stehen zwei Distanzen zur Auswahl:
  • 61 km mit 1780 Hm und
  • 82 km mit 2340 Hm
Unterwegs, am VP3, kann man sich endgültig für eine der beiden Strecken entscheiden. Auf Grund meiner Vorgeschichte und wegen des noch immer anhaltenden Treppenlauf-Muskelkaters plane ich von vornherein die kurze Variante.

Nach einem reichhaltigen Frühstück, das Tanja (des Veranstalters Ehefrau) im kürzlich erworbenen Eigenheim der Organisator-Familie serviert, finden sich die etwa 20 Starter im Wohnzimmer zum Briefing ein. Eigentlich soll auf dem großen Flachbildschirm eine Präsentation abgespielt werden. Da die Technik streikt, begnügen wir uns mit einem Hand-Out. Darin werden Jagdaktivitäten und Sprengungen durch die Firma "Dynamit Nobel" auf dem Kurs erwähnt. Außerdem sind Rollator-Fahrer zu sehen, die sich über eine Ziellinie kämpfen. Neben derlei motivierenden Tatsachen, fällt noch der entscheidende Satz: "Wenn irgendwo kein Weg zu sehen ist, gilt der Track. Dann bin bisher nur ich dort lang gelaufen, und ihr seid die nächsten."


Direkt mit dem Startsignal setzt sich ein hochmotivierter Läufer nach vorne ab und ist nach wenigen Minuten aus dem Sichtfeld entschwunden. Auch die restliche Truppe zieht sich schnell auseinander, nur um an der ersten Weggabelung wieder zusammenzufinden. Geht es nach rechts? Nein. Die GPS-Receiver melden Track-Abweichung. Nach links? Hier das gleiche Spiel. Verzweifelt suchen wir nach einer Alternative, bis uns der wichtige Satz aus dem Briefing in Erinnerung gerät. Der Trupp bahnt sich einen Weg durch den Bewuchs, der hier inzwischen über einem noch zu erahnenden alten Pfad wuchert. Es wird eine Weile dauern und viele Beinahe-Verlaufer kosten, bis wir das Schema verinnerlichet haben und gleich in die schmalste Weg-Variante abzweigen, die sich bietet. Denn genau die hat der Trackmaster für uns jeweils herausgesucht.

Was folgt, ist ein Single-Trail-Traum. Asphalt bekommen wir nur bei den ganz wenigen Straßenquerungen zu Gesicht. Selbst normale Waldwege sind hier die Ausnahme. Fast immer geht es auf schmalen, oft wurzeligen, Pfaden dahin. Manchmal fehlt der Weg ganz. Trailrunner's Paradise!

Der Weg
Ständig ist höchste Konzentration gefragt. Wenn sie nicht der Bodenbeschaffenheit gilt, dann ist auf den Track zu achten, der mal wieder urplötzlich ins Unterholz abbiegt, wo man gar keine Kreuzung vermutet hätte.

Meine Rettung ist mein Begleiter. Anfangs waren wir noch in einem Trupp von vier bis fünf Läufern unterwegs. Seit VP2 hat sich die Gruppe auf ein Duo reduziert. Nur mit der Wurmnavigation auf seiner Suunto bemerkt mein Kompagnon jede Streckenabweichung sofort. Ich hingegen, der ich sowohl die Fenix3 mit dem Track bestückt habe, als auch ein Garmin-Gerät mit Kartendarstellung mitführe, finde bis zum Ende des Rennens nicht so richtig in mein altes Navigationsvermögen hinein. Es liegt wohl an der Altersweitsichtigkeit, die mich die Displays nicht mehr ohne Anstrengung erkennen lässt. Mit diesem Problem dürfte ich ja wohl kaum allein sein und frage mich, wie andere das lösen. Mit Lesebrille rennen?


Die Schnittmenge aus Historikern und Ultraläufern dürfte nicht allzu groß sein. Dennoch ist mein Mitläufer bereits der zweite Vertreter dieser Gruppe, den ich kennenlerne. Nachdem wir uns zunächst stundenlang mit Läufergeschichten unterhalten haben, stellt sich heraus, dass er Technik-Historiker ist. Als Ingenieur reizt mich das Themenfeld natürlich ebenfalls. So diskutieren wir die Vor- und Nachteile herkömmlicher Fieberthermometer gegenüber den heute üblichen elektronischen Varianten. Und schon sind wir am Entscheidungs-VP3. Gerne hätte ich unsere kurzweilige Unterhaltung fortgesetzt. Doch der Historiker möchte den Führenden jagen, dessen Vorsprung von 20 Minuten an VP2 nun auf 15 Minuten geschrumpft ist.

Damit bin ich der Erstplatzierte auf der 61-km-Strecke. Die Position will ich besser nicht gefährden und halte meinen Stopp entsprechend kurz, obwohl es angesichts der aufgetafelten Köstlichkeiten schwer fällt. Das Angebot reicht von Gurke, Tomaten, Salz, Äpfeln und Bananen bis hin zum selbstgebackenen Kuchen. Neben Wasser und Cola gibt es auch Bier, Tee und Kaffee. Und diese Aufzählung ist keinesfalls vollständig!


Ich nehme mir zwei Käsebrote (meine absolute Lieblingsspeise bei einem Ultra) mit und ziehe von hinnen. Auf geradem Waldweg trotte ich schmatzend dahin. Da wir bisher jeden Anstieg konsequent gegangen waren, geht es mir nach 42 Kilometern noch richtig gut. Ich genieße das herrliche Sommerwetter und die wunderbare Natur. Und schon habe ich mich verlaufen!

Jetzt, auf mich allein gestellt, muss ich der Wegfindung noch mehr Aufmerksamkeit schenken. So kann ich ein paar Kilometer später mein nicht vorhandenes Rheuma kurieren, als mich der Track durch hüfthohe Brennnesseln schickt. Die letzten sieben Kilometer werden dann doch noch richtig schwer. Die Sonne brezelt auf meinen schweißüberzogenen Körper. Obwohl die Höhenmeter laut Track längst im Sack sind, baut sich ein Anstieg nach dem anderen vor mir auf. Und nach 61 Kilometern, als ich längst da zu sein hoffe, prognostiziert der Track noch immer zwei Kilometer bis zum Ziel.

Dort, in Tanjas Küche, treffe ich letztlich nach 7:46:13 ein und genieße den ganz persönlichen Nachzielbereichs-Service der Hausherrin, die meinen Körper mit Kuchen, Bier und Kaffee wieder aufpäppelt. Zur mentalen Erbauung bekomme ich die Goldmedaille umgehängt. Damit dürfte ich die gesuchte Antwort gefunden haben.



Sonntag, 8. September 2019

Als Profi beim Tetraeder Treppenlauf 2019

Blick vom Start auf die Sehenswürdigkeiten des Ruhrgebiets
"Nur für Profis" warnt die Ausschreibung. Ich melde mich trotzdem an - für die Maximaldistanz beim Tetraeder Treppenlauf, die sich "Extreme Empire Run" nennt. Der Empire-Bezug im Namen wurde gewählt, weil 271 Stufen und 52 Höhenmeter mehr als beim New York Empire State Building Run-Up zu bewältigen sind.

Die Anreise versuche ich diesmal möglichst umweltschonend zu gestalten. In einer Facebook-Gruppe, in der Mitfahrgelegenheiten zu Wettkämpfen angeboten werden können, findet sich ein Partner. Da der Junior spontan nachmeldet, reisen wir sogar zu dritt in einem Fahrzeug.

Für den Lauf selbst wollen wir hingegen ein Maximum an Energie aufwenden. Zunächst geht es von der Spitze der Halde Prosperstraße, wo die Skihalle Bottrop als Umkleide fungiert, abwärts und hinüber zur Halde Beckstraße. Nach einem 22-stüfigen Prolog gilt es, deren Gipfel über 365 Stufen zu erklimmen, um hinauf zum Tetraeder zu gelangen.

Als ich mit hängender Zunge und brennenden Schenkeln das Gipfelplateau der ausgedienten Bergehalde erreiche, schwanke ich zwischen Entäuschung und Erleichterung. Ich war aufgrund des Veranstaltungsnamens davon ausgegangen, dass auch das Tetraeder bestiegen (an Laufen ist für mich auf der Treppe nicht zu denken) werden muss. Doch es bleibt von uns unberührt. Spätestens beim zweiten der fünf Aufstiege überwiegt die Erleichterung und geht im Laufe des Wettkampfes in tiefe Dankbarkeit über.

Nach 1847 Treppenstufen habe ich fünf Haargummis am Arm. Die Helfer haben mich nach jeder absolvierten Runde derart beringt. Als Fünffachträger bin ich nun für die Rückreise zur Skihalle qualifiziert. Eine letzte 6%-Steigung trennt mich vom Finish der 11 km und 372 Höhenmeter. Ich rette mich mit 54:46 noch unter 55 Minuten, verpasse aber die Top Ten. Immerhin kann ich mich mit dem dritten Platz in der Altersklasse trösten.

Der Junior braucht sich nichts schönzureden. Er kann sich über einen Pokal und den "richtigen" dritten Platz freuen.

Samstag, 24. August 2019

Sengbachlauf

Da fährst du 1400 km zu deinem Urlaubsdomizil, und dann wohnt deine dortige Nachbarin auch zu Hause praktisch um die Ecke. Und ebenda organisiert sie den Sengbachlauf mit. Der Junior und ich starten heute also mit persönlicher Einladung!

Damit der Junge nicht so lange auf seinen Vater im Ziel warten muss, haben wir uns beide für den Halbmarathon entschieden. Doch bei der Warterei wird es eine Überraschung geben!

Gefütterter Buff als Siegertrophäe

Mit dem Startschuss geht der Regen in angenehmen Niesel über. Nach der großen Sommerhitze sorgen die morgendlichen 15 Grad erstmals für ordentliches Laufwetter. Obwohl ich in den letzten Wochen einfach nur vor mich hin trabte, im Urlaub manchmal nicht einmal das, rollt es heute überraschend gut. Der Leser erkennt ein wiederkehrendes Muster: immer wenn ich ohne Ambitionen an den Start gehe, läuft es bei mir am besten.

Den Sproß meiner Lenden überhole ich wenige Schritte nach dem Start. Keine Ahnung, welche Strategie er heute verfolgt. Schont er sich anfangs, um dann aufzutrumpfen? Nach dem Marathon hat er wochenlang die verletzte Wade kuriert und sich danach ganz dem inzwischen bestandenen Abitur gewidmet. Erst im Urlaub ist er wieder vorsichtig ins Laufen eingestiegen. Entsprechend bedächtig geht er hier offenbar zu Werke.

Ich halte mich zunächst an die führenden Frauen. Welche Distanz sie zu gewinnen trachten, ist allerdings unklar, da Halb- und Dreiviertelmarathon gemeinsam gestartet wurden. Dann zieht Guido hurtig an mir vorüber. Mit dem Organisator vom WHEW und Zuckerspiel hatte ich mir einst auf der Kö einen spannenden Zweikampf geliefert. Ich staune über seine läuferische Entwicklung, bleibe aber bei den Damen. Immerhin sind Zwischenzeiten im 4er Schnitt dabei. Das kommt mir fast schon ein bisschen zu ambitioniert vor. Möglicherweise ist die Pace auch dem anfangs tendenziell eher abwärts führenden Streckenverlauf geschuldet.

Erstaunlicherweise komme ich dem Guido nach und nach wieder näher. Ich überhole nicht nur ihn, sondern eine ganze Gruppe. Die schnellen Hirsche sind mittlerweile nach vorn entsprungen, so dass es jetzt einsam an der Sengbachtalsperre wird.

Nur ein wackerer Gesell ist mir geblieben. Er folgt mir wie ein Schatten. Und wie ein Schatten ist er mal vor, mal neben oder hinter mir. Aber immer an meiner Seite. In Größe, Statur und Alter ist mein Begleiter sogar fast mein Spiegelbild. Auch die läuferischen Fähigkeiten gleichen sich offenbar. Denke ich noch - da setzt sich der Mann gegen Ende der ersten Runde nach vorn ab.

Schicksalergeben trotte ich allein weiter. Doch dann rufe ich mich angesichts der Leere um mich herum zur Ordnung: "Einen besseren Motivator wirst du heute nicht mehr finden!" Also schließe ich allmählich die auf gut 50 m angewachsene Lücke. Nicht nur das, ich überhole meinen Schatten!

Der Schattenmann lässt sich nicht lumpen und bleibt dran. So geht Wettkampf! Wie damals mit Guido auf der Kö so pushen der Schatten und ich uns über den Kurs. Per Zuruf wird offenbar, dass wir keine unmittelbaren Konkurrenten sind. Mein Begleiter ist der aktuell Drittplatzierte im Dreiviertelmarathon. Immer wieder versucht er sich vorbeizuschieben. Und jedesmal kann ich parieren.

Erst am (für mich) letzten Anstieg, als ich zum Endspurt Richtung Ziel ansetze, werden die Schritte hinter mir leiser. Er hat ja auch noch eine Runde! Im Zielbereich wird er mir später erzählen, dass er auf den letzten 1000 m, dem steilen Anstieg ins Ziel, seinen dritten Platz noch abgeben musste. Wie bitter!

Für mich geht das Rennen etwas glücklicher aus. Als ich mit hängender Zunge den Zielbogen erreiche, ruft mich der Moderator als Elftplatzierten und Altersklassensieger aus. Auch mit der Zeit von 1:31:33 bin ich angesichts der knapp 400 Hm hochzufrieden.

Der Junior gewinnt ebenfalls seine Altersklasse. Aber wer hätte gedacht, dass ich noch einmal vor ihm eine Ziellinie überqueren würde!

Mittwoch, 3. Juli 2019

Kölsche Naachschicht 75 km

Nach 22 Jahren im Rheinland bin ich in der Lage zu verstehen, dass es sich bei einer Veranstaltung mit dem Namen "Kölsche Naachschicht" wohl um einen Nachtlauf in der Nähe von Köln handeln muss. Es gibt auch spezielle - „Veedels Verzäll“ genannte - Vorbereitungsläufe. Da braucht der Zugereiste allerdings Nachschlagewerke, um sich die Bedeutung zu erschließen.

Ein 171 km langer Wanderweg, der Kölnpfad, umschließt die Domstadt und kann am Veranstaltungstag komplett gelaufen werden. Außerdem ist ein 110 km langer Abschnitt als "10x11 Kölnpfad" im Angebot, und eben die Nachtvariante über 75 km.

Kölnpfad am Rhein

Ich mag Nachtläufe nicht. Denn ich brauche ewig, um das Schlafdefizit auszugleichen. Daher genieße ich die unvergleichliche Erfahrung, die Natur und den eigenen Körper zwischen den beiden Dämmerungen zu erleben, nur sehr selten. Angemeldet hatte ich mich für die "Naachschicht" vor allem deshalb, weil mein Trainingszustand momentan keine längeren Strecken zulässt. Und das erweist sich heute als regelrechter Glücksfall! Mir bleibt dadurch Laufen in tropischer Hitze und bei brutaler Sonneneinstrahlung erspart. Selbst nachts wird die Temperatur nicht unter 20 Grad fallen!

Die härteste Prüfung


Die härteste Prüfung hält der Lauf schon vor dem Start bereit: die halbstündige Fahrt im nichtklimatisierten Bus zum Startbereich! Die heiße Luft steht im Wagen. Die Sonne brezelt zum Fenster herein. Verschwitzte Leiber schmiegen sich unfreiwillig aneinander, so dass es zum Austausch von Körperflüssigkeiten kommt. Und in jeder Kurve wabert das Odeur eines anderen Leidensgenossen zur gepeinigten Nase.


Seifenblasenmaschine an VP7

Da ist die leichte Luftbewegung, die eine am Start-VP aufgestellte Seifenblasenmaschine sogar visualisiert, beim Ausstieg am Rheinufer eine wahre Wohltat. Man kann keinen Bericht über diesen Lauf schreiben, ohne die hervorragenden VP's und die aufopferungsvollen Helfer lobend zu erwähnen. Wir starten am VP7, der den Beinamen "Susanne Alexis VP" trägt. Sich so eine Benennung verdient zu haben, spricht für das Engagement der Namensgeberin. Und so wundert es nicht, dass neben der Seifenblasenmaschine noch ein Kühlwasser-Pool zur Verfügung steht. Ich nehme eine Scheibe vom bereitstehenden Brot und werde augenblicklich Fan. In der Annahme, es sei von Susanne selbstgebacken, werfe ich spontan mehrere der köstlichen Scheiben als Abendbrot ein. In Wirklichkeit werden die Brote von der lokalen Bio-Bäckerei "Ährensache" geliefert. Diese Kooperation ist Teil der umweltfreundlichen Strategie der Veranstalter, die auf Plastikbecher verzichten und kompostierbares Einweg-Geschirr benutzen.

Nach dieser noch gänzlich unverdienten Verpflegung wird tatsächlich ab 20 Uhr auch gelaufen. 75 km sind ausgeschrieben. Der GPS-Track weist eine Länge von 77,5 km aus. Und am Start steht am Boden: "Ab hier noch 78 km"! Mal sehen, wie viele Kilometer unterwegs noch dazu kommen.

Start


Sehr schnell setzt sich ein Führungsduo ab. Ich hatte die Ergebnislisten der Vorjahre mit meiner geplanten Zielzeit von unter 8 Stunden verglichen und festgestellt, dass ein Podestplatz nicht völlig unrealistisch wäre. Bei dieser Abschätzung hatte ich allerdings die Hitze nicht mit auf der Rechnung! Trotzdem halte ich mich mal strategisch hinter dem Zweiten. Der Erste zieht in einem geschätzten 5er Schnitt davon. Und auch wir sind deutlich unter einem 6er Schnitt unterwegs. Und dann geht auch noch einer vorbei!

Anstatt mal eine eigene Taktik zu verfolgen (die ich für heute überhaupt nicht vorbereitet und geplant habe - ein Fehler!), hänge ich mich an Torsten, den Überholer. Da sind Zwischenzeiten im 5er Schnitt dabei! Glücklicherweise hat er bald ein Einsehen. Er lässt sich zurückfallen und verkündet, jetzt langsamer zu laufen, um dann später zu überholen. Das ist ein realistischer Plan, so geschieht es häufig auf der langen Strecke. Ich nutze die Chance, ebenfalls das Tempo zu reduzieren, bleibe aber unter einem 6er Schnitt.

Kühlwasser-Pool

Glücklicherweise trinke ich am nächsten VP und der Zusatzwasserstelle ordentlich und nutze die Duschen, um den Kopf zu kühlen. Denn den VP09 verpasse ich! Ich laufe nämlich bisher ausschließlich nach der offiziellen Wanderwegmarkierung, die hervorragend und lückenlos ist. Insofern sehe ich keine Notwendigkeit, den Track zu benutzen. Dass es auch noch aufgesprühte Pfeile gibt, werde ich erst viel später entdecken. Blaue Pfeile auf blauem Asphalt sind nachts für mich nahezu unsichtbar.

Ich steh' im Wald


Irgendwann finde ich mich im Wald wieder und vermisse die bisher so reichhaltig vorhandenen Wanderwegzeichen. Da fällt mir ein, dass ich in einem Facebook-Forum las, dass der Königsforst aus Naturschutzgründen an der Straße umlaufen werden muss. Möglicherweise ist hier jetzt Königsforst? Nun hole ich den GPS-Receiver heraus und bemerke, dass ich tatsächlich zurück zur Straße muss.

GPS-Receiver und laminierte VP-Liste

Auf der Straße erfolgt die nächste Überraschung. Vor mir läuft der Führende! Kurze Zeit später bilden wir ein Duo und begeben uns gemeinsam auf die Suche nach den blauen Pfeilen. Zwei Tracks und vier Augen ergeben eine sehr gute Navigation.

Der Fehler


Am VP10 mache ich einen schweren Fehler. Ich "exe" eine Flasche "Früh Sport". Mein Durst lässt sich mit reinem Wasser nicht mehr löschen. Alle anderen Getränke, die mir auffallen, sind kohlensäurehaltig. So auch das alkoholfreie Kölsch. Die Kohlensäure der Apfelschorle in meiner Softflask kann ich nach einigen Schritten pfeifend ablassen. Die in meinem Bauch möchte gern ebenso entweichen. Kurz: ich bekomme Magenprobleme. Meinem Kompagnon geht es ähnlich. Begeistert entdecken wir, dass VP11 Kamillentee ausschenkt. Das Zeug ist eine Wohltat! Wer hätte gedacht, dass bei der Hitze warmer Tee so gut tun würde!

Schwindel


Während mein Begleiter geheilt und erquickt das Tempo hoch hält, werden meine Probleme größer. Dass der Magen rebelliert, wenn man lange Strecken zu schnell angeht, ist ja nichts Neues. Aber bei km 58 wird mir plötzlich schwindlig. Der Kopf kommt mit der Hitze nicht mehr klar. Ich habe das Gefühl, den Schädel dringend kühlen zu müssen. Der Mund ist so trocken, dass das Öffnen der Lippen fast schon schmerzt. Die Kehle will trinken, aber der Bauch signalisiert Völle. Ich falle ins Gehen!

Ich brauche jetzt 10 Minuten für einen Kilometer! Das darf ich gar nicht bis ins Ziel hochrechnen. Immer wieder versuche ich anzulaufen. Es führt nur zu einem unwürdigen Gehoppel für ein paar wenige Schritte. Ich warte darauf, dass jeden Moment Torsten seine Prophezeiung wahr werden lässt und vorbeiläuft. Und so kommt es natürlich auch. Kopf, Bauch, Beine, Füße, Achillessehne. Alles tut weh. Erstmals in einem Rennen denke ich ans Aufgeben. Als an der Straße ein Taxi vorbeifährt, bräuchte ich nur den Arm zu heben. Lediglich die Aussicht auf einen Podestplatz lässt mich durchhalten. Immer wieder muss ich an die Läufer denken, die die komplette Strecke absolvieren und am Tage viel größerer Hitze zu trotzen haben. Mein ganzer Fokus und alle Hoffnung richten sich jetzt auf den letzten VP.

Auferstehung


Dort kann ich mir endlich Wasser über den Kopf schütten! Verwundert bemerke ich, dass meine Trinkblase noch so gut wie voll ist. Auch auf den letzten 11 Kilometern werde ich kaum noch etwas trinken. Die Phase der Demoralisierung ist schlagartig vorüber. Liegt es an der Kühlung des Kopfes oder an der Energie aus den gesalzenen Kartoffeln? Egal, ich laufe wieder! Es fühlt sich an wie ein 6er Schnitt. Die Uhr holt mich in die Wirklichkeit zurück: 7:30 min/km. Auch erhöhte Anstrengung führt nach dem nächsten Kilometer zum gleichen Ergebnis. Erst als die Restkilometer einstellig werden, zeigt meine neue Devise Wirkung: "Auf keinen Fall mehr die Platzierung einbüßen!" Jeder Kilometer wird jetzt schneller. Das Tempo steigert sich von 6:30 bis 5:25 min/km. Ich brülle mir wütend die Anstrengung aus dem Leib. Aber das fühlt sich wieder nach Laufen an. Der Kadaver lebt! Die letzte VP-Besatzung hatte es vorhergesagt: "Die Freude kommt zum Schluss wieder zu dir zurück!"

Und so kriege ich doch noch ein Lächeln für das Zielfoto zustande, das nach 8:46:54 Laufzeit von mir gemacht wird.

Kacheln an Keks

PS: Die Fenix3 hat 78,23 km gemessen.

Montag, 17. Juni 2019

Meine Ardennenoffensive - Epic Trail 50

Während sich das Gros der Szene an der Zugspitze drängt, genieße ich Läufer-Wellness in Spa. Aber nicht die Therme, sondern die belgischen Trails locken mich da hin. Beim Epic Trail 50 sind 1700 Höhenmeter auf 50 km ausgeschrieben.

Google übersetzt die Ausschreibung mit: "Die pikanten Strecken in und um Spa sind anspruchsvoll und oft anspruchsvoll ..." Ich stelle mich also wohl besser auf eine anspruchsvolle Strecke ein. Und da es sich um Belgien handelt, habe ich die Schuhe mit den längeren Stollen angezogen. Der Schokoladenfan schwört auf "Belgische Pralinen", während der Schlammfreund "Belgische Trails" genießt.
Leopold II-Galerie
Gut 100 Starter haben sich im Parc des Sept Heures eingefunden, wo das unscheinbare Veranstaltungszelt fast untergeht neben den Konstruktionen aus dem 19. Jahrhundert, die vom damaligen Eklektischen Stil zeugen. In der Leopold II-Galerie aus Eisen und Glas wird gerade ein riesiger Flohmarkt aufgebaut. Das Vordach eines der historischen Pavillons dient uns als Kleiderbeutelaufbewahrung.

Ein Dixi-Besuch ist ohne jedes Schlangestehen möglich. Und die Hände wasche ich mir danach am Brunnen der kohlesäurehaltigen Quelle, die auch die hiesige Therme speist. ("Sie baden gerade Ihre Hände drin!", kommt mir unwillkürlich die legendäre "Tilly" in den Sinn.)

Gelaufen wird dann doch auch noch. Ich halte mich zunächst an die führende Frau, lasse mich aber von einem Überholer mitreißen. Nur um wenig später diesen selbst hinter mir zu lassen. Die Top Ten sind längst entsprungen. So stelle ich mich ab jetzt auf ein einsames Rennen ein. Was für eine Fehleinschätzung!

Ich genieße die "anspruchsvolle Strecke", die hauptsächlich aus Single Trails besteht. Aussichten gibt es nur wenige. Einmal wird der Blick auf eine Burgruine frei, ein paar andere Male sieht man in die Ardennen-Landschaft oder auf einen See. Ansonsten ist hier ganz klar die Strecke selbst der Star. Ich zitiere einfach nochmal Freund Google: 

"Die Läufer werden durch die wunderschönen Berge in und um Spa geführt und stoßen auf unterschiedliche Oberflächen. Schlamm, Felsen, Baumwurzeln, breite Waldwege, einzelne Spuren, ... sind immer miteinander durchsetzt. Dies schließt angepasstes Schuhwerk ein."

Und dann sehe ich zwischen den Stämmen plötzlich einen braunen Rücken hüpfen. Es ist aber kein Reh, sondern ein Läufer vor mir. Der wiederum hat einen weißen Mitstreiter in Reichweite. Ich habe am Berg die beiden fast eingeholt. Doch scheinbar spüren sie meinen heißen Brodem in ihrem Genick, denn im Nu sind sie wieder entfleucht. 

Als ich das nächste Mal der beiden ansichtig werde, liegt nun der Weiße hinten, den ich bald darauf auch überhole. Gefühlte Ewigkeiten später ziehe ich endlich am Braunen vorbei. Es rollt jetzt richtig gut. Eine Zeit unter 5 Stunden scheint trotz der 1700 Hm möglich. Wenn ich nicht gerade völlig überziehe ...

Schienen der Standseilbahn hinten, vorn der Quellbrunnen

Nach dem VP bei km 22 zeigt das Höhenprofil die Zähne, als es neben der Standseilbahn hinauf zur Therme geht, in der ich mich 2015 vom Finish des Crêtes de Spa erholte. Ich bin nun wieder allein unterwegs. Ein mentales und körperliches Tief bemächtigt sich meiner. Die tollen Downhills können nicht mehr so richtig in Speed umgewandelt werden, da die Oberschenkel schon etwas in Mitleidenschaft gezogen sind. Da steckt das Wort "Mitleid" drin. Davon habe ich wohl gerade ein bisschen zu viel mit mir. Jedenfalls naht der Braune wieder heran, und wir laufen gemeinsam in den VP bei km 32 ein. Und auch wieder aus. Man durchläuft hier nämlich eine Halle, in der die Verpflegungstische mit Orangen, Rosinen, Bananen, Melone, Kuchen, Müsli, Gummizeugs und Riegeln aufgereiht sind. Coole Idee!

Nur, wo ist denn jetzt der sehr junge Mann in Braun? Egal, Hauptsache hinter mir! Obwohl es meist bedeckt ist, bin ich froh über die Sportbrille, da mir ständig die Äste ins Gesicht peitschen, wenn ich mir den Weg über den meist matschigen Untergrund bahne. Eine leichte Brise kühlt den erhitzten Leib bei läuferisch angenehmen 15 bis 19 Grad. Außerdem überhole ich noch einen Blauen. Toll, was ein wenig Nahrungsaufnahme doch wieder für eine Energie gibt!


Höhenprofil
"Vor ihm gähnte der Abgrund, hinter ihm der Verfolger", lautet eine bekannte Stilblüte. Ungefähr so stellt sich meine Situation dar, als sich vor mir ein Gewässer erstreckt. Ein Flüsslein von etwa sieben Metern Breite gilt es zu durchqueren. Das munter strömende Nass reicht bis zum Knie und gibt dank des klaren Inhalts den Blick auf den felsigen und steinigen Boden frei. Mein ganzes Trachten richtet sich darauf, nicht zu stürzen. Obwohl ein Bad recht willkommen wäre, möchte ich das Handy im Rucksack nicht wässern. 

Auf der anderen Seite ragt ein steiler Anstieg auf. Den schmalen Pfad kommt gerade ein Pferd herabgeschlittert, auf dessen Rücken eine ältere Dame sitzt und irgendetwas Französisches mit "Passage" ruft. Mir wäre gar nicht in den Sinn gekommen, mich vor das Pferd zu stürzen. Also lasse ich sie passieren und will fotografieren, wie der Gaul durch die Fluten spritzt. Ich drehe mich dazu um, nur um meinen keineswegs gähnenden Verfolgern ins Auge zu blicken! Es bleibt keine Zeit für eine Foto-Session! Blau und Braun hetzen heran, angeführt von einem Roten, der sich offenbar von hinten durch das Feld arbeitet.

Stöckeschwingend zieht der Rote schon bald vorüber. Und auch der junge Braune lässt mich wieder hinter sich. In dieser Reihenfolge laufen wir in den letzten VP bei km 42 ein. Als die beiden Führenden schon weiterrennen, kommt noch Blau hinzu. Ich trabe weiter.

Offenbar hat der Blaue einen enormen Energieschub bekommen. Während ich mich mit meiner abgeschlagenen Platzierung schon zufrieden gegeben habe und gemächlich weiterzuckle, kommt der Blaue von hinten regelrecht angesprintet. "Der nicht auch noch", denke ich mir. Und sprinte mit!

Unglaublich, was sich da gerade in mir entfesselt! Es ist eben doch alles nur Kopfsache. Wir jagen gemeinsam dahin und kommen ins Gespräch. Der Mann ist Holländer, hat bisher zwei Marathons gefinisht und läuft gerade seinen ersten Ultra. Zunächst überholen wir Braun und dann den Roten. Die beiden wirken äußerst überrascht, uns noch einmal zu sehen. Wir laufen schneller als zu Beginn des Rennens, was auch am Höhenprofil liegt, das nun ein Einsehen hat. Irgendwann muss es ja auch mal wieder runter gehen.

Nur kurz vorm Finale hat sich der Veranstalter noch einen "Endgegner" als Schlussgag einfallen lassen. Statt uns geradewegs durch den Park ins Ziel laufen zu lassen, geht es noch einmal über Felsen hoch Richtung Therme und dann weglos steil bergab. Dort im Unterholz verliere ich erst den Halt und dann meinen blauen Begleiter, mit dem ich gemeinsam finishen wollte.

So kommt es, dass ich nach 4:48:45 als Achter einlaufe. Dank der elektronischen Zwischenzeitnahmen mit Live-Updates fieberte die Familie zu Hause mit, wie ich mich vom 12. Platz vorgearbeitet habe, und sendet direkt Glückwünsche. Medaillen oder Urkunden gibt es keine, dafür war die Strecke, die letztlich nur 48 km Länge aufwies, perfekt markiert.

Ich genieße nun, worauf ich mich seit Stunden gefreut habe. Dank neuester Wettkampfausrüstung gibt es ein eiskaltes Zielbier. Meine Frau überreichte mir am Vorabend eine kleine Kühltasche, die genau eine Flasche nebst Kühlakkus fasst. Sehr empfehlenswert!

Mini-Kühltasche

Freitag, 31. Mai 2019

Mein Ultra-Come-Back beim 20. Westerwaldlauf in Rengsdorf

Seit Anfang Oktober bin ich nicht mehr über die Marathondistanz hinausgekommen. Zum Herrentag schenke ich mir meine Rückkehr auf die längeren Strecken. Ein Funlauf ohne Wertung über 50 km scheint dazu perfekt geeignet. Der 20. Westerwaldlauf beim Volkswandertag in Rengsdorf bietet sich geradezu an.

Schon 2014 hatte ich diese familiär organisierte Veranstaltung schätzen gelernt. Start und Ziel befinden sich am wunderschön gelegenen Freibad in Rengsdorf, das nach dem Lauf genutzt werden darf. Im Freibad tummeln sich allerlei bekannte Ultraläufer. So kommt es zu manch herzlicher Begegnung.

Gebadet wird erst nach dem Lauf

Auch die internetbekannte "Wandersmännin" Daniela Mohr hat sich unter die Starter gemischt. Schon lange erheitert mich ihr Blog und ernähren mich ihre Rezepte (letztere allerdings über den Umweg der Kochkünste meiner Frau). Heute ist es an der Zeit, dass ich mich persönlich vorstelle und als Fan bekenne. Ich bekomme zwar kein Autogramm, aber ein Visitenkärtchen, auf dem ich Wanderstempel sammeln kann - quasi als Payback-Punkte aus dem Wald. Paradoxerweise hat sich Daniela nämlich mit ihren flotten Wanderbeinen noch ein zweites Standbein geschaffen und bietet Mikro-Abenteuer wohlfeil.

Ich stürze mich mit dem Startsignal in mein eigenes Abenteuer, das mir ob meiner langen Abstinenz gar nicht so "mikro" vorkommt. Die 1200 Hm tun ihr Übriges. Die menschenleere Westerwaldlandschaft entschädigt aber permanent für jede Anstrengung. Mal rauscht der Wind in den Baumwipfeln, mal die Wied in ihrem Bett. Oft geht es an plätschernden Bächen bergauf oder -ab. Manchmal tut es dies auch ganz ohne Gewässer. Und an einer dieser Abwärts-Passagen passiert es mal wieder. Ein Fuß bleibt irgendwo hängen. Ich gerate ins Straucheln. Und dann kommt dieser Moment, wo du realisierst, dass ein Sturz nicht mehr zu vermeiden ist. Mir gelingt es, noch einen Schritt zwischenzuschieben und meine Fallrichtung zur Böschung zu lenken. So tauche ich mit der rechten Körperhälfte in den Waldboden der Wand, die rechts neben dem Weg emporragt. Glück im Unglück. Ich falle dadurch nicht so tief und lande auch noch weich. Der feine Staub des Waldes und der Schweiß auf meiner Haut bilden fortan eine markante Patina, die mich als Trailrunner ausweist.

Sechs verschiedene Strecken haben die Veranstalter im jährlich wechselnden Programm. Dadurch erlebe ich ein mir völlig neues Stück Westerwald. Immer wieder gibt es eine Aussicht zu genießen. Landschaftliche Ähnlichkeiten zum Rennsteiglauf empfinde ich. Aber die idyllische Lage von VP2 sucht ihresgleichen.

VP2 an kleiner Kapelle

Obwohl es keine offizielle Zeitnahme gibt, habe ich mir eine private Zielvorgabe auferlegt. Ich möchte unter 5 Stunden bleiben. Bei km 42 wird klar, dass ich eine Minute hinter meinem Plan hänge. Und nun zeigt sich, wie wirkungsvoll so ein selbstgestecktes Ziel sein kann. Ich zünde nämlich den Turbo. Vergessen und verflogen ist plötzlich der Schmerz in der linken Leiste, der mich seit dem Herbst auf längeren Strecken begleitet. Auch das Höhenprofil hat nun ein Einsehen und weist tendenziell bergab. Ich "flowe" dem Ziel entgegen, wo nach 4:52:07 die härteste Prüfung des Tages auf mich wartet.

Das Wasser der Dusche ist gerade so warm, dass keine Eiswürfel aus dem Brausekopf fallen. Mannhaft stelle ich mich der Herausforderung. Als ich mich mit blauen Lippen zitternd abtrockne, kommt ein potenzieller Leidensgenosse zur Tür herein. "Ach, da muss man Bescheid sagen", sprach's, verschwindet kurz und genießt anschließend eine heiße Wellness-Anwendung unter meinen neidischen Blicken.

Der Lauf in einem Wort zusammengefasst - bei km 42

Montag, 29. April 2019

Düsseldorf Marathon 2019

Zieleinlauf am Rhein
Der schönste Moment des Düsseldorf Marathons ereignet sich bereits vorm Start. Ein Vereinskamerad meines Sohnes kommt auf uns zu und gibt uns mit auf den Weg: "Egal wie der Lauf für euch ausgeht, er wird ganz großartig. Einfach, weil ihr beide das zusammen macht!"

Dabei wäre das Vater-Sohn-Gespann beinahe nicht gemeinsam angetreten. Wegen seiner langwierigen Waden-Verletzung stand die Entscheidung des Juniors bis zum Vorabend auf der Kippe.

Entsprechend verhalten starten wir, lassen die 3-Stunden-Pacer ziehen. Damit ist für mich das Sub3h-Ziel bereits Geschichte, während der Junge das Potenzial hat, die fehlende Zeit auf der zweiten Hälfte zu kompensieren.


Bis zur Halbmarathonmarke beschleunigen wir stetig, so dass wir in den hohen Zehnern die Ziel-Pace von etwa 4:15 aufgenommen haben. Doch ich muss kämpfen, um diese Geschwindigkeit zu laufen. An den Bauchseiten melden sich seitenstechenartige Beschwerden wie schon in den Vorbereitungswettkämpfen.

Den Halbmarathon erreichen wir nach 1:31:25. Ich lasse den Junior ziehen und wechsele auf Plan B. Wenn ich die erste Hälfte im 3-Stunden-Tempo und die zweite im Tempo für 3:15 laufe, kann ich die alte, seit 2014 nicht mehr angegriffene Bestzeit von 3:12:56 unterbieten.

Zunächst geht es noch mit 4:20, 4:25 dahin. Dann erscheint tatsächlich das 3:15-Tempo mit 4:37 auf der Uhr. Das muss ich nun halten! Was für eine Quälerei. Immerhin bin ich fünf Kilogramm schwerer (und damit eigentlich 10 Minuten langsamer) als 2014. Drei Kilo davon habe ich allein seit dem Beginn meiner Atemtherapie zugelegt. Ob sich die nächtliche Regeneration tatsächlich auf die Hüften legt? Vielleicht sind auch die reduzierten Kilometer-Umfänge der wirkliche Grund. Oder einfach meine Fresslust.

An zehn Stellen werde ich von Bekannten angefeuert. Ungezählt bleiben die vielen Anderen, die meinen auf der Startnummer gedruckten Namen rufen. Nur kann ich die wunderbare Strecken-Atmosphäre und den Zuspruch der Zuschauer nicht genießen. Wenigstens vermag ich mich ab und an aufzuraffen, um ein paar Kinderhände abzuklatschen. Doch die Kleinen, die ihre Jacken-Ärmel über die Finger ziehen, um sich vor unserem Schnodder zu schützen, werden ignoriert. Keine halben Sachen!

"Dieses Gehetze tust du dir nie wieder an!" Einerseits ist es ein Versprechen. Gleichzeitig ist das Wissen darum, dass es mein letzter pB-Versuch sein soll, ein Ansporn. Die immer noch mögliche pB wird mein Rettungsanker. Ohne Ziel, keine Motivation! Die Rechnerei beginnt. Mit ein paar Sekunden Verbesserung will ich mich möglichst nicht trösten müssen. Eine 3:10 soll es schon noch werden!

Doch irgendwann stehen erstmals 5er Paces auf dem Display des Zeitmessers. Langsamer darf ich keinesfalls mehr werden! Und dann kommt der absolute Tiefpunkt des ganzen Laufes. Der Sieger der M65 zieht vorbei!

Erstaunlicherweise überhole ich selbst aber auch immer noch andere Läufer. Und am Streckenrand sieht man Geher, Steher und Dehner, gelegentlich sogar Erbrochenes. "Guck mal, denen geht es noch viel schlechter als dir!", mache ich mir Mut.

Bei km 39 begegnen mir die 3h-Pacemaker. Doch der Junior ist nicht bei ihnen und auch in der langen Reihe dahinter nicht auszumachen. Er wird die Schrittmacher doch nicht überholt haben?

In Wirklichkeit ist auch ihm, trotz der disziplinierten Vorbereitung und der defensiven Rennstrategie, ein Einbruch nicht erspart geblieben. Das ist Marathon! Der Nachwuchs entdeckt mich bei der  Begegnungsstelle auf der Königsallee zwischen km 40 und 41. Da ich nur ein paar 100 Meter hinter ihm bin, erwägt er sogar, auf mich zu warten, um das Hand-in-Hand-Marathon-Finish von Vater und Sohn doch noch Wirklichkeit werden zu lassen. Letztlich hat er sich aber zu sehr für seine Zeit gequält, um sie jetzt zu verschenken. Ich hätte nicht anders gehandelt.


Und so beendet er das Rennen nach 3:08:17, während ich nach 3:10:34 einlaufe. Das Idealziel haben wir zwar verpasst, aber beide eine persönliche Marathonbestzeit in den Büchern! Ich lasse mir sogar erstmalig die Medaille mit der Zeit gravieren, da das ja ab jetzt meine ewige Straßenmarathon-pB sein soll.

Im Ziel berichtet ein Mitstreiter, dass sein 80-jähriger Vater nun nicht mehr läuft. Und dass sie nie gemeinsam laufen konnten, weil jeweils der eine oder der andere zu schnell war. Das geht uns auf dem Heimweg nicht mehr aus dem Kopf. Am Abend beschließen wir, dass wir irgendwann zusammen einen Genußmarathon laufen werden.

Sonntag, 7. April 2019

Auf das Lintorfer Podest

Wie ich trotz verpasster Zeitvorgabe mit dem Gesamtsieger auf das Podest gelangte

Brav hielt ich meinem Schwur die Treue und bewahrte Abstinenz von der Ultra-Distanz. Stattdessen trainierte ich diszipliniert nach dem 2:59er Marathon-Plan meines Sohnes. Das harte Trainingstempo soll heute in Form einer 10-Kilometer-Zeit von sub38 Früchte tragen. Am Mittwoch locker in 3:45 gelaufene 1000er Intervalle stimmen optimistisch.

Nur nicht zu schnell starten! Der erste Kilometer fühlt sich prima an und kann mit 3:47 als Punktlandung durchgehen. Ich halte mich weiter im Windschatten zweier Triathleten. Doch als der zweite Kilometer plötzlich mit 3:52 auf der Uhr steht, ziehe ich allein weiter. Als sich die gefühlte Beschleunigung nach Kilometer Drei mit erneuten 3:52 nicht bestätigt, schleichen sich erste Zweifel ein. Ich schließe die Lücke zum nächsten Vordermann, ohne dass dadurch die Messwerte besser werden. Im Gegenteil! Nach fünf Kilometern steigt mein Tempomacher plötzlich aus dem Rennen aus, und ich vergesse vor Überraschung die Zwischenzeit zu stoppen. Die offizielle Zieluhr zeigt aber bereits Werte über 19 Minuten. Vielleicht kann ich wenigstens eine niedrige 38er Zeit erkämpfen und schneller sein als neulich in Hardt?

Immerhin bleibe ich auf den Beinen. Vor einer guten Woche war mir diese scheinbare Selbstverständlichkeit nicht vergönnt gewesen. Komme ich sonst auf schwierigen Trails ganz gut zurecht, streckte es mich auf topfebenem, asphaltiertem Untergrund nieder. Ich hatte wohl in eine am Boden liegende Schlaufe eingefädelt, so dass ein Fuß urplötzlich arretiert war. Mein Körpergewicht fing ich hauptsächlich mit der rechten Gesichtshälfte ab, was mir eine Woche Zombie-Aussehen bescherte. Wenigstens blieb mir diesmal ein Notarzt-Einsatz erspart.

Möglicherweise ist es mit sonnigen 20 Grad einfach zu schnell zu warm geworden. Andererseits passiert genau das auch schön regelmäßig beim Düsseldorf Marathon. Das sollte ein sub3h-Aspirant also aushalten. Doch ich schleppe mich hier gerade mit 4:10 über Kilometer Sieben. Beim Marathon muss ich eine 4:15 über die ganze Distanz durchhalten! Die schlechten Gedanken übernehmen die Kontrolle: "Selbst bei hartem Training ist bei dir eben einfach nicht mehr drin."

Auch der Junior sah seine Marathonträume bereits platzen. Der Sportarzt diagnostizierte mittels Ultraschall eine Zerrung und verordnete 4 Wochen Laufpause. Also ziemlich genau bis zum Marathon. Zunächst hielt sich der Nachwuchs an die Verordnung, worunter das Familienleben durch wachsende Übellaunigkeit des Jugendlichen erheblich zu leiden hatte. Da die Hoffnung aber zuletzt stirbt, suchte der Junior noch einen Physiotherapeuten auf. Die neue Diagnose lautete viel freundlicher "Muskelverhärtung". Und eine sehr schmerzhafte Massage später gab es eine Lauffreigabe.

Bis eine Minute vorm Start des Zehners war das Motto des Nachwuchsathleten: "Nur Mittraben, um den Marathon nicht zu gefährden". Da das Warmlaufen aber völlig schmerzfrei gelang, änderte der Junge wohl seinen Plan. Hatte er sich auf der ersten der vier Runden noch hinter mir gehalten, zog er bei Kilometer Drei mit einem Lächeln vorbei. Letztlich erkämpfte er sich mit einem spannenden Zweikampf kurz vor der Ziellinie noch den Dritten Platz in der Gesamtwertung.


Ich bin hingegen zu keinem vernünftigen Endspurt fähig und erreiche das Ziel recht deprimiert nach 39:42. Durch das Rasseln meines Atems dringen Wortfetzen. Der Moderator berichtet offenbar gerade von einer Familienfeier, die bei uns heute Abend wegen unserer Platzierungen stattfinden würde. Es zeigt sich, dass ich Dritter in meiner Altersklasse wurde.

Die Modalitäten der Siegerehrung führen zu einem Kuriosum. Als Altersklassensieger im Jugendbereich bekommt mein Sohn zwar einen Pokal. Bei der Gesamtwertung werden aber nur die Siegerin und der Sieger ausgezeichnet. Den dritten Platz auf dem Podest neben dem Gesamtsieger, der eigentlich meinem Nachwuchs gebührt, nehme stattdessen ich ein. Der Gewinner und ich sind nämlich in derselben Altersklasse!