Donnerstag, 9. November 2023

Kleiner Sachsenlauf

Meine erste Teilnahme am Kleinen Sachsenlauf in Coswig wird keine Wiederholung erfahren, denn es handelt sich um die letzte Austragung der Veranstaltung. Das kleine Orga-Team wird sich auf den Fortbestand des Sachsenlaufs fokussieren. Der große Bruder des kleinen Laufs hat es sogar geschafft, dass die Start-/-Zielstraße in "Sachsenlaufweg" umbenannt wurde.

Und dort finden sich die 333 Starter der 3 Distanzen der 33. Austragung gemeinsam ein, von wo sie zusammen auf die welligen Kurse durch den Herbstwald geschickt werden. Nach ein paar Hundert Metern biegen wir in die Straße "Am Ameisenhügel" ein. Der Name erweist sich als starke Untertreibung, denn dieser erste Anstieg scheint der steilste und längste der ganzen Runde  zu sein. Mir zieht er körperlich und mental direkt den Stecker. Hatte ich mich ohnehin schon weit hinten im Starterfeld befunden, so werde ich jetzt noch weiter ans Ende durchgereicht.

Seit der Männergrippe neulich bin ich nicht wieder richtig auf die Beine gekommen. Die Uhr berichtet seit Wochen eine geringe Herzfrequenzvariabilität und leitet daraus den Trainingszustand "Ermüdung" ab. Das deckt sich mit meinem Gefühl. Es haben sich auch wieder orthopädische Symptome eingestellt. Neuerdings habe ich "Knie" und den Verdacht, es könnte an den neuen Schuhen liegen. Trotz allem scheint mir ein Start die bestmögliche Nutzung meines Sonntags zu sein. 

Ich versuche also dem Lauf über 11,4 km die positiven Seiten abzugewinnen und mache mir den blauen Himmel und das bunt gefärbte Laub bewusst. Nach 2 km erleben wir das Highlight der Strecke, als wir den Seerosenteich passieren. 

Der Seerosenteich im Frühjahr

Geschichte wiederholt sich. Wie in Einsiedel überhole ich abwärts und werde aufwärts wieder überholt. (Auch wenn es hier deutlich flacher zugeht.)  Dennoch kann ich nach und nach auch ein paar Plätze gutmachen. Insgesamt tröste ich mich damit, dass die am anfänglichen Ameisenhügel gewonnene Höhe Richtung Ziel ja wieder verloren werden muss. Nur verwirklicht sich das nicht so wie erwartet.

Nach Kilometer 9 gilt es, noch einen markanten Anstieg zu bewältigen. Dort zieht der Mann, der mir die letzten acht Kilometer an den Fersen klebte, gleichauf und gibt mir mit: "Was ist los mit dir? Du bist doch mein Pacemaker!", bevor er von hinnen zieht. 

Auch sonst lässt sich diesmal nichts schönrechnen. Als ich nach 0:54:42 im Ziel ankomme, ist der ganze Kuchen schon alle!


Montag, 23. Oktober 2023

Einsiedler Herbstcrosslauf

Startklappe
 Die Fahrt nach Einsiedel, einem Vorort von Chemnitz, ist für die Pulsmesserei eine Zeitreise. In Chemnitz haben wir einst studiert und die hügelige Landschaft des Umlands ausgiebig genossen. Im Starterfeld stelle ich fest, dass der hier gesprochene, lokale Dialekt heimatliche Gefühle in mir auslöst. Eine Kostprobe der hiesigen Version der sächsischen Mundart liefert die spätere Siegerin, als sie streckenbezogene Informationen preisgibt: "Dor Bauer hadde Guhscheiße ni weggemocht. Da müss mor glei durchrammeln!" (Der Landwirt habe den Kuhdung nicht beseitigt, so dass wir da in Bälde hindurchzurennen haben werden.)

Bevor es jedoch so weit ist, warten wir auf das Startsignal. Das gibt der Verantwortliche des ausrichtenden Klubs "Skiverein Einsiedel" passenderweise, indem er als Startklappe die Laufsohlen von ein paar Ski zusammenknallen lässt. Damit werden wir auf den 6-km-Kurs entlassen, den es zweimal zu passieren gilt, um auf die ausgeschriebenen 12 km mit 500 Höhenmeter zu kommen.

Die ganze Nacht hat es geregnet. Und entgegen aller Prognosen regnet es noch immer. Entsprechend aufgeweicht empfängt der Boden unsere Laufschuhe. Erstmals bin ich froh darüber, dass bei meinem spontanen Trailschuh-Notkauf neulich nur ein Goretex-Exemplar vorrätig war. Wir queren den besagten Bauernhof, der vom Niederschlag anscheinend ganz gut gereinigt wurde. Dahinter geht es steil über die Weide in den Wald hinein und immer weiter bergauf. Ich werde reihenweise überholt. Nur die drittplatzierte Dame kann ich meinerseits überholen.

Wo es hinauf geht, muss es auf einer Runde auch wieder hinunter führen. Und dann schlägt jeweils meine Stunde. Mein Vertrauen in den Grip des Brooks Cascadia wird nicht enttäuscht, so dass ich mit schnellen Schritten die Piste runter pesen kann und etliche Plätze gutmache. Nur um sie am nächsten Berg wieder einzubüßen.

So wogt das Geschehen hin und her, als überraschenderweise schon die erste Runde absolviert ist. Dabei zeigt die Uhr erst 5,5 km. Und gute 30 min. Die Zeit passt zu meiner vorher abgegebenen Ziel-Prognose von etwa einer Stunde, die einer 5er Pace entspricht. Optimismus breitet sich in mir aus. Verstärkt wird das Gefühl dadurch, dass der ob seines grauen Bartes als AK-Konkurrent wahrgenommene Sportler bei einem Blick zu Tale inzwischen weit unter mir zu sehen ist. So setze ich das Hin-und-her-Gewoge auf Runde 2 mit dem verbliebenen "Jungvolk" fort. 

Ich bin jetzt genau dort, wo ich sein will: im Gewoge, unter Gleichgesinnten, im Matsch, in der hügeligen Natur der sächsischen Heimat - einfach im Flow. Gut, auf den Regen und das Gefühl sich anbahnenden Seitenstechens könnte ich verzichten.

Der Vorteil zweier Runden besteht darin, ganz gut abschätzen zu können, wann mit dem Endspurt zu beginnen ist. Ich warte noch das extrem rutschige Gefälle ab, an dem ein extra abgestellter Streckenposten Warnhinweise ruft. Trotzdem kommt ein Athlet vor mir zu Fall. Auch mir fehlt inzwischen die Kraft in den Oberschenkeln, um mit hoher Geschwindigkeit sicher zu Tale zu fegen. Aber unten gebe ich mir die Sporen. Jetzt bloß nicht mehr überholen lassen!



Und so gelingt mir ein negativer Split mit deutlich schneller gelaufener zweiter Runde, als ich nach 58:46 min ins Ziel laufe. Damit darf ich als AK-Dritter aufs Podest. Auch hier hat sich der Veranstalter etwas Besonderes ausgedacht. Die aus Holzpaletten errichtete Sieger-Tribüne wurde mit Herbstlaub geschmückt. Sogar die Sieger-Pokale stellen ein Laubblatt dar. Ich bekomme nur eine Urkunde, aber auch diese ist mit dem Blatt bedruckt. Während die Gesamtsieger einen 150-Euro-Gutschein erhalten, stellt sich bei den Preisen der AK-Gewinner die Frage, ob es sich nicht eher um eine Strafe handelt. Sie gewinnen einen Aufenthalt am "Kältesten Ort in Chemnitz" - einer Kältekammer mit Minus 85 Grad Celcius.

Ganz so exklusiv ist mein Podestplatz dann doch nicht, wie es sich anfühlt, wenn man da oben steht. Von 67 gemeldeten Sportlern, laufen 59 ins Ziel. Die Altersklassen werden hier nicht in 5-Jahresschritten, sondern aller 10 Jahre zusammengefasst. Trotzdem bleiben damit - von W20 bis M60 - zehn Altersklassen, deren drei Sieger jeweils aufs Podest dürfen. Jeder Zweite wird hier im Schnitt geehrt!

Das ist nicht der alleinige Grund dafür, dass so viele bis zum Schluss der Veranstaltung warten. Das üppige Buffett, das mit veganem Kuchen, Kürbissuppe und Gegrilltem Feta im Tomatenbett auch Ernährungswünsche abseits des Mainstreams bedient, dürfte auch dazu beitragen (Steak und Wurst vom Grill sind ebenfalls wohlfeil). Zusätzlich wird ganz am Ende ein Wochenende in einem Wohnmobil unter allen anwesenden, erwachsenen Startern verlost. (Der Besitz eines Führerscheins ist seltsamerweise keine Bedingung.) Bei der Lotterie kommt es zu einem besonderen Vorfall. Der erste Griff des Moderators, der während seiner eigenen Teilnahme am 12-km-Rennen von einem Ersatzmann vertreten worden war, zieht die Startnummer eines nicht Anwesenden. Er greift noch einmal in die Lostrommel - und zieht seine eigene Startnummer!



 

Freitag, 6. Oktober 2023

Reise zum Mittelpunkt Sachsens - Tharandter Waldlauf

Blick von der Waldbühne
Da Sachsen der Nabel der Welt ist, gerät eine Reise zum Mittelpunkt Sachsens fast zur Reise zum Mittelpunkt der Erde. Auf jeden Fall ist es ein kleines Abenteuer, beim Tharandter Waldlauf zu starten, in dessen Nähe sich der besagte Mittelpunkt befindet.

Die größte Herausforderung besteht darin, den Start zu finden. Wir folgen dazu den sportlich gekleideten Menschen, die am Ende einer Sackgasse einen Pfad steil bergauf ins Dickicht nehmen und dort verschwinden. Glücklicherweise sind die längeren Distanzen schon unterwegs, so dass man sich akustisch an der Moderation orientieren kann. Letztlich finden wir ein Freilichttheater mitten im Wald, das als Start- und Zielgelände dient.

Das jüngste (wenn auch inzwischen erwachsene) Pulsmesserchen und ich wollen uns der 10-km-Distanz stellen, die auf 4 Runden durch den Wald zu bewältigen ist. Waldwege, Asphalt und ein Stück Single-Trail bilden den Untergrund des welligen Kurses. An den Abwärtspassagen spiele ich meine langbeinige Statur aus und ziehe mit großen Schritten zu Tal. Ansonsten ist es ein Kampf. Nur einen positiven Moment kann ich verbuchen. An einer Stelle verjüngt sich die Laufstrecke zwischen schlammigen Pfützen.zu einem schmalen Pfad. Dort gerät das Feld ins Stocken. Ich fräse mit meinen Goretex-Trailschuhen durch die Brühe und überhole die wasserscheue Konkurrenz, darunter auch meine Tochter. Sie ist die einzige, die sich nach dem Lauf bei mir über das Vollspritzen beschweren kann.

Der letzte Anstieg führt direkt zur Zielgasse. Vor mir am "Berg" erspähe ich angegrautes Haar und wittere AK-Konkurrenz, so dass ich mir zum Überholen einen echten Endspurt rausklingele. Denn hier werden die drei AK-Besten auf der Waldbühne geehrt. Der Ergraute gehörte wohl nicht dazu. Ich muss mich mit AK-Platz 4 begnügen. Der ist aber nicht undankbar, sondern zu Recht zugewiesen. Die ersten Drei waren so weit vor mir, dass ich sie nicht einmal gesehen habe.

Ganz anders ergeht es meiner Tochter. Als erste Frau läuft sie in die Zielgasse - und verliert die Platzierung auf der Ziellinie, die ihre Konkurrentin mit einem langen Schritt zuerst passiert. Klingt dramatisch, aber der Siegerin wird ein schlimmeres Schicksal beschieden sein. Während das Pulsmesserchen immerhin als AK-Siegerin geehrt wird, geht die eigentliche weibliche Siegerin komplett leer aus. Da die Gesamtsieger nur im Rahmen der AK-Ehrung ausgezeichnet werden, die Siegerin aber zu jung für die ausgeschriebenen Altersklassen ist, wird sie überhaupt nicht auf die Bühne geholt.

Von diesem Lapsus abgesehen, handelt es sich um eine dieser kleinen, handgemachten Veranstaltungen, wie ich sie mag. Es fehlen hier nur die Vereinsmütter, die selbstgebackenen Kuchen zu fairen Preisen feilbieten. Wahrscheinlich ist es zu beschwerlich, diesen in den Wald zu karren. Die Lücke schließt ein professioneller Holzofenbäcker, bei dem es allerdings mit den fairen Preisen etwas hapert. Bananen und Äpfel gibt es dafür kostenlos im Ziel.

Für mich ist dieser Ausflug wieder ein kleiner Meilenstein, denn wie früher haben sich die Pulsmesser gemeinsam auf Wettkampfreise begeben und bringen sogar eine Medaille mit nach Hause.

Verschiedene Medaillen für AK- und Gesamtsieger


Montag, 25. September 2023

BobRun Altenberg

 Der Aufstieg vom Parkplatz zum Beginn der Bobbahn gibt schon einen kleinen Vorgeschmack auf die finale Steigung des Wettkampfs, dessen Start und Ziel sich am Beginn des Altenberger Eiskanals befinden. In der Ausschreibung ist von bis zu 15% die Rede. Oben pfeift ein eisiger Wind bei einstelligen Temperaturen. Mein mitgebrachtes ärmelloses Wettkampfhemd bleibt in der Tasche. Stattdessen setze ich lieber noch eine Mütze auf. Die Moderatorin preist unser Wetterglück, im Vorjahr habe es geschneit. Die Organisatoren haben entsprechend vorgesorgt und schenken heißen Tee aus. Überhaupt ist auf dem Gipfel alles Nötige vorhanden: WC, Umkleide (wenn auch unisex), Kleiderbeutelabgabe. Nur eine Dusche gibt es nicht. Scheinbar kommt die bobfahrende Zielgruppe dieser Infrastruktur bei ihrem eisigen Tun nicht ins Schwitzen.

Ich hingegen fühle mich nach dem Einlaufen runter zum Parkplatz und wieder hinauf anständig beheizt. Mit den gut 100 anderen Startern stürme ich nach dem Startsignal neben dem Eiskanal zu Tale. Ich hatte Höhenmeter mit Trail gleichgesetzt und entsprechend profiliertes Schuhwerk gewählt. Das stellt sich als unnötig heraus, da der Kurs hier auf Asphalt geführt ist und später in gut befestigte Waldwege übergeht, bevor die finale Betonröhre des Eiskanals erreicht wird.

Wellig geht es auf und ab durch den Wald. An den abwärts führenden Passagen lasse ich die Schritte lang werden und ziehe an etlichen BobRunnern vorbei, nur um mich an den folgenden Anstiegen wieder überholen zu lassen. So wogt das Geschehen hin und her. Soweit ich es überblicken kann, bin ich der einzige, der die Strecke durch konsequentes Idealliniesuchen zu optimieren trachtet. Die Ultra-Strategie dürfte mir auch auf diesem 8-Komma-Irgendwas langen Kurs ein paar Meter ersparen. Eine letzte Kampfreserve spare ich mir für die Eisröhre auf. Nicht dass ich mir für die spezielle Bergwertung zur Kür des schnellsten Eiskanalsprinters irgendwelche Chancen erhoffe. Ich will auf diesen letzten 1200 Metern aber keinesfalls gehen müssen.

Die beiden Kilometer 6 und 7 führen gefühlt nur talwärts. Mental ist klar: das müssen wir alles wieder hoch! Nach einer 90-Grad-Kehre geht es auch schon los. Zunächst auf Asphaltstraße hinauf zum Ende der Bobbahn, dann im spitzen Winkel rein in die Röhre! 

Ich war der Ansicht, dass im Kanal kein Überholen möglich sein würde und hatte mir Sorgen gemacht, ein Hindernis für die besseren Läufer darstellen zu können. Dass die Sorge unberechtigt war, macht mir ein muskelbepackter Konkurrent klar, den ich bergab überholt hatte. Er flutscht einfach vorbei. Ich hechele aufwärts und nehme nach ein paar Kurven erstaunt zur Kenntnis, dass es temporär wieder abwärts geht - ein Gegenanstieg für die Bobfahrer also. Ich bin ganz dankbar dafür und mache ein paar Meter gut, nur um kurz darauf von einem Jungspund aufs Altenteil verwiesen zu werden. Er gehört zum "Landeskader Sachsen", wenn man seiner Rückenaufschrift glauben darf. Die Sportart wird nicht verraten. Ein Lauftalent hat er jedenfalls, ist er doch deutlich schneller, obwohl er immer wieder zwischendurch geht! Ich kann wie geplant im Laufschritt bleiben. Am "Noch 400 m"-Schild beschließe ich, die Reste der Kampfreserve zu mobilisieren und setze zum Endspurt an. Der überholte Mitstreiter wirkt völlig überrascht. Das Erfolgserlebnis will ich mir 100 m vorm Ziel noch einmal gönnen. Doch der Konkurrent hört mein Keuchen, dreht sich erschrocken um - und sprintet wie von einer Feder gezogen davon. Da brauche ich mich gar nicht mehr zu bemühen, so chancenlos lässt er mich zurück. Eine Sekunde nach ihm erreiche ich das Ziel, wo wir beide erstaunt feststellen, dass wir gerade den Kampf um den AK-Sieg ausgetragen haben. Ich muss mich also mit dem zweiten Platz AK begnügen, bekomme aber trotzdem eine schöne Finisher-Medaille. Auch unter die Top Ten habe ich es als 16. nicht geschafft. Bei 116 Finishern reicht es auch nicht für die ersten 10 Prozent. Dafür bin ich "zweite Frau" geworden. Und als die Bergwertung online geht, sehe ich, dass ich zumindest dort der Schnellste in meiner AK gewesen bin. 

Auch abgesehen von derlei herbeigerechneten "Erfolgen" kann ich die effizient organisierte Veranstaltung rundherum empfehlen. Mit dem Eiskanalfinish kann sie zudem gegenüber dem gewöhnlichen Waldlauf mit einer kaum vergleichbaren Attraktion punkten.

Mittwoch, 23. August 2023

Dresdner Nachtlauf

Zieleinlauf bei Nacht und (Bühnen-)Nebel
Dieser Lauf ist für mich ein weiterer Meilenstein, denn er führt mit 11,5 km über die längste Wettkampfdistanz seit meiner Verletzung!

Zur Startzeit um 20 Uhr herrschen schwüle 26 Grad, so dass ich bereits nach dem Einlaufen durchgeschwitzt bin und nass im Starterfeld stehe. Dort fällt mir auf, dass die Läufer um mich herum alle ein durchsichtiges Plastikarmband tragen, in dem auch ein Batterie zu sehen ist. Mist, habe ich vergessen den Zeitnahme-Chip aus dem Startbeutel anzulegen? Ein kurzer Check der Startnummer zeigt aber, dass der Chip dort integriert ist. Dann ertönt auch schon das Startsignal. Und es passiert: nichts!

Nach vielen Minuten dringe ich doch noch zum Startbogen vor und sehe, dass dessen Öffnung mit Absperrgittern künstlich auf ca. 2 m Breite verjüngt wurde. Vermutlich soll das dazu dienen, dass nicht zu viele Läufer zugleich auf den Elberadweg entlassen werden, der ebenfalls nicht breiter ist.

Wie sich herausstellt, gelingt das nur mäßig. Demütig, wie ich inzwischen geworden bin, hatte ich mich etwas zu defensiv im Starterfeld platziert. Das hat nun zur Folge, dass ich permament überhole. Zum einen ist das natürlich ein geiles Gefühl. Zum anderen ist es aber nur möglich, wenn ich neben der Strecke durch die Wiese renne. Als alter Trailrunner stelle ich mich dieser Herausforderung. Ein paar Meter vor mir tut es mir ein junger Mann in Schwarz gleich. Außerdem läuft er mit ähnlicher Geschwindigkeit und gerät mir so zum Zugpferd.

Ich hatte kein gezieltes Tempotraining betrieben. Die späte Startzeit und die hohe Temperatur bei gleichfalls hoher Luftfeuchte schienen mir ebenfalls nicht vernachlässigbar. Also lautet der Plan, eine Pace zwischen 4:30 und 5:00 zu erreichen. Somit bin ich hochzufrieden, als sich die Pace konstant bei 4:34 einpegelt. Ich bin zuversichtlich, das so ins Ziel zu bringen und laufe durchweg im Flow und überhole und überhole. Dabei beherzige ich eine DLV-Regel, die ich vormals dem Trainer meines Sohnes abgelauschte: was nicht abgesperrt ist, gehört zur Strecke. Also folge ich möglichst der Ideallinie.

Nur mein Rappe (das "schwarze Zugpferd") kommt trotzdem nicht näher. Doch was macht er, als wir uns dem Wendepunkt am Blauen Wunder nähern? Er scheut! Bleibt einfach stehen und trinkt! Muss ich mir eben ein neues Pferd oder einen Hasen suchen. Und so scanne ich die diversen Rückansichten der entsprechenden Aspiranten. Ich finde kein neues Leittier, stattdessen werde ich auf eine Reise durch die Stationen meines bisherigen Lebens mitgenommen. Da läuft einer im Shirt eines Vereins aus Chemnitz, wo ich einst studierte. Ein anderer weist sich als Kanupolo-Spieler in Glauchau aus. Dort paddelte ich als Kind auf dem Stausee, wo ich Kanurennsport trainierte. Nur hieß der Verein damals noch "BSG Chemie Glauchau", wobei BSG für Betriebssportgruppe stand. Kanupolo wurde erst nach der Wende ins Vereinsprogramm aufgenommen. Vorher lag der Fokus auf der Nachwuchsbildung neuer Olympiakader, was mich beinahe auf eine Sportschule gebracht hätte, wenn meine Eltern nicht zu Gunsten einer eher wissensbasierten Bildung interveniert hätten. Einer läuft sogar im Finisher-Shirt vom Venloop, dessen einzigartige Stimmung ich innerhalb meiner 23 Jahre dauernden Zeit im Düsseldorfer Exil genießen durfte.

Die ungünstig beleuchtete Damenumkleide
Während meiner Retrospektive ist die Dunkelheit hereingebrochen, was hier etwa eine Stunde früher passiert als im kürzlich verlassenen oben genannten Exil. Und damit klärt sich die Funktion der durchsichtigen, batteriebetriebenen Armbänder. Sie leuchten im Dunkeln! Nach dem Überqueren der Waldschlösschenbrücke, deren Bau dem Dresdner Elbtal seinen Status als UNESCO-Weltkulturerbe gekostet hat, steigt die Stimmung an der Strecke. Der Weg ist nun mit lauter brennenden Feuertöpfchen markiert. Zusätzlich sind die Kronen der Allee-Bäume entlang des Rosengartens bunt illuminiert. Und extra aufgebaute Lichttunnel werden durchquert. Woanders trommeln Sambabands. Die Zuschauer, die bisher nur auf "ihren" Läufer gewartet hatten, feuern jetzt alle an, so dass mir nicht nur eine Laola zuteil wird, sondern auch noch mein Nachname erklingt. Ich muss wohl das Meldeformular falsch befüllt haben. Jedenfalls bin ich der einzige, der statt des Vornamens seinen Nachnamen auf der Startnummer ins Ziel trägt.

Diesmal gelingt mir sogar ein Endspurt. Rundherum zufrieden empfange ich die Medaille und genieße in einem Liegestuhl das gekühlte Finisher-Bier. Dass ich früher in der Pace von 4:34 einen ganzen Marathon laufen konnte, blende ich aus und erfreue mich am 166. Gesamtplatz von 1240 Startern und dem 14. Platz innerhalb der 148 Läufer der M50.

Nachzielbereich


Dienstag, 1. August 2023

Prießnitzgrund Parkrun

 

Seit meiner letzten Teilnahme Ende 2019 ist der Dresdner Parkrun umgezogen. Nun wird von der Neustadt in den Prießnitzgrund und zurück gelaufen. Die Naturschutzbehörde hatte Einwände gegen die bisherige Austragungsstrecke in den Elbwiesen. Letztlich ist die neue Lokation ein Gewinn für die Teilnehmer. Denn die crossige Strecke am schattigen Ufer der Prießnitz ist ein Genuss. Darüberhinaus sind die Möglichkeiten zur anschließenden Wiederbefüllung der Kohlehydratdepots in der Dresdner Neustadt überaus vielfältig. Übrigens gehört ein gemeinsames Frühstück nach dem Lauf mit zum angebotenen Programm.

Am Start sind verschiedene Nationen vertreten, sogar aus Australien kommen zwei Teilnehmer. Die Holländer machen in der Sächsischen Schweiz Urlaub und sind extra morgens mit der S-Bahn aus Bad Schandau angereist. Sie haben schon ein Sightrunning vom Hauptbahnhof zur Neustadt hinter sich und brauchen keine Erwärmung mehr. Ich hingegen absolviere ein Aufwärmprogramm, wie ich es von meinen Trainern, Physios und Osteopathen eingetrichtert bekam. Meine Lektion habe ich ja auf die harte Tour gelernt. Nur ein weiterer Mitstreiter läuft sich warm und wird von mir als Aspirant für die vorderen Plätze wahrgenommen.

Kurz nach dem Start sortiert sich das Feld. Ein junger Athlet in grau stürmt voran, wobei er sich immer wieder nach Verfolgern umsieht. Ihm heftet sich der Warmläufer an die Fersen. Beide entschwinden schnell meinem Blick. Ich liege also auf Platz Drei. Das würde ich natürlich gern so ins Ziel bringen. Also versuche ich das Tempo zu halten. Im schwülwarmen Bachtal kämpfe ich mich voran. Allein die Luftfeuchtigkeit ließe mich triefen, wenn ich nicht zusätzlich viehisch schwitzen würde. Es geht auf ausgeschwaschenem Fahrweg zwischen den Pfützen des nächtlichen Regens im sandigem Grund ganz leicht ansteigend (20 Hm sagt die Uhr) bachaufwärts bis zum Wendepunkt. Schon weit vor diesem kommen mir die beiden Sieg-Konkurrenten entgegen. Grau applaudiert mir mit hochroten Kopf. Direkt dahinter folgt vergleichsweise entspannt der erfahrene Warmläufer. Nach meinem Eindruck läuft er strategisch auf Sieg, ohne sich um seine Zeit zu scheren.

Endlich erreiche auch ich die Wendemarke, nur um kurz darauf festzustellen, dass mir ein junger Asiate bedrohlich nahe gekommen ist. Der ganze Rückweg ist davon geprägt, nach und nach einzusehen, dass ich das Tempo im Falle eines Angriffs keinesfalls werde steigern können. Ja, ich muss sogar kurzzeitig die Geschwindigkeit reduzieren, um Kräfte für den Endspurt zu sammeln. Und so kommt dieser furchtbare Moment, in dem sich die Antilope eingestehen muss, dass sie sich dem Löwen ergeben muss und sich gleich fressen lassen wird. Ich höre die Schritte hinter mir. Und schon zieht der Asiate vorbei. Ich entschuldige meinen ausbleibenden Widerstand mit seiner Jugend und trotte die letzten 500 m weiter Richtung Ziel, wo ich mich kurz vorm Einlauf noch einmal für einen kleinen Endspurt aufbäume.

Erwartungsgemäß hat der Warmläufer gewonnen. Unisono berichten alle Finisher von ihren Schwierigkeiten mit der Schwüle. So nehme ich die 22:01 recht gelassen hin und verbuche die Aktion unter Tempotraining. Wenn man den Untergrund und die Witterung mit betrachtet, sind die 9 sec mehr als bei der Rewe-Team-Challenge neulich ganz passabel.

Die Ergebnisliste des Parkruns bietet aber noch mehr Möglichkeiten zum Schönrechnen. Man kann sie nach der alterskorrigierten Leistung sortieren lassen. Und schwupps, schon liege ich wieder auf Platz Drei! 


PS: Die World Masters Athletics (WMA) veröffentlicht jährlich Alterskorrekturfaktoren. Wer seine Leistung damit vergleichbar machen möchte, findet hier die Tabelle für 2023.

Freitag, 16. Juni 2023

Rewe-Team-Challenge

Blick von der Carolabrücke zur Albertbrücke
Mit Fußball habe ich nichts am Hut. Trotzdem gehe ich ins Stadion von Dynamo Dresden. Dort ist nämlich die Kleiderbeutelabgabe und das Ziel der Rewe-Team-Challenge über 5 km.

Nach meinem Wettkampfdebüt in diesem Jahr war ich zuversichtlich, den Wiedereinstieg ins Laufgeschehen zu finden. Doch dann raffte mich eine corona-ähnliche Infektion für Wochen dahin. Und wieder musste ich ganz unten anfangen.

Trotz alledem habe ich es geschafft, nach vierjähriger Pause eine erste Intervall-Einheit im Stadion zu absolvieren. Die lief so gut, dass ich mir eine Pace von 4:15 als Idealziel für den Wettkampf definiert habe.

Rund 22500 Starter bevölkern die Dresdner Innenstadt. Obwohl der Start in Wellen durchgeführt wird, dauert es mehrere Minuten, um innerhalb der Welle bis zur Startlinie vorzudringen. Dann beginnt der Zick-Zack um die Läufer, die teilweise als Team in einer Reihe nebeneinander die ganze Strecke blockieren.

Der Kurs ist recht eckig (immerhin nicht rechteckig), Kopfsteinpflaster ist auch dabei. Dafür geht es am wunderschönen Dresdner Terrassenufer vorbei. Nur habe ich keinen Blick dafür. Der geht eher zur Uhr.  Meine Zwischenzeiten liegen stets etwas über meinem Idealziel. Ich schaffe es einfach nicht, so richtig in den Wettkampfmodus zu schalten. Weder finde ich jemanden, an den ich mich hängen könnte, noch kann ich mir die äußerste Quälerei abverlangen. Blutiger Geschmack in der Kehle, Schnappatmung, Schaum vorm Mund. Nichts davon mute ich mir heute zu.

Der Schlangenlinienkurs kurz vorm Stadion, der an die Flughafenabfertigung erinnert und offenbar nötig ist, um auf die Distanz zu kommen, ist meiner Motivation und der gewünschten Zielzeit auch nicht zuträglich.

Immerhin kann ich mich im Stadion zu einem Endspurt aufraffen. Auch hier blockiert wieder ein Team die ganze Breite des Kurses. Doch selbst wenn man mir heute Idealbedingungen gewähren würde, könnte ich nicht ans Äußerste gehen. Und so muss ich mit der erreichten Pace von 4:18 und einer Zeit von 21:52 zufrieden sein.

Offenbar verliert man die Wettkampfhärte, wenn man nicht mehr oft genug an einer Startlinie steht. Um dem abzuhelfen, habe ich mich direkt für den Dresdner Nachtlauf am 18.8.2023 um 20 Uhr über 11,3 km eingeschrieben.

Sonntag, 5. März 2023

(Neu-)Start beim Radebeuler Wintercross

Der neongrüne Zeit-Sensor im Ziel
 Drei Jahre voller Frust und Rückschläge liegen hinter mir. Zeit genug, um gefühlsmäßig vom Ultralaufen Abschied zu nehmen. Zwischen "Ich bin Utraläufer" und "Ich war Ultraläufer" lag ein schwerer mentaler Prozess. Dagegen schlägt die Transformation des Körpers vom Rippchen zum Rippchen mit Schwarte weit weniger ins Kontor.

Nun muss ich mir glücklicherweise in Bezug auf Distanzen und Geschwindigkeiten nichts mehr beweisen. Und so kann ich mich - frisch gehirngewaschen wie ich bin - daran erfreuen, überhaupt wieder Laufen zu können. Mittlerweile sind 3 Einheiten pro Woche und Umfänge von 5 bis 10 km wieder möglich. Ich habe sogar schon zarte Bande zur lokalen Laufszene geknüft und mich von einer ehemaligen Iron-Männin und Ultraläuferin zu gemeinsamen Bergsprints animieren lassen.

Und wie ich gestern so knappe 8 km durch den Ostflügel meiner neuen läuferischen Wohnstube - die Dresdner Junge Heide - trabe, treffe ich auf Gestalten, die Flatterbänder und Sprühkreide im Gelände verteilen. Es stellt sich heraus, dass nur 1 Kilometer von meiner tatsächlichen Wohnstube entfernt der Radebeuler Wintercross veranstaltet werden soll.

Das alte Lauffieber bricht spontan aus! Diese Gelegenheit, mir wieder Wettkampfluft in die Lunge zu pumpen, kann ich doch nicht auslassen. Noch näher geht es ja wohl kaum. (Dass der Start des Mt.-Everest-Treppenmarathons auch nur 2,5 km entfernt liegt, muss ich verdrängen, siehe oben.)

Die treuen Leserinnen und Leser werden überrascht sein, dass ich Vernunft walten lassen kann. Statt beim 8,7-km-Hauptlauf zu starten, melde ich mich für die 5,8 km an. Diese Distanz ist hier Frauen, jungen Männern und Herren jenseits der 60 vorbehalten. Alle anderen dürfen außer Konkurrenz dabei sein und werden in der Altersklasse "mVS" zusammengefasst. Möglicherweise steht die Abkürzung für "männlich, versehrte Senioren". Würde in meinem Fall jedenfalls passen.

Der Lauf ist ganz nach meinem Geschmack. Für schlanke 6 Euro kann man sich in einer Garage anmelden. Ein Kreidestrich am Waldrand markiert den Start. Immerhin gibt es Toiletten und eine Brutto-Zeitmessung per Transponder. Die Strecke führt über Waldwege, Single-Trails, feuchte Wurzeln und durch nassen Sand. Dabei sind 2 Runden zu absolvieren.

Den Startschuss verpenne ich im Gequatsche mit dem "Senior" neben mir. Egal, ich habe mich ohnehin dezent im hinteren Bereich des kleinen Feldes aufgestellt. Die Jugend entschwindet rasch zwischen den Baumstämmen. Ich versuche mich an einer 5er Pace und finde nach ein paar Überholvorgängen in einer Dame im roten Dress mit Werbung für den "Dresdner Laufsportladen", dem die schweren, gedämpften Trailschuhe an meinen Füßen entstammen, eine gute Tempomacherin.

Meine Tochter findet sich als Zuschauerin ein und ruft mir zu, ich sei "zweite Frau". Das gibt mir den Mut, auf der zweiten Runde sanft zu beschleunigen und die "Woman in Red" hinter mir zu lassen. Bestraft werde ich nun mit permanentem Keuchen in meinem Nacken. Ich wähne die Rote auf meinen Fersen. Immer wenn ihr Atemgeräusch lauter wird, versuche ich davor wegzulaufen. Auf dem letzten Kilometer hat sie mich weichgekocht. "Wenn sie jetzt angreift, kann ich mich nicht mehr wehren!", meldet der wunde Kopf. Es ist dieser Moment, wenn die Antilope weiß, dass sie dem Löwen nicht länger entfliehen kann und sich in ihr Schicksal ergibt. Doch meine Löwin kommt nicht!

Dann biegen wir auf die asphaltierte Zielgerade. Überrascht von deren unerwarteter Länge, kann ich mich noch nicht zum Endspurt aufraffen. Im Gegensatz zur Verfolgerin! Statt des erwarteten roten Leibchens strebt ein auffälliger Blondschopf (die Löwenmähne!) dem Ziel und dem Gesamtsieg der Damenwertung entgegen. Offenbar hat sie sich mit strategischem Geschick von hinten durch das Feld gearbeitet. Immerhin ist das hier der Auftakt zur Serie der Stadtmeisterschaften. Vier Sekunden nach ihr halte ich meinen Transponder an den Sensor.

Trotz des verlorenen Zweikampfes war der letzte Kilometer der schnellste. Und mit der Gesamt-Pace von 4:30 darf ich wohl auch zufrieden sein. Immerhin hat es für die Top Ten gereicht! Davon abgesehen, war es herrlich zu spüren, dass doch noch Leben in dem maroden Kadaver steckt.

Folgerichtig ist dann wohl die nächste Station der Oberelbemarathon. Da gibt es laut Ausschreibung nämlich auch eine 5-km-Distanz.