Zieleinlauf am Rhein |
Dabei wäre das Vater-Sohn-Gespann beinahe nicht gemeinsam angetreten. Wegen seiner langwierigen Waden-Verletzung stand die Entscheidung des Juniors bis zum Vorabend auf der Kippe.
Entsprechend verhalten starten wir, lassen die 3-Stunden-Pacer ziehen. Damit ist für mich das Sub3h-Ziel bereits Geschichte, während der Junge das Potenzial hat, die fehlende Zeit auf der zweiten Hälfte zu kompensieren.
Bis zur Halbmarathonmarke beschleunigen wir stetig, so dass wir in den hohen Zehnern die Ziel-Pace von etwa 4:15 aufgenommen haben. Doch ich muss kämpfen, um diese Geschwindigkeit zu laufen. An den Bauchseiten melden sich seitenstechenartige Beschwerden wie schon in den Vorbereitungswettkämpfen.
Den Halbmarathon erreichen wir nach 1:31:25. Ich lasse den Junior ziehen und wechsele auf Plan B. Wenn ich die erste Hälfte im 3-Stunden-Tempo und die zweite im Tempo für 3:15 laufe, kann ich die alte, seit 2014 nicht mehr angegriffene Bestzeit von 3:12:56 unterbieten.
Zunächst geht es noch mit 4:20, 4:25 dahin. Dann erscheint tatsächlich das 3:15-Tempo mit 4:37 auf der Uhr. Das muss ich nun halten! Was für eine Quälerei. Immerhin bin ich fünf Kilogramm schwerer (und damit eigentlich 10 Minuten langsamer) als 2014. Drei Kilo davon habe ich allein seit dem Beginn meiner Atemtherapie zugelegt. Ob sich die nächtliche Regeneration tatsächlich auf die Hüften legt? Vielleicht sind auch die reduzierten Kilometer-Umfänge der wirkliche Grund. Oder einfach meine Fresslust.
An zehn Stellen werde ich von Bekannten angefeuert. Ungezählt bleiben die vielen Anderen, die meinen auf der Startnummer gedruckten Namen rufen. Nur kann ich die wunderbare Strecken-Atmosphäre und den Zuspruch der Zuschauer nicht genießen. Wenigstens vermag ich mich ab und an aufzuraffen, um ein paar Kinderhände abzuklatschen. Doch die Kleinen, die ihre Jacken-Ärmel über die Finger ziehen, um sich vor unserem Schnodder zu schützen, werden ignoriert. Keine halben Sachen!
"Dieses Gehetze tust du dir nie wieder an!" Einerseits ist es ein Versprechen. Gleichzeitig ist das Wissen darum, dass es mein letzter pB-Versuch sein soll, ein Ansporn. Die immer noch mögliche pB wird mein Rettungsanker. Ohne Ziel, keine Motivation! Die Rechnerei beginnt. Mit ein paar Sekunden Verbesserung will ich mich möglichst nicht trösten müssen. Eine 3:10 soll es schon noch werden!
Doch irgendwann stehen erstmals 5er Paces auf dem Display des Zeitmessers. Langsamer darf ich keinesfalls mehr werden! Und dann kommt der absolute Tiefpunkt des ganzen Laufes. Der Sieger der M65 zieht vorbei!
Erstaunlicherweise überhole ich selbst aber auch immer noch andere Läufer. Und am Streckenrand sieht man Geher, Steher und Dehner, gelegentlich sogar Erbrochenes. "Guck mal, denen geht es noch viel schlechter als dir!", mache ich mir Mut.
Bei km 39 begegnen mir die 3h-Pacemaker. Doch der Junior ist nicht bei ihnen und auch in der langen Reihe dahinter nicht auszumachen. Er wird die Schrittmacher doch nicht überholt haben?
In Wirklichkeit ist auch ihm, trotz der disziplinierten Vorbereitung und der defensiven Rennstrategie, ein Einbruch nicht erspart geblieben. Das ist Marathon! Der Nachwuchs entdeckt mich bei der Begegnungsstelle auf der Königsallee zwischen km 40 und 41. Da ich nur ein paar 100 Meter hinter ihm bin, erwägt er sogar, auf mich zu warten, um das Hand-in-Hand-Marathon-Finish von Vater und Sohn doch noch Wirklichkeit werden zu lassen. Letztlich hat er sich aber zu sehr für seine Zeit gequält, um sie jetzt zu verschenken. Ich hätte nicht anders gehandelt.
Und so beendet er das Rennen nach 3:08:17, während ich nach 3:10:34 einlaufe. Das Idealziel haben wir zwar verpasst, aber beide eine persönliche Marathonbestzeit in den Büchern! Ich lasse mir sogar erstmalig die Medaille mit der Zeit gravieren, da das ja ab jetzt meine ewige Straßenmarathon-pB sein soll.
Im Ziel berichtet ein Mitstreiter, dass sein 80-jähriger Vater nun nicht mehr läuft. Und dass sie nie gemeinsam laufen konnten, weil jeweils der eine oder der andere zu schnell war. Das geht uns auf dem Heimweg nicht mehr aus dem Kopf. Am Abend beschließen wir, dass wir irgendwann zusammen einen Genußmarathon laufen werden.