Mittwoch, 23. August 2023

Dresdner Nachtlauf

Zieleinlauf bei Nacht und (Bühnen-)Nebel
Dieser Lauf ist für mich ein weiterer Meilenstein, denn er führt mit 11,5 km über die längste Wettkampfdistanz seit meiner Verletzung!

Zur Startzeit um 20 Uhr herrschen schwüle 26 Grad, so dass ich bereits nach dem Einlaufen durchgeschwitzt bin und nass im Starterfeld stehe. Dort fällt mir auf, dass die Läufer um mich herum alle ein durchsichtiges Plastikarmband tragen, in dem auch ein Batterie zu sehen ist. Mist, habe ich vergessen den Zeitnahme-Chip aus dem Startbeutel anzulegen? Ein kurzer Check der Startnummer zeigt aber, dass der Chip dort integriert ist. Dann ertönt auch schon das Startsignal. Und es passiert: nichts!

Nach vielen Minuten dringe ich doch noch zum Startbogen vor und sehe, dass dessen Öffnung mit Absperrgittern künstlich auf ca. 2 m Breite verjüngt wurde. Vermutlich soll das dazu dienen, dass nicht zu viele Läufer zugleich auf den Elberadweg entlassen werden, der ebenfalls nicht breiter ist.

Wie sich herausstellt, gelingt das nur mäßig. Demütig, wie ich inzwischen geworden bin, hatte ich mich etwas zu defensiv im Starterfeld platziert. Das hat nun zur Folge, dass ich permament überhole. Zum einen ist das natürlich ein geiles Gefühl. Zum anderen ist es aber nur möglich, wenn ich neben der Strecke durch die Wiese renne. Als alter Trailrunner stelle ich mich dieser Herausforderung. Ein paar Meter vor mir tut es mir ein junger Mann in Schwarz gleich. Außerdem läuft er mit ähnlicher Geschwindigkeit und gerät mir so zum Zugpferd.

Ich hatte kein gezieltes Tempotraining betrieben. Die späte Startzeit und die hohe Temperatur bei gleichfalls hoher Luftfeuchte schienen mir ebenfalls nicht vernachlässigbar. Also lautet der Plan, eine Pace zwischen 4:30 und 5:00 zu erreichen. Somit bin ich hochzufrieden, als sich die Pace konstant bei 4:34 einpegelt. Ich bin zuversichtlich, das so ins Ziel zu bringen und laufe durchweg im Flow und überhole und überhole. Dabei beherzige ich eine DLV-Regel, die ich vormals dem Trainer meines Sohnes abgelauschte: was nicht abgesperrt ist, gehört zur Strecke. Also folge ich möglichst der Ideallinie.

Nur mein Rappe (das "schwarze Zugpferd") kommt trotzdem nicht näher. Doch was macht er, als wir uns dem Wendepunkt am Blauen Wunder nähern? Er scheut! Bleibt einfach stehen und trinkt! Muss ich mir eben ein neues Pferd oder einen Hasen suchen. Und so scanne ich die diversen Rückansichten der entsprechenden Aspiranten. Ich finde kein neues Leittier, stattdessen werde ich auf eine Reise durch die Stationen meines bisherigen Lebens mitgenommen. Da läuft einer im Shirt eines Vereins aus Chemnitz, wo ich einst studierte. Ein anderer weist sich als Kanupolo-Spieler in Glauchau aus. Dort paddelte ich als Kind auf dem Stausee, wo ich Kanurennsport trainierte. Nur hieß der Verein damals noch "BSG Chemie Glauchau", wobei BSG für Betriebssportgruppe stand. Kanupolo wurde erst nach der Wende ins Vereinsprogramm aufgenommen. Vorher lag der Fokus auf der Nachwuchsbildung neuer Olympiakader, was mich beinahe auf eine Sportschule gebracht hätte, wenn meine Eltern nicht zu Gunsten einer eher wissensbasierten Bildung interveniert hätten. Einer läuft sogar im Finisher-Shirt vom Venloop, dessen einzigartige Stimmung ich innerhalb meiner 23 Jahre dauernden Zeit im Düsseldorfer Exil genießen durfte.

Die ungünstig beleuchtete Damenumkleide
Während meiner Retrospektive ist die Dunkelheit hereingebrochen, was hier etwa eine Stunde früher passiert als im kürzlich verlassenen oben genannten Exil. Und damit klärt sich die Funktion der durchsichtigen, batteriebetriebenen Armbänder. Sie leuchten im Dunkeln! Nach dem Überqueren der Waldschlösschenbrücke, deren Bau dem Dresdner Elbtal seinen Status als UNESCO-Weltkulturerbe gekostet hat, steigt die Stimmung an der Strecke. Der Weg ist nun mit lauter brennenden Feuertöpfchen markiert. Zusätzlich sind die Kronen der Allee-Bäume entlang des Rosengartens bunt illuminiert. Und extra aufgebaute Lichttunnel werden durchquert. Woanders trommeln Sambabands. Die Zuschauer, die bisher nur auf "ihren" Läufer gewartet hatten, feuern jetzt alle an, so dass mir nicht nur eine Laola zuteil wird, sondern auch noch mein Nachname erklingt. Ich muss wohl das Meldeformular falsch befüllt haben. Jedenfalls bin ich der einzige, der statt des Vornamens seinen Nachnamen auf der Startnummer ins Ziel trägt.

Diesmal gelingt mir sogar ein Endspurt. Rundherum zufrieden empfange ich die Medaille und genieße in einem Liegestuhl das gekühlte Finisher-Bier. Dass ich früher in der Pace von 4:34 einen ganzen Marathon laufen konnte, blende ich aus und erfreue mich am 166. Gesamtplatz von 1240 Startern und dem 14. Platz innerhalb der 148 Läufer der M50.

Nachzielbereich


Dienstag, 1. August 2023

Prießnitzgrund Parkrun

 

Seit meiner letzten Teilnahme Ende 2019 ist der Dresdner Parkrun umgezogen. Nun wird von der Neustadt in den Prießnitzgrund und zurück gelaufen. Die Naturschutzbehörde hatte Einwände gegen die bisherige Austragungsstrecke in den Elbwiesen. Letztlich ist die neue Lokation ein Gewinn für die Teilnehmer. Denn die crossige Strecke am schattigen Ufer der Prießnitz ist ein Genuss. Darüberhinaus sind die Möglichkeiten zur anschließenden Wiederbefüllung der Kohlehydratdepots in der Dresdner Neustadt überaus vielfältig. Übrigens gehört ein gemeinsames Frühstück nach dem Lauf mit zum angebotenen Programm.

Am Start sind verschiedene Nationen vertreten, sogar aus Australien kommen zwei Teilnehmer. Die Holländer machen in der Sächsischen Schweiz Urlaub und sind extra morgens mit der S-Bahn aus Bad Schandau angereist. Sie haben schon ein Sightrunning vom Hauptbahnhof zur Neustadt hinter sich und brauchen keine Erwärmung mehr. Ich hingegen absolviere ein Aufwärmprogramm, wie ich es von meinen Trainern, Physios und Osteopathen eingetrichtert bekam. Meine Lektion habe ich ja auf die harte Tour gelernt. Nur ein weiterer Mitstreiter läuft sich warm und wird von mir als Aspirant für die vorderen Plätze wahrgenommen.

Kurz nach dem Start sortiert sich das Feld. Ein junger Athlet in grau stürmt voran, wobei er sich immer wieder nach Verfolgern umsieht. Ihm heftet sich der Warmläufer an die Fersen. Beide entschwinden schnell meinem Blick. Ich liege also auf Platz Drei. Das würde ich natürlich gern so ins Ziel bringen. Also versuche ich das Tempo zu halten. Im schwülwarmen Bachtal kämpfe ich mich voran. Allein die Luftfeuchtigkeit ließe mich triefen, wenn ich nicht zusätzlich viehisch schwitzen würde. Es geht auf ausgeschwaschenem Fahrweg zwischen den Pfützen des nächtlichen Regens im sandigem Grund ganz leicht ansteigend (20 Hm sagt die Uhr) bachaufwärts bis zum Wendepunkt. Schon weit vor diesem kommen mir die beiden Sieg-Konkurrenten entgegen. Grau applaudiert mir mit hochroten Kopf. Direkt dahinter folgt vergleichsweise entspannt der erfahrene Warmläufer. Nach meinem Eindruck läuft er strategisch auf Sieg, ohne sich um seine Zeit zu scheren.

Endlich erreiche auch ich die Wendemarke, nur um kurz darauf festzustellen, dass mir ein junger Asiate bedrohlich nahe gekommen ist. Der ganze Rückweg ist davon geprägt, nach und nach einzusehen, dass ich das Tempo im Falle eines Angriffs keinesfalls werde steigern können. Ja, ich muss sogar kurzzeitig die Geschwindigkeit reduzieren, um Kräfte für den Endspurt zu sammeln. Und so kommt dieser furchtbare Moment, in dem sich die Antilope eingestehen muss, dass sie sich dem Löwen ergeben muss und sich gleich fressen lassen wird. Ich höre die Schritte hinter mir. Und schon zieht der Asiate vorbei. Ich entschuldige meinen ausbleibenden Widerstand mit seiner Jugend und trotte die letzten 500 m weiter Richtung Ziel, wo ich mich kurz vorm Einlauf noch einmal für einen kleinen Endspurt aufbäume.

Erwartungsgemäß hat der Warmläufer gewonnen. Unisono berichten alle Finisher von ihren Schwierigkeiten mit der Schwüle. So nehme ich die 22:01 recht gelassen hin und verbuche die Aktion unter Tempotraining. Wenn man den Untergrund und die Witterung mit betrachtet, sind die 9 sec mehr als bei der Rewe-Team-Challenge neulich ganz passabel.

Die Ergebnisliste des Parkruns bietet aber noch mehr Möglichkeiten zum Schönrechnen. Man kann sie nach der alterskorrigierten Leistung sortieren lassen. Und schwupps, schon liege ich wieder auf Platz Drei! 


PS: Die World Masters Athletics (WMA) veröffentlicht jährlich Alterskorrekturfaktoren. Wer seine Leistung damit vergleichbar machen möchte, findet hier die Tabelle für 2023.