In Sportlerkreisen wird oft als Motivation für tägliches Training angegeben: "Wenn ich mal alt bin, möchte ich mir noch allein die Schuhe zubinden können!" Mir gelingt das bereits heute Morgen nicht mehr! Ich kann mich einfach nicht zu den Füßen hinunterbeugen.
Ich schlüpfe im Stehen in mein Schuhwerk und bitte die Pulsmesserin, mir die Schnürsenkel zu binden. "Willst du denn überhaupt zur Arbeit gehen?", gibt sie zu bedenken. Im Nachhinein betrachtet, wäre hier ein guter Moment gewesen, um den weiteren Verlauf in andere Bahnen zu lenken. Doch ich setze meinen Weg unbeirrt fort. Nur um an der nächsten Station endgültig zu scheitern.
In der Garage will ich mir aufgrund der Wettersituation noch die Gamaschen anlegen, bevor ich mich auf das Fahrrad schwinge. Beim gleichzeitigen Heben des Beines und Vorbeugen des Oberkörpers schießt mir ein nahezu unerträglicher Schmerz in die Lendenwirbelsäule. Schreiend und heulend kämpfe ich mich über die Terrasse zurück ins Haus. Mit eingeknickten Knien und leicht nach vorn gebeugt stütze ich mein Körpergewicht mit den Händen auf einer Stuhllehne ab. In dieser Position ist die Pein irgendwie auszuhalten. Aber nur in dieser. Jede Veränderung bringt das Schreien und Heulen zurück.
Es ist Glück im Unglück, dass meine Frau heute zufällig noch im Haus ist. Sie ruft eine Ärztin aus dem Familienkreis an. Die diagnostiziert fernmündlich eine Blockade der Lendenwirbelsäule. Wir sollen den Notruf wählen, damit ich umgehend eine Schmerzmittelspritze erhalte, um so aus der Situation herauszukommen.
Ab jetzt bin ich nur noch Objekt. Die Dinge nehmen ihren Lauf. Mein Frau wählt 112. Nach rund zehn Minuten im Armstütz auf der Stuhllehne verheißt der Klang eines Martinshorns Rettung. Drei junge Männer betreten den Raum. Die Krankentrage haben sie vor der Haustür stehen lassen. Und dorthin soll ich ihrer Meinung nach nun zu Fuß gehen. Mir ist aber nach wie vor keine Positionsveränderung möglich. "Ah, da brauchen wir ein Schmerzmittel! Das können wir aber nicht verabreichen. Das darf nur ein Arzt." Sie telefonieren. Mir schwinden langsam Kräfte.
Meine drei Retter wollen mir inzwischen eine Infusion legen, und zwar über einen Zugang in der linken Hand. Diese soll ich ihnen reichen. Ich balanciere nun also mein Körpergewicht mit nur noch einer Hand auf der Stuhllehne. Dazu diese wahnsinnigen Schmerzen im Rücken. Meinem Körper wird das jetzt ein bisschen viel. Er fängt an, alle überflüssigen Systeme herunterzufahren. Ich sehe nur noch sehr unscharf. Mir bricht der kalte Schweiß aus. Ich habe plötzlich wahnsinnigen Durst. Mir wird schwummerig. Ich sacke nach hinten und finde mich auf der Fensterbank sitzend wieder. Die Schmerzen haben deutlich nachgelassen.
Währenddessen ist die Notärztin hereinkommen und hat erlebt, wie ich kreidebleich kollabierte. Sie lässt sofort ein EKG anschließen. Die drei Rettungsassistenten drapieren jede Menge Sensoren an meinem Oberkörper und an einem Finger. Irgendwo steckt jetzt auch die Infusion drin. Ständig verfitzen die Jungs die Schläuche und Kabel. Ein Drucker rattert. Das EKG sieht offenbar besorgniserregend aus. Die Ärztin kontrolliert den Sitz der Sensoren und bittet die jungen Männer um Korrektur. Es rattert wieder. Nun sehen die Herzwerte offenbar gleich viel besser aus! Aber ein Parameter scheint die Frau noch immer zu beunruhigen.
Inzwischen kann ich wieder scharf sehen. "Wir freuen uns immer, wenn der Patient die Augen wieder aufmacht.", meint die Ärztin. "Herz sticht Rücken", fügt sie hinzu. Ich werde nicht in die nahe orthopädische Klinik, sondern in die etwas weiter entfernte kardiologische Klinik gebracht. Den Weg zu Bahre kann ich, mit beiden Händen auf die Schultern meiner Frau(!) gestützt, aus eigener Kraft zurücklegen. Meine drei Helden trotten hinterdrein.
In der Notaufnahme bekomme ich dann doch noch ein Schmerzmittel. "Wie stark sind ihre Schmerzen auf einer Skale von 0 bis 10, wenn 10 'Vor Schmerzen aus dem Fenster springen' bedeutet?"
"Jetzt, wenn ich hier so unbewegt liege, 3. Aber heute Morgen waren es 9!"
"Derart starke Schmerzen können auch Ihre Symptome hervorgerufen haben, es muss kein Herzinfarkt sein."
Doch dann werde ich untersucht. "Ihre rechte Herzhälfte schlägt gar nicht richtig mit. Und die Cava ist weit geöffnet! Die muss sich aber bei jedem Atemzug öffnen und schließen. Wir müssen eine gründliche Ultraschalluntersuchung ihres Herzens durchführen. Das kann nicht sofort erfolgen. Sie können so lange ins Wartezimmer der Notfall-Ambulanz. Das ist noch ganz leer."
Gegen 8:30 Uhr schiebt man mich in einem Rollstuhl in das Wartezimmer. Im Laufe der nächsten Stunden füllt es sich immer mehr. Glücklicherweise habe ich gefrühstückt. So ohne Geld und bewegungsunfähig direkt gegenüber der Cafeteria zu sitzen, macht auf Dauer doch etwas mürbe. Dann kommt eine Schwester auf mich zu. Ich wähne mich schon auf dem Weg zur Untersuchung. Da herrscht sie mich an, dass sie keine Rollstühle mehr haben, und ich mich doch auf einen normalen Stuhl setzen solle.
So einfühlsam motiviert, schaffe ich es tatsächlich, mich ächzend auf einen Stuhl zu manövrieren. Als ein paar Stunden später der Harndrang zu groß wird, erinnere ich mich an diese Leistung und wage den Aufbruch zur Toilette. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein paar schmerzhafte Schritte für mich. Es sieht sicher auch nicht schön aus, wie ich da gekrümmt über den Flur schlurfe. Aber zumindest bekomme ich einen Überblick über die Lage. Ringsum nur geschlossene Türen! Kein Personal, das man ansprechen könnte.
Meine große Stunde schlägt um 13:50 Uhr. Ich werde auf eine Station geschoben, wo man mich auf dem Flur abstellt. Ich richte mich gerade innerlich darauf ein, hier die Nacht zu verbringen, da werde ich zur Untersuchung gebeten. Immerhin schaffe ich es inzwischen bereits aus eigener Kraft auf die Liege. "Bei einem austrainierten Sportler kann das Herz schon so aussehen. Ihr Herz ist völlig gesund." Als ob ich daran gezweifelt hätte! Aber was ist jetzt eigentlich mit meinem Rücken?
Man karrt mich zurück in die Notaufnahme. Der Arzt vom Morgen meint: "Vergessen Sie alles, was ich heute Früh gesagt habe. Sie wurden jetzt von einer sehr erfahrenen Oberärztin untersucht. Ihr Herz ist in Ordnung.
Da Sie Ihre Beine spüren können, kann ich hier in der Notaufnahme nicht mehr für Sie tun, als Ihnen ein Taxi zu rufen. Suchen Sie bei Gelegenheit einen Orthopäden auf."
Der Besuch dort ist zwar deutlich kürzer, aber kaum ergiebiger. Immerhin erhalte ich eine Diagnose. Blockade des Ischio-Sakral-Gelenks. Ich werde entlassen mit den Worten: "Kann jederzeit wieder auftreten, vielleicht auch nie mehr."
Nachtrag: Fast drei Wochen Abstand haben mich in die Lage versetzt, dem Erlebnis seine komische Seite abzugewinnen. Inzwischen nähert sich der Rücken einem beschwerdefreien Zustand an. Vor allem aber, ich laufe wieder!
Sonntag, 31. März 2019
Samstag, 9. März 2019
Hart durch Hardt - Karnevalslauf und nächtliche Maskerade
Mit blauer Nase und roten Wangen stehe ich an der Startlinie beim Karnevalslauf in Mönchengladbach-Hardt. Einige der anderen Läufer sind verkleidet und geschminkt. Meine bunten Gesichtsfarben haben andere Ursachen.
Die blaue Nase hat nichts mit etwaiger Trunksucht zu tun. Stattdessen ist die Atemtherapie mittlerweile angelaufen. Wer "Pulp Fiction" gesehen hat und sich erinnert, wie Marsellus Wallace im Folterkeller des Waffennarren mit einem Ledergeschirr eine rote Kugel in den Mund geknebelt bekam, hat eine ungefähre Vorstellung von meiner nächtlichen Ausstattung. Die Atemmaske hinterlässt morgens nicht nur deutlich sichtbare Striemen in den Wangen, sondern auch eine blaue Druckstelle auf der Nase.
Die geröteten Wangen haben eine wesentlich erfreulichere Ursache. Am Vortag kam ich aus dem Skiurlaub zurück. Dort brezelte von morgens bis abends die Sonne auf die üppig beschneiten Hänge. Einen leichten Sonnenbrand habe ich gern in Kauf genommen, um mal ordentlich Vitamin D zu tanken.
Aber ob die Doppelbelastung aus ganztägigem Skifahren und abendlichen Laufeinheiten im steilen Gelände die beste Wettkampfvorbereitung darstellte, muss sich gleich erweisen. Von der Skiwoche abgesehen, habe ich das harte Trainingsprogramm des Juniors mit durchgezogen. Die Umfänge wurden zugunsten eines deutlich gesteigerten Tempos reduziert. (Kurzfassung: lange Läufe von max. 35 km im 5er Schnitt, kürzere im 4er Schnitt, dazu knackige Intervalle) Das müsste sich doch heute nun eigentlich in einer gegenüber dem Vorjahr verbesserten Wettkampfleistung niederschlagen. Damals lief ich aus dem reinen Ultratraining heraus eine 10-km-Zeit von 38:06. Somit erwarte ich heute von mir eine sub38.
Auf dem ersten Kilometer fürchte ich, es wieder zu schnell angegangen zu sein. Zumindest fühlt es sich so an. Dann die Ernüchterung: die Uhr zeigt eher ein paar Sekunden zu viel! Der Kopf schaltet bereits in den Trübsal-Modus. Aber der Körper klingelt auf Kilometer Zwei die passende Pace heraus. Nur kostet das wahnsinnig viel Kraft! Der dritte Kilometer passt zeitlich auch noch einigermaßen. Anschließend bin ich schon froh, die Pace wenigstens unter 4 min/km zu halten. Kopf, Magen und Beine haben sich in ein anderes Körperteil zurückgezogen. Alles im Arsch!
Der Junior will eine pB aufstellen. Dazu ist eine sub36 vonnöten. Wegen einer nicht ganz auskurierten Erkältung fühlt er sich am Start nicht in Bestform. Das hält ihn nicht davon ab, mit einer sub35 zu finishen (34:54), was den klaren AK-Sieg und Gesamtplatz 6 bedeutet. Allerdings wird er mit zwei Tagen Fieber dafür büßen müssen.
Als beim Zieldurchlauf zur letzten Runde direkt hinter mir die führende Frau anmoderiert wird, kann ich mich noch einmal aufraffen. Schließlich hatte ich vorm Start ihr gegenüber noch mit meinem großartigen Zielzeitvorhaben geprahlt und eine Wiederholung unseres gemeinsamen Kopf-an-Kopf-Rennens von 2017 ausgeschlossen. Ich arbeite mich an einen vorherigen Überholer in Rot heran und ziehe wieder vorbei. Ein weiterer Rivale im schwarzen Dress wird ins Visier genommen. Während ich diesem immer näher komme, setzt der Rote zum Endspurt an. Zu zeitig für mich. Er zieht davon. Erst auf der Zielgeraden richtet mich ein Blick zur Uhr wieder auf. Hatte ich mich bisher mit einem "wenigstens sub40" getröstet, indiziert der Zeitmesser, dass eine sub39 noch im Bereich des Möglichen liegt. Wenn ich mich jetzt endlich mal in den Hintern trete!
Ich schalte doch noch in den (Wett-)Kampfmodus und gebe Gas. Der Schwarze ist völlig überrumpelt, als ich kurz vor ihm in die Zielgasse einfädele. Wir beenden das Rennen zwar zeitgleich mit 38:58, doch mein finales Überholmanöver verweist ihn auf dem AK-Podest auf Platz Drei, während es mir Silber beschert. Scheinbar lässt sich auch diesem verkorksten Rennen noch etwas Positives abgewinnen.
Atemtherapie |
Die geröteten Wangen haben eine wesentlich erfreulichere Ursache. Am Vortag kam ich aus dem Skiurlaub zurück. Dort brezelte von morgens bis abends die Sonne auf die üppig beschneiten Hänge. Einen leichten Sonnenbrand habe ich gern in Kauf genommen, um mal ordentlich Vitamin D zu tanken.
Aber ob die Doppelbelastung aus ganztägigem Skifahren und abendlichen Laufeinheiten im steilen Gelände die beste Wettkampfvorbereitung darstellte, muss sich gleich erweisen. Von der Skiwoche abgesehen, habe ich das harte Trainingsprogramm des Juniors mit durchgezogen. Die Umfänge wurden zugunsten eines deutlich gesteigerten Tempos reduziert. (Kurzfassung: lange Läufe von max. 35 km im 5er Schnitt, kürzere im 4er Schnitt, dazu knackige Intervalle) Das müsste sich doch heute nun eigentlich in einer gegenüber dem Vorjahr verbesserten Wettkampfleistung niederschlagen. Damals lief ich aus dem reinen Ultratraining heraus eine 10-km-Zeit von 38:06. Somit erwarte ich heute von mir eine sub38.
Langkofel und Plattkofel |
Auf dem ersten Kilometer fürchte ich, es wieder zu schnell angegangen zu sein. Zumindest fühlt es sich so an. Dann die Ernüchterung: die Uhr zeigt eher ein paar Sekunden zu viel! Der Kopf schaltet bereits in den Trübsal-Modus. Aber der Körper klingelt auf Kilometer Zwei die passende Pace heraus. Nur kostet das wahnsinnig viel Kraft! Der dritte Kilometer passt zeitlich auch noch einigermaßen. Anschließend bin ich schon froh, die Pace wenigstens unter 4 min/km zu halten. Kopf, Magen und Beine haben sich in ein anderes Körperteil zurückgezogen. Alles im Arsch!
Der Junior will eine pB aufstellen. Dazu ist eine sub36 vonnöten. Wegen einer nicht ganz auskurierten Erkältung fühlt er sich am Start nicht in Bestform. Das hält ihn nicht davon ab, mit einer sub35 zu finishen (34:54), was den klaren AK-Sieg und Gesamtplatz 6 bedeutet. Allerdings wird er mit zwei Tagen Fieber dafür büßen müssen.
Als beim Zieldurchlauf zur letzten Runde direkt hinter mir die führende Frau anmoderiert wird, kann ich mich noch einmal aufraffen. Schließlich hatte ich vorm Start ihr gegenüber noch mit meinem großartigen Zielzeitvorhaben geprahlt und eine Wiederholung unseres gemeinsamen Kopf-an-Kopf-Rennens von 2017 ausgeschlossen. Ich arbeite mich an einen vorherigen Überholer in Rot heran und ziehe wieder vorbei. Ein weiterer Rivale im schwarzen Dress wird ins Visier genommen. Während ich diesem immer näher komme, setzt der Rote zum Endspurt an. Zu zeitig für mich. Er zieht davon. Erst auf der Zielgeraden richtet mich ein Blick zur Uhr wieder auf. Hatte ich mich bisher mit einem "wenigstens sub40" getröstet, indiziert der Zeitmesser, dass eine sub39 noch im Bereich des Möglichen liegt. Wenn ich mich jetzt endlich mal in den Hintern trete!
Ich schalte doch noch in den (Wett-)Kampfmodus und gebe Gas. Der Schwarze ist völlig überrumpelt, als ich kurz vor ihm in die Zielgasse einfädele. Wir beenden das Rennen zwar zeitgleich mit 38:58, doch mein finales Überholmanöver verweist ihn auf dem AK-Podest auf Platz Drei, während es mir Silber beschert. Scheinbar lässt sich auch diesem verkorksten Rennen noch etwas Positives abgewinnen.
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