Archiv-Bild: Wilhelminaberg 2015 |
Der Podestplatz beim Coriotrail war für den Junior mit einem Freistart heute dotiert. Für mich ist der geniale Lauf ohnehin Pflicht. Weil sich der Nachwuchs im Hinblick auf seinen ersten Marathon Ende April jetzt langsam den längeren Distanzen zuwenden muss, starten wir beide auf der "+30" genannten Distanz über etwa 32 km.
Da ich bei meinen bisherigen Teilnahmen auf dieser Distanz
jeweils Elfter wurde, versuche ich mich unter den Top Ten zu halten. Das ist
nicht so einfach, weil sich ein ganzer Männer-Pulk an der führenden Frau festgebissen
hat, die ein recht forsches Tempo anschlägt. Nachdem die völlig vereiste Treppe
erklommen ist, wechseln sich beim Downhill auf der Haldenrückseite Harsch, Eis
und Schlamm ab. Es wimmelt von Richtungspfeilen der Streckenmarkierung. Als
gebranntes Kind (ich drehte beim 2018er 50-km-Lauf eine Ehrenrunde) halte ich
nach jedem einzelnen Marker gezielt Ausschau, während die Männermeute einfach
der Frau nachhetzt – die irgendwann falsch abbiegt. Im letzten Moment bemerke
ich den Fehler und kehre um. Beim Zusammenprall mit meinem Verfolger, rufe ich
noch: „Falsch!“, was die Holländer offenbar nicht gleich verstehen. Auf einen
Schlag liege ich so plötzlich rund sechs Plätze weiter vorn. Der Junior geht es
etwas ruhiger an, mangelt es ihm doch sowohl an Erfahrung auf der Langstrecke
als auch auf derart steilem und schlüpfrigem Untergrund. Und so kann er sich
direkt ohne Umweg hinter mir einfädeln.
Als wir uns in Serpentinen durch schwarze Schlacke die Halde
wieder hinaufquälen, wird vor mir ein Kurzbehoster mit rasiertem Schädel
sichtbar. Da ich mir diesen Anblick zu erhalten trachte, bin ich wohl leicht zu
schnell unterwegs. Trotzdem schnauft es die ganze Zeit direkt hinter mir. Nach sieben
Kilometern zieht der blaugekleidete Schnaufer vorbei, nur um sich bei seiner Rast am VP bei km 8 wieder
überholen zu lassen. Weder Kurze Hose noch ich legen Verpflegungsstopps ein.
Ich kenne die Strecke. Ich habe den Track auf der Uhr. Ich
weiß, dass es nun irgendwann nach links gehen muss. Trotzdem folge ich dem
Glatzkopf und verpasse den Abzweig. Der Blaue navigiert besser und ruft uns zurück.
Er beweist hier nicht nur sportliche Fairness und Orientierungssinn, sondern auch
seinen guten Trainingszustand. Er zieht nämlich davon. Der Rasierte lässt sich auch
nicht lumpen und schließt zu mir auf. Während beim Ultra in solchen Situationen
oft eine Lauf- und Leidensgemeinschaft entsteht, liefern wir uns das zähe
Ringen zweier Konkurrenten. Mal läuft er vorn, mal ich. Mir wird jedoch bewusst,
dass er am Anstieg deutlich stärker ist als ich. Diese Stärke spielt er aus,
als wir einen steilen Single-Trail erreichen. Kurz vorher legt er einen kurzen
Zwischen-Sprint ein, um sich noch einen Platz auf dem Pfad vor einem älteren
Ultra-Läufer zu sichern. Dann rennt er die Rinne hoch! Ich muss hinter dem
Senior herwandern. Aber gerannt wäre ich hier ohnehin nicht.
Einlauf ins Stadion-Gelände zum Ziel |
Ab jetzt bin ich allein im Wald, von einigen versprengten
Ultras abgesehen. Die Sonne scheint durch die Buchen. Der Untergrund ist nun erstaunlich trocken. Abgesehen davon, dass ich mich etwas zu warm angezogen
habe, ist es ein Genuss. Dieses Jahr umlaufen wir die Steilstufe, die man sich
sonst immer hinabstürzen musste. Auch an den anderen Hindernissen ist die
Streckenführung leicht geändert. Selbst der Aufstieg über die Sandklippe lässt
sich diesmal ohne Zuhilfenahme des bereitliegenden Seils bewerkstelligen.
Irgendwann auf dem Rückweg liegt ein langer Anstieg gut
einsehbar vor mir. Und wen sehe ich dort? Den Kurzbehosten, der sich immer
wieder ängstlich umdreht. „Ha!“, denke ich mir. Er sich wohl auch. Denn näher komme ich ihm doch nicht mehr.
Stattdessen laufe ich jetzt von hinten durch das Feld der Kurzstreckler. Das
sind fast ausschließlich junge Frauen. Offenbar ist Traillaufen
beim weiblichen Nachwuchs in Holland sehr populär geworden. Auffällig ist auch
die Fairness. Da man auf den schmalen Pfaden nicht überholen kann, wird immer
wieder freundlich Platz gemacht.
Vor der finalen Haldenüberschreitung ist noch ein Bach zu durchqueren.
Dort wartet traditionell ein Fotograf, um spektakuläre Aufnahmen zu machen.
Leider springt hier ein 11-km-Läufer zwischen die Linse und mich. Als er es
direkt hinter sich im Wasser platschen hört, bleibt er stehen und dreht sich um.
Ich sehe uns schon gemeinsam in die Fluten stürzen, kann aber im letzten Moment
doch ausweichen.
Am folgenden Steilaufstieg liegt ein weiterer Lichtbildner nicht
nur einfach auf der Lauer, sondern tatsächlich bäuchlings im Dreck, um sich die
beste Perspektive zu sichern. Die extrem rutschige Passage bewältige ich
diesmal erstaunlich gut. Erstmalig trage ich einen „Inov-8 X-Talon“ im
Wettkampf, der sich mit seinen langen Stollen im Untergrund regelrecht festbeißt.
Festgebissen hat sich, von mir völlig unbemerkt, auch ein Verfolger. Während
ich am nächsten flachen Stück versuche, wieder zu Atem zu kommen, enteilt er
mit großen Schritten.
Finisher-Medaille Hivernaltrail 2019 |
Es folgt die „Haldenabfahrt“, bei der man eigentlich nur
versuchen kann, sturzfrei von Baum zu Baum zu schlittern. Diesmal gelingt das sogar. Und ich erreiche das Ziel unversehrt nach 2:55:06 auf Platz 7, was meine
beste bisherige Hivernaltrail-Platzierung ist. Zufrieden nehme ich erst meine
Medaille und eine halbe Stunde später den Junior in Empfang.