Der Erstgeborene hat die Vorjahres-Ergebnislisten sorgfältig analysiert. Es scheint für ihn möglich, den 10-km-Lauf zu gewinnen, ohne ans Limit gehen zu müssen. Selbst für mich müsste ein Treppchenplatz drin sein. Wir wollen also auf Sieg laufen, immerhin sind die ersten drei Plätze jeder Distanz mit Pokalen dotiert. Aber auch jeder Finisher bekommt seine Medaille.
Diszipliniert führt uns der Nachwuchs-Trainer durch das Aufwärmprogramm, das nach dem Warmtraben auch Lauf-ABC und ein paar lockere Steigerungen beinhaltet. Bei der letzten Steigerung, ganz kurz vor dem Start, schießt dem Jungen ein Schmerz in die linke Wade.
Unbesorgt begeben wir uns auf die Strecke. Die 50-km-Läufer
sind schon seit 9 Uhr unterwegs. Die Aspiranten der 5-, 10- und 25-km-Distanz
starten gemeinsam. Staffelläufer sind wohl auch noch dabei. Es ist aber nicht
feststellbar, wer welche Strecke läuft. Ich versuche, mich nicht von den ganz
schnellen Kurzdistanzlern mitreißen zu lassen, aber trotzdem den Anschluss an
etwaige Konkurrenz nicht zu verlieren. Nur, wer ist das?
Der Nachwuchs, der dem väterlichen Blick bereits entschwunden
war, gerät plötzlich wieder in Sicht. Und was ich da sehe, macht einen sehr unrunden, ja ungesunden Eindruck. Mir krampft sich die Seele zusammen angesichts dieses jammervollen Anblicks und der zerstörten Hoffnungen. Als ich ihn einhole, liegt erst ein Kilometer hinter uns. Ich rate ihm,
umzukehren und sich im Sani-Zelt behandeln zu lassen. Der sture Hund hört
natürlich nicht!
Nach und nach werden die anfänglichen Lossprinter von ihren
Kräften verlassen. Übrig bleiben ein Rotgewandeter und ein in schwarze
X-Bionics-Kompressionswäsche Gepresster. Bei dieser Bekleidung bin ich mir
stets unsicher, ob sie nicht eigentlich als Unterwäsche gedacht ist. Der Gepresste legt unterwegs einen
beachtlichen Zwischenspurt hin und zieht vorbei. Nur um kurz darauf wieder
zurückzufallen. Fast ist die erste 5-km-Runde geschafft. Da setzt er zum
Endspurt an. Denke ich und feuere ihn bei seinem vermeintlichen 5-km-Finish an.
Aber offensichtlich kam es ihm nur auf eine gute Zwischenzeit bei seinem
10-km-Lauf an. Auch der Herr in Rot signalisiert der Moderatorin, dass er noch
eine weitere Runde läuft. Ich hebe vier Finger. Das Konkurrenz-Ding wäre damit
geklärt. Selbst wenn weit vorn unter den ganz flux Entsprinteten noch ein 25er Kollege
steckt, sollte mir zumindest einer der drei Pokale sicher sein.
Als es wieder am Waldrand in die Felder geht,
schmilzt plötzlich der Vorsprung des Roten. Er bricht offenbar ein, denn
schneller werde ich definitiv nicht. Bei Kilometer Sieben bin ich vorbei. Dann
genieße ich das kleine Trailstück, das hinunter zum Ufer leitet, um dort dem
Neanderlandsteig zu folgen. Das Segment kommt mir doch bekannt vor!
Kurz vor dem Ende der Runde treffe ich noch einmal auf meinen Sohn. Er schleppt
sich hinkend ins Ziel, um sich wenigstens die 5-km-Finisher-Medaille zu verdienen.
Im Sani-Zelt wird er massiert. Danach kann er das linke Bein vor lauter Schmerz
gar nicht mehr belasten.
Bei meinem dritten Zieldurchlauf wird dort gerade der Sieger
der 10 km aufs Podest gerufen. Es ist der Rote! Da habe ich also vorhin
unterwegs heimlich den 10er gewonnen. (Anm.: Um mein Geprahle ins rechte Licht zu setzen, sei erwähnt, dass der
50-km-Sieger die 25 km viel schneller als ich absolviert hat.) Außerdem steht meine Tochter strahlend mit einem
Pokal an der Strecke. Sie ist dritte „Frau“ über 5 km geworden! Und das nur aus
dem Schwimmtraining heraus, ohne spezifische Laufeinheiten zu absolvieren. Umgekehrt funktioniert
das bei mir mit dem Schwimmen leider nicht!
Zwei einsame Runden später, nach insgesamt 1:50:47, erhalte
ich Gewissheit, als mich die Moderatorin als 25-km-Sieger empfängt. Eine Viertel Stunde später sind alle Treppchenläufer im Ziel, und es erfolgt sofort die Siegerehrung. Überhaupt ist diese liebevoll-handgemachte Veranstaltung hervorragend organisiert. Mein Sohn charakterisiert das Event ziemlich treffend als Kreuzung aus den "24 Stunden von Breitscheid" und dem "Ratinger Seeuferlauf". Das schließt Landschaft und Atmosphäre mit ein. Mir ist unverständlich, warum der Lauf mit nur acht 50-km-Finishern noch immer ein Geheimtipp zu sein scheint. Ich habe den 3. Oktober 2019 bereits vorgemerkt. Der Junior sowieso. Der hat jetzt hier eine offene Rechnung.
Zunächst transportieren wir ihn aber erstmal ins Krankenhaus, das er mit der Diagnose "Zerrung", einem Verband und zwei Krücken wieder verlässt.
Nachtrag 5.10.: Mittlerweile kann der Rekonvaleszent das linke Bein bereits so weit belasten, dass Fortbewegung ohne Krücken wieder möglich ist.
Ach ja, leider geht es nicht immer so reibungslos und erfolgreich ab, ABER zum Glück ist alles relativ gut ausgegangen, dein Junior wird es locker überstehen und in Gedanken schon wieder nach der nächsten Platzierung schielen - so wie der Vater - jetzt kommt auch noch die Tochter dazu. Passt gut auf euch auf.
AntwortenLöschenWer weiß, was noch alles kommen wird..................
Bis dahin genießen wir die gemeinsame Zeit!
LöschenUi, so muss der Junior leider nun auch nach vielen Erfolgen Bekanntschaft mit den Schattenseiten des Läufertums machen. Ganz herzlich gute Besserung!
AntwortenLöschenUnd für die Tochter und Dich herzliche Glückwünsche! Menschenskinder, was sich da in Eurer Familie an läuferischem Potenzial offenbart, muss woanders für eine Mehrgenerationensippe langen. Eigentlich hättest Du ja den zweiten Pokal für die 10'er Strecke verdient (wenn Du Deinen Pokal an den 50'er abgibst...)!
Liebe Grüße
Elke
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
LöschenDanke, Elke! Es ist erstaunlich, wie schnell der Junior regeneriert. Nach dem ersten Schreck bin ich jetzt schon wieder ganz optimistisch.
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