Montag, 31. März 2025

Schneeglöckchenlauf

Bekannt ist der Schneeglöckchenlauf in Ortrand für seine besonders schönen Medaillen in Glockenform. Das Pulsmesserchen, trotz des niedlichen Namens inzwischen ins studentische Alter vorgerückt, hat einen Startplatz dafür geschenkt bekommen. Obwohl keine Ummeldung auf ihren Namen mehr möglich ist, will sie sich die Chance nicht entgehen lassen, erstmals 30 km am Stück zu laufen. Da wir eine gemeinsame Aktivität für das Wochenende geplant haben, komme auch ich  unverhofft an eine Wettkampfstartlinie.

Zum Glück sind auch kürzere Strecken wohlfeil. Ich werde für die 10 km nachgemeldet. Meine Startunterlagen werden mir ins Haus gebracht. Ich muss also nur noch hinfahren und loslaufen!

Geparkt wird auf einer großen Wiese (direkt am Ortsrand von Ortrand, aua!) unmittelbar am Start-/Zielgebiet. Den Autos entsteigen Sportler mit Stöcken. Erwarten uns alpine Anstige, die wir nun mangelhaft ausgerüstet zu bewältigen haben werden? Meine Geografie-Kenntnisse und ein Blick auf die nicht ganz so stark ausgemergelten Stockträger rufen die Ausschreibung in Erinnerung: es sind auch Walker zugelassen! Eine nahe Sporthalle bietet Umkleiden, Duschen und Toiletten (Pro-Tipp: WC's ohne Anstehen gibt es versteckt auf der Galerie). Und direkt vor der Halle laufe ich mich auf der Aschenbahn warm, nachdem die Tochter auf ihre Langstrecke verabschiedet ist.

Gleich nebenan steht der Start- und Zielbogen. Dort wird es recht eng, denn 10 und 15 km werden gemeinsam gestartet. Außer den Läufern stellen sich auch  noch die Wanderer mit auf. Ich möchte mich doch gern vor den Gehern im Feld platzieren und finde überraschend einen Bypass zu denen Absperrungen, der mich bis ganz nach vorn an die Startlinie bringt. Dort erhalte ich einen ordentlichen Rüffel von einer Ordnerin. Ich hatte versehentlich die Zieleinlaufgasse für den 5-km-Wettbewerb in Gegenrichtung benutzt!

Nun stehe ich gleich ein wenig zu weit vorn, habe ich mir doch nur eine Pace von 4:50 min/km vorgenommen. Mein Ruhejahr hat ganz schön an der Form genagt, so dass ich mit einer Zielzeit von sub 48 min zufrieden sein will. Doch das Feld sortiert sich schnell. Anfangs sind noch ein paar Sportler um mich herum, die ich vermutlich mit meiner Suche nach der Ideallinie verrückt mache. Dann verlassen uns die 15-km-Aspiranten, und ich bin recht einsam unterwegs.

Den Charakter des Laufes kann ich schwer einschätzen. Ich trage Trailschuhe, weil ich in Laufberichten von Schlamm und "schwieriger Strecke" gelesen hatte. Straßenschuhe wären aber auch ausreichend gewesen. An Untergründen wird vieles geboten: Asphalt, gepflasterter Wirtschaftsweg, Waldautobahn, Sand und sogar ein gewundener Pfad entlang eines baumbestandenen Bachlaufes. Vielleicht ist "Landschaftslauf" die passende Überschrift.

Unterwegs passiert nicht viel. Ich überhole eine kleine Gruppe nach etwa 3 km. Dann erschrecke ich, als furchtbar spät ein "4 km"-Schild auftaucht. Erleichtert lese ich beim Näherkommen den kleingedruckten Zusatz "Nur noch". Die 4- und 5-km-Marken habe ich also verpasst.

Ausgerechnet auf dem engen Pfad am Bach laufe ich noch einmal auf zwei Mitstreiter auf und stecke eine Weile fest. Ganz reicht es aber nicht zur Bezeichnung "Single Trail", so dass ich doch eine Möglichkeit zum Überholen finde.

Brav prüfe ich meine Zwischenzeiten und bin immer im Soll oder leicht darunter. Erst bei Kilometer 8 gucke ich auch mal auf die Gesamtzeit. Was?! Meine Hochrechnung ergibt ein mögliches Finish unter 46 Minuten! Nun kitzelt mich doch der Ehrgeiz. Ich beschleunige. So weit mir das möglich ist. Die Wettkampfhärte ist mir abhanden gekommen. Also Tunnelblick und speicheltriefende Lefzen braucht der Leser sich jetzt nicht vor's innere Auge zu rufen. Dennoch wird es immer besser! Ein letzter Blick zur Uhr 200 m vorm Ziel signalisiert: sub45 sind auch noch drin!

Hurtig nehme ich den Abzweig in die Zielgeraden, und höre aus dem Lautsprecher: "... legt sich in die Kurve und jetzt reißt er die Faust hoch!" Grund für den Jubel sind die Zielzeit von 44:33 min und der zweite Platz in der neuen Altersklasse M55.

Später stößt der Nachwuchs genauso glücklich dazu, hat sie doch die bisherige Schallmauer von 27 km durchbrochen und nebenbei Platz 2 ihrer AK, nein der W45 belegt.

Stolz lassen wir uns die wirklich schönen "Medaillen" umhängen. Das Gebimmel nervt zwar auf dem Weg zum Auto, aber wir beschließen, dass wir uns vom selben Veranstalter auch noch die Spreewaldgurke und die Schneeflocke verdienen wollen.

Dienstag, 18. März 2025

6K mit K: Körperertüchtigung, Kemenate, Kunst, Kultur, Kulinarik, Kaputtes

Kunst im Lost Place
K., alias Pulsmesser Jr., hat zu einem  6K-Wochenende geladen. Die Programmpunkte sind Körperertüchtigung, Kemenate, Kunst, Kultur, Kulinarik und Kaputtes.

Direkt nach der Ankunft in der studentischen Kemenate geht es mit der Kulinarik los, als mir ein üppiges Frühstück serviert wird. Derart gestärkt, sind wir bereit für das nächste K, den Kunst-Genuss. Wir besuchen die Fotoausstellung “Die Straße ist mein Atelier” mit Bildern eines Palästinensers, der den DDR-Alltag und auch die Nachwendezeit dokumentierte. Danach wird es abenteuerlich, als wir uns zu zwei Lost Places Zugang verschaffen, wo wir viel Kaputtes sehen, aber auch Graffiti-Kunst. Nach weiterer Kulinarik aus dem Rucksack, eingenommen auf einer sonnigen Parkbank, radeln wir zur Körperertüchtigung in einen Calisthenics-Park. Ich trainiere unter der fachkundigen Anleitung des angehenden Sportlehrers K. Dennoch ist der Besuch für mich ernüchternd, da die meisten Übungen für mich zu anspruchsvoll sind. Noch weiter deprimiert mich der stark an Liam Neeson erinnernde Typ meines Alters, der in den Trainingspausen in seinen ausgebeulten Joggingklamotten gramgebeugt herumschlurft, aber in den Sätzen die unglaublichsten Kunststückchen an den Geräten vollführt. Ich hingegen scheitere an so einfachen Sachen wie Kopfstand, Klimmzug oder Felgaufschwung - alles Dinge, die ich früher beherrscht habe. Zum Trost gibt es in der Kemenate ein kulinarisches 3-Gänge-Menü, das von einem generationenübergreifenden Kultur-Programm begleitet wird. Vorgeführt wird der aktionsgeladene und humorvolle Film “Back in Action” mit Cameron Diaz, deren blaue Augen nach wie vor unwiderstehlich sind.

Calisthenics Park

Der Sonntag steht ganz im Zeichen der Körperertüchtigung. Wir starten zu einem Sightrun über 15 km. Außer dem Völkerschlachtdenkmal sehen wir auch den Standort der ehemaligen Tabaksmühle, von der aus Napoleon die Völkerschlacht befehligte. Wir stoppen kurz an einem der vier Österreicher-Denkmale, die an die Teilnahme österreichischer Truppen an der Völkerschlacht erinnern. Auf dem Weg zum Stadion von Lok Leipzig durchqueren wir den Rundling. Diese im Bauhausstil errichtete Wohnanlage lockt den Läufer mit Strava-Segmenten auf den ringförmig angelegten Straßen. Zum Abschluss passieren wir eine IL-62 der Interflug, auf dessen Tragfläche sich jetzt die Terrasse eines Restaurants befindet. Beim Anblick des Lokals entwickeln wir Appetit auf Frühstücks-Kulinarik, die wir uns ungeduscht in der Kemenate zuteil werden lassen. Denn direkt danach wird die Körperertüchtigung mit einer 53-km-Radtour durch das Leipziger Neuseenland fortgesetzt. Besonders beeindruckend ist das “Kap Zwenkau”, wo sich am Rande eines ehemaligen Braunkohlentagebaus ein exklusives Wohnquartier mit Marina entwickelt hat. Da kann die studentische Kemenate nicht ganz mithalten, bietet aber dem erschöpften väterlichen Leib, der nun ebenfalls der Kategorie "Kaputtes" zuzuordnen ist, die Gelegenheit für eine finale Dusche nach diesen ereignisreichen 6K mit K.

Donnerstag, 27. Februar 2025

Mein erster Orientierungslauf

Mein selbstauferlegtes "wettkampffreies Jahr" (über die Gründe wäre noch ein längerer Blogpost zu verfassen) ging offiziell am Neujahrstag zu Ende, doch eine Jahresplanung für 2025 habe ich nicht erstellt. Dennoch bin ich in meinen ersten Wettkampf zufällig hineingestolpert.

Ich hatte gerade die ersten Kilometer meines langen Wochenendlaufs (nun ja, "lang" ist relativ, ich habe mich bis maximale 23 km hochgearbeitet und will es zunächst nicht weiter steigern) hinter mir, als mir eine einzelne Dame auffiel, die sehr ambitioniert durchs Unterholz preschte. Neugierig geworden, schärfte ich den Blick und sah nun immer mehr Menschen, die in ein Sportdress gewandet und mit einem Zettel in der Hand kreuz und quer durch die Botanik spurteten. Das Rätsel löste sich, als ich auf einen Mann stieß, der im Walde an einem Campingtisch saß und auf seinen Laptop schaute. Er erklärte mir, dass hier gerade ein Orientierungslauf stattfände, und er das Ziel betreue. Wenn ich es einmal ausprobieren wolle, sei hier ein Chip für mich und der Start läge etwa 300 Meter in jene Richtung. Zum Einstieg empfahl er die kurze, einfache Runde. Die würden zum Beispiel die Kinder absolvieren. Immerhin wurde das Wort Bambinilauf vermieden.

Ich ließ mich nicht lumpen und fand tatsächlich den Start - ein quer über den Pfad liegendes Flatterband. Überrascht wurde dort zur Kenntnis genommen, dass ich als völlig Unbeleckter teilnehmen wolle, und das auch noch ohne Kompass! Auch hier wurde befunden, dass ich die Kinderrunde probieren solle. Man händigte mir die Karte für die Runde "Schneemann" aus und gab mir eine Kurzeinweisung in die spezielle Kartensymbolik der Orientierungsläufer.

Meine Aufgabe bestand nun darin, auf einem etwa 2 km langen Kurs 9 Stationen und das Ziel (das ich ja schon kannte) in der richtigen Reihenfolge zu finden. Die Stationen befanden sich irgendwo im Gelände, auf der einfachen Tour in den meisten Fällen jedoch relativ wegnah.

Ich rannte los und hatte sofort meinen Aha-Moment. Solange ich stehend auf die Karte geguckt hatte, schien mir noch alles klar. Aber sobald ich lief, konnte ich nicht mehr auf die Karte schauen. Also blieb ich gleich wieder stehen und suchte mir den Punkt auf der Karte, bis zu dem ich erstmal rennen wollte, um dann von dort wieder neu zu navigieren. Mir erschien es einfacher, den Umweg über die Wege zu laufen. So erreichte ich tatsächlich die Stationen 1 und 2, die beim Orientierungslauf "Posten" genannt werden. Es handelte sich jeweils um einen rostigen Erdspieß, an dessen oberen Ende eine etwa handhohe und beindicke Markierung in Orange einen Empfänger umschließt, in den man seinen Chip steckt, bis ein Piepton das erfolgreiche Einchecken bestätigt.

Der Posten 3 war nur querfeldein zu erreichen. Allerdings war die Stelle zwischen zwei Sandgruben sehr markant und auch für mich als Rookie auszumachen. Dennoch übersah ich im unebenen Gelände die Postenmarkierung und schämte mich nicht, eine Frau um Hilfe zu fragen, die die Runde mit ihren beiden Kleinkindern abwanderte. 

Fortan lief es wieder, und meine Weg-Folgen-Strategie brachte mich von Station zu Station. Zu Posten 8 ging es wieder nur querfeldein. Es war der Canyon des "Verlorenen Wässerchens" zu queren. Hier half mir meine Ortskenntnis. Ansonsten kamen mir meine Erfahrungen im Umgang mit einer Karte aus den vielen Jahren des Geocachings zu Gute. Und meine Teilnahme als Schüler am sogenannten Militärischen Mehrkampf, bei dem u.a. mit Karte und Kompass im Gelände Stationen zu finden waren, erwies sich als  nicht ganz umsonst. Und so konnte ich nach einer knappen halben Stunde meinen Chip zurückgeben und meinen langen Lauf fortsetzen.

Am Abend fand ich im Internet meinen Namen auf Platz 1 der Ergebnisliste. Der Stolz über mein gelungenes Debüt mischte sich mit der Scham darüber, die Kinder um ihre Podestplätze gebracht zu haben.