Start-/Zielgelände |
Zwei Stunden später stehe ich im Strandbad "Waldenburger Bucht" im Starterfeld und habe ein Mikrofon im Gesicht. Was denn meine Erwartungen seien. Hatte ich eben meiner Frau noch lange, philosophische Vorträge gehalten, stammele ich jetzt – völlig überrumpelt – etwas von "Spaß haben in schöner Natur".
Der Teil mit der "schönen Natur" klappt auch. Immer wieder bieten sich weite Ausblicke in üppig grünüberzogenes Land, das am Horizont von Hügeln gesäumt ist. "Gesäumt" ist nicht ganz richtig. Die Strecke ist mit solchen Hügeln "unterlegt" und bringt es so auf 930 Höhenmeter.
Warum es mit dem "Spaß" plötzlich vorbei ist, kann ich nicht sagen. Eben hatte ich noch entspannt mit dem Hundeführer geplaudert, dessen vorauseilendes Tier erstaunlicherweise jedes Mal den richtigen Abzweig genommen hatte. Und nun bin ich irgendwie in den Wettkampfmodus geraten.
Bei 140 Startern könnte man einen einsamen Waldlauf erwarten. Stattdessen sehe ich nach einer Weile des alleinigen Dahintrabens immer wieder den bunten Fetzen eines Shirts zwischen den Bäumen aufblitzen. Es folgt eine lange Zeit, die das Bunt ganz allmählich größer werden lässt. Bis ich schließlich den Shirt-Träger überholt habe. Dann beginnt das Spiel von vorn. Nur die Farben wechseln. Bei km 25 ändert sich auch das Geschlecht, als ich die erste Frau samt Führungsfahrrad einhole.
Zwischen km 29 und 30 wird endgültig klar, dass von "Spaß" keine Rede mehr sein kann. Hier versucht ein sehr langer Anstieg, mir den Stecker zu ziehen. Er zerrt gewaltig an der Schnur. Doch noch bleibt der Stecker drin, auch wenn der Kontakt ab jetzt ein wenig wackelig wird.
Kostenloses Teilnehmer-Shirt |
Das nächste Hemd ist blau. Und es dauert ewig, bis ich endlich an einem der im 5-km-Abstand platzierten VP's zu ihm aufschließe. Mit strategisch verkürzter Nahrungsaufnahme gelingt mir das Überholen. Nun habe ich einen Verfolger im Nacken. Dafür ist vor mir niemand mehr in Sicht.
Lautes Jubeln erschallt über mir am Hang. Da scheint ja doch noch einer dicht vor mir zu sein und gerade den nächsten VP zu erreichen. Etliche Höhenmeter trennen mich noch von diesem Versorgungspunkt. Die letzten davon muss ich gehen. Der Stecker, der Stecker!
An der Versorgungsstelle bei km 37 erhalte ich nicht nur Wasser, sondern auch einige Informationen. Ich liege auf Platz 7, heißt es. "Aber die anderen sehen nicht so entspannt aus wie du!" Im Weiterlaufen höre ich die Kinder rufen: "Da kommt der nächste Läufer!" So dicht? "Und ein Fahrrad!" Die führende Frau holt auf!
Ich versuche irgendwie Abstand zu gewinnen. Und siehe da, ein junger Mann in Schwarz wird vor mir sichtbar. Am letzten Verpflegungspunkt bei km 39 kann ich ihn mit der bewährten Technik überholen. Als ich mich beschleunigten Schrittes aus dem Staub machen will, spüre ich plötzlich Schwindel in den Kopf steigen. Laufen am Limit. Ich fürchte, dass die nächste Stufe "Ohnmächtig umfallen" ist und reduziere mal lieber das Tempo.
Der folgende Anstieg tut sein Übriges in Sachen Geschwindigkeit. Alles, was nicht völlig topfeben oder abschüssig ist, muss ich jetzt gehen. Die Oberschenkel sind hinten nur noch Schmerz. Eindeutig zu wenig Hügeltraining! Der schwarze Mann überholt. Aber ich kann im Flachen und vor allem bergab schneller! Und so wogt das Geschehen hin und her. Mal ist er vorn, mal ich.
Dann kommt die Staumauer, die den Namensgebers des Laufes entstehen ließ, in Sicht. Da müssen wir hoch! Es dürfte sich ja wohl um die letzte Anhöhe handeln. Insofern kann ich mich doch zum Laufschritt durchringen. Von der Mauerkrone aus sehe ich auf der anderen Seeseite das Ziel, während Blau und Frau direkt hinter mir das Stauwerk erklimmen.
Schwarz hat rund 30 m Vorsprung. Ich gehe nochmal bis an die Schwindelgrenze, um ihn einzuholen. Endlich neben ihm, lässt er ein "Ich bin fertig!" hören und fällt ins Gehen. Es können nur noch ein paar Hundert Meter sein. Etliche medaillendekorierte Finisher der Unterdistanzen kommen uns entgegen. Hatten die wenigen Passanten unterwegs noch in der einen oder anderen Form Anteil genommen, überwiegt bei den Medaillenträgern völliges Desinteresse am dramatischen Geschehen auf diesen letzten Metern.
Start und Ziel im Strandbad "Waldenburger Bucht" |
Ein Schild verheißt: "Noch 250 Meter, dann gibt es Krombacher". Ich wähne mich des sechsten Platzes sicher. Da taucht an meiner Linken eine völlig neue Farbe auf. Der Mann muss sich von ganz hinten durchgearbeitet haben, denn ich sehe ihn zum ersten Mal. Kalt erwischt entfährt mir ein: "Das kann doch jetzt nicht wahr sein!" Ein letztes inneres Aufbäumen ist nötig, um den sechsten Platz ins Ziel zu bringen. Die Zeit von 3:47:18 reicht für den Sieg der Altersklasse.
Das am Morgen gewünschte "Anhäufen von Erlebnissen" muss mir wohl ziemlich wichtig sein. Anders ist die heutige Schinderei nicht zu erklären.