Zwei junge Männer mit rußgeschwärzten Gesichtern stehen neben mir an der gedachten Startlinie. "Poser!", denke ich, bevor mir aufgeht, dass wir hier beim "Trail der schwarzen Gesichter" zu Gast sind. Die Veranstalter wollen damit der belgischen Steinkohleförderung in Blegny gedenken. Und natürlich führt der Track auch über die Halde des ehemaligen Bergwerks. Schließlich wollen die knapp 2000 Höhenmeter auf den 53 Kilometern irgendwie gesammelt sein.
Sieht man sonst vor einem Lauf reihenweise emporgereckte Uhren um GPS-Empfang ringen, bleiben die belgischen Trailliebhaber ganz entspannt bis zur letzten Minute ausnahmslos in der gut geheizten Anmeldehalle. Bei drei Grad will niemand draußen herumbibbern, auch wenn es trocken und nahezu windstill ist. Außerdem befindet sich der Start direkt vor der Tür.
Halde Blegny - der Anstiegswinkel ist gut zu sehen |
Es verspricht, ein herrlicher Tag zu werden. Das weiche Morgenlicht der aufsteigenden Sonne fällt auf bachdurchmurmelte Wiesen, und blattlos baumbestandene Weiden. Immer wieder säumen protzige Landgüter den Pfad. Da bist du nur ein paar Kilometer hinter der deutschen Grenze, und schon sieht alles ganz anders aus!
Die knöcheltief zertrampelten Gehege sind kein einfacher Untergrund, aber noch geht es flach dahin. Bis die Halde in ihrer dreckigen Pracht am Horizont auftaucht! Kaum hochgequält, führt die Markierung neben einer Treppe wieder im rutschig-feuchten Abraum hinab.
Halde Blegny |
Ansonsten funktioniert meine - nach dem Test letzte Woche - optimierte Ausrüstung. Die breiten, losen Riemen der Salomon-Gamaschen habe ich einfach rausgeschnitten und durch Draht ersetzt. Im Gegensatz zum Gummiriemen lässt der sich zwischen den Profilstollen verlegen. Dadurch sitzen die Gaiters fest und rutschen nicht hoch. Schlamm, Dreck und Steine bleiben draussen.
Inov-8 Terraclaw 220 mit gepimptem Salomon Gaiter Low |
Eine besonders steile Stelle klafft als Abgrund irgendwo in einem Grubengelände. Mein Vordermann weiß sich nicht anders zu helfen, als sich hinzuhocken und sich mit den Händen zu Tal zu schieben. Die Technik muss ich mir merken! Das Ganze gibt es in diesem extremen Winkel hin und wieder auch anders herum. Dort geht es dann nur auf allen Vieren hoch.
Gefühlte 20 Kilometer läuft ein etwas älterer Trailfreund direkt in meinem Kielwasser. Immer wieder macht er mit lauten Rülpsern auf sich aufmerksam. Als es wieder einmal weglos durchs Unterholz geht, lässt er kein Bäuerchen, sondern einen markerschütternden Schrei vernehmen. Ich laufe sofort zurück, da hat er sich nach seinem Sturz schon wieder aufgerappelt, hält sich aber das Bein. Dennoch folgt er mir weiter, lässt aber immer wieder Schmerzenslaute hören. Fassen wir also zusammen, der Mann ist älter, der Mann ist verletzt. Und trotzdem hängt er mich irgendwann an einem Hang ab. Er humpelt schneller, als ich gehen kann!
Obwohl ich den Lauf einigermaßen defensiv begonnen habe, ist in den hohen Dreißigern für mich der fröhliche, im Flow durchlebte Trailspaß zu Ende. Ich wünsche, es wäre nur ein Marathon und sehne die zweite Verpflegungsstelle bei Kilometer 41 herbei. Dort gibt es die belgische Version der 5-Minuten-Terrine. Heiß, salzig, herrlich! Mein Liter Apfelschorle ist seit geraumer Zeit ausgetrunken. Ich fülle die Flaschen mit Iso auf und schütte mit dem Durst eines Schiffbrüchigen soviel kaltes Getränk in mich hinein, wie es der flaue Magen hoffentlich verträgt.
Eine Banane und ein paar Gehschritte bringen etwas Erholung. Die plötzlich erstaunlich flache und einfache Wegführung tut ihr Übriges, um die schmerzenden Beine, die ganz offenbar kein adäquates Bergtraining hatten erfahren dürfen, ein wenig zu beruhigen.
Die Sonne hat ihr morgendliches Versprechen nicht gehalten. Feuchtigkeitsgesättigte Luft wartet nur darauf als Niesel zu kondensieren und lässt kaum noch einen Weitblick zu. Da wird im Dunst der Umriss einer weiteren Halde sichtbar!
Halde, unteres Segment |
Ich unterdrücke ein bitteres Lachen und gebe mich keiner Illusion hin. Da wird es gleich nochmal drüber gehen. Und schon ragt sie vor mir auf. Schlammig, rutschig, hässlich. Doch ihr magerer Bewuchs ist mein Freund. Hat er mir doch ein abgewinkeltes Stöckchen hinterlassen, das mir bei meinem Aufstieg als Krücke dient, auf die ich mich mit beiden Händen stützen kann. Der Leidensgenosse vor mir hat es schon zum kargen Gipfel geschafft, dreht sich um und blickt zu mir herab. Wir grinsen nur müde. Selten ist mit einem einzelnen Gesichtsausdruck so viel Information ausgetauscht worden.
Halde, Mittelteil (im Hintergrund finaler Anstieg) |
Allerdings bin ich wohl nicht mehr ganz Herr meiner Sinne. Der Blick und die Gedanken schweifen ab. Ich habe all' diese halsbrecherischen Passagen überstanden, nur um jetzt auf ebenem, breiten Feldweg zu stolpern und zu stürzen. Instinktiv rolle ich ab. Mein Geroller kommt gerade noch rechtzeitig vor dem Stacheldraht-Weidezaun zum Stehen und ich dort zum Liegen. Niemand hat's gesehen, schnell weiter!
Den letzten der drei Verpflegungspunkte ignoriere ich und erreiche nach einem weiteren Kilometer den Zielbogen direkt vor dem Start-/Zielgebäude. Doch noch ist der Lauf nicht zu Ende. Erst als ich die Flügeltür zur Halle öffne, wo der Zeitnehmer im Warmen wartet, werde ich mit 6:10:33 registriert.
Höhenprofil |