Donnerstag, 30. Juni 2016

Auf Lang folgt Kurz - b2run 2016

"Jetzt haben die einfach die Strecke verlängert! Aber ich habe doch nur für fünfeinhalb Kilometer trainiert!" Es gehört zu den Eigenarten eines Firmenlaufes, dass solche Klagen in den ersten Reihen des vordersten Startblocks zu hören sind,

Kein Bedarf - mit meinem Namen bin ich recht zufrieden

Trotzdem gelingt der Start ohne größeren Stau. Mein Bestreben, dem Pulk zu entfliehen, scheint dennoch ein wenig zu intensiv zu geraten. "Mir klebt die Zunge am Gaumen" war bisher einfach ein Spruch. Nun erlebe ich es buchstäblich. Noch nie hatte ich einen so trockenen Mund. Ich denke bereits auf dem ersten Kilometer an die Wasserstation, die sich etwa auf der Hälfte des rund sechseinhalb Kilometer langen Kurses befindet. Man kann doch auf so einer kurzen Distanz nichts trinken müssen! Mit einer Pace von 3:24 bin ich den ersten Kilometer ganz offensichtlich zu schnell angegangen. Vier Minuten hatte ich  - angesichts der Vorbelastung und des fehlenden Tempotrainings - für eine realistische Geschwindigkeit gehalten.

Nach der Korrektur des Tempos kann ich trotzdem noch ein wenig im Feld nach vorne laufen. Dabei kommt als Positionsindikator die dritte Frau in Sicht. Auch an ihr ziehe ich noch vorbei. Dann passiert es. Nach drei Kilometern packen mich fiese Seitenstiche.

Es gibt keine Alternative. Nur durch Temporeduktion werde ich mich aus diesem hässlichen Zangengriff befreien können. Alle ziehen sie wieder an mir vorbei. Auch die Frau.

Zwei Kilometer schleppe ich mich schmachvoll dahin. An der Fünf-Kilometer-Fahne kneift die Zange nicht mehr ganz so arg. Mein aktueller Überholer wundert sich vermutlich ob meines sich mehr und mehr steigendernden Tempos. Er wehrt sich erstaunlich lange.

Aber ich kann weiter Geschwindigkeit aufnehmen. Die Gesamt-Pace sinkt zurück unter vier Minuten. Die Frau wird eingesammelt. Und dann bin ich auch schon im Ziel. 25:32.1 habe ich diesmal benötigt.

Medaille 2016
Den Titel als Firmen-Schnellster konnte ich damit verteidigen. Doch für die Sensation sorgt mein Sohn, der trotz seines 24-Stundenlaufs hier mit an den Start ging. Er wird Zweiter!

Wird der Junior im nächsten Jahr vor seinem Erzeuger ins Ziel laufen?

Jetzt erstmal die Füße hochlegen

Montag, 27. Juni 2016

Nach mir die Sintflut - Der 24 Stundenlauf in Breitscheid

Oh, dieser betörende Duft! Nein, ich meine nicht das spezielle Odeur, das ein Läufer nach stundenlanger Belastung ausdünstet. Es riecht nach Rosen. Vielleicht sind es auch andere Blumen. Auf jeden Fall irgendein herrlicher Blütenduft. Sobald der Übergang vom Wäldchen zum Heckenbestand auf der Breitscheider 5-km-Runde geschafft ist, überkommt mich diese olfaktorische Wahrnehmung. Doch keiner will sie mit mir teilen! Betty meint, ich würde bereits halluzinieren. Immerhin, die Glühwürmchen sieht sie auch!

Der Beginn einer jeden Runde

Angesichts der feuchten Hitze und der vorhergesagten Unwetter habe ich mir diesmal keine neuen Großtaten vorgenommen.  Außerdem befürchte ich, dass sich die Sehnen wieder melden und so zum limitierenden Faktor werden. Zumindest soll aber die Nacht durchlaufen werden, dann die 100 km anvisieren und danach mal sehen. Es wird sich zeigen, dass "mal sehen" ein ganz schlechter Motivator ist.

Zunächst läuft es gut, ich liege sogar kurzzeitig in Führung. Doch schon die Runde auf dem Weg zum Marathon lässt mich kämpfen. Ganz schlecht, in Anbetracht der immensen noch vor mir liegenden Zeit. Der mentale Tiefpunkt ist auf der 65-km-Runde erreicht. Die Pace liegt mittlerweise bei 10 Minuten. Ich schlendere nur noch dahin. Selbst zu schnellem Gehen kann ich nicht aufraffen. Dabei tut mir noch nicht einmal irgendwas weh. Die Beine wollen einfach nicht mehr. Oder ist es eigentlich der Kopf?
Ultraverpflegung

Ich sitze 25 Minuten im Verpflegungszelt und hadere mit der Welt. "Nie wieder laufe ich weiter als 100 km!" "Und jetzt höre ich erstmal auf und lege mich hin." Gebrochen schleppe ich mich zu meiner Matte. Dort wähne ich auch meinen Sohn, der sich ein paar Stunden ausruhen wollte. Doch seine Lagerstatt ist verwaist! Wenn der knapp 15-Jährige das hier durchzieht, um sein ehrgeiziges 100-km-Ziel zu erreichen, kann ich mich ja wohl auch nicht lumpen lassen! Also doch weiter.

Die Sehnen spielen wunderbar mit. Trotzdem bekomme ich die Beine kaum vom Boden. Salzverkrustet trotte ich unter dem riesigen, dunkelgelben Halbmond dahin. Bei meinem jetzigen Tempo ist absehbar, dass ich die 160 km vom Vorjahr diesmal keinesfalls erreichen, geschweige denn toppen werde. Und irgendeine Zahl zwischen 100 und 160 bedeutet mir nichts. Ich fasse einen Entschluss: "Bei 100 hörst du auf!" Das lässt mir auch noch ein paar körperliche Reserven für den Firmenlauf am Dienstag und für den "Bergischen 6-Stundenlauf" am nächsten Samstag, für den ich mich in planloser Euphorie eingeschrieben hatte.

Im Morgengrauen ist dann alles egal. Ob ich mit den 100 nun gleich oder etwas später fertig bin, ist irgendwie nicht relevant. Ich wandere mal wieder. Plötzlich Schritte von hinten. Mein eigener Sohn holt mich ein! Das musste ja eines Tages passieren.

Gemeinsam bringen wir die Runde gut gelaunt zu Ende. Ich bin jetzt gelöst und rundherum zufrieden mit meinem Entschluss. Wie zur Bestätigung fängt es an zu gießen, kaum dass ich die Startnummer nach dreizehneinhalb Stunden abgelegt habe. Und es wird bis zum Ende der Veranstaltung in unverminderter Stärke weiterregnen. Nach mir die Sintflut!

Die Zeltwiese

Doch weder die neue Wetterlage noch mein Zureden können den Nachwuchs vom Weiterlaufen abhalten. Hatte er bisher unter seiner selbst auferlegten Bürde gelitten ("Ich mache hier nie wieder mit!"), so ist mittlerweile absehbar, dass er sein Ziel von 100 km tatsächlich erreichen kann. Entsprechend guten Mutes ist er. Er verschwindet im Regen.

Zurück bleibt ein Vater mit schlechtem Gewissen. Müsste ich dem Jungen nicht beistehen und ihn begleiten? Doch der Sprössling hat sich seine Vorgabe selbst gesteckt, und er zieht es allein durch. Ein Jüngling auf dem Weg zum Manne.

Mein Sohn!





Montag, 13. Juni 2016

Männer(-grippe) beim Eifelmarathon-Ultra



"Papa ist erkältet und läuft morgen den Ultra beim Eifelmarathon!" Genau die beiden Informationen, die ich den Junior bat, nicht explizit im Telefonat mit meiner Mutter zu erwähnen, bringt er gleich im ersten Satz unter. Und so wird mir alsbald der Hörer weitergereicht und das Verprechen abgerungen, wenigstens langsam zu laufen.

Meine Frau hingegen hatte meine Erkältung als "Männergrippe" abgetan, was ich als Starterlaubnis interpretiere. Nach unserem 2014er Vater-Sohn-Debüt auf der Eifeler Halbmarathonstrecke will sich der Nachwuchs diesmal allein dieser hügeligen Strecke stellen, während ich den nicht weniger welligen Ultra (51,4 km, 983 Hm) zu laufen gedenke. Unserem Familien-Duo schließen sich Bianka und Alexander an, so dass wir auf der fast 200 km langen Anfahrt umweltschonend und gutgelaunt als Fahrgemeinschaft reisen. Unterwegs klagt Bianka, wie "sportfaul" sie in letzter Zeit gewesen sei. Wir haben Schwierigkeiten das nachzuvollziehen, da sie im nächsten Satz erzählt, dass sie am Vortag die 18 km ins Fitness-Studio gelaufen war, um dann dort mit dem eigentlichen Training zu beginnen.

Höhenprofil Eifelmarathon-Ultra
Noch mehr Kilometer hat der Däne auf dem Tacho, den wir morgens auf dem Parkplatz bei der Turnhalle treffen. Er hatte dort die kostenfreie Übernachtungsmöglichkeit genutzt, muss aber direkt nach dem Marathon 800 km nach Hause fahren. Als Marathonsammler steht er kurz vor seinem "100. Marathon in Deutschland". Überhaupt ist das Starterfeld ziemlich international besetzt. Sogar aus Russland und von den Seychellen sind Teilnehmer dabei.

Nach dem Start pendeln wir zunächst flach auf einer einsamen Landstraße. Als wir erneut den Startbogen durchlaufen, komme ich meinem Ziel, mit dem Laufen Geld zu verdienen wieder ein Stück näher. Ich finde auf der Straße einen Euro! Damit habe ich ein Fünfunddreißigstel der Startgebühr erstattet bekommen. Übrigens wird für Marathon und Ultra die gleiche Summe verlangt. Als kühler Rechner muss man hier im Naturpark Südeifel also den Ultra laufen.

Bianka, die heute vierte Frau wird, ist längst unseren Blicken entschwunden. Gemäß meines mütterlicherseits abverlangten Gelübdes gehe ich es ruhig an und bleibe bei Alexander. So plaudern wir uns durch die herrliche Eifellandschaft. Besonders reizvoll sind die Stellen, wo der Weg dem Flüsschen Prüm begegnet. Der Asphaltanteil des Ultralaufs ist der geringste unter allen angebotenen Distanzen. Er beträgt nach Veranstalterangabe 51,6%. Noch ein Grund hier den Ultra zu wählen.

Bald begegnet uns mein Sohn, der auf Schloss Hamm gestartet ist. Trotz der 464 von ihm zu überwindenden Höhenmeter wirkt er völlig entspannt. Als jüngster Teilnehmer ist ihm der Altersklassensieg sicher. Er hat sich daher vorgenommen, unsere 2014er Zeit von 2:10 zu unterbieten. Mit 1:56 wird er zusätzlich sogar unter zwei Stunden bleiben.

Schloss Hamm *1
Dann erfüllen Dudelsackklänge die Luft, als wir in den Burghof von Schloss Hamm einlaufen, wo wir mit einem der 16 Verpflegungspunkte empfangen werden. Hügeligen Wald findet man häufiger bei Landschaftsläufen. Das spektakuläre Durchlaufen der Burg ist jedoch ein klares Alleinstellungsmerkmal des Eifelmarathons.

Dort, wo die Prüm zum Stausee Bitburg aufgestaut wird, werden wir von den Marathonis separiert und auf die Ultrazusatzschleife geschickt. Diese führt uns hoch über das Prümtal in feuchten, dunklen Tann. Der morgendliche Regen, der pünktlich zum Start aufhörte, hat hier die Wege so stark aufgeweicht, dass stellenweise Trail-Spaß aufkommt.

Das Plaudern haben wir längst eingestellt. Und ich konstatiere, dass es keine gute Idee ist, mit einem Infekt im Körper zu laufen, und sei es auch nur eine "Männergrippe". Während ich verschwitzt im kühlen Wind dahintrotte, sehe ich mich schon am nächsten Tag krank auf dem Siechbette darniederliegen. Und als wir - zurück am Stausee - einen Biergarten passieren, erscheint uns ein auf einer Terrasse mit gekühlten Getränken verbrachter Sonntag durchaus eine Alternative zu unserem aktuellen Tun.
Stausee Bitburg *2

Immerhin, jetzt sind wir auf dem Rückweg. Doch als wir erneut die Burg passieren, haben die Schlossherren einen Fehler gemacht. Sie haben einen Stuhl in den Hof gestellt! Es zeigt sich, dass so viel Luxus gar nicht gut ist. Denn Alexander lässt sich zu einer Rast verführen. Ich möchte lieber in Bewegung bleiben und ziehe ab jetzt allein weiter.

Ein Blick zur Uhr zeigt, dass eine Zeit unter fünf Stunden beim besten Willen nicht mehr drin ist. Trotzdem glaube ich, der mütterlichen Vorgabe lange genug Folge geleistet zu haben und versuche, die Gesamt-Pace bis ins Ziel wieder auf einen 6er Schnitt zu drücken. Dabei passiert Erstaunliches. Es kommt zur Spontanheilung! Ein Wunder! Preiset den Herrn! Während ich fokussiert auf das Ziel (das physische und das zeitliche) dahinziehe, gerate ich den Flow. Vergessen und verschwunden sind alle Schnupfensymptome. Die Nase läuft mir beim Sport ja sowieso immer.

Inzwischen hat sich die Sonne durch die dunkle Wolkendecke gearbeitet, und es wird warm. Waren wir vorher stundenlang einsam unterwegs gewesen, bekomme ich jetzt etliche Läufer vor mir zu sehen. Und die sind sehr nett zu mir, bekomme ich beim Überholen doch durchweg positive Rückmeldungen. "Ach, das sieht so locker aus, da hänge ich mich dran!" "Das sieht ja immer noch gut aus." Und der am Morgen getroffene, dänische Marathonläufer meint: "Guhd so!", als ich an einer langen Reihe Geher vorbei den letzten, fiesen Anstieg, der in der prallen Sonne liegt und einfach nicht enden will, hinauf laufe. Obwohl ich mir heute keine besondere Leistung abverlangt habe, stimmen mich die Zurufe froh. Muss man sich mal merken, wie einfach es ist, anderen eine Freude zu bereiten.

Zunächst bin ich es aber, der weiterhin Grund zum Freuen hat. Bis ins Ziel geht es nämlich nur noch bergab. Auch nach 5:05:23 darf ich mich noch zum ersten Finisher-Drittel zählen und bekomme die ersehnte Medaille umgehängt. Kurz darauf entere ich die Bühne zur Siegerehrung - unter den ungläubigen Blicken der Veranstalterin. Den Sieger der Altersklasse "Jugend A" nimmt man mir wohl nicht mehr ab. Doch als ich erkläre, dass ich stellvertretend für meinen noch ausgiebig duschenden Sohn den Preis entgegen nehme wolle, wird mir die Siegprämie ausgehändigt. Ein Handtuch nebst Duschbad - na, das passt ja!



Bildquellen:
*1) von Venetianer (Eigenes Werk) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

*2)  von bodoklecksel (Eigenes Werk) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons