Der Wallone pflegt ein feines Understatement. "55 km Ultra Trail" nennt er ein Rennen, das laut Ausschreibung 56,9 Kilometer lang ist. Beim Höhenunterschied hat der Veranstalter nicht abgerundet. Angegeben werden 2096 Höhenmeter, die den Namen des Laufes noch einmal eindrucksvoll unterstreichen. Wem "Die Bergspitzen von Spa" noch keinen Respekt einflößen, der erschauert spätestens beim Blick auf das Höhenprofil des am 28.3.2015 stattfindenen Laufes.
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Höhenprofil 55 km Ultra Trail |
Spa ist mittlerweile zum Synonym für Wellness geworden. Der Trailrunner denkt bei diesem Begriff jedoch nicht an wohlig warmes Wasser, das seinen faul dahingestreckten Körper sanft umspült. Wenn er damit überhaupt Wasser verbindet, dann welches, das von oben kommt oder von unten in seine Schuhe dringt. Beide Formen bietet der Lauf heute reichlich.
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Start mit Dudelsack-Klängen |
"Ach, vor einem Start bist du doch immer krank!", tut Frau Pulsmesser meine Klagen über Kopf- und Halsschmerzen ab. Recht hat sie, aber ein ungutes Gefühl erhält sich bis an die Startlinie. Eingedenk dieses Zustandes und
der vor zwei Wochen im Siebengebirge gemachten Erfahrung approximiere ich die heutige Zielzeit mit etwa sieben Stunden.
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Vorm Start |
Entsprechend konservativ stelle ich mich im hinteren Drittel des Feldes auf. Dort bin ich scheinbar unter die Nordic Walker geraten. Gefühlte 20 Prozent der Teilnehmer laufen mit Stöcken. Mal schwingen die lang ausgefahrenen Teile, in einer Hand getragen, bedrohlich nach vorn und hinten. Ein anderes Mal werden sie urplötzlich zum Verstellen quer vor die Brust genommen. Die Krone setzt dem Ganzen jemand auf, der nach einem Brückengeländer fasst und dabei den Stockgriff weiterhin umklammert, statt den Stock in die Handschlaufe fallenzulassen. Dadurch ragt der Stecken waagerecht als Spieß nach hinten. Und ich entgehe um Haaresbreite einem Ende als Spießbraten.
Dank der herrlich naturnahen Wegführung auf schmalsten Pfaden sind Gelegenheiten zum Überholen selten. Doch nach und nach arbeite ich mich im Feld weiter nach vorn, was die Stockdichte deutlich abnehmen lässt. So langsam finde ich in den Lauf. Oder viel mehr komme ich in Gang. Denn an den Steigungen ist an Laufen nicht zu denken.
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Die zweite der beiden Skipisten |
Am zweiten Verpflegungspunkt ist die Hälfte geschafft. Drei Stunden und 20 Minuten habe ich bisher gebraucht und liege damit ganz ordentlich in der selbstgesteckten Vorgabe. Ich gönne mir reichlich von den dargebotenen Köstlichkeiten. Das Menü umfasst Salzstangen, Aprikosen, Orangen, Bananen, Gel, Riegel, Honigkuchen, Wasser, Cola und Iso. Belgische Waffeln fehlen natürlcih auch nicht. Endlich ist der Hunger weg!
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Hinauf, hinauf! |
Wer das Hohe Venn als Hochmoor kennengelernt hat, kann sich ungefähr die Wegbeschaffenheit hier in den Ardennen vorstellen. Der Pegel auf den Pfaden steigt, da es mittlerweile regnet. Irgendwann gebe ich die Versuche auf, dem größten Matsch auszuweichen. Die Füße sind sowieso nass, da kann ich auch mitten durch. Vielleicht fließt das Wasser aus meinen Schuhen dank der Löcher sogar besonders gut ab. Unterwegs kriege ich aber noch ganze anderes Schuhwerk zu sehen. Einer läuft in völlig zerfetzten Salomons, während ein anderer nur eine dünne Sohle unter seine nackten Füße geschnallt hat. Von Sandalen möchte man da noch gar nicht sprechen.
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Vorm Start haben die Schuhe zwar Löcher, sind aber noch sauber |
Auf dem Weg gibt es nicht nur Schlamm. Es sind auch jede Menge steinige und wurzelige Passagen dabei. Aber auf eins ist Verlass, es bleibt steil. Entsprechend mühselig wird die Angelegenheit für mich. Die Pace ist jenseits von gut und böse. Mit den sieben Stunden wird das wohl nichts mehr. "Courage, Monsieur!" "Allez!" Bravo!" So versuchen die wenigen Zuschauer mich aufzumuntern.
Und dann die große Überraschung! Am Ende eines malerischen Bachtales ändert sich am VP bei Kilometer 40 das Landschaftsbild. Von nun an wird es deutlich flacher. Und bis zum letzten VP in zehn Kilometer Entfernung kann nahezu flüssig durchgelaufen werden. Unterwegs verbiete ich mir den Blick zur Uhr. Zu schwer wäre es zu ertragen, wenn dort ein erschreckend kurzer Wert für die zurückgelegte Strecke anzeigt würde.
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Dichtes Feld am Beginn des Laufes |
Dieser Trick und das jetzt einfachere Gelände beflügeln mich derart, dass die letzte Verpflegungsstelle so flink auftaucht, dass ich sie gleich ganz ignoriere und die letzten sieben Kilometer ohne Stopp anhänge. Gestoppt habe ich trotzdem. Meine Uhr. Irgendwie. Versehentlich. Es kann aber nicht mehr weit sein. Man hört schon die Moderation!
Das finale Sporengeben gelingt überraschend gut. Überhaupt habe ich die letzen 17 Kilometer, jedenfalls im Vergleich zum ersten Teil, als eher regenerativ wahrgenommen. Doch jetzt, mit der Medaille um den Hals, beginnt die echte Erholung. Dazu trägt eine direkt an der Ziellinie dargereichte Köstlichkeit bei, bei der es sich um Milchreis-Tarte zu handeln scheint.
Ungefähr sechs Stunden und vierzig Minuten dürfte ich unterwegs gewesen sein. Dadurch treffen die Pulsmesserin und der Junior fast gleichzeitig mit mir im Ziel ein. Sie haben den vier Stunden später gestarteten Halbmarathon mit 600 Höhenmetern hinter sich gebracht. Frau Pulsmesser ist ganz beseelt von ihrem ersten Trail-Erlebnis: "So viel Matsch! Das war mein bisher coolster Lauf." Eine gelungene Zusammenfassung des Tages!
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Trailroc 245 - ein Abschied |