Sonntag, 29. März 2015

56,9 km Ultra-Trail "Crêtes de Spa"

Der Wallone pflegt ein feines Understatement. "55 km Ultra Trail" nennt er ein Rennen, das laut Ausschreibung 56,9 Kilometer lang ist. Beim Höhenunterschied hat der Veranstalter nicht abgerundet. Angegeben werden 2096 Höhenmeter, die den Namen des Laufes noch einmal eindrucksvoll unterstreichen. Wem "Die Bergspitzen von Spa" noch keinen Respekt einflößen, der erschauert spätestens beim Blick auf das Höhenprofil des am 28.3.2015 stattfindenen Laufes.

Höhenprofil 55 km Ultra Trail
Spa ist mittlerweile zum Synonym für Wellness geworden. Der Trailrunner denkt bei diesem Begriff jedoch nicht an wohlig warmes Wasser, das seinen faul dahingestreckten Körper sanft umspült. Wenn er damit überhaupt Wasser verbindet, dann welches, das von oben kommt oder von unten in seine Schuhe dringt. Beide Formen bietet der Lauf heute reichlich.

Start mit Dudelsack-Klängen
"Ach, vor einem Start bist du doch immer krank!", tut Frau Pulsmesser meine Klagen über Kopf- und Halsschmerzen ab. Recht hat sie, aber ein ungutes Gefühl erhält sich bis an die Startlinie. Eingedenk dieses Zustandes und der vor zwei Wochen im Siebengebirge gemachten Erfahrung approximiere ich die heutige Zielzeit mit etwa sieben Stunden.

Vorm Start
Entsprechend konservativ stelle ich mich im hinteren Drittel des Feldes auf. Dort bin ich scheinbar unter die Nordic Walker geraten. Gefühlte 20 Prozent der Teilnehmer laufen mit Stöcken. Mal schwingen die lang ausgefahrenen Teile, in einer Hand getragen, bedrohlich nach vorn und hinten. Ein anderes Mal werden sie urplötzlich zum Verstellen quer vor die Brust genommen. Die Krone setzt dem Ganzen jemand auf, der nach einem Brückengeländer fasst und dabei den Stockgriff weiterhin umklammert, statt den Stock in die Handschlaufe fallenzulassen. Dadurch ragt der Stecken waagerecht als Spieß nach hinten. Und ich entgehe um Haaresbreite einem Ende als Spießbraten.

Dank der herrlich naturnahen Wegführung auf schmalsten Pfaden sind Gelegenheiten zum Überholen selten. Doch nach und nach arbeite ich mich im Feld weiter nach vorn, was die Stockdichte deutlich abnehmen lässt. So langsam finde ich in den Lauf. Oder viel mehr komme ich in Gang. Denn an den Steigungen ist an Laufen nicht zu denken.

Die zweite der beiden Skipisten

Am zweiten Verpflegungspunkt ist die Hälfte geschafft. Drei Stunden und 20 Minuten habe ich bisher gebraucht und liege damit ganz ordentlich in der selbstgesteckten Vorgabe. Ich gönne mir reichlich von den dargebotenen Köstlichkeiten. Das Menü umfasst Salzstangen, Aprikosen, Orangen, Bananen, Gel, Riegel, Honigkuchen, Wasser, Cola und Iso. Belgische Waffeln fehlen natürlcih auch nicht. Endlich ist der Hunger weg!

Hinauf, hinauf!
Wer das Hohe Venn als Hochmoor kennengelernt hat, kann sich ungefähr die Wegbeschaffenheit hier in den Ardennen vorstellen. Der Pegel auf den Pfaden steigt, da es mittlerweile regnet. Irgendwann gebe ich die Versuche auf, dem größten Matsch auszuweichen. Die Füße sind sowieso nass, da kann ich auch mitten durch. Vielleicht fließt das Wasser aus meinen Schuhen dank der Löcher sogar besonders gut ab. Unterwegs kriege ich aber noch ganze anderes Schuhwerk zu sehen. Einer läuft in völlig zerfetzten Salomons, während ein anderer nur eine dünne Sohle unter seine nackten Füße geschnallt hat. Von Sandalen möchte man da noch gar nicht sprechen.

Vorm Start haben die Schuhe zwar Löcher, sind aber noch sauber
Auf dem Weg gibt es nicht nur Schlamm. Es sind auch jede Menge steinige und wurzelige Passagen dabei. Aber auf eins ist Verlass, es bleibt steil. Entsprechend mühselig wird die Angelegenheit für mich. Die Pace ist jenseits von gut und böse. Mit den sieben Stunden wird das wohl nichts mehr. "Courage, Monsieur!" "Allez!" Bravo!" So versuchen die wenigen Zuschauer mich aufzumuntern.


Und dann die große Überraschung! Am Ende eines malerischen Bachtales ändert sich am VP bei Kilometer 40 das Landschaftsbild. Von nun an wird es deutlich flacher. Und bis zum letzten VP in zehn Kilometer Entfernung kann nahezu flüssig durchgelaufen werden. Unterwegs verbiete ich mir den Blick zur Uhr. Zu schwer wäre es zu ertragen, wenn dort ein erschreckend kurzer Wert für die zurückgelegte Strecke anzeigt würde.

Dichtes Feld am Beginn des Laufes
Dieser Trick und das jetzt einfachere Gelände beflügeln mich derart, dass die letzte Verpflegungsstelle so flink auftaucht, dass ich sie gleich ganz ignoriere und die letzten sieben Kilometer ohne Stopp anhänge. Gestoppt habe ich trotzdem. Meine Uhr. Irgendwie. Versehentlich. Es kann aber nicht mehr weit sein. Man hört schon die Moderation!

Das finale Sporengeben gelingt überraschend gut. Überhaupt habe ich die letzen 17 Kilometer, jedenfalls im Vergleich zum ersten Teil, als eher regenerativ wahrgenommen. Doch jetzt, mit der Medaille um den Hals, beginnt die echte Erholung. Dazu trägt eine direkt an der Ziellinie dargereichte Köstlichkeit bei, bei der es sich um Milchreis-Tarte zu handeln scheint.

Ungefähr sechs Stunden und vierzig Minuten dürfte ich unterwegs gewesen sein. Dadurch treffen die Pulsmesserin und der Junior fast gleichzeitig mit mir im Ziel ein. Sie haben den vier Stunden später gestarteten Halbmarathon mit 600 Höhenmetern hinter sich gebracht. Frau Pulsmesser ist ganz beseelt von ihrem ersten Trail-Erlebnis: "So viel Matsch! Das war mein bisher coolster Lauf." Eine gelungene Zusammenfassung des Tages!

Trailroc 245 - ein Abschied

Dienstag, 24. März 2015

Speed-Dating in Berlin

Das Jahr 2015 scheint für mich läuferisch unter dem Motto "Laufen in Millionenstädten" zu stehen. Ging es im Februar durch Tokio und Köln, ist diese Woche Berlin an der Reihe.

Brandenburger Tor
Die Ausrichter des Kongresses, an dem ich teilnehme, haben sich etwas sehr Spezielles einfallen lassen. Sie nennen es Speed-Networking. Im Prinzip handelt es sich dabei um Speed-Dating, nur dass man keinen Lebens-, sondern einen Geschäftspartner kennenlernen soll. Dazu stehen sich die ca. 120 Teilnehmer in zwei Reihen zu je 60 Leuten paarweise gegenüber. Etwa zwei Minuten stehen für das Gespräch mit dem Anderen zur Verfügung. Dann erklingt ein Glöckchen, und es wird zum Nächsten gewechselt. Für dieses Eilverfahren habe ich deutlich zu wenig Visitenkarten dabei. Und es ist erstaunlich, wie diese Prozedur den Puls in die Höhe treibt. Ich schwitze fast mehr als beim abendlichen Lauf.

Gedächtniskirche
Dieser führt mich zunächst zur Gedächtniskirche, die nur einen Steinwurf vom Hotel entfernt ist. Und gleich dahinter zeigt mir das Navi eine schöne große Grünfläche, den Tiergarten. Dummerweise heißt der Bereich nicht nur so, sondern ist tatsächlich ein Zoo. Ich stehe vor verschlossenen Toren! Nach einem kleinen Umweg erreiche ich den Landwehrkanal. Kurz hinter der Stelle, an der Rosa Luxemburg und Karl-Liebknecht erschossen wurden, gibt es eine Brücke in den Park.

Siegessäule
Und schon bald strahlt vor mir der Friedensengel. Ach nein, der steht ja in München. Hier heißt der "Siegessäule". Erinnerungen an den Berlin Marathon werden wach, wo die Startaufstellung mit Blick auf dieses Monument erfolgte. Da muss ich doch gleich noch zum Start-/Zielbereich, manchem besser als "Reichstag" bekannt, um weiter in Erinnerungen an dieses großartige Ereignis zu schwelgen. Immerhin war das mein erster Genusslauf. Beim Durchlaufen des Brandenburger Tors war ich damals trotzdem schon zu sehr aufs Ziel fixiert. Heute übermannen mich dort die Gefühle. Gibt es ein symbolträchtigeres Bauwerk für die jüngere deutsche Geschichte? Der Schriftzug auf der Heckscheibe eines unweit geparkten Autos fasst meinen Zustand zusammen. "Rotz und Wasser" lese ich dort.

Rennen und flennen
Als ich nach dem Schnappschuss weiterlaufe, prangt auf dem athletischen Rücken vor mir die Aufschrift "Abu Dhabi Triathlon Team". An der nächsten roten Ampel auf dem Weg zum Alexanderplatz kommen wir ins Gespräch. Beim "Where are you from?" stellen wir dann fest, dass die Konversation auch in Deutsch fortgesetzt werden kann. Der gebürtige Berliner lebt in Süddeutschland und übernachtet ebenfalls in Ku'damm-Nähe. So beschließen wir die 16-km-Sightseeing-Runde unter Austausch diverser Läuferanekdoten sehr vergnüglich gemeinsam.

Dadurch erfahre ich das Geheimnis der Trikot-Aufschrift. Der Coach meines Begleiters stammt nämlich aus Abu Dhabi. Als Mitglied der 2. Bundesliga im Sprint-Triathlon legt meine neue Bekanntschaft ein entsprechendes Tempo vor. Das ist Speed-Dating nach meinem Geschmack!

Samstag, 21. März 2015

Wirkt Magnesium wirklich abführend?

Popeye - Stark durch Spinat*

Als Elzie Crisler Segar Anfang des 20. Jahrhunderts die Comic-Figur Popeye schuf, hielt man Spinat wegen seines vermeintlich hohen Eisenanteils für ein ideales Stärkungsmittel. Mütter zwangen ihre Kinder zum Spinatverzehr. Man kennt sowas auch heute in der Form von "Iss dein Gemüse!" Vermutlich sollten die lustigen Erlebnisse des Helden Popeye eine Vorbildfigur schaffen, um den Kindern einen Anreiz zu spinatreicher Ernährung zu geben.

Eine gewisse Nachhaltigkeit kann man dem Einfluss der Popeye-Comics nicht absprechen. Als Kind habe ich die Zeichentrickfilme des kräftigen Burschen gern angesehen. Und Spinat galt auch zu dieser Zeit noch als gesund und eisenreich.

Dabei beruht der Mythos des hohen Eisenanteils auf einem Kommafehler. Die korrekt ermittelten 35 Milligramm auf 100 Gramm Spinat bezogen sich auf getrockneten Spinat, wurden aber frischem Spinat zugeschrieben. Letzter beinhaltet auf Grund seines hohen Wasseranteils aber nur 3,5 Milligramm Eisen.

Einmal falsch abgeschrieben, blieb der überhöhte Wert in der Welt, wurde immer wieder zitiert und ließ Eisen, wie oben beschrieben, bis in meine Kindertage als eisenreich gelten.

Präparat mit 400 mg Mg

Was hat das alles mit Magnesium zu tun?

 

Magnesium ist bei Läufern als Mittel gegen Krämpfe sehr beliebt. Und in jeder Veröffentlichung zu diesem Thema liest man den warnenden Hinweis, dass Magnesium abführend wirke. Und wie beim Eisen scheint man hier gegenseitig voneinander abzuschreiben, ohne die Quelle der Information zu hinterfragen. So schreibt zum Beispiel der Focus "400 bis 600 Milligramm müsste ein Sportler zu sich nehmen, um überhaupt eine Wirkung zu spüren. 'Bei der Menge bekommen Sie aber garantiert Durchfall.'" Aber auch renommierte Laufexperten wie der Diplom-Biologe Herbert Steffny verbreiten die Kunde vom Abführmittel Magnesium. So schreibt Steffny in seinem "Großen Laufbuch": "Magnesiumgaben kurz vor oder während des Sports führen zu Durchfall."

Welche Studien oder Erfahrungen liegen diesen Aussagen zu Grunde? 

 

Bisher habe ich dazu keine Angaben gefunden, betreibe stattdessen aber seit mehreren Jahren im aufopferungsvollen Selbstversuch eine Langzeitstudie. In einem Punkt kann ich Steffny, der postuliert: "Nächtliche Wadenkrämpfe sind ein Indiz für tatsächlichen Magnesiummangel.", bestätigen. Trainiere ich hart und vergesse, mein Magnesiumpräparat einzunehmen, so wache ich oft laut schreiend auf, weil sich ein Krampf meiner Waden bemächtigt hat. Die Kinder phantasieren ob solcher Geräusche aus dem elterlichen Schlafzimmer von ausschweifenden Sex-Orgien.

Beim Laufen, sei es im Training oder im Wettkampf, hatte ich hingegen noch nie ein Problem mit Krämpfen. Ich nehme in Zeiten harter Belastungen (zusätzlich zur Extra-Prise Salz) täglich 400 Milligramm Magnesium. Durchfall hatte ich deshalb noch nie. Im Gegenteil, ich erfreue mich seit Jahren eines geregelten Stuhlgangs!

Wrong Defecation Behaviour 01
Foto: Wikipedia

*Quelle: Wikipedia

Montag, 16. März 2015

Dragon Ultra - Bronze für Platz 4


Der „Dragon Ultra“ am 15.3.2015 führt über 50 km und 1700 Höhenmeter durch das Siebengebirge. Und wer denkt, dass der Name Siebengebirge irgendetwas mit sieben Bergen zu tun habe, wird in der Ausschreibung eines Besseren belehrt. Dort heißt es: “Das Siebengebirge hat 13 hohe Gipfel - 9 sind extra für DICH liebevoll ausgesucht“.

Vor dem neunfachen Gipfelsturm weissagt Veranstalter Michael Frenz den 42 an der gedachten Startlinie Versammelten, dass nur 30 das Ziel erreichen werden. Sind es derlei Zukunftsvisionen, ob derer er sich im Netz auch "Der Hexer" nennt? Wer von uns diese 30 Finisher sein werden, vermag er dann aber doch nicht vorherzusagen. Den Optimismus lässt sich an dieser Stelle davon noch keiner nehmen, denn „wer beim Hexer bucht, weiß, worauf er sich einlässt.“ (O-Ton M. Frenz) Ich weiß das allerdings nicht, denn es ist mein erster Hexer-Lauf. Umso gespannter bin ich jetzt.

Nach dem Start zähle ich ungefähr 13 Köpfe vor mir und lasse deren Träger von hinnen ziehen. Mir geht es heute in erster Linie um einen Ausrüstungstest für die Neander-Rallye, deren Strecke nur mittels GPS-Navigation zu finden sein wird. Weder der Akku meines "Forerunner 305" noch der meines Smartphones können über diese Distanz durchhalten. Deshalb will ich auf meinen alten "Garmin GPSmap 60CSx" zurückgreifen. Der hat früher beim Geocaching gute Dienste geleistet. Längere Routen bin ich damit aber noch nie abgelaufen. Daher soll er heute seine diesbezüglichen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Denn auch der Weg des Drachen ist nicht gekennzeichnet. Der Hexer hat stattdessen einen GPS-Track für uns ausgearbeitet.

Schon beim Hochladen des Tracks auf den "Garmin GPSmap 60CSx" gab es Ärger. "Track gekürzt" oder "Route gekürzt" lauteten die Fehlermeldungen. Es stellte sich heraus, dass dieses betagte Gerät ein Limit auf 250 Wegpunkte für Routen und 500 Wegpunkte für Tracks vorgibt. Es blieben mir zwei Möglichkeiten. Ich könnte die 1700 Wegpunkte des Original-Tracks in vier Teile zerlegen. Da ich am Vorabend des Rennens auf die Schnelle keinen Arbeitsablauf dafür parat habe, wähle ich Option Zwei und skaliere die Genauigkeit von 1700 auf 500 herunter. Das wird Folgen haben!

Ich habe mich inzwischen im Feld zwei Positionen vorgearbeitet und laufe mit einer Dreiergruppe. Unsere Konzentration gilt neben dem Untergrund der Navigation. Da die Strecke zu über 60 Prozent auf Single-Trails verläuft, geschieht es öfter, dass man vom Wanderweg urplötzlich zur Seite in einen Trampelpfad einbiegen muss. Schnell ist so ein Abzweig verpasst. Und dann heißt es "Umkehren"! Dummerweise ist mein Track durch die Wegpunkt-Reduktion so vage, dass ich ständig in eine andere Richtung als die Gruppe renne. Nach einer Weile gebe ich es entnervt auf, packe den GPSmap weg und hole das Handy hervor. Was für eine Wohltat! Eine anständige Karte und der genaue Track!

Archivbild: Siebengebirge
Ab jetzt bin ich autark und lasse die Gruppe zurück. Das nächste Dreierteam hole ich ein, als es gerade aus einer falschen Richtung zurückkommt. Jetzt kann ich beim Navigieren helfen. Doch letztlich bleibt mir von der Gruppe nur ein einzelner Begleiter. Gemeinsam finden wir die vom Hexer handverlesen gewählte Wegführung. Vor dem Lauf hatte ich die Sorge, dass dieser Ultra einfach eine Verlängerung des Rheinsteig-Extrem-Laufes darstellen würde. Das stellt sich zum Glück als unbegründet heraus. Natürlich berühren wir oft den Rheinsteig, aber immer wieder führt der Weg über kleinste Pfade, durch feuchte Bachtäler und über felsige Höhen. Ich bemerke, dass ich das Siebengebirge bei Weitem noch nicht kenne! Wenn ich den Charakter des Laufes vergleichbar machen sollte, dann würde ich ihn im Rahmen meiner Erfahrungen als eine noch anspruchsvollere Version der Harzquerung bezeichnen.

Ein Orientierungsläufer wird aus mir wohl nicht mehr. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Herausforderung besteht darin, auf dem Track zu bleiben. Das bedeutet des Öfteren: Stehenbleiben oder Umkehren, wobei letztes mit zunehmender Dauer der Veranstaltung immer unangenehmer wird. Doch die Navigationsprobleme (Achtung: Kalauer!) gipfeln auf dem Drachenfels. Dort vollführt der Track eine Schleife, die einem Mitstreiter offenbar zur Endlosschleife geraten ist. Er irre schon seit fünf Minuten hier oben herum, teilt er mir mit, als ich ihn aus der Zeitschleife befreie. Gemeinsam eilen wir zum Gipfel. Dann folgt eine lange, asphaltierte Abwärtspassage. An deren Ende ist der erste Halbmarathon gefinisht, und ich bin plötzlich allein. Vor und hinter mir wird bis zum Ziel niemand mehr zu sehen sein.

Archivbild: Am Drachenfels bei besserem Wetter
Die wenigen Wanderer staunen nicht schlecht, dass ihnen, den Pudelmütz-Bewehrten und Schal-Umwickelten, jemand in kurzen Hosen begegnet. Und je mehr sich die Erschöpfung meines Körpers bemächtigt, umso mehr bereue ich, nicht noch ein Kurzarm-Shirt über das Langärmlige gezogen zu haben. Bei geschätzten fünf Grad bleiben die Hände trotz der Handschuhe bis ins Ziel kalt. Die zum Heizen nötige Energie führe ich mir in Form von drei Gels, zwei Gel-Chips und einem Liter Iso zu. Zusätzlich geht noch ein Liter Wasser von der Trink- in meine Blase über. Die gesamte Nahrung ist Bestandteil meiner Ausrüstung. Verpflegungstellen gibt es, abgesehen von den Ausflugslokalen, nicht.

Nach 25 Kilometern sehe ich erstmals bewusst zur Uhr. Erschrocken erkenne ich, dass ich schon seit drei Stunden unterwegs bin! Ein Finish unter sechs Stunden dürfte damit schwer werden. Dabei hegte ich ursprünglich die leise Hoffnung, in die Goldwertung zu gelangen, hatte ich doch schon 50-km-Läufe in weniger als fünf Stunden beenden können. Für eine solche Zeit versprach die Ausschreibung die goldene Drachenmedaille. Geschafft hatte das bei der Premiere im Vorjahr allerdings niemand. Bis fünfeinhalb Stunden gibt es Silber und bis sieben Stunden und fünfzehn Minuten Bronze. Danach erfolge keine Wertung mehr, ließ uns der Hexer vor dem Start wissen.

Archivbild: Unterwegs im Siebengebirge
Einsam bahne ich meinen Weg durchs Gehölz. Im Geiste höre ich des Hexers mahnende Worte: "Versucht immer wieder, in den Laufschritt zu kommen!" Obwohl ungezählte Male herrliche Fotomotive locken, scheue ich die Zeitinvestition. Außerdem möchte ich den Handy-Akku zugunsten der Navigationsfunktion schonen. Nur ein einziges Bild kann ich mir abringen. Als ich an einem Gipfelanstieg selbst beim Gehen pausieren muss, nutze ich eine der Zwangspausen dann doch zum Fotografieren. Enttäuschenderweise sieht man, wie so oft, dem Bild die Steilheit kaum an.

Das einzige Unterwegsfoto - Ich schwöre, es war ganz sehr steil!
Und irgendwann geht es wieder einmal bergab. Doch jetzt ist es das letzte Mal! Noch nie habe ich mich so gefreut, entlang befahrener Straßen über Auto- und Eisenbahnbrücken zu laufen. Ich bin endlich in Bonn! Entlang des Rheins kann ich die Pace sogar noch ein wenig drücken. Wo ist das Ziel? Wo ist dieses verfluchte Ziel? Da, das ersehnte "Haus am Rhein"! Gefinisht wird tatsächlich in der Kneipe! Ich stolpere gerade die Stufen hoch und zur Tür herein, als der Erstplatzierte frisch geduscht seine Nudeln ordert. Er war schon nach 5 Stunden und 17 Minuten hier. Damit geht Silber an den Sieger, und die Drachenmedaille in Gold bleibt auch in diesem Jahr unvergeben. Die ersten Bronze-Plätze erringen die beiden Herren, die ich unter der Dusche treffe. Sie teilen sich den zweiten Platz mit einem gemeinsamen Einlauf nach 5 Stunden und 42 Minuten. Meine 6 Stunden und 5 Minuten bedeuten somit Platz Vier. Ob die vorhergesagten 30 Läufer ins Ziel gekommen sind? Ich weiß es nicht. Bis zu meiner Abreise ist niemand mehr erschienen.

Dieser Lauf erwies sich als weitaus schwieriger, als von mir erwartet. Zum Vergleich: ich war langsamer unterwegs als beim doppelt so langen Thüringen Ultra! Ebenfalls überrascht war ich von der ausgesucht trailigen Wegführung. Nach dieser fordernden Aktion blicke ich mit ein wenig Sorge auf den Trailwettkampf in zwei Wochen, der mit 57 Kilometern und über 2000 Höhenmetern noch etwas anspruchsvoller auszufallen scheint.

Samstag, 7. März 2015

„Tempo raus“ – das neue Buch von Knut Knieping


Knut Knieping hat ein Problem – ein Luxusproblem. Er war nämlich früher richtig schnell. Früher. Delektierte er sich damals am - seinem ersten Buch namensgegebenden - „Temporausch“, so nimmt er, mittlerweile in der M45 angekommen, zwangsweise „Tempo raus“.

Weniger ist manchmal mehr. Und was für die Geschwindigkeit gilt, setzt Knieping auch beim neuen Buchtitel adäquat um. Zwei Buchstaben weniger genügen seiner Sprachbegabung, um das neue Trainingsdiktat auszudrücken. Das weckt die Lust auf das weitere Lesevergnügen.

Beruhigt stellt der laufsüchtige Rezipient fest, dass er mit den Schwierigkeiten, die Anforderungen von Familie, Beruf und Training in den Alltag zu integrieren, nicht allein ist. Alltagswege werden laufend absolviert, die Mittagspause dient dem Training, und im Büro wird das Internet nach dem nächsten Wettkampf durchforstet. Das alles kommt manchem Hobbyathleten vermutlich sehr bekannt vor. Und wer hat nicht schon an den unmöglichsten Orten seiner Lauflust gefrönt? Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut daran, wie ich nach einem Langstreckenflug zwischen Hangars und Öltanks auf einem Flughafengelände meinem Bewegungsdrang vor der Weiterreise nachgab.

Doch der Autor vermag es, diese manchmal grenzwertigen – Aktionen des ambitionierten Läufers in lesenswerte, humorvolle Anekdoten zu verwandeln. Das ist seinem einzigartigen Sprachgeschick und Wortwitz zu verdanken. Schon das Erstlingswerk beeindruckte in dieser Hinsicht. Der Nachfolger erfreut den Freund der deutschen Sprache nahezu als ein einziges, großes Wortspiel.

Und so erleben wir, wie der gutsituierte Anwalt, der güldene Spiegel zum Sperrmüll gibt, in Altkleider gewandet durch Düsseldorf trabt. Wir sind dabei, wie er in Afrika dem Leoparden entflieht, oder wenn er Trainingsrunden in einem Kellerverlies dreht. Letztlich nimmt der ebenfalls dem Lauffieber verfallene Leser fast schon erleichtert zur Kenntnis, dass das Buch eine Wendung nimmt, und es zu einem Wiedersehen mit einem alten Bekannten kommt - dem „Senior Velociraptor“!

Der Verlag gab mir Gelegenheit, eine Vorab-Version des Buches zu lesen. „Tempo raus“ von Knut Knieping erscheint am 20.3.2015 im Sportweltverlag.

Sonntag, 1. März 2015

Winterlaufserie Duisburg 2015 - 15 km

Relativ unmotiviert stehe ich am 28.2.2015 am Start zum zweiten Lauf der Duisburger Winterlaufserie. Mehr als ein Tempolauf wird nach der Vorbelastung nicht drin sein. Immerhin ist das Wetter mit acht Grad und etwas Sonne optimal, wenn man vom kräftigen Wind absieht. Da es nach meinem Debüt auf dieser Distanz vor sechs Jahren erst mein zweiter Start über 15 Kilometer ist, dürfte trotz allem eine Bestzeit drin sein. Damals hatte ich eine gute Stunde gebraucht. Heute würde ich ganz gern unter dieser Zeit, idealerweise sogar unter einer Stunde bleiben.

Die Sportarena neben dem Start
Noch nie war ich so perfekt platziert. Ohne großartige Überholmanöver bewege ich mich ab dem Schuß mit dem Feld voran. Vor mir läuft ein Triathlet, der beim Neujahrslauf deutlich schneller als ich im Ziel war. Ich ernenne ihn heimlich zum Tempomacher und keuche schon auf dem ersten Kilometer. Dabei laufen wir gerade mal eine Pace von 3:53 min/km. Das kann ja was werden!

Die meisten Mitstreiter folgen dem Herdentrieb und laufen der Masse hinterher. Ich versuche, die Ideallinie zu finden und schneide die Kurven. Dabei laufe ich wohl jemanden vor die Füße, der mit einem "Hallo!" auf sich aufmerksam macht. Nichts passiert. Alles gut. Denke ich. Er überholt mich, läuft eine Weile vor mir her, dreht sich dann um und fängt an, mich zu belehren, wie ich zu laufen hätte. Mein Tempomacher findet: "Bis zum Ziel ist es ja noch ein Stück. Bis dahin haben wir uns bestimmt wieder alle beruhigt!"

Jetzt, wo er mir gerade so sympathisch geworden ist, fängt er an zu schwächeln. Er kann das Tempo nicht mehr halten, während ich langsam in den Lauf finde. Da muss ich wohl selber führen. Leider ist das Feld inzwischen weggelaufen, so dass ich mich allein um mein Tempo kümmern muss. Es kommt, wie es kommen muss. So um die Hälfte herum zeigt die Uhr Zwischenzeiten über vier Minuten. Anstatt am Verpflegungspunkt etwas aufzunehmen, werfe ich dort Ballast ab - in Form der Handschuhe, mit denen ich meine kurz-kurze Bekleidung komplettiert hatte.

So richtig hilft das nicht, denn nun wartet die Strecke sogar mit ein paar ganz leichten Höhenmetern auf. Bei Kilometer Zehn erinnere ich mich, dass ich dort bei meinem ersten 15-km-Lauf eine 40er Zwischenzeit stoppte. Offenbar war ich damals gut drauf. Denn es sollte danach noch sehr lange dauern, bis ich mir so eine Zeit auch mal auf eine 10-km-Urkunde drucken lassen konnte.

Heute bin ich ganz knapp unter 40 Minuten und werde von einem Duo überholt. Eins ist klar. Ich muss jetzt an den beiden dran bleiben, wenn ich unter einer Stunde bleiben will! Ich hechele bis Kilometer Zwölf hinterher. Dann kommt die Motivation zurück. Nur noch drei Kilometer, Mann! Ich lasse die beiden hinter mir.

Dann wird ein vertrautes, orange-rotes Hemd mit markantem Aufdruck sichtbar. Sein Träger hatte mich in der Endphase des Neujahrslaufs abgehängt. Die Scharte hatte ich dann beim ersten Wettkampf der Winterlaufserie auswetzen können. Auch da kam er in der Endphase vorbei. Doch im Schluss-Spurt hatte ich das korrigieren können. Heute hatte er mich schon sehr zeitig überholt. Ich hatte es als Zeichen meiner schlechten Tagesform genommen. Doch, heh, jetzt bin ich wieder dran!

Ich werde von einem Zwei-Meter-Mann überholt und hänge mich in seinen Windschatten. Gemeinsam ziehen wir an Orange-Rot vorbei. Ich fädele vor ihm wieder ein. Und spüre eine schiebende Hand im Rücken. Ja, bin ich denn heute wirklich so ein rücksichtsloses Trampeltier? Tut mir leid, Leute!

Am Eingang ins Stadion
Ich gebe jedenfalls mein Bestes, um Platz zu schaffen, kann aber an dem Großen nicht dran bleiben. Überhaupt ist es wohl etwas früh für einen Endspurt gewesen. Denn kurz nach Kilometer 14 taucht Orange-Rot im Augenwinkel auf. Es hilft nichts, da muss ich mich wohl noch ein bisschen quälen.


Eine halbe Stadionrunde bis ins Ziel

Orange-Rot ist Geschichte. Es geht ins Stadion. Hier mache ich bis zur Kurve noch zwei Plätze gut. Dann kommt die Zielgerade, wo ich das Tempo ein wenig anziehe. Damit handele ich mir ein "Sack!" ein, als ich erneut überhole. Wenn ich das Tempo hielte, könnte ich sogar auf den allerletzten Metern noch einen Platz in der Rangliste aufrücken. Ja, wenn. Ich muss runter vom Gas. Heute ist nichts mit "Rockstar". "Alternder Rockstar" vielleicht. Immerhin bleibt mir eine halbe Minute Vorsprung auf meine persönliche Maximal-Zielvorgabe. Da muss man auch mal zufrieden sein.

Zieleinlauf