Mittwoch, 23. August 2023

Dresdner Nachtlauf

Zieleinlauf bei Nacht und (Bühnen-)Nebel
Dieser Lauf ist für mich ein weiterer Meilenstein, denn er führt mit 11,5 km über die längste Wettkampfdistanz seit meiner Verletzung!

Zur Startzeit um 20 Uhr herrschen schwüle 26 Grad, so dass ich bereits nach dem Einlaufen durchgeschwitzt bin und nass im Starterfeld stehe. Dort fällt mir auf, dass die Läufer um mich herum alle ein durchsichtiges Plastikarmband tragen, in dem auch ein Batterie zu sehen ist. Mist, habe ich vergessen den Zeitnahme-Chip aus dem Startbeutel anzulegen? Ein kurzer Check der Startnummer zeigt aber, dass der Chip dort integriert ist. Dann ertönt auch schon das Startsignal. Und es passiert: nichts!

Nach vielen Minuten dringe ich doch noch zum Startbogen vor und sehe, dass dessen Öffnung mit Absperrgittern künstlich auf ca. 2 m Breite verjüngt wurde. Vermutlich soll das dazu dienen, dass nicht zu viele Läufer zugleich auf den Elberadweg entlassen werden, der ebenfalls nicht breiter ist.

Wie sich herausstellt, gelingt das nur mäßig. Demütig, wie ich inzwischen geworden bin, hatte ich mich etwas zu defensiv im Starterfeld platziert. Das hat nun zur Folge, dass ich permament überhole. Zum einen ist das natürlich ein geiles Gefühl. Zum anderen ist es aber nur möglich, wenn ich neben der Strecke durch die Wiese renne. Als alter Trailrunner stelle ich mich dieser Herausforderung. Ein paar Meter vor mir tut es mir ein junger Mann in Schwarz gleich. Außerdem läuft er mit ähnlicher Geschwindigkeit und gerät mir so zum Zugpferd.

Ich hatte kein gezieltes Tempotraining betrieben. Die späte Startzeit und die hohe Temperatur bei gleichfalls hoher Luftfeuchte schienen mir ebenfalls nicht vernachlässigbar. Also lautet der Plan, eine Pace zwischen 4:30 und 5:00 zu erreichen. Somit bin ich hochzufrieden, als sich die Pace konstant bei 4:34 einpegelt. Ich bin zuversichtlich, das so ins Ziel zu bringen und laufe durchweg im Flow und überhole und überhole. Dabei beherzige ich eine DLV-Regel, die ich vormals dem Trainer meines Sohnes abgelauschte: was nicht abgesperrt ist, gehört zur Strecke. Also folge ich möglichst der Ideallinie.

Nur mein Rappe (das "schwarze Zugpferd") kommt trotzdem nicht näher. Doch was macht er, als wir uns dem Wendepunkt am Blauen Wunder nähern? Er scheut! Bleibt einfach stehen und trinkt! Muss ich mir eben ein neues Pferd oder einen Hasen suchen. Und so scanne ich die diversen Rückansichten der entsprechenden Aspiranten. Ich finde kein neues Leittier, stattdessen werde ich auf eine Reise durch die Stationen meines bisherigen Lebens mitgenommen. Da läuft einer im Shirt eines Vereins aus Chemnitz, wo ich einst studierte. Ein anderer weist sich als Kanupolo-Spieler in Glauchau aus. Dort paddelte ich als Kind auf dem Stausee, wo ich Kanurennsport trainierte. Nur hieß der Verein damals noch "BSG Chemie Glauchau", wobei BSG für Betriebssportgruppe stand. Kanupolo wurde erst nach der Wende ins Vereinsprogramm aufgenommen. Vorher lag der Fokus auf der Nachwuchsbildung neuer Olympiakader, was mich beinahe auf eine Sportschule gebracht hätte, wenn meine Eltern nicht zu Gunsten einer eher wissensbasierten Bildung interveniert hätten. Einer läuft sogar im Finisher-Shirt vom Venloop, dessen einzigartige Stimmung ich innerhalb meiner 23 Jahre dauernden Zeit im Düsseldorfer Exil genießen durfte.

Die ungünstig beleuchtete Damenumkleide
Während meiner Retrospektive ist die Dunkelheit hereingebrochen, was hier etwa eine Stunde früher passiert als im kürzlich verlassenen oben genannten Exil. Und damit klärt sich die Funktion der durchsichtigen, batteriebetriebenen Armbänder. Sie leuchten im Dunkeln! Nach dem Überqueren der Waldschlösschenbrücke, deren Bau dem Dresdner Elbtal seinen Status als UNESCO-Weltkulturerbe gekostet hat, steigt die Stimmung an der Strecke. Der Weg ist nun mit lauter brennenden Feuertöpfchen markiert. Zusätzlich sind die Kronen der Allee-Bäume entlang des Rosengartens bunt illuminiert. Und extra aufgebaute Lichttunnel werden durchquert. Woanders trommeln Sambabands. Die Zuschauer, die bisher nur auf "ihren" Läufer gewartet hatten, feuern jetzt alle an, so dass mir nicht nur eine Laola zuteil wird, sondern auch noch mein Nachname erklingt. Ich muss wohl das Meldeformular falsch befüllt haben. Jedenfalls bin ich der einzige, der statt des Vornamens seinen Nachnamen auf der Startnummer ins Ziel trägt.

Diesmal gelingt mir sogar ein Endspurt. Rundherum zufrieden empfange ich die Medaille und genieße in einem Liegestuhl das gekühlte Finisher-Bier. Dass ich früher in der Pace von 4:34 einen ganzen Marathon laufen konnte, blende ich aus und erfreue mich am 166. Gesamtplatz von 1240 Startern und dem 14. Platz innerhalb der 148 Läufer der M50.

Nachzielbereich


Dienstag, 1. August 2023

Prießnitzgrund Parkrun

 

Seit meiner letzten Teilnahme Ende 2019 ist der Dresdner Parkrun umgezogen. Nun wird von der Neustadt in den Prießnitzgrund und zurück gelaufen. Die Naturschutzbehörde hatte Einwände gegen die bisherige Austragungsstrecke in den Elbwiesen. Letztlich ist die neue Lokation ein Gewinn für die Teilnehmer. Denn die crossige Strecke am schattigen Ufer der Prießnitz ist ein Genuss. Darüberhinaus sind die Möglichkeiten zur anschließenden Wiederbefüllung der Kohlehydratdepots in der Dresdner Neustadt überaus vielfältig. Übrigens gehört ein gemeinsames Frühstück nach dem Lauf mit zum angebotenen Programm.

Am Start sind verschiedene Nationen vertreten, sogar aus Australien kommen zwei Teilnehmer. Die Holländer machen in der Sächsischen Schweiz Urlaub und sind extra morgens mit der S-Bahn aus Bad Schandau angereist. Sie haben schon ein Sightrunning vom Hauptbahnhof zur Neustadt hinter sich und brauchen keine Erwärmung mehr. Ich hingegen absolviere ein Aufwärmprogramm, wie ich es von meinen Trainern, Physios und Osteopathen eingetrichtert bekam. Meine Lektion habe ich ja auf die harte Tour gelernt. Nur ein weiterer Mitstreiter läuft sich warm und wird von mir als Aspirant für die vorderen Plätze wahrgenommen.

Kurz nach dem Start sortiert sich das Feld. Ein junger Athlet in grau stürmt voran, wobei er sich immer wieder nach Verfolgern umsieht. Ihm heftet sich der Warmläufer an die Fersen. Beide entschwinden schnell meinem Blick. Ich liege also auf Platz Drei. Das würde ich natürlich gern so ins Ziel bringen. Also versuche ich das Tempo zu halten. Im schwülwarmen Bachtal kämpfe ich mich voran. Allein die Luftfeuchtigkeit ließe mich triefen, wenn ich nicht zusätzlich viehisch schwitzen würde. Es geht auf ausgeschwaschenem Fahrweg zwischen den Pfützen des nächtlichen Regens im sandigem Grund ganz leicht ansteigend (20 Hm sagt die Uhr) bachaufwärts bis zum Wendepunkt. Schon weit vor diesem kommen mir die beiden Sieg-Konkurrenten entgegen. Grau applaudiert mir mit hochroten Kopf. Direkt dahinter folgt vergleichsweise entspannt der erfahrene Warmläufer. Nach meinem Eindruck läuft er strategisch auf Sieg, ohne sich um seine Zeit zu scheren.

Endlich erreiche auch ich die Wendemarke, nur um kurz darauf festzustellen, dass mir ein junger Asiate bedrohlich nahe gekommen ist. Der ganze Rückweg ist davon geprägt, nach und nach einzusehen, dass ich das Tempo im Falle eines Angriffs keinesfalls werde steigern können. Ja, ich muss sogar kurzzeitig die Geschwindigkeit reduzieren, um Kräfte für den Endspurt zu sammeln. Und so kommt dieser furchtbare Moment, in dem sich die Antilope eingestehen muss, dass sie sich dem Löwen ergeben muss und sich gleich fressen lassen wird. Ich höre die Schritte hinter mir. Und schon zieht der Asiate vorbei. Ich entschuldige meinen ausbleibenden Widerstand mit seiner Jugend und trotte die letzten 500 m weiter Richtung Ziel, wo ich mich kurz vorm Einlauf noch einmal für einen kleinen Endspurt aufbäume.

Erwartungsgemäß hat der Warmläufer gewonnen. Unisono berichten alle Finisher von ihren Schwierigkeiten mit der Schwüle. So nehme ich die 22:01 recht gelassen hin und verbuche die Aktion unter Tempotraining. Wenn man den Untergrund und die Witterung mit betrachtet, sind die 9 sec mehr als bei der Rewe-Team-Challenge neulich ganz passabel.

Die Ergebnisliste des Parkruns bietet aber noch mehr Möglichkeiten zum Schönrechnen. Man kann sie nach der alterskorrigierten Leistung sortieren lassen. Und schwupps, schon liege ich wieder auf Platz Drei! 


PS: Die World Masters Athletics (WMA) veröffentlicht jährlich Alterskorrekturfaktoren. Wer seine Leistung damit vergleichbar machen möchte, findet hier die Tabelle für 2023.

Freitag, 16. Juni 2023

Rewe-Team-Challenge

Blick von der Carolabrücke zur Albertbrücke
Mit Fußball habe ich nichts am Hut. Trotzdem gehe ich ins Stadion von Dynamo Dresden. Dort ist nämlich die Kleiderbeutelabgabe und das Ziel der Rewe-Team-Challenge über 5 km.

Nach meinem Wettkampfdebüt in diesem Jahr war ich zuversichtlich, den Wiedereinstieg ins Laufgeschehen zu finden. Doch dann raffte mich eine corona-ähnliche Infektion für Wochen dahin. Und wieder musste ich ganz unten anfangen.

Trotz alledem habe ich es geschafft, nach vierjähriger Pause eine erste Intervall-Einheit im Stadion zu absolvieren. Die lief so gut, dass ich mir eine Pace von 4:15 als Idealziel für den Wettkampf definiert habe.

Rund 22500 Starter bevölkern die Dresdner Innenstadt. Obwohl der Start in Wellen durchgeführt wird, dauert es mehrere Minuten, um innerhalb der Welle bis zur Startlinie vorzudringen. Dann beginnt der Zick-Zack um die Läufer, die teilweise als Team in einer Reihe nebeneinander die ganze Strecke blockieren.

Der Kurs ist recht eckig (immerhin nicht rechteckig), Kopfsteinpflaster ist auch dabei. Dafür geht es am wunderschönen Dresdner Terrassenufer vorbei. Nur habe ich keinen Blick dafür. Der geht eher zur Uhr.  Meine Zwischenzeiten liegen stets etwas über meinem Idealziel. Ich schaffe es einfach nicht, so richtig in den Wettkampfmodus zu schalten. Weder finde ich jemanden, an den ich mich hängen könnte, noch kann ich mir die äußerste Quälerei abverlangen. Blutiger Geschmack in der Kehle, Schnappatmung, Schaum vorm Mund. Nichts davon mute ich mir heute zu.

Der Schlangenlinienkurs kurz vorm Stadion, der an die Flughafenabfertigung erinnert und offenbar nötig ist, um auf die Distanz zu kommen, ist meiner Motivation und der gewünschten Zielzeit auch nicht zuträglich.

Immerhin kann ich mich im Stadion zu einem Endspurt aufraffen. Auch hier blockiert wieder ein Team die ganze Breite des Kurses. Doch selbst wenn man mir heute Idealbedingungen gewähren würde, könnte ich nicht ans Äußerste gehen. Und so muss ich mit der erreichten Pace von 4:18 und einer Zeit von 21:52 zufrieden sein.

Offenbar verliert man die Wettkampfhärte, wenn man nicht mehr oft genug an einer Startlinie steht. Um dem abzuhelfen, habe ich mich direkt für den Dresdner Nachtlauf am 18.8.2023 um 20 Uhr über 11,3 km eingeschrieben.

Sonntag, 5. März 2023

(Neu-)Start beim Radebeuler Wintercross

Der neongrüne Zeit-Sensor im Ziel
 Drei Jahre voller Frust und Rückschläge liegen hinter mir. Zeit genug, um gefühlsmäßig vom Ultralaufen Abschied zu nehmen. Zwischen "Ich bin Utraläufer" und "Ich war Ultraläufer" lag ein schwerer mentaler Prozess. Dagegen schlägt die Transformation des Körpers vom Rippchen zum Rippchen mit Schwarte weit weniger ins Kontor.

Nun muss ich mir glücklicherweise in Bezug auf Distanzen und Geschwindigkeiten nichts mehr beweisen. Und so kann ich mich - frisch gehirngewaschen wie ich bin - daran erfreuen, überhaupt wieder Laufen zu können. Mittlerweile sind 3 Einheiten pro Woche und Umfänge von 5 bis 10 km wieder möglich. Ich habe sogar schon zarte Bande zur lokalen Laufszene geknüft und mich von einer ehemaligen Iron-Männin und Ultraläuferin zu gemeinsamen Bergsprints animieren lassen.

Und wie ich gestern so knappe 8 km durch den Ostflügel meiner neuen läuferischen Wohnstube - die Dresdner Junge Heide - trabe, treffe ich auf Gestalten, die Flatterbänder und Sprühkreide im Gelände verteilen. Es stellt sich heraus, dass nur 1 Kilometer von meiner tatsächlichen Wohnstube entfernt der Radebeuler Wintercross veranstaltet werden soll.

Das alte Lauffieber bricht spontan aus! Diese Gelegenheit, mir wieder Wettkampfluft in die Lunge zu pumpen, kann ich doch nicht auslassen. Noch näher geht es ja wohl kaum. (Dass der Start des Mt.-Everest-Treppenmarathons auch nur 2,5 km entfernt liegt, muss ich verdrängen, siehe oben.)

Die treuen Leserinnen und Leser werden überrascht sein, dass ich Vernunft walten lassen kann. Statt beim 8,7-km-Hauptlauf zu starten, melde ich mich für die 5,8 km an. Diese Distanz ist hier Frauen, jungen Männern und Herren jenseits der 60 vorbehalten. Alle anderen dürfen außer Konkurrenz dabei sein und werden in der Altersklasse "mVS" zusammengefasst. Möglicherweise steht die Abkürzung für "männlich, versehrte Senioren". Würde in meinem Fall jedenfalls passen.

Der Lauf ist ganz nach meinem Geschmack. Für schlanke 6 Euro kann man sich in einer Garage anmelden. Ein Kreidestrich am Waldrand markiert den Start. Immerhin gibt es Toiletten und eine Brutto-Zeitmessung per Transponder. Die Strecke führt über Waldwege, Single-Trails, feuchte Wurzeln und durch nassen Sand. Dabei sind 2 Runden zu absolvieren.

Den Startschuss verpenne ich im Gequatsche mit dem "Senior" neben mir. Egal, ich habe mich ohnehin dezent im hinteren Bereich des kleinen Feldes aufgestellt. Die Jugend entschwindet rasch zwischen den Baumstämmen. Ich versuche mich an einer 5er Pace und finde nach ein paar Überholvorgängen in einer Dame im roten Dress mit Werbung für den "Dresdner Laufsportladen", dem die schweren, gedämpften Trailschuhe an meinen Füßen entstammen, eine gute Tempomacherin.

Meine Tochter findet sich als Zuschauerin ein und ruft mir zu, ich sei "zweite Frau". Das gibt mir den Mut, auf der zweiten Runde sanft zu beschleunigen und die "Woman in Red" hinter mir zu lassen. Bestraft werde ich nun mit permanentem Keuchen in meinem Nacken. Ich wähne die Rote auf meinen Fersen. Immer wenn ihr Atemgeräusch lauter wird, versuche ich davor wegzulaufen. Auf dem letzten Kilometer hat sie mich weichgekocht. "Wenn sie jetzt angreift, kann ich mich nicht mehr wehren!", meldet der wunde Kopf. Es ist dieser Moment, wenn die Antilope weiß, dass sie dem Löwen nicht länger entfliehen kann und sich in ihr Schicksal ergibt. Doch meine Löwin kommt nicht!

Dann biegen wir auf die asphaltierte Zielgerade. Überrascht von deren unerwarteter Länge, kann ich mich noch nicht zum Endspurt aufraffen. Im Gegensatz zur Verfolgerin! Statt des erwarteten roten Leibchens strebt ein auffälliger Blondschopf (die Löwenmähne!) dem Ziel und dem Gesamtsieg der Damenwertung entgegen. Offenbar hat sie sich mit strategischem Geschick von hinten durch das Feld gearbeitet. Immerhin ist das hier der Auftakt zur Serie der Stadtmeisterschaften. Vier Sekunden nach ihr halte ich meinen Transponder an den Sensor.

Trotz des verlorenen Zweikampfes war der letzte Kilometer der schnellste. Und mit der Gesamt-Pace von 4:30 darf ich wohl auch zufrieden sein. Immerhin hat es für die Top Ten gereicht! Davon abgesehen, war es herrlich zu spüren, dass doch noch Leben in dem maroden Kadaver steckt.

Folgerichtig ist dann wohl die nächste Station der Oberelbemarathon. Da gibt es laut Ausschreibung nämlich auch eine 5-km-Distanz.

Montag, 26. September 2022

Zugspitze

Gipfelgrat und -kreuz
Neulich wurde das Pulsmesser auf offener Straße von einem weiblichen Fan erkannt und bedrängt! Na gut, die Dame war hier schon Subjekt der Berichterstattung. Insofern war das Erkennen nicht so schwierig. Und in Bedrängnis geriet ich nicht körperlich, sondern weil der Wunsch nach Fortsetzung des Blogs geäußert wurde. Aber worüber berichten, wenn keine extremen Laufabenteuer mehr durchgestanden werden?

Inzwischen habe ich die Besteigung der Zugspitze vorzuweisen. Das könnte eine Nachricht wert sein. Immerhin war ich mir völlig im Unklaren darüber, ob das Vorhaben überhaupt mit meiner aktuellen Verfassung in Einklang zu bringen sei. Im Internet fanden sich Aufstiegszeiten zwischen 8 und 10 Stunden für die Route von Garmisch durch das Reintal. So lange war ich seit dem letzten Ultra nicht mehr draußen unterwegs. Auf der Strecke sind 22 km und 2200 Hm zu absolvieren. Solche Distanzen kann ich inzwischen wieder wandern, doch diese Menge an Höhenmetern hatte ich dabei auf meinen Touren in der Sächsischen Schweiz (die ich ja jetzt vor meiner neuen Haustür habe) bisher nicht erreicht. Gelegentliche Feierabend-Besuche an der Spitzhaustreppe möchte ich noch nicht Training nennen. Aber die bloße Existenz des Bauwerks hält die Sehnsucht nach früheren Zielen aufrecht.

Das jüngste - wenn auch inzwischen volljährige - Pulsmesserchen hat sich zur ausgewachsenen Triathletin auf Landes-Liga-Niveau entwickelt und braucht auch im Urlaub sportliche Herausforderungen. Daher wollen wir uns gemeinsam zu Deutschlands höchstem Gipfel aufmachen. Dabei gilt es, den potentiell zehnstündigen Aufstieg irgendwie mit der Öffnung der Partnachklamm um 8:00 Uhr und der Abfahrt der letzten Seilbahn vom Gipfel um 17:45 Uhr in Einklang zu bringen. (Es gibt quasi einen Startschuss sowie ein Cut-Off im Ziel.) Außerdem sei noch eine weitere Stunde auf dem Gipfel für das Schlangestehen zum Gipfelkreuz einzuplanen, lässt uns Pulsmesser Jr. wissen, der die Tour ein Jahr zuvor in 6:39 h hinter sich brachte.

Wir zerschlagen den Gordischen Knoten, indem wir die Partnachklamm über die Partnachalm umgehen. Das bedeutet zwar noch mehr Höhenmeter, erlaubt uns aber den Aufbruch um 7 Uhr, so dass wir ohne stressigen Blick zur Uhr genussvoll wandern können und die Wege morgens für uns allein haben.

Nachdem wir zwei Stunden unterwegs sind, motiviert uns ein Wegweiser mit der Auskunft "Zugspitze 8h". Nach etwa drei Stunden haben wir das Reintal durchschritten und beginnen den Aufstieg. Das Fiese an der Tour ist, dass die Route immer anspruchsvoller wird, je erschöpfter man bereits ist. Der Anstieg wird stetig steiler. Das Ganze "gipfelt" dann beim Sonnalpin in einem Schotterfeld. Nach zwei mühsam bergauf gekraxelten Schritten rutscht man wieder einen Schritt zurück. Unterwegs hatte meine Tochter die philosophische Frage aufgeworfen, warum man sich solche Quälereien antue. Überrascht gab ich zurück, dass der Tag für mich eher Genuss als Qual bedeute. Doch hier ist für mich klar der Punkt erreicht, an dem es keinen Spaß macht. Letztlich ist diese Passage aber überraschend schnell vorbei und es folgt das seilversicherte Finale zum "Gipfelaufbau", den wir nach 7:40 h erreichen.

Blick zum Eibsee
Dieser Aufbau ist von Menschenhand geschaffen. Man betritt die Plattform über eine Treppe, die mehr oder weniger direkt zum Bratwurststand führt. Immerhin sind Wegweiser zum Gipfel im Dachbereich der Infrastruktur angebracht. Überraschenderweise muss man dahin zunächst eine Treppe nach unten nehmen, die letztlich zum Einstieg in die leichte Kletterei zum Gipfel führt. Ab dort heißt es geduldig Schlange stehen, da der Gegenverkehr vom Gipfel erst abgewartet werden muss. Von der anderen Seite führt aber noch ein Klettersteig zum höchsten Punkt Deutschlands. Dadurch scheint der Strom der Entgegenkommenden niemals zu enden.

Irgendwann bin ich zum Grat vorgedrungen und habe die Nase voll. Hier ist die höchste Stelle. Die weitere Warterei, bis jeder sein persönliches Selfie vorm Gipfelkreuz geschossen hat, wird mir zu viel. Ich breche an dieser Stelle ab. Während der Nachwuchs das Kreuz auf sich nimmt,  weiter zum Kreuz vorzudringen, gönne ich mir ein alkoholfreies Bier im sonnigen Biergarten. Ich hatte mit Gipfel-Nepp gerechnet, nehme aber erstaunt zur Kenntnis, dass die goldene Flüssigkeit einen Euro weniger kostet als auf der Rauensteinhütte in der Sächsischen Schweiz. Die Zeiten, in denen im Osten Deutschlands die Lebenshaltungskosten niedriger waren, sind wohl vorbei.

Dank der langen Trockenheit ist kaum Feuchtigkeit in der Luft. Die Bergsicht ist einfach unübertroffen und atemberaubend. Erst hier am Gipfel kann man sie voll genießen, da man während der Wanderung ständig von den steilen Wänden der umliegenden Bergmassive umgeben ist.

Der Rücktransfer ist anfangs noch ganz spannend, wenn es mit der riesigen Gondel (man stelle sich drei parallele Linienbusse vor), deren Seil unterwegs nur einmal abgestützt wird, zu Tal geht. Unterwegs sieht man die in den Fels geschlagenen Höhlen, in denen die Erbauer der ersten Seilbahn lebten. Mittlerweile gibt es wohl auch eine geführte Klettersteigtour zum Gipfel, die diese Höhlen zeigt. Im Tal zeigt sich jedoch, dass die Zahnradbahn, in die umgestiegen werden muss, nicht in der Lage ist, die per Seilbahn herangeschafften Massen zu transportieren. Wir verlieren hier etwa 45 Minuten, da man uns in den nächsten Zug nicht hineinlässt, der übernächste aber schon voll ankommt. Schließlich ist noch ein Fußmarsch vom Bahnhof zum Auto zu absolvieren, so dass wir letztlich rund 13 Stunden auf den Beinen waren.

Ein grandioses Bergerlebnis geht zu Ende, dass ich nicht missen möchte, wegen der Transfer-Thematik aber so nicht wiederholen würde.

Ein Schild unterwegs


Sonntag, 3. April 2022

Am Boden


Wandern ist wieder möglich
Als ich aufstehe, fängt alles an sich zu drehen. Ich verliere das Gleichgewicht, vielleicht auch kurz das Bewusstsein, und schlage lang auf den Boden. Unfähig aufzustehen, rufe ich um Hilfe. Glücklicherweise ist auch die Pulsmesserin im Home-Office. Nach einer Weile gelingt es ihr, mich aufzusetzen. Später schaffe ich es sogar zurück ins Bett. Die Deckenlampe kommt regelmäßig über mir vorbeigefahren. Mir wird übel. Ich schiebe Panik, bin kreideblich und schweißnass. Die Pulsmesserin ruft den Notarzt. Der ist Minuten später zur Stelle. Nachdem erste Untersuchungen Herzinfarkt und Schlaganfall ausschließen, bleibt als einzige Sorge der niedrige Puls. Der Arzt bestaunt die vielen Medaillen an der Wand, schreibt "Leistungssportler" in den Bericht und erklärt so auch die Herzfrequenz. 

Und das obwohl ich seit fast 2 Jahren keinen richtigen Sport mehr mache. Im Sommer konnte ich schon wieder knappe 20 km mit nur leichten Beschwerden wandern. Zum Jahresende wurde ich mutiger und begann zu laufen. Ich steigerte mich schnell auf vier Kilometer, da ich unterwegs keine Schmerzen spürte. Dann zwickte der Rücken. Und urplötzlich ereilten mich auf der Couch wieder diese extrem schmerzhaften Adduktorenkrämpfe. Diesmal mied ich alle Ärzte. Bewegungsverbot kann ich mir auch selbst auferlegen. Und die Übungen vom Physio kenne ich mittlerweile auswendig. Doch es war ein emotional harter Winter, bis ich so weit schmerzfrei war, diese wieder aufnehmen zu können.

Und jetzt falle ich plötzlich einfach so um?! Die Notärzte vermuten einen Infekt. Da könne der Körper schon einmal so reagieren. Sie fahren mich in die Notaufnahme. Dort werde ich nach 2 Beuteln Infusion mit dem Ratschlag entlassen: "Wenn es Ihnen wieder schwindlig wird, schnell hinlegen, damit Sie sich nicht beim Fallen verletzen!" Ich verschlafe den restlichen Tag.

Mir kommt der Verdacht, dass so ein jahrelang entzündetes Schambein vielleicht so seltsame Reaktionen im Körper hervorrufen könnte. Ich lasse mich eine Woche krankschreiben und durchchecken. Die Blutwerte sind dank der Einnahme von Vitamin D3 und Eisen tiptop. Es finden sich auch keine Entzündungsmarker. Herz, Aorta, Schilddrüse und Blutdruck geben ebenfalls keinen Anlass zur Besorgnis. Und das MRT zeigt, dass die Schambeinentzündung auf etwa 50% abgeklungen ist. Nach fast zwei Jahren. Immerhin, ich bin also auf dem Weg der Genesung.

Nach 10 Tagen fühle ich mich wieder besser. Schwindlig wird mir auch nicht mehr. Dann wird es wohl doch ein Infekt gewesen sein.

Sonntag, 2. Mai 2021

Ernüchterndes Ergebnis der "Funktionell-orthopädischen Diagnostik"


 Der schwarze Vorhang schließt sich, und ich stehe im Dunklen. Dann blitzen rote Laserstrahlen in allen Ecken auf. Motoren surren und lassen Kameras und Sensoren auf und ab fahren. Ich werde von Kopf bis Fuß gescannt.

Anschließend rasieren mir junge, schöne Frauen die Beine. Allerdings nur punktuell, denn ich werde bis zur Hüfte mit Sensoren beklebt. Diese kommunizieren per Bluetooth mit dem Rechner, an dem die schönen Frauen nun Platz genommen haben, um mir am Bildschirm mein Alter Ego als 3D-Modell zu präsentieren. Zusätzlich werde ich aus verschiedenen Perspektiven gefilmt. Und dann kommt der Moment, auf den ich so lange gewartet habe. Ich darf laufen!

Auf einer lächerlich kurzen Pendelstrecke renne ich durch das IFD, das Institut für Funktionelle Diagnostik in Köln. Trotz dieses Umstands stellt sich nach kurzer Zeit jenes fast vergessene Gefühl ein, das Laufen in mir auslöst. Allein dafür hat sich die Analyse schon gelohnt.

Später muss ich noch über sensitive Platten gehen, um meinen Fußabdruck zu analysieren. Und die Maximalkraft meiner Abduktoren und Adduktoren wird ermittelt.

Eine Woche später treffen sich die jungen, schönen Frauen wieder mit mir. Es stellt sich heraus, dass sie einen Master-Abschluss in Sport Technologie haben. Ich bin erstaunt, was für vielfältige Studienmöglichkeiten es gibt. Ob die Damen bei der Studienwahl allerdings geahnt haben, dass Beinrasur zu ihrem künftigen Tätigkeitsfeld gehören wird? Auch der Arzt ist bei unserem Stelldichein mit dabei, so dass eine direkte Kommunikation möglich ist. Nach dem ganzen Orakeln über unscharfen MRT-Bildern betrachte ich das als großen Fortschritt.

Bei der gemeinsamen Auswertung erfolgt die Ernüchterung. Ich hebe den Fuß zu früh, so dass die Zehen keine Gelegenheit haben, vom Boden abzudrücken. Das rechte Knie dreht sich nach innen, was zusätzlichen Zug auf die Achillessehne gibt. Der Oberkörper pendelt nach rechts. In der Hüfte bin ich zu steif, so dass dort die Stöße nicht gedämpft werden. Die hintere Oberschenkelmuskulatur ist extrem verkürzt. Es mangelt an Rumpfstabilität und Kraft in den Adduktoren und Abduktoren. Dazu kommen noch Dysbalancen und eine schiefe Hüfte. Wie konnte ich nur jemals einen Fuß vor den anderen setzen!?

Nun baue ich mit dem Physio gezielt Stabilität auf. Von unten nach oben. Momentan sind wir bei den Füßen ... 

Trotzdem steht das Ziel, Mitte Juni am 5-km-Lauf teilzunehmen. Der Physio meinte, ich möge die ersten Laufschritte ganz sanft auf Tartan versuchen. Also habe ich heute mal geschaut, ob das Stadion überhaupt zugänglich ist. Tatsächlich konnte ich dort eine erste 400m-Runde laufen. Schmerzfrei!