Montag, 17. März 2014

Königsforst Marathon 16.3.2014


Es geht zu Ende. Alle Schmerzen fallen plötzlich von mir ab. Ein langer, dunkler Tunnel. Dahinter ein gleißendes Licht. Ich strebe dem Licht entgegen, will in das Licht. In dem strahlenden Weiß warten freundliche Geschöpfe auf mich. Sie jubilieren und winken mir zu. Als ich endlich in das leuchtende Hell eintauche, applaudieren sie. Ich habe es geschafft und die Autobahnunterführung hinter mir gelassen. Die Zielgerade des Königsforst-Marathons 2014 ist erreicht!


Aus Naturschutzgründen stand es auf der Kippe, ob die Veranstaltung überhaupt noch durchgeführt werden kann. Mit strengen Auflagen und einem neuen Ausrichter gelingt es. Und so wird die 40. Durchführung gleichzeitig einen Premiere. Das macht sich schon bei der Anmeldung bemerkbar. Um 12 Uhr, der geplanten Startzeit für Halbmarathon und Marathon, sind die langen Schlangen an der Startnummernausgabe, die in einer Kfz-Halle der Bundesanstalt für Straßenwesen untergebracht ist, noch nicht abgearbeitet. Dort treffe ich auf Ralf, der heute die halbe Distanz hinter sich bringen möchte. Wir wollen gemeinsam im 4:30er Schnitt laufen. Auch bei meinem Ratinger Rundlauf am 31.3. will Ralf mich begleiten. Und noch ein Bekannter klopft mir überraschend auf die Schulter. Stefan aus dem Trailrunning-Camp hat den weiten Weg aus Hessen auf sich genommen, um heute im Königsforst einen Halbmarathon zu laufen. Klein ist die Läuferwelt!

Und groß ist das Starterfeld. Man spricht von einem Teilnehmerrekord, bevor wir mit 10 Minuten Verspätung auf die Strecke entlassen werden. Und gleich zu Beginn geht es aufwärts. Ralf hat heute einen guten Tag und prescht los. Ich lasse ihn zwar ziehen, bin aber mit 4:20 trotzdem zu schnell.

Zunächst geht es wellig und asphaltiert neben einer Straße durch den Wald. Kurz vor km 4 ist die erste Verpflegungsstation erreicht. Meine Frage nach Wasser wird mir mit: "Nur Iso." beantwortet. Nur Iso bei einem Marathon? Ich trinke nichts. Zum Glück ist es mit 11 Grad bei bedecktem Himmel nicht zu warm. Wenn der Wind nicht wäre, könnte man von idealen Wetterbedingungen sprechen.

Für den heutigen Marathon habe ich drei Ziele definiert.
  1. Lauffreude bei einem Landschaftslauf
  2. erster Marathon in Minimal-Schuhen (NB MT10)
  3. neue Bestzeit
Leider plagt mich seit gut zwei Wochen eine empfindliche Stelle unter dem linken Fuß. Starrsinnigerweise will ich trotzdem wissen, ob meine Muskulatur inzwischen auch die Marathondistanz in Minimalschuhen bewältigen kann. Ein Test über 37 km war recht gut verlaufen. Doch ab km 4 weicht der Asphalt kieseligem Waldboden. Hin und wieder gerate ich genau mit der empfindlichen Stelle auf einen Stein. Ein stechender Schmerz bohrt sich dann vom Fuß bis zum Kopf. Ich verfluche meine Unvernunft und entwickle verschiedene Ausstiegsszenarien. Ich könnte nach der Hälfte beenden und mit einer Halbmarathonurkunde nach Hause gehen. Der Veranstalter bietet diese Option. Oder ich springe kurz in die Kfz-Halle, wo ich meinen Kleiderbeutel unbeaufsichtigt stehen lassen habe, und wechsele die Schuhe. Aber ich kenne mich. Nichts davon werde ich tun.

Zwei Fehler gehen auf mein Konto. Ich bin zu schnell gestartet und habe mich für die falschen Schuhe entschieden. Damit mache ich mir das Hauptziel, die Lauffreude beim Landschaftslauf, selbst kaputt. Der Lauf ist von negativen Gedanken geprägt. Der Fuß tut weh, und ich muss mir schon in der ersten Hälfte dabei zusehen, wie ich langsamer werde. Lediglich das Überholen einbrechender Halbmarathonis verschafft mir etwas Genugtuung.

Und es gibt kein Wasser! An der zweiten Verpflegungsstelle nehme ich notgedrungen Iso. Die dritte Versorgungsstation ist so ungünstig in einer Kurve platziert, dass ich erst an den Mülleimern danach bemerke, dass es hier Getränke gegeben hätte. Es scheint, dass das Betreiben der Labestellen komplett an den Arbeiter-Samariter-Bund ausgegliedert wurde. Dadurch gibt es kein "Von-Läufern-Für-Läufer"-Engagement. Wortlos stehen die Helfer mit den Händen in den Hosentaschen abseits ihrer Tische. Erst bei der Halbmarathonmarke erlebe ich das übliche Szenario. Hier arbeiten begeisterte Unterstützer und reichen den Aktiven die Becher in die Hand. Erstmals höre ich den erlösenden Ruf: "Wasser!" und greife zum angenehm temperierten Getränk.

Schlagartig wird es leer auf der Strecke. Hinter mir ist niemand zu sehen. Vor mir läuft die führende Frau. Als ich sie überhole, bin ich überrascht, dass sie geschminkt unterwegs ist. Angesichts kaum vorhandener Zuschauer ist der Aufwand aus meiner Sicht übertrieben. Sie fragt mich besorgt, ob ihre Konkurrentin folge. Und ich kann sie beruhigen, sah ich jene doch beim Halbmarathon aussteigen.

Nun bin ich gänzlich allein. Gelegentlich kann ich vor mir am Horizont einen Herrn in Rot wahrnehmen. Unser Abstand bleibt aber konstant. Wieder an der ersten Verpflegungsstation, erblicke ich jetzt erstaunt, dass dort nebeneinander zwei Tische stehen - einer sauber mit "Iso", der andere mit "Wasser" beschriftet. Habe ich das vorhin übersehen, oder ist hier inzwischen nachgebessert worden? Egal, dankbar trinke ich das Wasser. Dazu gönne ich mir einen Gel-Chip. Zwar habe ich auch einen klassischen Gel-Beutel dabei, aber keinen Appetit auf diesen klebrigen Schleim. Bereits jetzt ist mir etwas flau im Magen, und der Chip wird heute meine einzige Nahrung unterwegs bleiben. Der verschmähte Gel-Beutel rächt sich auf seine Weise. Er übergibt seinen Inhalt in meine Hosentasche. Ach, was habe ich doch für einen süßen Po!

Waren während der ersten Runde noch einige Zuschauer hier und da an der Strecke, so ist der Wald jetzt leer gefegt. Auch der Hammermann scheint heute keine Zeit für mich zu haben. Aber der linke Fuß ist Feuer, die rechte Wade Stein. 

Ein Streckenposten radelt zu seiner Station und begleitet mich ein Stück. Er hat viel Text, erzählt mir von seinen gesundheitlichen Problemen und prahlt mit seinen Bestzeiten. Das ist sehr beeindruckend, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das ausgerechnet jetzt wirklich alles wissen will. Weglaufen ist jedenfalls keine Option. Ich messe den langsamsten Kilometer des ganzen Laufes.

"Nur noch eine Stunde!", mache ich mir Mut. Ungefähr 30000 Schritte werde ich bis ins Ziel getan haben, die Hälfte davon mit dem linken Fuß. Ab km 30 werden die Schmerzen in diesem schlimm - 4000malige Pein bis ins Ziel. 

"Noch 20 Minuten, das ist ein Klacks!", versuche ich mich zu überzeugen.

"Bloß noch eine lächerliche Viertelstunde."

"Noch zehn Minuten? Endspurt!"

Nach der Passage des eingangs erwähnten Tunnels kann ich tatsächlich noch einmal richtig sprinten. Da habe ich mich vorher wohl zu sehr geschont, wenn jetzt noch solche Reserven vorhanden sind. Mit ihnen rette ich mich durch den Zielbogen, noch bevor die Uhr auf 3:13 umspringt. Damit habe ich meine persönliche Bestzeit trotz dieser welligen Strecke fast 3,5 Minuten nach unten korrigiert und komme unter den ersten 7% ins Ziel. 

Doch niemand hier hängt mir dafür eine Medaille um den Hals. Dieses Manko gleichen meine Kinder zuhause aus. Sie haben eine Medaille für mich gebastelt. Darauf haben sie geschrieben: "Marathonheld Papa". Die Freude kehrt zu mir zurück.

18 Kommentare:

  1. GANZ HERZLICHE GRATULATION! Unter diesen Bedingungen finishen und dann noch die PB verbessern, toll! Ich weiß nicht, wie ich das absolviert hätte, wenn man sicher selber kräftig ein Bein, bzw. in Deinem Falle ja 2 Beine stellt, und dann noch der Veranstalter am Wasser spart ... Aber das zeigt einmal mehr, dass Marathon eine enorme Kopfsache ist.
    Schade, dass der Lauf gestern war, ich müsste nach meinem Plan kommendes Wochenende einen HM als Wettkampf laufen, aber weit und breit finde ich keinen.
    Liebe Grüße
    Elke

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    1. Vielen Dank, Elke!
      Eigentlich war es ja nur ein Bein bzw. Fuß.
      Wie wäre es damit:
      "Der Halbmarathon ist die Königsstrecke unserer Veranstaltung und eine wirkliche Herausforderung für jeden Ausdauersportler!
      Etliche Höhenmeter in der Stromberger Schweiz und zweimal „Manni’s Hill“ warten auf die Läufer/innen."
      Schweiz, das ist doch was für dich.
      http://www.lv-oelde.de/veranstaltungen/burggrafenlauf/index.php

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    2. Danke für den Tipp! Das Streckenprofil wäre zwar nicht so meine Welt, selbst in der echten Schweiz suche ich mir lieber flache Laufmöglichkeiten. aber andererseits ... Schaun mer mal!
      LG
      Elke

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  2. "Aber ich kenne mich. Nichts davon werde ich tun. "
    Sowas kenne ich. Da ist die Angst vor dem schmerzenden Ego größer als das Aua am Fuß. Außerhalb des Sports nennen wir es "stur", beim Laufen "tough". ;-)

    Glückwunsch zur neuen PB!

    Schöne Grüße,
    Harald

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    1. Hallo Harald, danke dir!
      Man spricht auch von Altersstarrsinn ;-)
      Viele Grüße!

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  3. Herzlichen Glückwunsch dir zu deiner PB und den tollen Kindern! :)
    Auch wenn du mit widrigen Umständen von allen Seiten zu kämpfen hattest hast du gzeigt wie gut du kämpfen kannst und eine wirklich tolle Zeit erreicht!

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    1. Hallo Markus, vielen Dank!
      Ja, die Kinder waren wirklich meine Bestleistung :-)

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  4. Schöner Bericht! Ich war auch am Start, wenn auch eine knappe halbe Stunde hinter Dir. Organisatorisch gibt es da einiges Verbesserungspotential denke ich, nicht nur was die Verpflegungssituation angeht. Es ging ja auch jeder davon aus, dass es eine Kleiderbeutelabgabe gibt, die dann unangekündigt doch nicht da war. 30 Euro sind für so einen Wald und Wiesenmarathon jetzt auch nicht gerade wenig, und dafür wurde nicht gerade viel geboten. Mit meinem Lauf bin ich aber trotzdem zufrieden. :-) Ach, und Glückwunsch zur Bestzeit!

    Schöne Grüße aus Bonn

    Christian

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    1. Hallo Christian, danke für Lob und Glückwunsch!
      Auch dir Gratulation zum erfolgreichen Finish!
      Die Orga hat tatsächlich noch Verbesserungspotential. Ich hatte Eigenverpflegung dabei, weil ich irgendwo in einem Bericht gelesen hatte, dass jemand ebensolche abgegeben hatte. Leider wurde ich meine nicht los.
      Zum Glück hatte man mir vorher gesagt, dass es keine Duschen im Ziel gibt, sondern dass man erst mit dem Shuttle dahin fahren muss. Daher habe ich mich einfach nur umgezogen und bin direkt zum Auto und nachhause in die heiße Wanne.

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  5. Eine Marathon-Geschichte
    mitten aus dem Leben eines Läufers
    vieles daraus kommt mir seeeeeeeehr bekannt vor
    spannend
    wie es enden wird
    und es hat geendet
    dann auch noch gut
    ganz ♥-lichen Glückwunsch
    gut durchgezogen
    trotz aller Widrigkeiten
    dann auch noch PB
    was willst du mehr
    ja, ich weiß
    du willst noch mehr
    hatten wir nicht im Vorfeld über den Schuh geplaudert ?

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    1. Vielen Dank für das Lob einer erfahrenen Läuferin!

      Im Moment will ich erstmal gar nichts, aber vermutlich hast du recht.

      Und ja, ich war unvernünftig und habe nicht gehört :-)

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  6. Ganz toller Bericht! Man kann sich sehr gut in dich hinein versetzen. Mir ging es vor ein paar Jahren ähnlich als ich bei einem 50km Ultra ab km30 heftige Schmerzen im rechtem Mittelfußköpfchen bekam und mich gerade noch ins Marathonziel rettete. Mit Bestzeit! :-)

    Glückwunsch zur Bestzeit! Und nun erhole dich und vor allem dein Fuß gut.

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    1. Danke Frank! Da hast du ja etwas ganz Ähnliches erlebt!
      "Mittelfußköpfchen" ist ein gutes Stichwort. Da scheine ich also einen Spreizfuß zu haben. Und als Therapie werden geräumiges Schuhwerk und Barfußlaufen empfohlen - genau die Dinge, die erst mein Problem hervorgerufen haben.
      Wie bist du die Schmerzen wieder losgeworden?
      Übrigens gingen meine Kommentarversuche auf deinen Schuhbeitrag offenbar ins Nirvana.
      Viele Grüße!

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  7. Ich habe damals einfach mit dem Laufen für ein paar Wochen aufgehört und mich nur aufs Rennrad geschwungen. Danach wars gut und ist bis heute, trotz der Umstellung auf Minimalstschuhe, nie mehr wieder aufgetreten.

    Ein Kommentar ist auf meiner Seite vorhanden. Hattest du mehrere geschrieben?

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    1. Ach, dann hat es doch geklappt. Nach dem Absenden war der Kommentar nicht zu sehen.

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  8. Ich muss die Kommentare immer erst freigeben bevor sie auf dem Blog erscheinen!

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  9. ich hoffe dem mittelfußköpfchen gehts wieder besser ... und wenn es doch nicht nur temporär oder senkspreiz ist sondern was anderes dann hak mal nach (frag mal margitta nach meinem linken fuß ...)
    WUNDERschönen landschaftslaufgenuss gibt's übrigens immer himmelfahrt in rengsdorf!
    liebe grüße aus dem nördlichen westerwald

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    1. Man soll ja immer kühlen Kopf bewahren. Deshalb kühle ich jetzt mein Mittelfußköpfchen. Morgen gibt es den ersten vorsichtigen Lauf - in gedämpften Schuhen.

      Danke für den Tipp! Wahrscheinlich meinst du diesen Lauf: http://www.tv-rengsdorf.de/index.php?page=westerwaldlauf
      Der wurde mir im Trail-Camp auch schon ans Herz gelegt.

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