Montag, 29. April 2019

Düsseldorf Marathon 2019

Zieleinlauf am Rhein
Der schönste Moment des Düsseldorf Marathons ereignet sich bereits vorm Start. Ein Vereinskamerad meines Sohnes kommt auf uns zu und gibt uns mit auf den Weg: "Egal wie der Lauf für euch ausgeht, er wird ganz großartig. Einfach, weil ihr beide das zusammen macht!"

Dabei wäre das Vater-Sohn-Gespann beinahe nicht gemeinsam angetreten. Wegen seiner langwierigen Waden-Verletzung stand die Entscheidung des Juniors bis zum Vorabend auf der Kippe.

Entsprechend verhalten starten wir, lassen die 3-Stunden-Pacer ziehen. Damit ist für mich das Sub3h-Ziel bereits Geschichte, während der Junge das Potenzial hat, die fehlende Zeit auf der zweiten Hälfte zu kompensieren.


Bis zur Halbmarathonmarke beschleunigen wir stetig, so dass wir in den hohen Zehnern die Ziel-Pace von etwa 4:15 aufgenommen haben. Doch ich muss kämpfen, um diese Geschwindigkeit zu laufen. An den Bauchseiten melden sich seitenstechenartige Beschwerden wie schon in den Vorbereitungswettkämpfen.

Den Halbmarathon erreichen wir nach 1:31:25. Ich lasse den Junior ziehen und wechsele auf Plan B. Wenn ich die erste Hälfte im 3-Stunden-Tempo und die zweite im Tempo für 3:15 laufe, kann ich die alte, seit 2014 nicht mehr angegriffene Bestzeit von 3:12:56 unterbieten.

Zunächst geht es noch mit 4:20, 4:25 dahin. Dann erscheint tatsächlich das 3:15-Tempo mit 4:37 auf der Uhr. Das muss ich nun halten! Was für eine Quälerei. Immerhin bin ich fünf Kilogramm schwerer (und damit eigentlich 10 Minuten langsamer) als 2014. Drei Kilo davon habe ich allein seit dem Beginn meiner Atemtherapie zugelegt. Ob sich die nächtliche Regeneration tatsächlich auf die Hüften legt? Vielleicht sind auch die reduzierten Kilometer-Umfänge der wirkliche Grund. Oder einfach meine Fresslust.

An zehn Stellen werde ich von Bekannten angefeuert. Ungezählt bleiben die vielen Anderen, die meinen auf der Startnummer gedruckten Namen rufen. Nur kann ich die wunderbare Strecken-Atmosphäre und den Zuspruch der Zuschauer nicht genießen. Wenigstens vermag ich mich ab und an aufzuraffen, um ein paar Kinderhände abzuklatschen. Doch die Kleinen, die ihre Jacken-Ärmel über die Finger ziehen, um sich vor unserem Schnodder zu schützen, werden ignoriert. Keine halben Sachen!

"Dieses Gehetze tust du dir nie wieder an!" Einerseits ist es ein Versprechen. Gleichzeitig ist das Wissen darum, dass es mein letzter pB-Versuch sein soll, ein Ansporn. Die immer noch mögliche pB wird mein Rettungsanker. Ohne Ziel, keine Motivation! Die Rechnerei beginnt. Mit ein paar Sekunden Verbesserung will ich mich möglichst nicht trösten müssen. Eine 3:10 soll es schon noch werden!

Doch irgendwann stehen erstmals 5er Paces auf dem Display des Zeitmessers. Langsamer darf ich keinesfalls mehr werden! Und dann kommt der absolute Tiefpunkt des ganzen Laufes. Der Sieger der M65 zieht vorbei!

Erstaunlicherweise überhole ich selbst aber auch immer noch andere Läufer. Und am Streckenrand sieht man Geher, Steher und Dehner, gelegentlich sogar Erbrochenes. "Guck mal, denen geht es noch viel schlechter als dir!", mache ich mir Mut.

Bei km 39 begegnen mir die 3h-Pacemaker. Doch der Junior ist nicht bei ihnen und auch in der langen Reihe dahinter nicht auszumachen. Er wird die Schrittmacher doch nicht überholt haben?

In Wirklichkeit ist auch ihm, trotz der disziplinierten Vorbereitung und der defensiven Rennstrategie, ein Einbruch nicht erspart geblieben. Das ist Marathon! Der Nachwuchs entdeckt mich bei der  Begegnungsstelle auf der Königsallee zwischen km 40 und 41. Da ich nur ein paar 100 Meter hinter ihm bin, erwägt er sogar, auf mich zu warten, um das Hand-in-Hand-Marathon-Finish von Vater und Sohn doch noch Wirklichkeit werden zu lassen. Letztlich hat er sich aber zu sehr für seine Zeit gequält, um sie jetzt zu verschenken. Ich hätte nicht anders gehandelt.


Und so beendet er das Rennen nach 3:08:17, während ich nach 3:10:34 einlaufe. Das Idealziel haben wir zwar verpasst, aber beide eine persönliche Marathonbestzeit in den Büchern! Ich lasse mir sogar erstmalig die Medaille mit der Zeit gravieren, da das ja ab jetzt meine ewige Straßenmarathon-pB sein soll.

Im Ziel berichtet ein Mitstreiter, dass sein 80-jähriger Vater nun nicht mehr läuft. Und dass sie nie gemeinsam laufen konnten, weil jeweils der eine oder der andere zu schnell war. Das geht uns auf dem Heimweg nicht mehr aus dem Kopf. Am Abend beschließen wir, dass wir irgendwann zusammen einen Genußmarathon laufen werden.

Sonntag, 7. April 2019

Auf das Lintorfer Podest

Wie ich trotz verpasster Zeitvorgabe mit dem Gesamtsieger auf das Podest gelangte

Brav hielt ich meinem Schwur die Treue und bewahrte Abstinenz von der Ultra-Distanz. Stattdessen trainierte ich diszipliniert nach dem 2:59er Marathon-Plan meines Sohnes. Das harte Trainingstempo soll heute in Form einer 10-Kilometer-Zeit von sub38 Früchte tragen. Am Mittwoch locker in 3:45 gelaufene 1000er Intervalle stimmen optimistisch.

Nur nicht zu schnell starten! Der erste Kilometer fühlt sich prima an und kann mit 3:47 als Punktlandung durchgehen. Ich halte mich weiter im Windschatten zweier Triathleten. Doch als der zweite Kilometer plötzlich mit 3:52 auf der Uhr steht, ziehe ich allein weiter. Als sich die gefühlte Beschleunigung nach Kilometer Drei mit erneuten 3:52 nicht bestätigt, schleichen sich erste Zweifel ein. Ich schließe die Lücke zum nächsten Vordermann, ohne dass dadurch die Messwerte besser werden. Im Gegenteil! Nach fünf Kilometern steigt mein Tempomacher plötzlich aus dem Rennen aus, und ich vergesse vor Überraschung die Zwischenzeit zu stoppen. Die offizielle Zieluhr zeigt aber bereits Werte über 19 Minuten. Vielleicht kann ich wenigstens eine niedrige 38er Zeit erkämpfen und schneller sein als neulich in Hardt?

Immerhin bleibe ich auf den Beinen. Vor einer guten Woche war mir diese scheinbare Selbstverständlichkeit nicht vergönnt gewesen. Komme ich sonst auf schwierigen Trails ganz gut zurecht, streckte es mich auf topfebenem, asphaltiertem Untergrund nieder. Ich hatte wohl in eine am Boden liegende Schlaufe eingefädelt, so dass ein Fuß urplötzlich arretiert war. Mein Körpergewicht fing ich hauptsächlich mit der rechten Gesichtshälfte ab, was mir eine Woche Zombie-Aussehen bescherte. Wenigstens blieb mir diesmal ein Notarzt-Einsatz erspart.

Möglicherweise ist es mit sonnigen 20 Grad einfach zu schnell zu warm geworden. Andererseits passiert genau das auch schön regelmäßig beim Düsseldorf Marathon. Das sollte ein sub3h-Aspirant also aushalten. Doch ich schleppe mich hier gerade mit 4:10 über Kilometer Sieben. Beim Marathon muss ich eine 4:15 über die ganze Distanz durchhalten! Die schlechten Gedanken übernehmen die Kontrolle: "Selbst bei hartem Training ist bei dir eben einfach nicht mehr drin."

Auch der Junior sah seine Marathonträume bereits platzen. Der Sportarzt diagnostizierte mittels Ultraschall eine Zerrung und verordnete 4 Wochen Laufpause. Also ziemlich genau bis zum Marathon. Zunächst hielt sich der Nachwuchs an die Verordnung, worunter das Familienleben durch wachsende Übellaunigkeit des Jugendlichen erheblich zu leiden hatte. Da die Hoffnung aber zuletzt stirbt, suchte der Junior noch einen Physiotherapeuten auf. Die neue Diagnose lautete viel freundlicher "Muskelverhärtung". Und eine sehr schmerzhafte Massage später gab es eine Lauffreigabe.

Bis eine Minute vorm Start des Zehners war das Motto des Nachwuchsathleten: "Nur Mittraben, um den Marathon nicht zu gefährden". Da das Warmlaufen aber völlig schmerzfrei gelang, änderte der Junge wohl seinen Plan. Hatte er sich auf der ersten der vier Runden noch hinter mir gehalten, zog er bei Kilometer Drei mit einem Lächeln vorbei. Letztlich erkämpfte er sich mit einem spannenden Zweikampf kurz vor der Ziellinie noch den Dritten Platz in der Gesamtwertung.


Ich bin hingegen zu keinem vernünftigen Endspurt fähig und erreiche das Ziel recht deprimiert nach 39:42. Durch das Rasseln meines Atems dringen Wortfetzen. Der Moderator berichtet offenbar gerade von einer Familienfeier, die bei uns heute Abend wegen unserer Platzierungen stattfinden würde. Es zeigt sich, dass ich Dritter in meiner Altersklasse wurde.

Die Modalitäten der Siegerehrung führen zu einem Kuriosum. Als Altersklassensieger im Jugendbereich bekommt mein Sohn zwar einen Pokal. Bei der Gesamtwertung werden aber nur die Siegerin und der Sieger ausgezeichnet. Den dritten Platz auf dem Podest neben dem Gesamtsieger, der eigentlich meinem Nachwuchs gebührt, nehme stattdessen ich ein. Der Gewinner und ich sind nämlich in derselben Altersklasse!