Dienstag, 30. September 2014

Die Härte in Herten



In Herten finden dreimal im Jahr die Bertlicher Straßenläufe statt, in deren Rahmen man für 15,50 Euro auch einen Marathon laufen kann. In diesem Preis inklusive sind die Pokale, die die Altersklassensieger mit nach Hause nehmen dürfen. Und so einen Pokal will ich mir heute, am 28.9.2014, verdienen. Die Ergebnis-Statistik zeigt, dass das in meiner Altersklasse mit einer Zeit unter 3:15 und etwas Glück gelingen kann.

Und so stehe ich erstmals am Start eines Wettkampfes in der ersten Reihe. Eigentlich tun wir das alle, denn nur 25 Läufer wollen sich heute der Marathondistanz stellen, die hier über drei recht flache Runden durch die Felder führt.

Die einschlägige Literatur bescheinigt mir aufgrund meiner Leistungen auf den Unterdistanzen das Potential für eine Marathonbestzeit unter drei Stunden. Doch leider haben diese Hochrechnungen bei mir noch nie funktioniert. Deshalb möchte ich die erste Hälfte mit einer 4:30er Pace laufen, was einer Zielzeit unter 3:10 und somit einer neuen Bestzeit entspricht. Sollte es möglich sein, könnte ich in der zweiten Hälfte immer noch beschleunigen.

Hoffentlich wird es das!
Was ist das Wichtigste beim Marathon? Richtig, nicht zu schnell loslaufen! Vorbildlich bremse ich mich. Sogar etwas zu sehr. Die Zeit des zweiten Kilometers liegt bei nur 4:48. Danach hat sich das Feld vorerst sortiert. Ich laufe Brust an Brust mit einem Herrn in Schwarz. Und ist es zu fassen? Er könnte durchaus so alt sein wie ich. Was für ein Pech! Sollen wir jetzt 40 km um den Altersklassensieg kämpfen? Eine ganz neue Erfahrung, läuft man beim Marathon doch sonst in seinem Tempo so vor sich hin. Doch unser Tempo passt. Die Zwischenzeiten liegen nur knapp unter 4:30. Nach acht Kilometern haben wir den Zweitplatzierten überholt. Und dann startet der „Schwarze“ plötzlich durch. Die nächste Zwischenzeit ist mit 4:17 viel zu schnell. Jetzt muss ich mich entscheiden. Soll ich weiter um den Pokal laufen oder sicher die Bestzeit nachhause bringen? Ich bin vernünftig und lasse den Konkurrenten ziehen. Der Pokal, den zu erringen ich heute hierher kam, ist damit mutmaßlich weg. Es sei denn, der Mann ist viel jünger oder älter, als er aussieht. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Zumindest bleibt mir noch die Bestzeit. Immerhin ist es ein tolles Gefühl, wenn dir der Streckenposten „Marathon Platz drei!“ zuruft.

Am Ende der ersten Runde zieht von hinten jemand gleichauf. Erleichtert stelle ich fest, dass der Mann schon ergraut ist. Und er läuft absolut konstant die 4:30. Mal traben wir Seite an Seite, mal führt er, mal ich. Auf der nahezu schattenlosen Strecke bin ich froh, dass die Sonne durch einen leichten Wolkenschleier scheint. Den relativ starken Gegenwind nehme ich als willkommene Kühlung wahr. Im kalten August hatte mich schon so eine Ahnung beschlichen, dass es beim Herbstmarathon entgegen aller Regel warm werden könnte. Dennoch kann man bei den heutigen Temperaturen von über 20 Grad noch nicht von einem Hitzelauf sprechen. Trotzdem spüre ich, dass es mit einer weiteren Tempoerhöhung auf der zweiten Hälfte wohl eher nichts wird.

Marathonlaufen traut uns das Orga-Team zu, Treppensteigen eher nicht.
Fast die ganze zweite Runde sind wir im Duo unterwegs. Dann, etwa bei km 26, beschleunigt auch dieser Konkurrent. Denke ich. Erst der Blick zur Uhr bescheinigt mir, dass nicht der andere Gas gibt, sondern dass ich einbreche. Ein ganz klassischer Hammermann! Hatte Gladys vorm Start nicht noch zu mir gesagt: „Marathon ist eben jedes Mal wieder ein Abenteuer“? Recht hat sie. Von nun an laufe ich gegen den Zug eines Gummiseils, das jemand an meinem Rücken festgebunden zu haben scheint. Pokal weg, Bestzeit weg, Motivation weg. Ich fühle mich wie ein Anfänger bei seinem ersten Marathon. Doch es ist noch schlimmer. Denn nach 25 Marathons bzw. Ultras habe ich genügend gescheiterte Bestzeitenversuche hinter mir, um genau zu wissen, was mir jetzt bevorsteht. So will ich nicht Marathon laufen!

In den beiden Vorwochen war mir das selbstgesteckte Pokalziel plötzlich wie eine lästige Pflicht vorgekommen, die ich abzuarbeiten habe. Vielleicht setzt der Körper jetzt diese mentale Einstellung um? Nach einer Erkältung, die ich mir beim letzten Halbmarathon einhandelte (bzw. einhändelte), hatten sich die Läufe nicht mehr leicht und flüssig angefühlt. Trotzdem hatte ich einen 35er im 5:15er Tempo abgespult. War das zu schnell? Da ich auch die anderen langen Läufe eher auf Tempo gelaufen war, ist der Fettstoffwechsel möglicherweise nur ungenügend trainiert. Ansonsten fällt mir nichts ein, was ich falsch gemacht haben könnte. Ist mir denn vom 100er gar nichts geblieben? Doch – der Wille zum Durchhalten. Denn nach Runde Zwei könnte ich aussteigen, nach Hause fahren und so tun, als wäre nichts gewesen. Aber ich ziehe es durch.

Das Gute bei so einer kleinen Veranstaltung ist, dass einem trotz des Einbruchs die Schmach des permanenten Überholtwerdens erspart bleibt. Und so werde ich nur von Platz Drei bis auf Platz Acht durchgereicht. Ich versuche, der Sache noch mehr positive Aspekte abzugewinnen. Deshalb freue ich mich, dass ich immerhin unverletzt bin. Ich bringe das jetzt hier hinter mich, und nach einer kurzen Regenerationsphase werde ich wieder fröhlich durch die Gegend rennen können. In zwei Wochen werde ich durch die Berge Mallorcas laufen und im Herbst bestimmt noch einen Ultra in schöner Natur genießen. Wie heißt es doch bei meinem Freund Udo Lindenberg: „… bin gewachsen an der Qual“? (Tragischerweise lautet die nächste Zeile allerdings: "bin gekommen um zu gewinnen".) Und so schleppe ich mich irgendwie bis Kilometer 40. Hier schaue ich zum ersten Mal nicht nur nach den Zwischenzeiten, sondern auf die Gesamtzeit. Wenn ich altes Weichei mich jetzt am Riemen reiße, kann ich wenigstens noch unter 3:30 ins Ziel kommen. Da ich mich ja nun fast 1,5 Stunden ausgeruht habe (har, har), bin ich tatsächlich in der Lage, so etwas wie einen Endspurt vorzutäuschen. Das macht beim Zieleinlauf im Stadion offenbar Eindruck. Denn eine ganze Menschengruppe kommt im Ziel applaudierend zu mir: „Sie haben aber einen tollen Laufstil! Das war doch bestimmt eine Bestzeit?“ Wenn die wüssten! Trotzdem – danke, das hat gut getan!

Nachdem ich mir bei diversen gescheiterten Bestzeitenversuchen das Erlebnis Marathon vermiesen ließ, hatte ich mir geschworen, nie mehr mit schlechten Gedanken ins Marathon-Ziel zu laufen. Denn ein zu Ende gebrachter Marathon ist immer eine Leistung, auf die man stolz sein kann. Und so nehme ich an diesem Tag doch noch eine Trophäe mit nach Hause. Das Finisher-Foto zeigt mich mit einem strahlenden Lächeln.

Montag, 8. September 2014

Mitteldeutscher Marathon - Händellauf



Der aufmerksame Leser wird an dieser Stelle den Bericht zum Kö-Lauf erwarten, für den ich einen Startplatz bei Markus’ Verlosung gewonnen hatte. Ein Termin in Leipzig am Wochenende um den 7.9.2014 vereitelt meine Teilnahme am Düsseldorfer Lauf-Ereignis. Doch ich mache aus der Not eine Tugend und starte beim Händellauf. So heißt der Halbmarathon, der im Rahmen des 13. Mitteldeutschen Marathons in Halle an der Saale stattfindet.

Nun ist Händel, der 1685 in Halle geboren wurde und seine ersten 18 Lebensjahre dort verbrachte, nicht unbedingt für seine Fähigkeiten als Langstreckenläufer bekannt geworden. Trotzdem gelingt es dem Stadtmarketing Halle, einen Bezug zwischen dem Lauf und Händel herzustellen. Der Goldene Händel wird mit dem Slogan „Seit 1685 ein Renner“ an den Start geschickt.

"Seit 1685 ein Renner" *1
Auch ich finde mich auf dem Hallenser Marktplatz ein, wo um 10:30 Uhr der Halbmarathon und der 10-km-Lauf gleichzeitig gestartet werden sollen. Entsprechend groß ist das Gedränge, denn Startblöcke gibt es nicht. Dabei hätten allein für den Halben, der erstmalig ausgetragen wird, 1400 Läufer gemeldet, teilt man mir bei der Nachmeldung mit.

Hallenser Marktplatz vorm Start - der Morgennebel lichtet sich
Und so versuche ich mir ein startliniennahes Plätzchen zu sichern. Denn die aktuelle 10-km-Bestzeit ließ mich ganz vermessen einen Blick in den 3-Stunden-Marathon-Trainingsplan von Herrn Steffny werfen. Und der sieht eine Halbmarathonzeit von 1:25 vor! Das wäre schon unter optimalen Bedingungen wahrscheinlich kein realistisches Ziel für mich. Doch heute ist kein Bestzeiten-Wetter. Wir stehen in der prallen Sonne und mir läuft, obwohl noch nicht in Bewegung, unter der Startnummer schon der Schweiß die Brust herunter. Ist ja toll, dass der Sommer doch noch einmal zurückgekommen ist. Aber musste das unbedingt heute sein? Bei der Rückfahrt wird das Thermometer des Autos 26 Grad anzeigen.

Schild - gesehen im Nachmeldebüro
Ich hänge meinen negativen Gedanken in Bezug auf eine zu laufende Bestzeit nach. Und wie ich wieder zu mir komme, hat sich direkt vor mir ein älterer Herr platziert. Und keiner von der fitten Sorte. Derart eingekeilt werde ich auch noch von hinten beiseite geschoben, als sich eine Dame mit auffälliger Rückenbeschriftung nach vorn bis in die zweite Reihe drängt. Dieser Rücken wird jetzt zur Projektionsfläche meiner aufgestauten negativen Energie. „Du läufst heute nicht vor mir ins Ziel!“

Geografisch befinden wir uns in der Leipziger Tieflandsbucht. Da rechnet man mit einer topfebenen Laufstrecke. Tatsächlich geht es aber leicht ansteigend aus der Fußgängerzone heraus, hinauf auf eine Hochstraße. Dort laufen wir auf dem vor Hitze flimmernden Asphalt durch die öde Betonwüste dieser Stadt – nur durch eine Leitplanke vom Autoverkehr getrennt. Nach drei Kilometern wird es besser. Jetzt geht es zumindest auf dem Fußweg weiter, wo auch ein paar Bäume stehen. Hier entdecke ich auch die erste auf den Boden gesprühte Kilometer-Markierung. Zwischenzeiten stoppe ich trotzdem nicht. Die angezeigte Pace ist sowieso schon jenseits von Gut und Böse.

Beim Halbmarathon brauche ich unterwegs normalerweise nichts zu trinken. Rund 1,5 Stunden geht es auch ohne Getränk, und es ist schade um den Zeitverlust. Bei der heutigen Hitze nehme ich an jeder der zahlreichen Verpflegungsstationen Wasser, das ich mir teils über, teils in den Kopf schütte.

Ab Kilometer Acht habe ich das Gefühl, endlich in diesem Lauf angekommen zu sein. Inzwischen ist die Strecke schattig und grün geworden, und mein Hadern mit der Pace ist einer gewissen Akzeptanz der Umstände gewichen. Das jetzt gewählte Tempo fühlt sich so an, als ob ich es bis ins Ziel halten kann. Immer wieder hängen sich Läufer an meine Fersen, versuchen einen Ausbruch, scheitern alle. Seltsamerweise wechseln die Gesichter dauernd. Vielleicht liegt es daran, dass ich jetzt nach und nach das Feld aufrolle. Offenbar leide nicht nur ich unter der Hitze. Außerdem sind die schnellen 10-km-Läufer mittlerweile abgebogen.

Bei Kilometer Zehn interessiert mich dann doch mal die Zwischenzeit für eine Hochrechnung. Doch was ist das? Die Uhr hat wieder bei Null angefangen zu zählen! Hat sie sich unterwegs zurückgesetzt? Habe ich einen falschen Knopf gedrückt? Ich weiß es nicht. Immerhin, die Pace-Anzeige funktioniert irgendwie noch.

Wir kommen durch einen Park und an einer Freilichtbühne vorbei. Während heute Morgen auf dem Markt ein paar spärliche Dixies die üblichen Schlangen verursachten, nehmen wir jetzt eine gut 50 Meter lange Dixie-Parade ab. „Ach, hier sind die alle!“, kommentiert das mein Hintermann.

Später im Park zieht ein Mitläufer gleichauf und fragt, ob er wir denn seine geplante 1:28 noch schaffen. Ich muss auf meine kaputte Uhr verweisen. Er dreht sich um, und meint lachend, ein schönes Trüppchen würden wir da anführen. Nach einer Weile erreichen wir die Klausberge. Vom Trupp ist mir nur ein einzelner Fersenkumpan geblieben. Er schnauft am Anstieg: „Das ist ja hier wie auf dem Rennsteig!“ Am Ufer der Saale, auf der reger Ausflugsbootverkehr herrscht, erhebt sich ein Fels. In dessen Innerem befindet sich die Jahnhöhle, in der angeblich einst Turnvater Jahn Zuflucht suchte. Was für ein passender Ort für eine Sportveranstaltung! Vielleicht wäre der alte Jahn der bessere Namenspatron für diesen Lauf gewesen. Wie auch immer, hier ist eindeutig die landschaftlich schönste Stelle dieses Laufes.

Jahnhöhle in den Klausbergen *2
Etwa um den Kilometer 15 herum verlassen wir die grüne Lunge und machen uns auf den bekannten, tristen Rückweg. Gefühlt beschleunige ich. Die Uhr dagegen zeigt steigende Rundenzeiten – das kaputte Ding! Ein oder zweimal werde ich jetzt überholt, ohne dass ich mich an die Fersen des Schnelleren heften kann. Doch in der Glut der Hochstraße gelingt es mir einen weiteren kecken Überholversuch zu unterbinden, denn jetzt weiß ich trotz fehlender Kilometer-Markierungen, dass es nicht mehr weit ist. Die pralle Sonne lässt den Asphalt wie einen Backofen wirken. Das fordert Opfer. Einige Teilnehmer des Walking-Wettbewerbs sitzen erschöpft am Straßenrand oder bleiben einfach, auf ihre Stöcke gestützt, stehen. Ich passiere zwei mächtige Hinterteile, auf denen zu lesen steht: „Ich laufe, weil ich wirklich gern esse“. Eigentlich müsste da stehen: „Ich walke …“. Und noch jemand geht. Die Dame mit der auffälligen Rückenbeschriftung! Nicht ganz ohne Genugtuung löse ich mein am Start gegebenes Versprechen ein.

Am finalen Anstiegssegment beschleunige ich, um den letzten Fersen-Mann abzuschütteln. Dann geht es bergab auf die Zielgeraden. Ich gebe Gas und überhole noch einen der beiden Läufer vor mir. Ob ich auch den zweiten noch erreichen kann? Dann packt mich der Ehrgeiz. Auf den letzten Metern gehe ich voll ans Limit. Einerseits bin ich froh, dass ich den Mann noch überhole, andererseits bedaure ich, die Reserven nicht früher mobilisiert zu haben. Auf die kaputte Uhr drücke ich gar nicht erst, kenne also meine Zielzeit nicht. Egal, Hauptsache diese Hitzeschlacht ist vorbei.

Unter meinen Medaillen das Exemplar mit dem größten Durchmesser
Nach 1:32 kommt der Kollege herein, der die 1:28er Zeit anpeilte. Und an den üppig ausgestatteten Verpflegungsständen höre ich manche Klage über hitzegeschuldete Zeitverluste. Mein Puls beginnt sich zu normalisieren, frische Kohlenhydrate lassen Glukose in die Zellen strömen und ein paar Blutstropfen wagen sich wieder zurück ins Hirn. Sie ermöglichen mir zu erkennen, dass meine vermeintlich kaputte Uhr lediglich den Bildschirm „Rundenzeit“ dargestellt hat. Ein einfaches Umschalten auf den Bildschirm „Gesamtzeit“ hätte gereicht!

Nach einer Dusche und einer Pizza werde ich dann doch neugierig auf meine Zeit und stelle mich in die Schlange nach der Soforturkunde. Das Dokument versöhnt mich mit dem heutigen Lauf. Unter den ersten drei Prozent aller Finisher, vor der dritten Frau und als Fünfter der Altersklasse bin ich ins Ziel gelaufen. Offenbar war auch den anderen warm.

Für jedes Grad über 18 Grad Außentemperatur muss man zwei Minuten auf die Marathonzielzeit aufschlagen.

So lautet eine Faustformel. Nimmt man die Hälfte des Aufschlages für den Halbmarathon, dann bin ich ziemlich genau in der Vorgabe und kann im Nachhinein noch meinen Frieden mit dem alten Händel machen. Er hat mich heute Demut gelehrt, die mich hoffentlich vor allzu ambitionierten Marathonplänen bewahren wird.



*1 Foto mit freundlicher Genehmigung durch Stadtmarketing Halle
*2 Foto by Milenavaleska (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Montag, 1. September 2014

Panoramalauf rund um die Burg Are



Einen 32-km-Crescendo-Lauf gibt der Marathon-Trainingsplan vor. Soll ich die von „Ela“ entbaumten Wälder auf einer der schon geräumten Routen durchstreifen? Oder finde ich am 30.9.2014 eine attraktive Veranstaltung, bei der das Höhenprofil für Tempowechsel sorgt? Ich entdecke den „Panoramalauf rund um die Burg Are“, der einen "K33" genannten 33-km-Lauf im Angebot hat.

Blick aus dem Ahrtal zurück zur Burgruine
Allerdings werden auch ein K16 und ein K47 veranstaltet. Und wenn man schon hinfährt, könnte man ja auch gleich diesen Kurz-Ultra …? Doch wäre das im Hinblick auf den Marathon vernünftig? Ach was, die Profis machen doch auch Überdistanzläufe! Ich bin aber gar kein Profi … Letztlich mache ich die Entscheidung vom Junior abhängig. Begleitet er mich nicht, laufe ich den K47. Doch wenn er den K16 absolviert, dann gehe ich nur auf die 33-km-Distanz, damit er im Ziel nicht so lange warten muss.

Es wäre nicht mein Spross, bliebe er zuhause. Also stehen der Nachwuchs und ich gemeinsam um 10:30 Uhr an der Startlinie. Die Veranstalter klassifizieren den K16 mit seinen 400 Höhenmetern als „mittelschwer – für Fortgeschrittene“ und den K33, der 1000 Höhenmeter aufweist, als „schwer – für Profis“. Bin ich jetzt doch Profi?

Wir absolvieren die ersten vier Kilometer gemeinsam und genießen die Landschaft, die bereits auf der Einführungsrunde um den Startort an der Martinshütte einen Blick auf die Burgruine gewährt. Immer wieder wird sie heute ins Blickfeld geraten, wie sie auf steilem Fels thronend, aus dem Ahrtal ragt.

Geplant war ein Trainingslauf mit Landschaftsgenuss. Doch kaum hat der Junior sich verabschiedet, beginnt die auf der Brust befestigte Startnummer ihre Sogwirkung zu entfalten. Ich arbeite mich von hinten durchs Feld. Am ersten Verpflegungspunkt laufe ich auf meinen hundebegleiteten Mitläufer aus dem Westerwald auf und treffe wenig später Pirmin, den ich beim Wupperberge-Lauf kennengelernt hatte. Die beiden sind auf dem K47 unterwegs, und bei der gemeinsamen Plauderei rutscht mein Puls spürbar zurück in den Wohlfühlbereich. Doch beim nächsten Downhill auf einem Single-Trail setzt dieser Sog wieder ein.

In den Weinbergen
Und so hetzte ich durch die Weinberge, froh über die bedeckte Witterung. Bei Sonne muss das hier ein Backofen sein. Gelegentlich gibt die Landschaft den Blick auf den weiteren Weg frei. Mann, ist das da vorne das Führungsfahrrad? Ich kann nicht glauben, dass ich so schnell bin. Bin ich auch nicht. Am Ende der Weinbergtour dürfen wir uns wieder am ersten Verpflegungsstand versorgen. Dort hat die Mountainbikerin ihr Rad angelehnt und labt sich ebenfalls an Wasser, Iso, Tee oder Cola, bevor sie weiter der Strecke folgt. Offenbar hat man ihr eine Teilnahme am Lauf als Radlerin gestattet.

Manchmal hat man Flausen im Kopf. Ich will heute ausprobieren, ob ich die ganze Strecke durchlaufen kann, ohne am Berg zu gehen. Eben im Weinberg musste ich auf einer Treppe ein paar Geh-Schritte einschieben. Ich bin bereit, ein Auge zuzudrücken, und das gerade noch gelten zu lassen. Die wahre Prüfung hält der Lauf erst noch für mich bereit. Ab Kilometer 17 zieht sich der Weg serpentinenartig steil bergauf. Ich überhole ächzend zwei gehende Mitläufer, denen diese Aktion „Respekt!“ und „Das sieht gut aus!“ entlockt. Diesem Sportsgeist, diesem Miteinander begegnet man nur auf der Langstrecke. Auch dafür liebe ich diesen Sport! Wenig später treffe ich die Radfahrerin wieder. Sie schafft es selbst durch Schieben kaum, ihr Gefährt den Hügel hochzubekommen und wird heute erst nach mir im Ziel eintreffen, wo man sie scherzhaft als „erste Radfahrerin“ begrüßen wird. Aber es hilft alles nichts. In der vorletzten Kehre geht auch mir Puste aus. Ich muss gehen.

K33 Höhenprofil (Quelle: selbstlaeufer-altenahr.npage.de)
Tröstend invertiert sich der Vektor des Höhenprofils und bringt mich, jetzt auf der K16-Strecke, hinunter in den Ort. Dort beginne ich zu halluzinieren. Ich rieche frisch gebackenen Kuchen! Scherzhaft erkundige ich mich am Verpflegungspunkt, der etwa die Halbmarathondistanz markiert, ob der herrliche Geruch dem Stand entströmt oder vom Bäcker herüber weht. Lachend erwidert man mir: „Dann muss es wohl unser Stand sein, denn im Ort gibt es gar keinen Bäcker.“ Seltsamerweise rieche ich es noch einmal ganz deutlich, als der Weg Kilometer später wieder durch einen (diesen?) Ort führt.

In den Zwanzigern, am flachen Ufer der Ahr, hat sich ein Mitstreiter die Startnummer von der Brust genommen und anscheinend aufgegeben. Wenige Schritte später fällt auch der bisher recht flott vor mir her rennende Herr urplötzlich ins Gehen. Scheint wohl  ansteckend zu sein – schnell weg!

Über weite Strecken bin ich einsam unterwegs. Immer wieder entdecke ich die Kreidemarkierungen am Boden erst im letzten Moment. Einmal bin ich sogar im Wald schon falsch abgebogen, bevor ich meinen Fehler erst bei einem prüfenden Schulterblick erkenne. Bei der dritten Ortsquerung hält ein Auto neben mir. „Müsstest du nicht in die andere Richtung laufen? Ich bin beim Sechzehner vorhin jedenfalls dort lang gelaufen.“ Gerade nochmal gutgegangen! Werde ich trotz des Umwegs die Flause Nummer Zwei realisieren und unter drei Stunden bleiben können?

Dann geht es nochmal richtig hoch! Von wegen Crescendo! Nicht mal die bisherige Pace kann ich halten. Wieder muss ich gehen, wenn auch nur kurz. Am höchsten Punkt steht ein Sendemast, und nicht die Martinshütte. Was für eine Enttäuschung! Wenn der Weg hier wieder hinunter führt, muss es noch einen weiteren Anstieg geben, denn die Start-Ziel-Hütte lag doch auf einem Hügel. Aber dann kommt mir ein gelbes Brückengeländer bekannt vor. Das ist gleich bei der Hütte! Diese jedoch darf, obwohl schon Sicht, nicht direkt angesteuert werden. Erst ist die Einführungsrunde noch einmal zu passieren. Da die Uhr ohnehin gleich auf drei Stunden umspringen wird, verzichte ich auf einen Endspurt und schieße stattdessen ein Foto von der Burgruine.

„Dein Sohn ist schon da!“, werde ich vom Moderator begrüßt. Dass wir beide unsere Altersklasse gewonnen haben, interessiert hier nur uns. Geehrt wurde der Junior inzwischen trotzdem schon. Obwohl ich ihn drei Jahre älter machen musste, um ihn überhaupt anmelden zu können, wurde er als "Jüngster Teilnehmer" ausgezeichnet. Dem vermeintlich Sechzehnjährigen wurde eine Flasche Spätburgunder überreicht!

Freiluftdusche
Momentan ist es sehr in Mode, sich mit kaltem Wasser zu übergießen und dies als Challenge im Internet zu zelebrieren. Die Finisher dieses Laufs benutzen im Ziel ganz unprätentiös die kalte Freiluftdusche.

"Der Sohn die 16, Vater die 33 und Mutter nächstes Jahr die 47!", so hatte der Moderator gescherzt. Ich denke, ich werde nächstes Jahr Mutters Aufgabe übernehmen.