Dienstag, 27. Juni 2017

Biggesee-Marathon 2017

Die Pulsmesserin hat einen samstäglichen Baumarktbesuch für mich vorgesehen. Beim Frühstück weise ich auf die Vergänglichkeit im Allgemeinen und die Kürze der mir verbleibenden Jahre im Besonderen hin. Da wäre es doch schade, eines der wenigen Wochenenden mit dem Herbeikarren unnützen Tands zu verschwenden, argumentiere ich. Anhäufen würde ich viel lieber noch ein paar Erlebnisse. Zum Beispiel beim Biggesee-Marathon. Der startet erst um 14 Uhr. Und wenn ich jetzt gleich losführe ...

Start-/Zielgelände

Zwei Stunden später stehe ich im Strandbad "Waldenburger Bucht" im Starterfeld und habe ein Mikrofon im Gesicht. Was denn meine Erwartungen seien. Hatte ich eben meiner Frau noch lange, philosophische Vorträge gehalten, stammele ich jetzt – völlig überrumpelt – etwas von "Spaß haben in schöner Natur".

Der Teil mit der "schönen Natur" klappt auch. Immer wieder bieten sich weite Ausblicke in üppig grünüberzogenes Land, das am Horizont von Hügeln gesäumt ist. "Gesäumt" ist nicht ganz richtig. Die Strecke ist mit solchen Hügeln "unterlegt" und bringt es so auf 930 Höhenmeter.

Warum es mit dem "Spaß" plötzlich vorbei ist, kann ich nicht sagen. Eben hatte ich noch entspannt mit dem Hundeführer geplaudert, dessen vorauseilendes Tier erstaunlicherweise jedes Mal den richtigen Abzweig genommen hatte. Und nun bin ich irgendwie in den Wettkampfmodus geraten.

Bei 140 Startern könnte man einen einsamen Waldlauf erwarten. Stattdessen sehe ich nach einer Weile des alleinigen Dahintrabens immer wieder den bunten Fetzen eines Shirts zwischen den Bäumen aufblitzen. Es folgt eine lange Zeit, die das Bunt ganz allmählich größer werden lässt. Bis ich schließlich den Shirt-Träger überholt habe. Dann beginnt das Spiel von vorn. Nur die Farben wechseln. Bei km 25 ändert sich auch das Geschlecht, als ich die erste Frau samt Führungsfahrrad einhole.

Zwischen km 29 und 30 wird endgültig klar, dass von "Spaß" keine Rede mehr sein kann. Hier versucht ein sehr langer Anstieg, mir den Stecker zu ziehen. Er zerrt gewaltig an der Schnur. Doch noch bleibt der Stecker drin, auch wenn der Kontakt ab jetzt ein wenig wackelig wird.

Kostenloses Teilnehmer-Shirt

Das nächste Hemd ist blau. Und es dauert ewig, bis ich endlich an einem der im 5-km-Abstand platzierten VP's zu ihm aufschließe. Mit strategisch verkürzter Nahrungsaufnahme gelingt mir das Überholen. Nun habe ich einen Verfolger im Nacken. Dafür ist vor mir niemand mehr in Sicht.

Lautes Jubeln erschallt über mir am Hang. Da scheint ja doch noch einer dicht vor mir zu sein und gerade den nächsten VP zu erreichen. Etliche Höhenmeter trennen mich noch von diesem Versorgungspunkt. Die letzten davon muss ich gehen. Der Stecker, der Stecker!

An der Versorgungsstelle bei km 37 erhalte ich nicht nur Wasser, sondern auch einige Informationen. Ich liege auf Platz 7, heißt es. "Aber die anderen sehen nicht so entspannt aus wie du!" Im Weiterlaufen höre ich die Kinder rufen: "Da kommt der nächste Läufer!" So dicht? "Und ein Fahrrad!" Die führende Frau holt auf!

Ich versuche irgendwie Abstand zu gewinnen. Und siehe da, ein junger Mann in Schwarz wird vor mir sichtbar. Am letzten Verpflegungspunkt bei km 39 kann ich ihn mit der bewährten Technik überholen. Als ich mich beschleunigten Schrittes aus dem Staub machen will, spüre ich plötzlich Schwindel in den Kopf steigen. Laufen am Limit. Ich fürchte, dass die nächste Stufe "Ohnmächtig umfallen" ist und reduziere mal lieber das Tempo.

Der folgende Anstieg tut sein Übriges in Sachen Geschwindigkeit. Alles, was nicht völlig topfeben oder abschüssig ist, muss ich jetzt gehen. Die Oberschenkel sind hinten nur noch Schmerz. Eindeutig zu wenig Hügeltraining! Der schwarze Mann überholt. Aber ich kann im Flachen und vor allem bergab schneller! Und so wogt das Geschehen hin und her. Mal ist er vorn, mal ich.

Dann kommt die Staumauer, die den Namensgebers des Laufes entstehen ließ, in Sicht. Da müssen wir hoch! Es dürfte sich ja wohl um die letzte Anhöhe handeln. Insofern kann ich mich doch zum Laufschritt durchringen. Von der Mauerkrone aus sehe ich auf der anderen Seeseite das Ziel, während Blau und Frau direkt hinter mir das Stauwerk erklimmen.

Schwarz hat rund 30 m Vorsprung. Ich gehe nochmal bis an die Schwindelgrenze, um ihn einzuholen. Endlich neben ihm, lässt er ein "Ich bin fertig!" hören und fällt ins Gehen. Es können nur noch ein paar Hundert Meter sein. Etliche medaillendekorierte Finisher der Unterdistanzen kommen uns entgegen. Hatten die wenigen Passanten unterwegs noch in der einen oder anderen Form Anteil genommen, überwiegt bei den Medaillenträgern völliges Desinteresse am dramatischen Geschehen auf diesen letzten Metern.

Start und Ziel im Strandbad "Waldenburger Bucht"

Ein Schild verheißt: "Noch 250 Meter, dann gibt es Krombacher". Ich wähne mich des sechsten Platzes sicher. Da taucht an meiner Linken eine völlig neue Farbe auf. Der Mann muss sich von ganz hinten durchgearbeitet haben, denn ich sehe ihn zum ersten Mal. Kalt erwischt entfährt mir ein: "Das kann doch jetzt nicht wahr sein!" Ein letztes inneres Aufbäumen ist nötig, um den sechsten Platz ins Ziel zu bringen. Die Zeit von 3:47:18 reicht für den Sieg der Altersklasse.

Das am Morgen gewünschte "Anhäufen von Erlebnissen" muss mir wohl ziemlich wichtig sein. Anders ist die heutige Schinderei nicht zu erklären.

Montag, 26. Juni 2017

Generationenwechsel beim b2run 2017

"Diesmal laufe ich vor dir ins Ziel! Ich bleib' einfach an dir dran. Und zum Schluss überhole ich dich!" So spricht der Junior und eröffnet damit das psychologische Gefecht schon im Vorfeld des Düsseldorfer Firmenlaufes b2run.


Die Rahmenbedingungen sind für uns beide und die anderen 12000 Starter immerhin gleich. 35 Grad misst das Auto bei der Anfahrt und 27 Grad bei der Rückfahrt. Wenigstens bewölkt es sich kurz vor dem Start um 19 Uhr.

So moderat bin ich noch bei keinem b2run losgelaufen. Denn wir belauern uns gegenseitig und sparen Kräfte für den unausweichlichen Zweikampf. Mal liege ich vorn, mal der Junior. Sein Laufstil strahlt eine einschüchternde Leichtigkeit aus. Er lässt keinerlei Atemgeräusch vernehmen, während ich schon deutlich hörbar Luft ziehe. Mir ist klar, dass ich es nicht auf einen Endspurt ankommen lassen darf. Gemeinsame Steigerungsläufe haben mich schmerzlich gelehrt, dass explosive Spurtkraft der Jugend vorbehalten bleibt.

Also lautet der Plan, ab Kilometer Vier das Tempo zu verschärfen. Der Junge hat offenbar dieselbe Idee. Als von hinten zwei schnelle Läufer vorbeiziehen, hängt er sich dran. Ich auch. Für ein paar Meter. Dann entsteht ein Lücke. Die Lücke wird größer. Irgendwann sehe ich ein, dass ich diesen Abstand nicht mehr verringern können werde. Der Nachwuchs federt leichtfüßig und locker von hinnen. Jetzt überholt er auch noch die beiden Schnellen!

"Wird der Junior im nächsten Jahr vor seinem Erzeuger ins Ziel laufen?", endete mein Blogeintrag aus dem Vorjahr. Nun habe ich Gewissheit. Meine Motivation ist weg. Ich tröste mich mit dem Überholen der zweiten Frau und trotte einsam Richtung Ziel. Gerade als ich für den Fotografen so tue, als ob es Spaß macht, erscheint ein Konkurrent an meiner Schulter. Da flackert der Wille doch noch mal kurz auf, um das im Endspurt zu korrigieren.

Mein Sohn wartet schon seit einer halben Minute im Ziel. Neben dem väterlichen Stolz bleibt mir der Trost, mit 25:01 meine bisher schnellste Zeit auf der 6,2-km-b2run-Strecke gelaufen zu sein.

Dienstag, 6. Juni 2017

Mönchengladbach Marathon 2017

Laufen bildet. In Mönchengladbach lerne ich am Pfingstsamstag beim Santander-Marathon, dass der Name des Sponsors nicht auf dem zweiten A, sondern auf dem letzten E betont wird. Der Kopf verlangt an diesem heißen Nachmittag jedoch nach ganz anderem Input: "Wasser!"

An einem schwülheißen Frühsommer-Wochenende erscheint eine nachmittägliche Startzeit von 16:30 Uhr wenig geschickt gewählt. Nicht nur, weil sich bis dahin die Tagestemperaturen auf ihr Maximum gesteigert haben, sondern vor allem, weil die Gewittergefahr im Tagesverlauf zunimmt. So musste die Lauf-Premiere im letzten Jahr wegen eines Unwetters abgesagt werden. Und auch heute sind Gewitter, Starkregen und Hagel gemeldet. Aus meiner Sicht ist es einfach Glück, dass die Stadt diesmal nicht betroffen ist.

Ursprünglich wollte ich mir ein hagelsicheres Parkhaus suchen. Im Anreise-Stau reduziere ich meine Ansprüche auf das Erreichen des offiziellen Parkplatzes. Mein Navi will geradeaus, wo die Streckensperrung nur rechts oder links erlaubt. Die Ordner wissen nichts von einem Parkplatz für die Teilnehmer. Die Uhr tickt. Als ich eine Lücke am Straßenrand entdecke, entledige ich mich des mittlerweile lästig gewordenen Gefährts und finde mich mitten im Rotlichtviertel wieder. Schnellen Schrittes und etwas besorgt bringe ich die zwei Kilometer zum Start hinter mich.

Schaufenster-Deko am Parkplatz


Die Kleiderbeutel-Abgabe in Mönchengladbach überrascht. Ein winziges Zettelchen im Eintrittskartenformat des letzten Jahrhunderts (die zum Abreißen von einer Rolle, falls sich noch jemand erinnert), handbeschriftet mit einer Zahl (nicht der Startnummer!), wird vom Personal liebevoll mit einer Sicherheitsnadel an den Kleidersack geheftet. Anschließend landet der Sack auf dem großen, ungeordneten Haufen der anderen Kleiderbeutel. Daraufhin erhalte ich ein Duplikat der Eintrittskarte. Wohin nun mit diesem Papierschnipsel? Wird er unterwegs durchweichen? Oder wird die Schrift verlaufen? Warum hat man überhaupt die Kleiderbeutel-Abgabe neu erfunden? Na, ich bin schon auf das Mönchengladbacher Rad gespannt!

Trubel vorm Start

Noch rechtzeitig, aber mittlerweile ein wenig "negativ vorgespannt" brate ich bei 28 Grad im Startblock in der prallen Sonne, wo sich der 4-Stunden-Hase vor dem für 3:30 eingereiht hat. "Vier Runden durch Mönchengladbach. Der Marathon, den niemand braucht", entwerfe ich bereits die ersten Zeilen eines Blogeintrags, ganz im Stile eines frühen Stuckrad-Barre. Das Pulsmesser - der unfehlbare Marathonkritiker, vor dem die Laufveranstalter zittern!

Der erlösende Startschuss und das folgende meditative Tapp-Tapp der Schritte lassen mein Mütchen langsam abkühlen. Oder ist es das Wasser, das ich mir an den VP's über den Kopf schütte? 50000 Liter hält der Veranstalter davon bereit. Bei 1600 Halbmarathonis und 600 Marathonläufern bleiben, grob überschlagen, fast 25 Liter für jeden. Das sollte reichen.

Die gute Laune setzt sich endgültig durch, als Dennis zu mir aufschließt. Kennengelernt hatten wir uns im vorigen Jahr auf der Strecke des Düsseldorf Marathons. Und auch heute plaudern wir uns durch die Stadt. Dennis punktet mit der Anekdote von einem 10-km-Wettkampf, bei dem er dicht hinter dem Drittplatzierten läuft und diesen immer wieder angreift. Jedes Mal kann der Attackierte den Zwischenspurt parieren und seinen Verfolger in die Schranken weisen. Erst im Endspurt setzt sich Dennis durch und wird im Ziel von der wütenden Ehefrau des nun Viertplatzierten mit den Worten empfangen: "Sich die ganze Zeit ziehen lassen und dann kurz vor Schluss überholen! Das kannst du mit meinem Mann nicht machen. Der ist IronMan!"

Nachzielbereich

Das I-Tüpfelchen setzt diesem Lauf das Publikum auf. Für die Zuschauer wird durch das viermalige Vorbeirennen einiges zum Gucken geboten. Und sie revanchieren sich mit echter Anteilnahme, die ganz persönlich gemeint ist, da man vereinzelt defiliert, anstatt inmitten der anonymen Läufermasse eines großen Straßenmarathons. Da sind die Mädels, die auf jeder Runde für uns "La Ola" initiieren. Oder die ältere Dame, die barfuß auf der Straße tanzt und dabei einen bunten Wimpel schwenkt. Eine andere Frau verteilt feuchte Reinigungstücher. Als sie ihr ausgehen, stellt sie auf Wischlappen um. Nicht nur Kinder lassen sich abklatschen, auch der Rollstuhlfahrer mit den Atemschläuchen in der Nase ist begeistert bei der Sache. Überall sind Gartenduschen und Rasensprenger aufgebaut. Alternativ wird aus Spritzpistolen kühlendes Nass versprüht.

Erst als dieses kühlende Nass in Form eines kräftigen Schauers von oben kommt, ändert sich in der dritten Runde recht plötzlich der Charakter der Veranstaltung. Das Publikum verschwindet. Wolken verdecken die Sonne. Es weht bei 20 Grad ein leichter Wind. Und dann überholt uns auch noch der 3:30-Hase!

Der Gewinner der AK M80 im Halbmarathon

Das kann ich nicht zulassen, wähnte ich uns doch die ganze Zeit auf 3:30-Kurs. Den hatte ich allerdings nur anhand der GPS-Pace bestimmt. Dennis sieht es nicht ganz so eng und schickt mich allein dem Hasen hinterher. Gerade als ich nach einem kurzen Zwischensprint den BuZler und seinen einzigen Mitläufer einhole, schnallt der Pacer sein mächtiges Tragestell mit der Zeitfahne vom Rücken und geht erstmal aufs Klo.

Ich renne also allein weiter. Diese endbeschleunigte, letzte Runde tut erstaunlich weh. Abends über heißen Asphalt zu rennen ist wohl nicht ganz meine Lieblingsdisziplin. Nach 3:28:19 habe ich es zu Ende gebracht und nehme die Medaille nebst einem Stoffbeutel mit zwei Äpfeln und einem halben Liter Wasser in Empfang.

Und auch meinen Kleiderbeutel bekomme ich wieder. Ich hatte zu Hause vorsorglich meine Startnummer mit Edding draufgeschrieben.