Montag, 19. November 2018

Gipfelsteig auf Borkener Traumtrails




Klappspaten und Grabkreuz
Nach meiner läuferischen Unpässlichkeit der letzten Wochen erscheint mir ein Gruppenlauf genau richtig für eine erste Veranstaltungsteilnahme. Doch als sich herausstellt, dass der Guide einen Klappspaten und ein Grabkreuz in seinem Laufrucksack mitführt, kommen Zweifel an diesem Entschluss auf. Werden die 21 Kilometer wirklich derart fordernd sein, dass unterwegs jemand „auf der Strecke bleiben“ wird und verbuddelt werden muss?

Schmerzen in der Leiste beeinträchtigten mich weder beim Laufen noch in sonstigen Aktivitäten. Erst nachts im Bett überkam mich die Pein und raubte mir den Schlaf. Auf Dauer war die Schlaflosigkeit nicht auszuhalten. Schließlich ist Schlafentzug eine beliebte Foltermethode. Laufpause und Absage des eigentlichen Herbst-Events „Röntgenlauf“ waren der einzige Ausweg.

Die heutige Startzeit von 13 Uhr ist dem schlafbedürftigen Läufer sehr zuträglich. Die Mittagssonne steht hoch am blauen Himmel. Das Naturschutzgebiet präsentiert prunkvolle Herbstfärbungen. Da sieht selbst "Magerrasen" attraktiv aus. Im ehemaligen Truppenübungsplatzgelände stellt dieser Bewuchs im sandigen Boden eine Besonderheit dar. Später werden uns noch Hünengräber, Findlinge und diverse Gipfel gezeigt.

Doch dazwischen ist es besonders interessant. Der Weg ist eben das Ziel. Und dieser Weg ist fast ein einziger Single-Trail! Spezielle Abschnitte sind unseren Führern gewidmet und sogar entsprechend beschildert. Wir passieren u.a. den "Herbert-Trail", den "Stefan-Steig" und die "Christiane-Schleife". Selbst an Südsee-Gestade verschlägt es uns. Jedenfalls markiert ein Schild ein Gewässer als den oder die "Velener Südsee".

Südsee

Ich habe mich der schnellen Tempogruppe angeschlossen. Eine gute Wahl. Natürlich wird immer wieder zwischendurch gewartet, aber wenn gelaufen wird, jagt der 65-jährige Guide Herbert wie ein junger Hüpfer voraus. Bergauf und auf den ausgeschilderten Trails gibt es jeweils Tempoeinlagen. So macht Gruppenlaufen Spaß!

Nachdem am Gipfelkreuz Schnaps ausgeschenkt wurde, hört man im Feld das übliche Geprotze. Seltsamerweise drehen sich die Heldengeschichten diesmal aber nicht um Schneller-Höher-Weiter. Sondern es geht um die größte jemals zu sich genommene Kalorienmenge. Alle verstummen in Ehrfurcht, als ein Läufer berichtet, er habe als 16-jähriger einmal eine ganze Schoko-Sahne-Torte gegessen.

Der Seemann hat in jedem Hafen eine Braut, der Trailrunner hat eine in jedem Wald. So scheint es, als uns eine Dame in knappen Mieder mit einer Kaffeekanne empfängt. Dieser Wald steckt voller Mysterien! Keine Ahnung, wer diese lebensgroße Puppe hier im Gehölz platziert hat.

Trailrunners Braut?
Als wir unser Spielgelände verlassen, erwarten uns nicht minder attraktive, jedoch witterungsgerecht gekleidete Damen mit richtigem Kaffee. Und mit Kuchen, Gebäck, Wasser und Bier! Sogar eine Urkunde darf ich mir als Erinnerung mit nach Hause nehmen. Diesen herrlichen Lauf hätte ich aber ohnehin so schnell nicht vergessen!

Mittwoch, 24. Oktober 2018

Rügenbrückenmarathon 2018

Wenn es beim Marathon mit der Zielzeit mal wieder nicht klappt

Immer wieder zieht es mich an die Ostsee. Die Fischland-Darss-Region, zwischen Meer und Bodden gelegen, hat zu jeder Jahreszeit ihren Reiz. Zu den weiten Sandstränden, der Steilküste, dem Darss-Wald und dem Boddenufer kommt im Herbst noch die Kranichrast als weitere Attraktion hinzu. Dass es mit dem Rügenbrückenmarathon auch noch einen Wettkampf in der Nähe gibt, fällt mir eher zufällig auf.

Pfeiler der Rügenbrücke im Morgenlicht

Die rund 50 km lange Anfahrt Richtung Osten führt direkt in einen spektakulären Sonnenaufgang, der leider das Ende der sommerlichen Wetterperiode markiert. Am Start auf der Hafeninsel in Stralsund weht ein eiskalter Wind bei ohnehin schon einstelligen Temperaturen. Ich entscheide mich dazu, die kurze Laufbekleidung mit Kappe und Ärmlingen zu ergänzen. Das unmittelbar am Start befindliche Festzelt bietet Wetterschutz bis zum Schluss. Auf dem Weg zum Start kann ich problemlos meine eigene Sporttasche in einem der Gepäckzelte abgeben.

Von den rund 130 Marathonis wagt sich keiner bis direkt an die Startlinie vor. So kommt es zu einem "fliegenden Start". Und ich bin für ein paar Hundert Meter unter den Top Ten! Da bin ich wohl ein wenig übermotiviert zu Werke gegangen. Nicht schneller als 3:30 will ich laufen, denn der eigentliche Wettkampf steht mit dem Röntgenlauf bereits in einer Woche im Plan. Die Tempofindung gestaltet sich angesichts fehlender Markierungen auf den ersten 10 km als schwierig. Das GPS gaukelt mir ein gute 4er Pace vor. Das erscheint mir wenig plausibel, lasse ich mich doch jetzt reihenweise überholen.

Laufstrecke - vorm Start noch hochgeklappt
Das namensgebende Bauwerk wird nach einem guten Kilometer erreicht und hat laut Schild eine Länge von 2830 m. Nach dem Überlaufen haben wir alle 150 Höhenmeter im Sack und auch sämtliche Attraktionen der Strecke gesehen. "Da hättest du auch am Niederrhein durch die Felder rennen können", denke ich gerade. Da fällt mir der DDR-typische Beton-Platten-Weg unter meinen Füßen auf. Nachdem ich diese Spezialität ein paar Kilometer lang würdigen konnte, kommen wir doch noch ans Wasser. Obwohl es sich um Salzwasser handelt, fühle ich mich am baumbestandenen Wiesenufer eher wie an einem Binnensee. Statt auf's offene Meer blickt man direkt gegenüber auf das Festland.  Wir laufen am Strelasund entlang. Angesichts dieser geschützten Lage kann man gut nachvollziehen, warum die Seefahrer Stralsund als Hafen ausgewählt haben.

Sonnenaufgang in Stralsund

Ein gerade erwachter Fahrradtourist wird von uns Marathonläufern in der einsamen Natur überrascht. Neben seinem Einmannzelt versucht er im Wind ein kleines Feuer für seinen Morgenkaffee in Gang zu bringen. Dadurch bekommt der Lauf sogar einen echten Zuschauer! Ansonsten seien heute 300 Helfer aktiv. Viele stehen als Streckenposten am Kurs. Sie alle applaudieren uns mit viel Anteilnahme. Andere betreiben die in ausreichender Zahl vorhandenen Labestationen. Ich nehme unterwegs nur ein paar Schlucke Wasser. Aus zwei Gründen bleibe ich beim Trinken stehen. Mein Hemdchen soll im kalten Wind nicht auch noch nassgesabbert werden. Und ich will den Plastikbecher direkt in den Mülleimer werfen, da der starke Nordost die Trinkgefäße schneller in der Landschaft verteilt, als die Helfer sie einsammeln können.

Im Wesentlichen handelt es sich um eine Pendelstrecke. Durch ein paar Varianten liegt der Umkehrpunkt allerdings erst nach dem Halbmarathon. Etwa ab hier begleitet mich Christian. Die Begegnung mit dem jungen, sympathischen Triathleten macht aus dem Lauf etwas Besonderes. Er hat vor drei Jahren auf dieser Strecke sein Marathondebüt gewagt und fürchterlich Lehrgeld gezahlt. Nach rund 4:30 war er ins Ziel eingewandert. Inzwischen steht bald sein erster Iron-Man im Plan. Deshalb will er heute ein zweites Mal Marathonerfahrung sammeln. Ich bin beeindruckt, wie unverbissen er sein Ziel angeht. Bis in die Dreißiger kann er sich locker mit mir unterhalten. Ich zweifele nicht an seinem erfolgreichen Finish.

Maritime Kulisse am Ziel

Als wir wieder die Rügenbrücke erreichen, ist dort eine riesige Party im Gange. Der Moderator peitscht den Massen ein, die stöckeschwingend das Bauwerk bevölkern. Der volle Name der Veranstaltung lautet nämlich etwas sperrig: "Rügenbrücken-Marathon Rügenbrückenlauf & DAK-Walking Day". Bei 4000 Teilnehmern sind 126 Marathon-Finisher nur exotisches Beiwerk.

Immerhin, wir müssen uns nicht auf der neuen Brücke durch die Nordic-Walker drängen. Wir bahnen uns unseren Weg durch die Kurzdistanzler auf der parallel verlaufenden, alten Klappbrücke. Die Skyline von Stralsund ist schon länger zu sehen und lockt ins Ziel. Obwohl wir seit der Wende mit dem Gegenwind kämpfen, ist mein Begleiter sogar zu einer Endbeschleunigung fähig. Mir ist das eigentlich viel zu schnell. Während ich mit 3:22:40 mein 3:30er Zeitziel verfehle, verbessert Christian seine Marathonzeit mal eben um eine Stunde und acht Minuten.


Sonntag, 7. Oktober 2018

Hollands härtester Halber: Häufig höchste Halde hurtig hinauf - Wilhelminaberg Trappenmarathon

Über überraschten Überraschungssieger, der auf einer Treppe auf's Treppchen läuft

Der Junior gewinnt auch, wenn er nicht startet. Als 400. Voranmelder bekommt er ein Handtuch, bestickt mit dem Logo des Wilhelminaberg Trappenmarathons. Auch bei dieser Veranstaltung hat er mich von der Marathondistanz auf den Halbmarathon heruntergehandelt. Gemeinsam wollten wir Stufe um Stufe 21-mal die Halde erklimmen.

Wegen seiner Verletzung bin ich allein hier und ihm sagenhaft dankbar für die Streckenhalbierung. Denn nicht eine einzige Treppe hatte ich im Vorfeld zumTraining besucht. Und die Oberschenkel brennen noch vom Feiertagssieg. Allein die Begeisterung für den Hivernaltrail und den Coriotrail hat mich hergetrieben. Denn dieser Treppenlauf, ausgeschrieben als "Hollands härtester (Halb-)Marathon", ist der dritte Wettkampf, den der sympathische Organisator auf die Beine stellt.

Treppe von oben

Die Königsdisziplin ist "Last Man Standing". Dabei gilt es, innerhalb von 9 Stunden so oft wie möglich die Treppe zu erklimmen. Mindestens ist jedoch die Marathondistanz zu schaffen. Der Marathon ist noch einmal eigener Bewerb, genauso wie je ein 10-, 5- und 1-km-Lauf.

Hollands längste Treppe mit ihren 508 Stufen ist mir schon vom Hivernaltrail bekannt, wo sie direkt zu Beginn den ersten Anstieg bildet. Mit ihren 80 (je nach Quelle auch 90) Höhenmetern zwingt sie bei diesem Trailrun den unten optimistisch zwei Stufen Nehmenden in der Mitte zu einer Reduktion auf eine Stufe. Spätestens oben gehen dann alle.

Aus dieser Erfahrung heraus will ich von Anfang an aufwärts gehen. Doch zunächst rennen wir bergab, denn Start und Ziel liegen auf dem Gipfel. Auf einem geschwungenen Pflasterweg werden wir talwärts geleitet, bis wir im unteren Haldenbereich auf die Treppe stoßen und diese bis zur Talsohle nehmen müssen. Unten umrunden wir einen kleinen Teich. An dessen Ufer gibt es einen Zuschauerbereich, einen Massage-Punkt und vor allem einen DJ, der einen nach der Wende mit seinen fetten Bässen die ersten Stufen quasi hinaufdrückt. Das macht richtig Laune. Und am oberen Ende empfängt einen der Moderator. Ich verstehe nicht wirklich, was dieser sagt. (Das wird noch Auswirkungen haben.) Aber langweilig wird es hier jedenfalls nicht.

Unterer Wendepunkt
Auffällig ist ein Läufer mit asiatischen Wurzeln wegen des großen Rucksacks, den er mitschleppt. (Es gibt auf der Runde einen VP, also aller 1000 Meter Versorgung.) Auch sein Laufstil ist seltsam, dreht er sich doch ständig um und wirkt gehetzt. Tatsächlich überhole ich ihn stets talwärts, während er treppauf an mir vorbeisprintet. Ich gehe nur zügig, nehme aber zwei Stufen auf einmal.

Auch abwärts überspringe ich jede zweite Stufe. Anfangs hatte ich trippelnd jede Stufe genommen. Das war zwar sicherer, dauerte aber einfach zu lange. Bei meiner "Doppelstufenstrategie" spielen mir die tiefstehende Sonne und mein Gehirn einen Streich. Man weiß ja von Kühen, dass sie diese im Boden eingelassenen Weideroste nicht überqueren können. Mir geht es beinahe so mit den Treppenstufen, die jeweils in einen schattigen und einen sonnigen Bereich geteilt sind. Dadurch erscheinen sie meinem Unterbewusstsein als zwei Stufen. Ich muss hier mit aktivem Nachdenken gegensteuern und strauchele trotzdem gelegentlich.

Haldenspitze

So richtig ins Stolpern bringt mich aber erst ein Mitläufer, der plötzlich die Arme ausbreitet und mich so fast niederstreckt. Ich klammere mich an seiner ausgestreckten Extremität fest, bis meine Füße wieder Halt finden. Nochmal gutgegangen!

Nach der fünften Runde vermisse ich meinen asiatischen Begleiter. Seine Bergsprints bleiben jetzt aus. Ich hingegen komme langsam in einen Rhythmus. Beim Start hatte ich ganz hinten gestanden und war es verhalten angegangen. Somit fiel die erste Runde mit 8 Minuten am langsamsten aus. Zu Hause hatte ich abgeschätzt, dass ich zwischen 2:30 und 3 Stunden für die ausgeschriebenen 1800 Hm benötigen dürfte. Wenn ich weiterhin unter 8 Minuten bleibe, kommt das genau hin.

Die achte Runde wird mit 7:04 meine schnellste. Ich gerate in den Flow. "Gleich hast du die Hälfte und bist 'über den Berg' (haha)!" Und dann renne ich wohl eine Weile in Trance. Wie immer drücke ich auf der Haldenspitze die Rundentaste und erwarte, meine zwölfte Runde abzuschließen. Da sind es schon 14! Überrascht überprüfe ich die Kilometer. Tatsächlich, auch 14! Die positiven Gefühle verstärken sich weiter.

Trappenmarathon

Lustig sind auch die nächsten Begegnungen mit dem berucksackten Läufer. Ich überrunde ihn noch zweimal. Jedesmal guckt er sich hektisch um, wenn ich hinter ihm auftauche, und legt einen kurzen Zwischensprint ein. Ob es was Persönliches zwischen uns beiden ist?

Bergab lasse ich es mitlerweile krachen. Die ursprüngliche Sorge, dass es abwärts besonders schmerzhaft werden könnte, bestätigt sich glücklicherweise nicht. Das bleibt dem Aufstieg vorbehalten. Hier nehme ich inzwischen gelegentlich das Geländer zu Hilfe. Ich habe mir sogar von den Vorjahresbildern einen Profitrick abgeguckt und einen Handschuh dabei. Tatsächlich ist die Metall-Reling erstaunlich kühl, aber bei den heutigen 25 Grad benötige ich den textilen Kälteschutz nicht.

Irgendwie waren meine morgendlichen Bergläufe mit jeweils etwa 1000 Hm im Sommerurlaub nicht völlig sinnlos. Sie sind jedenfalls das Einzige, was ich heute als Training vorzuweisen habe. Und so bin ich selbst erstaunt, dass ich bis zum Schluss meiner "Doppelstufenstrategie" sowohl ab- als auch aufwärts treu bleiben kann.

Unterer Hotspot mit Blick auf die Treppe

Nach 2:37:34 darf ich den roten Teppich betreten, mit dem die zusätzlichen Stufen, die zur Haldenspitze führen, ausgelegt sind. Oben erwarten mich Jubel und eine Pressefotografin. Als ich nach einer Weile den wohlmeinenden Kommentatoren zu bedenken gebe, dass ich des Holländischen nicht mächtig bin, ruft man mir zu: "You are the winner!" Völlig perplex gebe ich ungläubig zurück: "I'm the winner?" Und dann, als ich es realisiere: "I am the winner!" Daraufhin möchte die Pressefrau die Fotos nochmal machen. Eine andere Frau will ein Selfie mit mir! Vermutlich werde ich demnächst im Alkohol- und Drogenrausch mein Hotelzimmer demolieren.

Doch zunächst muss ich mit den zerstörten Beinen erstmal irgendwie diesen Berg wieder runterkommen.

Siegprämien





Freitag, 5. Oktober 2018

Medaillen, Pokale und Krücken - Die "5 - 50 km von Hitdorf"

Es war ein zähes Ringen! Nicht der Wettkampf selbst, sondern die Diskussion mit dem Junior über die zu wählende Streckenlänge. Schließlich stehen in Hitdorf von 5 bis 50 km jede Menge Optionen zur Auswahl. Meine Präferenz liegt ganz klar auf den 50 km. Letztlich lasse ich mich auf 25 km herunterhandeln. Die spätere Startzeit von 12 Uhr überzeugt den Langschläfer in mir. Außerdem kann so die ganze Familie zum Feiertagsausflug an den Hitdorfer See mitkommen. Meine Tochter will sogar beim 5-km-Lauf starten!

Der Erstgeborene hat die Vorjahres-Ergebnislisten sorgfältig analysiert. Es scheint für ihn möglich, den 10-km-Lauf zu gewinnen, ohne ans Limit gehen zu müssen. Selbst für mich müsste ein Treppchenplatz drin sein. Wir wollen also auf Sieg laufen, immerhin sind die ersten drei Plätze jeder Distanz mit Pokalen dotiert. Aber auch jeder Finisher bekommt seine Medaille.

Diszipliniert führt uns der Nachwuchs-Trainer durch das Aufwärmprogramm, das nach dem Warmtraben auch Lauf-ABC und ein paar lockere Steigerungen beinhaltet. Bei der letzten Steigerung, ganz kurz vor dem Start, schießt dem Jungen ein Schmerz in die linke Wade.

Unbesorgt begeben wir uns auf die Strecke. Die 50-km-Läufer sind schon seit 9 Uhr unterwegs. Die Aspiranten der 5-, 10- und 25-km-Distanz starten gemeinsam. Staffelläufer sind wohl auch noch dabei. Es ist aber nicht feststellbar, wer welche Strecke läuft. Ich versuche, mich nicht von den ganz schnellen Kurzdistanzlern mitreißen zu lassen, aber trotzdem den Anschluss an etwaige Konkurrenz nicht zu verlieren. Nur, wer ist das?

Der Nachwuchs, der dem väterlichen Blick bereits entschwunden war, gerät plötzlich wieder in Sicht. Und was ich da sehe, macht einen sehr unrunden, ja ungesunden Eindruck. Mir krampft sich die Seele zusammen angesichts dieses jammervollen Anblicks und der zerstörten Hoffnungen. Als ich ihn einhole, liegt erst ein Kilometer hinter uns. Ich rate ihm, umzukehren und sich im Sani-Zelt behandeln zu lassen. Der sture Hund hört natürlich nicht!

Nach und nach werden die anfänglichen Lossprinter von ihren Kräften verlassen. Übrig bleiben ein Rotgewandeter und ein in schwarze X-Bionics-Kompressionswäsche Gepresster. Bei dieser Bekleidung bin ich mir stets unsicher, ob sie nicht eigentlich als Unterwäsche gedacht ist.  Der Gepresste legt unterwegs einen beachtlichen Zwischenspurt hin und zieht vorbei. Nur um kurz darauf wieder zurückzufallen. Fast ist die erste 5-km-Runde geschafft. Da setzt er zum Endspurt an. Denke ich und feuere ihn bei seinem vermeintlichen 5-km-Finish an. Aber offensichtlich kam es ihm nur auf eine gute Zwischenzeit bei seinem 10-km-Lauf an. Auch der Herr in Rot signalisiert der Moderatorin, dass er noch eine weitere Runde läuft. Ich hebe vier Finger. Das Konkurrenz-Ding wäre damit geklärt. Selbst wenn weit vorn unter den ganz flux Entsprinteten noch ein 25er Kollege steckt, sollte mir zumindest einer der drei Pokale sicher sein.

Als es wieder am Waldrand in die Felder geht, schmilzt plötzlich der Vorsprung des Roten. Er bricht offenbar ein, denn schneller werde ich definitiv nicht. Bei Kilometer Sieben bin ich vorbei. Dann genieße ich das kleine Trailstück, das hinunter zum Ufer leitet, um dort dem Neanderlandsteig zu folgen. Das Segment kommt mir doch bekannt vor!  Kurz vor dem Ende der Runde treffe ich noch einmal auf meinen Sohn. Er schleppt sich hinkend ins Ziel, um sich wenigstens die 5-km-Finisher-Medaille zu verdienen. Im Sani-Zelt wird er massiert. Danach kann er das linke Bein vor lauter Schmerz gar nicht mehr belasten.

Bei meinem dritten Zieldurchlauf wird dort gerade der Sieger der 10 km aufs Podest gerufen. Es ist der Rote! Da habe ich also vorhin unterwegs heimlich den 10er gewonnen. (Anm.: Um mein Geprahle ins rechte Licht zu setzen, sei erwähnt, dass der 50-km-Sieger die 25 km viel schneller als ich absolviert hat.) Außerdem steht meine Tochter strahlend mit einem Pokal an der Strecke. Sie ist dritte „Frau“ über 5 km geworden! Und das nur aus dem Schwimmtraining heraus, ohne spezifische Laufeinheiten zu absolvieren. Umgekehrt funktioniert das bei mir mit dem Schwimmen leider nicht!

Zwei einsame Runden später, nach insgesamt 1:50:47, erhalte ich Gewissheit, als mich die Moderatorin als 25-km-Sieger empfängt. Eine Viertel Stunde später sind alle Treppchenläufer im Ziel, und es erfolgt sofort die Siegerehrung. Überhaupt ist diese liebevoll-handgemachte Veranstaltung hervorragend organisiert. Mein Sohn charakterisiert das Event ziemlich treffend als Kreuzung aus den "24 Stunden von Breitscheid" und dem "Ratinger Seeuferlauf". Das schließt Landschaft und Atmosphäre mit ein. Mir ist unverständlich, warum der Lauf mit nur acht 50-km-Finishern noch immer ein Geheimtipp zu sein scheint. Ich habe den 3. Oktober 2019 bereits vorgemerkt. Der Junior sowieso. Der hat jetzt hier eine offene Rechnung.

Zunächst transportieren wir ihn aber erstmal ins Krankenhaus, das er mit der Diagnose "Zerrung", einem Verband und zwei Krücken wieder verlässt.


Nachtrag 5.10.: Mittlerweile kann der Rekonvaleszent das linke Bein bereits so weit belasten, dass Fortbewegung ohne Krücken wieder möglich ist.