Freitag, 28. Oktober 2016

Trailrunning Algarve



„Please hold tight now. We will do a landing on the sand – like James Bond!“, ruft der Bootsführer und stellt den Gashebel des Außenbordmotors auf “Volle Kraft”. Wir rasen mit Höchstgeschwindigkeit direkt auf den Strand zu. Einen kräftigen Ruck später schießt das Boot auf den Sand, so dass wir die einsame Bucht trockenen Fußes erreichen.

Es gibt hier an der Algarve inmitten des Steilufers jede Menge solcher Strände, die nur per Boot erreichbar sind. Nach der gestrigen Bootstour schaue ich mir die Buchten heute mal von oben an - bei einem Trail-Lauf entlang der Steilküste.

Ich starte beim Leuchtturm von Carvoeiro und laufe Richtung Osten auf dem steinigen, felsigen Trampelpfad, der direkt entlang der Klippen führt. Vier Stunden will ich unterwegs sein. Der simple Plan sieht eine Umkehr nach der Halbzeit vor.
 
Benagil Höhle*
So richtig komme ich nicht vorwärts, denn ständig lockt ein atemberaubender Buchtblick zum Verweilen und Fotografieren. Ich komme auch am Strand von Benagil vorbei, von dem aus ich neulich in die berühmte Höhle „Grutas de Benagil“ geschwommen bin, die einen eigenen Strand beherbergt, der durch eine Öffnung in der Decke von der Sonne beschienen wird.
 
Blick in einsame Bucht
Obwohl am Ende nur gut 600 Höhenmeter auf der Uhr stehen werden, sind immer wieder felsige Steilstufen zu überwinden, teilweise unter Zuhilfenahme der Hände. Manchmal ist der Weg so dicht zugewuchert, dass das Gestrüpp wie Fußangeln wirkt. Wo es höher steht, zerkratzt es mir die nackten Arme. Mein Shirt ist klitschnass, obwohl es mit 22 Grad nicht zu heiß ist. Doch die pralle Sonne und die ungewohnt hohe Luftfeuchtigkeit scheinen so schweißtreibend zu wirken.
 
Ein Pärchen zeltet auf der Klippe über dem Praia de Marinha
Deshalb bin ich auch hin und her gerissen, als das Naturidyll plötzlich in Bebauung endet. Denn inzwischen ist mir klargeworden, dass der mitgenommene Liter Wasser nicht ausreichen wird. So bin ich froh, nachher auf dem Rückweg hier Getränk nachkaufen zu können. Andererseits ist der wunderschöne, große Sandstrand von Armação de Pêra mit hässlichen Hochhäusern verschandelt worden.
 
Praia de Marinha
Als ich Strandpromenade und Ort hinter mir gelassen habe, wird der Strand sehr einsam. Ein Fluß mündet hier ins Meer. Ich müsste ihn durchwaten, um weiter am leeren Strand oder in dem sich dahinter erstreckenden Dünengebiet zu laufen. Nur dann hätte ich den weiteren Weg mit sandigen Füßen zu bestreiten. Daher laufe ich lieber entlang des Grüngürtels, der den Flußlauf säumt, bis zu einer Straßen-Brücke im Landesinneren.
 
Strand bei der Flußmündung bei Armação de Pêra
Extrem laute Musik durchschallt das Nirgendwo. Auf einem Sandplatz neben der Straße parken jede Menge Kleintransporter und Pkw. Fröhliche Frauen in schönen Kleidern tanzen zur Musik. Dazwischen hocken Männer im Schatten, trinken und grillen. So verbringt scheinbar der Portugiese seinen Sonntag. Ich hingegen trotte unter der glühenden Sonne weiter. Nach der Flußüberquerung kann ich jetzt durch das Feuchtgebiet wieder Richtung Meer laufen. Und feucht ist es wirklich, denn ein Regenschauer hat den staubigen Boden in der letzten Nacht durchweicht. Somit wandeln sich meine Schuhe innerhalb weniger Schritte zu schweren Schlammklumpen. Das dick verklebte Profil bietet absolut keinen Halt mehr. Als Schlittschuhläufer trete ich den Rückweg an.

*Foto By Bruno Carlos [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Samstag, 8. Oktober 2016

SEELAUF ESSEN-BALDENEY

Wenn Vater nachts im Bett stöhnt, dann wissen die Kinder ... ihm tun die Beine weh. In anderen Familien mögen andere Legenden verbreitet werden. Ich jedenfalls hatte nach dem Köln-Marathon einiges zu stöhnen, während ich mich schlaflos auf meiner Matratze wälzte. Und am nächsten Morgen wollte ich alles, nur nicht zum Seelauf über 14,2 km an den Baldeneysee.

Dem Pulsmesser Jr. war dieser Lauf aber von seinen Vereinskollegen wärmstens empfohlen worden. Und wenn ich den Nachwuchs schon zu begleiten habe, kann ich mich auch gleich mit anmelden, so hatte ich vor ein paar Tagen noch leichtfertig gedacht. Immerhin ist in der Startgebühr von 13 Euro sogar ein umfangreiches Frühstücksbüfett nach dem Lauf enthalten. Ich könnte einfach nur zum Frühstücken mitfahren. Oder im 6er Schnitt ein bisschen mittraben? Oder dem Jungen den Hasen machen? Oder doch richtig auf Tempo laufen?

Start am Seeufer nach dem Regen
Es ergibt sich, dass man das Starterfeld von vorn, also von der Startlinie aus betreten muss. Irgendwie ist es mir zu doof, mich durch das wartende Feld nach hinten zu drängeln. Und so komme ich direkt hinter Ratingens schnellster Frau, Gladys, zu stehen. Ihr Trainer, Robert Jäkel, hatte ihr für den Lauf "Marathontempo" verordnet, was bei ihr knapp 4:15 min/km bedeuten dürfte. Da haben die Leute Trainer und Trainingspläne, und dann machen sie trotzdem, was sie wollen! Gladys prescht mit einem 4er Schnitt los.

Mir scheint der Startschuss direkt durchs Hirn gegangen zu sein. Denn was mache ich? Presche mit! Nach etwa drei Kilometern scheint Gladys in ihr eigentliches Tempo zu finden. Für mich ist das offenbar kein Grund, auch etwas zu entspannen. Denn stattdessen hänge ich mich an den nächstbesten Vordermann.

Fünf Kilometer liegen hinter uns. Da muss ich abreißen lassen. Und höre plötzlich wieder Gladys hinter mir. Doch als mich ein Herr einer höheren Altersklasse überholt, lasse ich mich weiter mitziehen.

Organisator und Moderator Ernst Peter Berghaus klatscht die Finisher ab
Bei Kilometer Sieben kommt die mentale Wende. Denn die Uhr zeigt zu meiner Verblüffung, dass ich unter einer Stunde bleiben kann, wenn ich das Tempo halte. Mein Zugläufer erlahmt. Oder vielleicht bin ich nur beflügelt. Auf jeden Fall überhole ich ihn. Und dann geht es auf der Original-Strecke des Baldeneysee-Marathons dem Ziel entgegen.

Hatte es vorm Start noch geregnet, verwöhnt jetzt die Sonne den See mit ihrem Herbstlicht. Bei völliger Windstille und Temperaturen knapp über 10 Grad kann man wohl von idealen Laufbedingungen sprechen. Die schnelle, flache Asphaltstrecke hält kurz vorm Ziel aber noch eine Überraschung bereit.

Regen vorm Start, Sonne im Ziel
Das Ultra-Pärchen Svenja und Denis John steht am Rand und weist auf den rechtwinkligen Abzweig zum Regattahaus hin. Es geht für etwa drei Meter quer über die Wiese und einen satten Höhenmeter hinauf. Ein echtes Stück Trail! Immerhin haben die 15 Läufer vor mir schon einen kleinen Trampelpfad geschaffen.

Zielgerade
Nach 0:57:55 ist es vorbei. Ich schaffe es gerade noch, mir eine warme Jacke überzuziehen, bevor ich schon Zielfotos von meinem Sohn machen kann. Er hat souverän seine Altersklasse gewonnen, während ich nur Vierter in der meinen wurde. Das ist ziemlich bitter, denn die Ehrung fällt mit Medaille, Lebkuchenherz und Sachpreis recht üppig aus.

Die Gesamtsieger erhalten zusätzlich Blumensträuße und Pokale. Und es bestätigt sich, was sich am Vortag in Köln schon andeutete. Gender-Mainstreaming hat in der Laufszene Einzug gehalten. Beim gestrigen Marathon waren nämlich mehrere männliche Läufer in pinkfarbenen Finisher-Shirts zu sehen. Und heute bekommt Gladys als weibliche Siegerin einen Einkaufsgutschein über 100 Euro - für Laminat im Baumarkt!


Mittwoch, 5. Oktober 2016

Köln Marathon

Köln ist Karneval. Da wird auch der Marathon vom Karnevalswagen aus anmoderiert. Und der Startschuss erfolgt mit einer Konfetti-Kanone. Passend dazu habe ich mir heute einen Spaßlauf vorgenommen.

Karnevalswagen "Dicke Berta"
Die Nachmeldesumme von 111 Euro ist allerdings schon nicht mehr ganz so lustig. Aber ich habe einen freien Sonntag und noch jede Menge Kilometer zu sammeln bis zum Röntgenlauf-Ultra. Also lautet der kurzfristige Entschluss: "Sub 3:30 durch die Domstadt!"

Mit dem Marathon wird auch der Herbst gestartet. Hatte ich mich bis zur Kleiderbeutelabgabe noch in goldener Oktober-Sonne gewärmt, kommt urplötzlich Wind auf, der Himmel bedeckt sich und erste Tropfen fallen.

Auf den ersten drei Kilometern bieten die Kölner Gassen wenig Platz für die Läufer. Fußwege und Grünstreifen müssen mitbenutzt werden. Erst als ich die Traube hinter den 3:30er Zugläufern durchkämpft habe, kann ich frei laufen.

Fast 6500 Marathonis

Die ersten drei Zwischenzeiten liegen folglich jenseits der fünf Minuten. Davon lasse ich mich irgendwie unter Druck setzen. Und laufe viel schneller als geplant. Als ich das realisiere, kommen die schlechten Gedanken.

"Die Oberschenkel tun doch jetzt schon weh."
"Das hältst du nie bis ins Ziel durch."
"Die Wupperberge stecken dir noch in den Knochen."

Die erste Hälfte ist die reinste Quälerei. Von wegen Spaßlauf! Froh bin ich trotzdem. Froh, dass ich wenigstens auf den ursprünglich geplanten Doppeldecker verzichtet habe, weil die Beine am Vortag einfach keinen langen Lauf wollten. Die freitäglichen Hügelintervalle steckten noch in den Knochen.

Immerhin geht es mir besser als dem Sportler, der schon bei Kilometer 13 geht. Seltsamerweise ist er bei Kilometer 15 wieder vor mir. Hat der abgekürzt? Jetzt achte ich auf ihn. Er rennt plötzlich wieder los, schnellt an mir vorbei - bis er wieder geht. Kann ich hier erstmals die Galloway-Methode in freier Wildbahn beobachten? Oder ist der Kerl einfach am Ende? Man weiß es nicht, denn letztlich bleibt er hinter mir.

Die Halbmarathonmarke bringt die mentale Wende. Es wird damit ein invertierter Marathon. Normalerweise beginnt im zweiten Abschnitt das Leiden. Bei mir ist es heute andersrum. Sind ja nur noch 21 Kilometer!

Mehrfach steht dieselbe Dame am Rand und zeigt mir ihr Schild mit der Aufschrift: "You are sexy and you know it!". Und nun rufen die Frauen auch noch nach mir! Woher kennen die meinen Namen? Ich habe doch die namenszugbedruckte Startnummer am Band auf den Rücken gezogen. Später lese ich im Blog, dass es Elke war, die hier nach erfolgreichem Halbmarathon noch ein bisschen für Stimmung sorgt.

Und Stimmung ist in Köln ja wirklich. Auch der hartgesottenste Trailläufer kann sich wohl nicht gänzlich dem Flair eines großen Städtemarathons entziehen. Da ist zum Beispiel der Knirps, der uns anbrüllt: "Nun kommt mal in die Puschen!" Oder der Alleinunterhalter, der vor einer Konditorei mundartliche Stimmungslieder singt, während drinnen grauhaarige Dutt-Trägerinnen ihre Feiertags-Sahnetorte gabeln und uns dabei zuwinken.

In Köln ist fast schon Kostümzwang
Nicht alle genießen die zweite Hälfte. An Sahnetorte mag der Mitstreiter, der bei Kilometer 28 sein letztes Gel wieder hervorwürgt, wohl gerade nicht denken. Und wo mag der zweite Schuh der Frau abgeblieben sein, die links beschuht und rechts besockt am Streckenrand humpelt?


"Meine Berge reichen dir wohl nicht?!", ruft mir Oli zu, an dessen "Wupperberge(trail)marathon" ich am letzten Sonntag teilgenommen hatte. "Du siehst ja noch gut aus!", täuscht er Erstaunen vor - wahrscheinlich um mich zu motivieren. Doch dann bremst er mich aus. "Warte mal, ich laufe schnell vor und mache ein Foto." Und so entsteht beim Kilometer 38 ein gestelltes Läufer-Porträt, auf dem ich lächelnd posiere. Das sind dann die Bilder, die man besorgten Angehörigen zeigen kann, um zu demonstrieren, wie harmlos exzessives Laufen ist.

Die neue Streckenführung - ohne Domblick

Offenbar ist mir das Foto-Grinsen erhalten geblieben. Denn vom Streckenrand höre ich: "Na, wenn das kein Lächeln ist, dann weiß ich auch nicht!" Genau so muss sich Marathonlaufen anfühlen! Warum ich jemals Bestzeiten hinterher gejagt bin, kann ich gerade nicht mehr nachvollziehen, als ich mir nach 3:18:37 die Medaille umhängen lasse.