Freitag, 25. Mai 2018

Hundert Meilen TorTour de Ruhr



Heute gebe ich zehn Prozent! Ich habe ausreichend trainiert, ordentlich getapert und es im Vorfeld nicht übertrieben. Da es heißt: „90 Prozent des Erfolgs sind Vorbereitung“, muss ich jetzt lächerliche zehn Prozent dazu geben und die 100 Meilen der TorTour de Ruhr nur noch laufen. Ha, die mentale Einstellung passt offenbar!

Prolog

 

Die Abendsonne taucht die bewaldeten Hänge des Sauerlandes in goldenes Licht. Die hügelige Prolog-Runde, eigentlich nur dazu gedacht, die Distanz auf 160,9 km aufzustocken, ist ein Naturgenuss! Auch die Laune im sehr verhalten dahintrabenden Trupp ist bestens. Am ersten und einzigen Downhill der ganzen Strecke lasse ich mich zu ein paar schnellen Schritten hinreißen und schließe zu einem Kameraden auf, der den Hundertmeiler in einem Schnitt von 6:30 min/km zurücklegen möchte. Beim letzten Mal habe er die ganze Ruhrlänge von 230 km absolviert, berichtet er. Nach 17 Stunden hatte er damals schon die ersten 100 Meilen hinter sich und musste auf seine Crew warten, die noch gar nicht eingetroffen war und legte sich schlafen. Ich bin hier offenbar ganz falsch, ich bin viel zu schnell!
Die Ruhr

Der schrecklichste Moment 

 

Am Abzweig zum ersten VP ist meine Trinkflasche noch gut gefüllt. Einen Notriegel habe ich auch dabei. Also weiche ich vom Plan ab und spare mir den Abstecher zur etwas abseits gelegenen Halle. Nun bin ich ganz allein unterwegs und reite laufe in den Sonnenuntergang. Es folgt der schrecklichste Moment des Laufs. Die überholten Volldistanzler rufen mir zu: „Du bist der erste 100-Meilen-Läufer!“ Eigentlich kann das nicht sein, sprinteten doch einige von uns eilig von hinnen. Wenn es aber zuträfe, wäre ich zu schnell. Vor allem aber bin ich mental nicht der Last gewachsen, bei meinem ersten Hundertmeilenlauf einen Treppchenplatz bis ins Ziel zu verteidigen. Ich nehme Tempo heraus und bin sehr froh, als von hinten ein lustiger Trupp wieder zu mir aufschließt.

Ausrüstung und Zeitziel 

 

Meine Tempofindung ist weitgehend gefühlsbasiert, denn ich laufe ohne Pace-Anzeige. Nach gut 2,5 Jahren traue ich dem Akku der Fenix 3 keine 20 Stunden Laufzeit mehr zu. Und 20 Stunden sind schon mein ideales Zeitziel. Primär will ich natürlich überhaupt erstmal „Ankommen“. Und mit „sub 24h“ wäre ich auch schon höchst zufrieden. Einst hatte ich den Ultratrac-Modus der Garmin-Uhr getestet. Sie erwies sich dabei als so ungenau, dass ich beschlossen habe, einfach nur nach Durchgangszeiten zu laufen. Für die ersten 60 km ist eine Pace von 6.30 min/km vorgesehen. Danach darf sie auf 7.00 min/km fallen. Und ab 100 km reichen 8.30 min/km, um vor Ablauf der Idealvorgabe von 20 Stunden ins Ziel zu kommen. Eine gewisse Orientierung gibt mir mein uralter „Garmin GPSmap60csx“. Er gibt mir nicht nur den zu laufenden Track vor, sondern kann auch die Geschwindigkeit zumindest in km/h anzeigen. Die Tabelle mit den geplanten Zwischenzeiten baumelt laminiert an meiner Startnummer.
Abendstimmung an der Ruhr

Die ideale Crew 

 

Bei der TorTour ist eine Begleit-Crew Pflicht, um den Läufer zusätzlich zu den sieben offiziellen Verpflegungspunkten auf den 160,9 km zu versorgen und im Zweifelsfall zu bergen. Mein gesamtes Team besteht aus genau einem Mitglied: meiner Frau. Mit dieser Ideal-Besetzung weiß ich ganz sicher, dass ich mich unter allen Umständen auf jeden Einzelnen meiner Mannschaft zu 100 Prozent verlassen kann!

Das Unvorhergesehene

 

An vorher definierten Wegpunkten erwartet mich die Pulsmesserin mit dem Begleit-Pkw. Ich tausche die Trinkflasche gegen eine volle und nehme einen Happen mit auf den Weg. Gerade als sich eine gewisse Routine bei unseren Treffs eingespielt hat, passiert das Unvorhergesehene. Obwohl ich am GPS-Gerät die größte Schriftart eingestellt habe und mein laminierter Zeitplan in Schriftgröße 14 und fett gedruckt ist, kann ich im Licht der Stirnlampe nichts davon mehr lesen. Wir hatten Crewing auf der Originalstrecke geprobt. Was ich jedoch nicht geübt hatte, war das Laufen durch die Nacht - schon gar nicht mit der geplanten Wettkampfausrüstung. Es kommt, wie es kommen muss: wir verpassen uns an einer geplanten Versorgungsstelle und ich laufe kurzzeitig trocken mit leerer Flasche (aber noch nicht „wie Flasche leer“).
Ruhrtalradweg im Morgennebel
Ab jetzt muss meine Frau nicht nur die tatsächliche Laufzeit gegen den Plan abgleichen, sondern mir auch noch genau sagen, nach wieviel Kilometern der nächste Treff oder offizielle VP folgt. Und vor allem muss sie sichtbar an der Strecke stehen, damit ich nicht wieder vorbei laufe. Notiz an mich: nächstes Mal größer und kontrastreicher ausdrucken und im Garmin unterschiedliche Symbole für die einzelnen Wegpunkt-Arten (Treff/VP/andere Punkte) nutzen. Oder mit Lesebrille laufen?

Die schönsten Stunden ins Schlaraffenland 

 

Auf die kurze Aufregung folgen die schönsten Stunden des Laufs. War die Dämmerung schon herrlich, so ist das einsame Laufen durch die Ruhe der Nacht ein ganz besonderes Erlebnis. Ich schalte auf Autopilot. Die Kilometer rinnen mir wie von selbst aus den Beinen. 

Nach 64 Kilometern treffe ich im Schlaraffenland ein. Und ich kriege keinen Bissen mehr runter! Der dortige VP befindet sich in einem Restaurant mit Bar und All-inclusive-Büfett. Chromblitzende Warmhaltegefäße reihen sich auf langen Tischen. Von den Spiritusbrennern ist die Luft in dem warmen Raum verbraucht. Ich würge einen Becher alkoholfreies Weizen hinunter und lecke kurz an einem Stück Melone. Dann muss ich da raus. Ab jetzt werde ich wohl auf Flüssignahrung umstellen.

Keine 100 Kilometer mehr! Da ich das Navi nur an Kreuzungen aus dem Rucksack nehme, bleibt ein Verlaufer nicht aus, als ich einen Abzweig nicht wahrnehme. Glücklicherweise bemerkt es der Radbegleiter des Teams hinter mir. Später kann ich mich revanchieren, als ich ein Paar zurückrufe, das den Abzweig zur Fähr-Umgehung übersehen hat. Und dann graut bereits der Morgen. Was für ein Schauspiel, als sich die Nebel nach und nach über der Ruhr lichten!
Baldeneysee im Morgenlicht

Das Duell 

 

Als die ersten Sonnenstrahlen durchbrechen, ist es ja noch ganz schön. Doch spätestens ab dem Baldeneysee wird klar, dass mit Schatten nun nicht mehr gerechnet werden kann. Ich kämpfe mich zum VP mit dem motivierenden Namen „Ab jetzt nur noch Marathon“. Dann sind die ersten Gehschritte nicht mehr zu vermeiden. Die Beine sind nur noch Schmerz. Eine kurze Bestandsaufnahme, wo es eigentlich nicht weh tut, ergibt nicht viel mehr als „Ohrläppchen“. Ich gebe mich eine ganze Weile gehend dem Schmerz hin. Bis ich die Geschwindigkeit auf dem Garmin prüfe. Fünf km/h und noch fast 40 Kilometer vor der Brust. So wird das nichts mit den 20 Stunden! Humpelnd trabe ich wieder an und versuche an dem extrem langsamen Sonntags-Jogger mit Hund dranzubleiben, der mich eben überholt hat und nicht ahnt, was für ein hartes Duell er gerade mit mir ausficht.

Heulkrampf 

 

Als ich meine liebste Crew am Ufer sehe, brechen sich die eigentlich fürs Ziel vorgesehenen großen Gefühle Bahn. Meine Frau ist mit der Interpretation der Situation überfordert und denkt, ich gebe gerade auf. Um ihr die Sorge zu nehmen, schnappe ich mir einfach nur die Flasche und schlurfe schniefend weiter. Ich brauche dringend eine Strategie gegen die Bein-Pein. Wie war das nochmal? Man soll den Schmerz annehmen! Doch meine Zwiesprache mit dem "Bösen Schmerz" gerät mir zur inneren Satire. So wird das nichts. Dann fällt mir ein, dass der Schmerz, der gekommen ist, auch wieder gehen wird. Ich muss aufhören mit der humpelnden Ausweichbewegung und durch den Schmerz hindurchlaufen. Es funktioniert. Ich bleibe bis zur Eisenbahnbrücke in Kettwig im Laufschritt. Wenn auch Optik und Geschwindigkeit arg verbesserungswürdig sind.

Bootsanleger in Kettwig

Langsam! 

 

In Kettwig steht zum ersten Mal der Campingstuhl für mich bereit. Offenbar hat mein letzter Auftritt einige Wirkung hinterlassen! Wie ich da so sitze, überholt mich ein 230-km-Läufer! Obwohl er geht, hat er zu mir aufgeschlossen! An der Länge meiner Pausen kann es nicht liegen. Der Garmin wird am Ende eine Standzeit von 23 Minuten anzeigen. Bei 20 Versorgungsstopps und drei Pinkelpausen dürfte sie nicht mehr großartig optimierbar sein.

Die A52-Brücke ist weithin sichtbar und dient daher als ganz brauchbarer Motivator, denn sie markiert den nächsten und letzten VP. Hatte man mir am vorherigen VP noch bescheinigt, auf Platz Drei zu liegen, so wähnt man mich hier an zweiter Position. Seltsam, ich habe doch niemanden überholt!

Überholt werde stattdessen jetzt ich. Von 230-km-Sprintern! Auch der 100-km-Sieger zieht vorbei. Sein Begleiter fordert mich im Kasernenhofton zum Laufen auf. Auch wenn ich nicht auf solch rauhe Ansprache stehe, muss ich mir eingestehen, dass er in der Sache recht hat. Ich trabe weiter durch die schattenlosen Ruhrauen, wenn auch extrem langsam.

Hammer und Nagel 

 

In Mülheim wechsele ich doch noch das Hemd, das mir seit gestern 18 Uhr gute Dienste geleistet hat. Nachts hatte ich es nur mit Ärmlingen, Handschuhen und Buff ergänzen müssen. Auch jetzt ist es noch völlig brauchbar, wenn man den Geruch erträgt. Ein anderes Phänomen lässt mich seiner überdrüßig werden. Nachdem ich die Beine nun wieder einigermaßen im Griff habe, melden sich andere Körperregionen. In diesem Fall die Rippen. Genug Zeit zur Ursachenforschung hatte ich ja. Die Analyse endet bei den Taschen, die adidas im Frontbereich überflüssigerweise applizierte und obendrein noch mit einem Klettverschluss ausstattete. Der Verschluss trägt ein paar Millimeter auf. Bei jedem Schritt schlagen Flasche bzw. Navi in den Brustfächern des Rucksacks ganz leicht auf den Klettverschluss. Über die Zeit führt das zu einem Hammer-und-Nagel-Effekt.

Crew-Problem 

 

In der Endphase des Laufs hatte ich kürzere Abstände zwischen den Treffs mit meiner Crew geplant. Nicht weil es für meine Versorgung nötig wäre, sondern als Zwischenziele zur psychologischen Unterstützung. Doch plötzlich, an völlig ungeplanter Stelle, bricht meine Frau, den Tränen nahe, aus dem Buschwerk. Im mittlerweile dichten Verkehr ist sie mit dem Auto noch langsamer als ich und glaubt, die geplanten Treffpunkte nicht rechtzeitig erreichen zu können. Nun ist es an mir, meine Crew zu supporten. Wir sagen kurzerhand alle weiteren Zwischentreffs ab und verabreden uns für die letzten Meter kurz vorm Ziel.

Rheinorange
Unterstützung kommt jetzt von unerwarteter Stelle. Oli Witzke begleitet mich ein paar Kilometer mit dem Fahrrad und wendet dabei ein paar sehr spezielle Motivationsmethoden an, indem er mich wissen lässt, wie extrem langsam ich sei und dass die Angaben zu meiner Platzierung vermutlich alle falsch seien. Aber seine Anekdoten von seinem eigenen TTdR-Leiden, seinem Schlafzimmer und seinen Italienplänen lenken mich hervorragend ab. Als er mich verlässt, bin ich mental so weit erfrischt, dass ich fast wieder einen 6er Schnitt laufen kann.

Die Geschwindigkeitsmessung übernimmt jetzt ein unbekannter, radelnder Ruhrpott-Fan, der extra an die Strecke gekommen ist, weil er unsere Unternehmung bewundert. Er wässert meine Mütze, zeigt mir den Weg und weist mich auf die Schönheiten der letzten Kilometer hin. "Die Häuser da hinten: das ist schon Ruhrort! Ich meine die Fabrikgebäude dort." Es ist unglaublich, auf wie viele Menschen sich die Begeisterung dieser Veranstaltung überträgt.

Rheinorange 

 

Der letzte Punkt, der mit dem Auto erreichbar ist, liegt 1800 Meter vorm Ziel, dem ersehnten Rheinorange. Dort erwartet mich die Pulsmesserin. Wir haben das ganze Ding als Team durchgezogen, jetzt laufen wir auch gemeinsam ins Ziel! Wir amüsieren uns beide, ob der kuriosen Situation. Denn ich, mit 160 km in den Beinen, muss das Tempo reduzieren, damit meine Frau auch beim Zieleinlauf noch lächeln kann.

Und dieses Lächeln kriegen wir so schnell nicht mehr aus dem Gesicht, als wir nach 19:21:11 an der reinorange-farbenen Sehnsuchts-Stele angeschlagen haben. Als Drittplazierter darf ich ein kleines Rheinorange fortan mein Eigen nennen.

Pokal, Medaille und Buckle (v.l.n.r.) auf Startbeutel

Montag, 7. Mai 2018

WHEW – 67 Hundertstel



Als ich zu Hause die ungewöhnliche Kunde verbreite, einen Lauf verkürzen zu wollen, wird aus langmütiger Toleranz sofort aktive Unterstützung: "Wo willst du wann abgeholt werden?" "Um 13:45 Uhr in Hattingen an der Ruhr, bitte!" Zwei Wochen vor dem TorTourdeRuhr-Hundertmeiler erscheinen mir 100 Laufkilometer im Rahmen des WHEW als eine zu hohe orthopädische Belastung für meine geschundenen Achillessehnen.

Wochenlang habe ich mit mir gehadert. Soll ich die vollen 100 km laufen oder nicht? Besonders mein Sohn gab immer wieder zu bedenken, dass ich dann weder Medaille noch Urkunde erhalten werde und darüber hinaus noch ein DNF¹ in der Ergebnisliste stehen wird. Ja, verdammt! Stochert doch alle noch in der Wunde herum! Letztlich gibt das Befinden nach den 100 km „Rund um Solingen“ den Ausschlag. Zu lange brauchte ich, um die Achillesschmerzen wieder in den Griff zu bekommen. Und Guide Claudi meinte: „50 würde ich zwei Wochen vorher noch laufen, vielleicht auch noch 70. Aber keinesfalls mehr!“ Das Herz will etwas anderes. Der Verstand beschließt, auf die erfahrene Expertin zu hören. 

Laufen im Tunnel
Nach mehr als 70 km ist man praktisch schon fast im Ziel. Da steigt man nicht mehr aus. Also muss es irgendwo zwischen 50 und 70 km sein. Als ich sehe, dass es bei 67,5 km nicht nur einen VP gibt, sondern auch noch einen sonnigen Biergarten, wo meine Frau eine eventuelle Wartezeit komfortabel überbrücken kann, ist der Ausstiegspunkt festgelegt. Nervigerweise muss ich mich ab jetzt bei jedem rechtfertigen, der von meinem geplanten Exit erfährt. Vor allem immer wieder auch vor mir selbst.

Am herrlich sonnigen Startmorgen lehrt mich der Moderator, dass der WHEW, gar nicht „Weh-Hah-Eh-Weh“, sondern englisch „Wjuh“ genannt wird. Auch sonst erfahre ich Interessantes. Sandra berichtet auf dem ersten Teilsegment von ihrer 170-km-JUNUT-Erfahrung, wo sie nachts Temperaturen von minus Vier und am Tage von 25 Grad zu trotzen hatte. Und bei ihrer Teilnahme an der Weltmeisterschaft im 24-Stundenlauf fiel die elektronische Rundenmessung aus! Raimund erzählt, wie er Opfer einer Internetbetrügerei wurde. Der ebay-Käufer hatte ihm gefälschte Überweisungsnachweise untergejubelt, die versandte Ware tatsächlich nie bezahlt.

Sound-Bike
Und schon ist der höchste Punkt der Strecke erreicht. Für mich geht es nun nur noch bergab (rein geografisch gesehen!), da ich ja rechtzeitig vor dem fiesen, 14 km langen Gegenanstieg das Rennen verlassen werde. Ich habe mir vorgenommen, nicht schneller als im 6er Schnitt zu laufen. Und ich halte mich diesmal sogar an meine Strategie! Beim 25-km-VP will ich die erste Nahrungsaufnahme zelebrieren und verliere etwas Zeit, da eine Radbegleiterin mit ihrem Vehikel zum Tisch längsseits gegangen ist, um sich einen Kaffee ausschenken zu lassen. Dadurch ist zunächst für alle anderen das Büfett blockiert.

Ab jetzt begleitet mich ein Run&Bike-Duo, das sich auf einen Triathlon in Norwegen vorbereitet. Wie bei der TorTourdeRuhr handelt es sich um einen Wettkampf, bei dem ein Team im Begleitfahrzeug die Versorgung sicherstellen muss. Apropos Versorgung: die Talsohle, also die Ruhr, ist in Kettwig erreicht. Und dort am VP bei km 40 wird - unter vielem anderen - Mischbrot mit Knoblauchfrischkäse angeboten. Sehr, sehr lecker! Das kommt auf den Speiseplan für die Tortour!

Ständig werden wir Läufer von den Sound-Bikes umschwirrt. Das sind Lastenräder mit mobilen Lautsprechern, die mit lässiger Musik für Stimmung auf der zwar asphaltierten, aber sehr naturnahen Strecke sorgen. Dieser Lauf ist so Klasse! Ich beschließe zwei Dinge. Nächstes Jahr bin ich wieder dabei. Und wenn es irgendwann mit dem Laufen hapern sollte, werde ich Sound-Bike-Fahrer!

Von hinten sind schnelle Schritte zu hören. Gundi schließt mit den Worten zu mir auf: „Du läufst so schön gleichmäßig. Da komme ich mit. Am Baldeneysee holen wir ein Läufer-Duo ein, das von seinem Coach begleitet wird. Als der Coach realisiert, dass wir am „WHEW 100“ teilnehmen, würde er sich gern anschließen, um den Plausch fortzusetzen. Aber dem Duo ist eine 6er Pace zu schnell. Punktgenau erreichen wir die 50-km-Marke nach 4:59. Trotz kurz gehaltener Verpflegungspause sehen wir das gecoachte Doppel nun weit vor uns. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Pausen die Durchschnittsgeschwindigkeit drücken!

Kunst am Strom
Der 50-km-Punkt stellt eine magische Grenze dar. Denn ab jetzt überholen wir ständig. Die hohen Mittagstemperaturen und der beständig kräftige Gegenwind fordern ihren Tribut. Auch Gundi, die am Folgetag noch den Marathon in Mainz finishen möchte, nimmt nach 55 km Tempo heraus. Da mein Kopf ja nur bis 67 denken muss, fühle ich mich derartig frisch, dass ich dauernd gegen die Versuchung ankämpfen muss, zum Telefon zu greifen, um meine Frau ins Ziel umzubestellen. Ich bilde mir ein, dass mich meine Vernunft davon zurückhält. In Wahrheit ist es wahrscheinlich die Furcht vor dem gewaltigen Donnerwetter aus dem Hörer.

An der Ruhr hole ich dann doch mal das Handy zum Knipsen heraus, was einen Radfahrer seiner Begleitung zurufen lässt: "Der macht sogar noch Pictures!" Unter den vielen Leinpfad-Pedalisten ist auch Vigli, die ihr 100-km-Ruhr-Erlebnis zu einem Buch verarbeitet hat. Sie hält extra für mich an, um die Hände zum Applaudieren frei zu haben. Danke!

Nach 60 Kilometern überhole ich immer mehr Geher. Und auch ich habe zunehmend Mühe, die 6er Pace zu halten. Insgeheim zähle ich die letzten 7 Kilometer runter. Gerade als es anfängt, zäh zu werden, finde ich mich plötzlich im Schlaraffenland wieder!

Normalerweise nimmt man am VP ein paar Schlucke und Bissen, um dann weiterzuhasten. Doch für mich ist hier der inoffizielle Zielbereich. Und was ist da nicht alles aufgetafelt! Nur eine kleine Auswahl sei genannt. Melone, Ananas und Orangen runden das übliche Obstangebot ab. Es gibt zwei Sorten Kuchen und „Vegetarische Hackfleischbällchen“. Grießbrei und Milchreis sind wohlfeil und können noch mit Apfelmus garniert werden, wovon ich reichlich Gebrauch mache. Als ich mein Schüsselchen auslöffle, kommt der nächste Läufer und fragt: „Du bist wohl schon beim Nachtisch?

An der Ruhr - Die Einsamkeit des Langstreckenläufers
Gerade rechtzeitig, bevor der Lauf richtig anstrengend geworden wäre, beende ich den letzten langen, vorpfingstlichen Trainingslauf. In die Erleichterung mischt sich Trauer. Es ist wirklich schade, denn dieser Longrun hat bis hierher nur Freude bereitet. Aber man soll ja gehen, wenn es am schönsten ist. Zumindest werde ich mir im Falle eines TorTour-Fiaskos nicht den Vorwurf machen müssen, es heute übertrieben zu haben.


¹DNF ... Did Not Finish