In Herten finden dreimal im Jahr die Bertlicher Straßenläufe
statt, in deren Rahmen man für 15,50 Euro auch einen Marathon laufen kann. In
diesem Preis inklusive sind die Pokale, die die Altersklassensieger mit nach
Hause nehmen dürfen. Und so einen Pokal will ich mir heute, am 28.9.2014,
verdienen. Die Ergebnis-Statistik zeigt, dass das in meiner Altersklasse mit einer
Zeit unter 3:15 und etwas Glück gelingen kann.
Und so stehe ich erstmals am Start eines Wettkampfes in der
ersten Reihe. Eigentlich tun wir das alle, denn nur 25 Läufer wollen sich heute
der Marathondistanz stellen, die hier über drei recht flache Runden durch die
Felder führt.
Die einschlägige Literatur bescheinigt mir aufgrund meiner
Leistungen auf den Unterdistanzen das Potential für eine Marathonbestzeit unter
drei Stunden. Doch leider haben diese Hochrechnungen bei mir noch nie
funktioniert. Deshalb möchte ich die erste Hälfte mit einer 4:30er Pace laufen,
was einer Zielzeit unter 3:10 und somit einer neuen Bestzeit entspricht. Sollte
es möglich sein, könnte ich in der zweiten Hälfte immer noch beschleunigen.
Hoffentlich wird es das! |
Was ist das Wichtigste beim Marathon? Richtig, nicht zu
schnell loslaufen! Vorbildlich bremse ich mich. Sogar etwas zu sehr. Die Zeit
des zweiten Kilometers liegt bei nur 4:48. Danach hat sich das Feld vorerst sortiert.
Ich laufe Brust an Brust mit einem Herrn in Schwarz. Und ist es zu fassen? Er
könnte durchaus so alt sein wie ich. Was für ein Pech! Sollen wir jetzt 40 km
um den Altersklassensieg kämpfen? Eine ganz neue Erfahrung, läuft man beim
Marathon doch sonst in seinem Tempo so vor sich hin. Doch unser Tempo passt. Die
Zwischenzeiten liegen nur knapp unter 4:30. Nach acht Kilometern haben wir den
Zweitplatzierten überholt. Und dann startet der „Schwarze“ plötzlich durch. Die
nächste Zwischenzeit ist mit 4:17 viel zu schnell. Jetzt muss ich mich
entscheiden. Soll ich weiter um den Pokal laufen oder sicher die Bestzeit
nachhause bringen? Ich bin vernünftig und lasse den Konkurrenten ziehen. Der
Pokal, den zu erringen ich heute hierher kam, ist damit mutmaßlich weg. Es
sei denn, der Mann ist viel jünger oder älter, als er aussieht. Die Hoffnung
stirbt zuletzt. Zumindest bleibt mir noch die Bestzeit. Immerhin ist es
ein tolles Gefühl, wenn dir der Streckenposten „Marathon Platz drei!“ zuruft.
Am Ende der ersten Runde zieht von hinten jemand
gleichauf. Erleichtert stelle ich fest, dass der Mann schon ergraut ist. Und er
läuft absolut konstant die 4:30. Mal traben wir Seite an Seite, mal führt er,
mal ich. Auf der nahezu schattenlosen Strecke bin ich froh, dass die Sonne
durch einen leichten Wolkenschleier scheint. Den relativ starken Gegenwind
nehme ich als willkommene Kühlung wahr. Im kalten August hatte mich schon so
eine Ahnung beschlichen, dass es beim Herbstmarathon entgegen aller Regel warm werden
könnte. Dennoch kann man bei den heutigen Temperaturen von über 20 Grad noch nicht
von einem Hitzelauf sprechen. Trotzdem spüre ich, dass es mit einer weiteren
Tempoerhöhung auf der zweiten Hälfte wohl eher nichts wird.
Marathonlaufen traut uns das Orga-Team zu, Treppensteigen eher nicht. |
Fast die ganze zweite Runde sind wir im Duo unterwegs. Dann,
etwa bei km 26, beschleunigt auch dieser Konkurrent. Denke ich. Erst der Blick
zur Uhr bescheinigt mir, dass nicht der andere Gas gibt, sondern dass ich
einbreche. Ein ganz klassischer Hammermann! Hatte Gladys vorm Start nicht noch
zu mir gesagt: „Marathon ist eben jedes Mal wieder ein Abenteuer“? Recht hat
sie. Von nun an laufe ich gegen den Zug eines Gummiseils, das jemand an meinem
Rücken festgebunden zu haben scheint. Pokal weg, Bestzeit weg, Motivation weg. Ich
fühle mich wie ein Anfänger bei seinem ersten Marathon. Doch es ist noch schlimmer.
Denn nach 25 Marathons bzw. Ultras habe ich genügend gescheiterte Bestzeitenversuche
hinter mir, um genau zu wissen, was mir jetzt bevorsteht. So will ich nicht
Marathon laufen!
In den beiden Vorwochen war mir das selbstgesteckte Pokalziel
plötzlich wie eine lästige Pflicht vorgekommen, die ich abzuarbeiten habe. Vielleicht
setzt der Körper jetzt diese mentale Einstellung um? Nach einer Erkältung, die
ich mir beim letzten Halbmarathon einhandelte (bzw. einhändelte), hatten sich die Läufe
nicht mehr leicht und flüssig angefühlt. Trotzdem hatte ich einen 35er im 5:15er Tempo abgespult. War das zu schnell? Da ich auch die anderen langen Läufe eher auf Tempo gelaufen war, ist der Fettstoffwechsel möglicherweise nur ungenügend
trainiert. Ansonsten fällt mir nichts ein, was ich falsch gemacht haben könnte.
Ist mir denn vom 100er gar nichts geblieben? Doch – der Wille zum Durchhalten.
Denn nach Runde Zwei könnte ich aussteigen, nach Hause fahren und so tun, als wäre
nichts gewesen. Aber ich ziehe es durch.
Das Gute bei so einer kleinen Veranstaltung ist, dass einem trotz
des Einbruchs die Schmach des permanenten
Überholtwerdens erspart bleibt. Und so werde ich nur von Platz Drei bis auf
Platz Acht durchgereicht. Ich versuche, der Sache noch mehr positive Aspekte
abzugewinnen. Deshalb freue ich mich, dass ich immerhin unverletzt bin. Ich
bringe das jetzt hier hinter mich, und nach einer kurzen Regenerationsphase werde
ich wieder fröhlich durch die Gegend rennen können. In zwei Wochen werde ich
durch die Berge Mallorcas laufen und im Herbst bestimmt noch einen Ultra in
schöner Natur genießen. Wie heißt es doch bei meinem Freund Udo Lindenberg: „… bin gewachsen an der Qual“? (Tragischerweise lautet die nächste Zeile allerdings: "bin gekommen um zu gewinnen".) Und
so schleppe ich mich irgendwie bis Kilometer 40. Hier schaue ich zum ersten Mal
nicht nur nach den Zwischenzeiten, sondern auf die Gesamtzeit. Wenn ich altes
Weichei mich jetzt am Riemen reiße, kann ich wenigstens noch unter 3:30
ins Ziel kommen. Da ich mich ja nun fast 1,5 Stunden ausgeruht habe (har, har),
bin ich tatsächlich in der Lage, so etwas wie einen Endspurt vorzutäuschen. Das
macht beim Zieleinlauf im Stadion offenbar Eindruck. Denn eine ganze Menschengruppe
kommt im Ziel applaudierend zu mir: „Sie haben aber einen tollen Laufstil! Das war
doch bestimmt eine Bestzeit?“ Wenn die wüssten! Trotzdem – danke, das hat gut
getan!
Nachdem ich mir bei diversen gescheiterten Bestzeitenversuchen das Erlebnis Marathon vermiesen ließ, hatte ich mir geschworen, nie mehr mit schlechten Gedanken ins Marathon-Ziel zu laufen. Denn ein zu Ende gebrachter
Marathon ist immer eine Leistung, auf die man stolz sein kann. Und so nehme ich
an diesem Tag doch noch eine Trophäe mit nach Hause. Das Finisher-Foto zeigt mich mit einem strahlenden Lächeln.
Mh, was ist falsch gelaufen...? Ich würde evtl. auch auf Fettstoffwechsel tippen, aber die Antwort kannst nur Du Dir geben. Aber unterm Strich: Man kann eben nicht so einfach seine Laufergebnisse vorprogrammieren, muss man manchmal nehmen, wie es kommt. Dennoch: In Deiner AK hast Du doch einen guten Platz errungen! Und wie Du selber konstatierst, DURCHGEZOGEN! Aufgeben kann jeder, finishen tun nur die wahren Marathonis!
AntwortenLöschenNur am Rande möchte ich kurz anmerken, dass ich Deine Zeit ja gerne mal hättee!
Liebe Grüße
Elke
Elke, und beim nächsten Mal sehen wir uns dann in Herten! Du hättest beim Halben nämlich den Pokal in deiner AK gewonnen: http://www.sus-bertlich.de/la/ver/sl/sl_ergebnisse/28-09-14/gesamt.htm
LöschenJa, haha, habe ich auch gleich nachgeschaut ;-) Wenn das mal kein Grund ist! Aber wenn Du mich erst hinterher auf diesen Lauf aufmerksam machst... Ok, Herausforderung nehme ich an!
LöschenLiebe Grüße
Elke
Wahrscheinlich tröstet es dich nicht, aber Marathon unter 3:30 ist für andere undenkbar. :-)
AntwortenLöschenDen wirklichen Sieg hast du errungen, indem du durchgehalten hast. Wahre Helden laufen nicht nur mit Bestzeiten ins Ziel. Das hast du gut gemacht.
Und irgendwann hast du den Siegerpokal gewonnen, vielleicht dann, wenn du es gar nicht erwartest.
Toller Bericht über einen tollen Kampf :-)
Gute Erholung
Liebe Grüße
Helge
Stimmt, Helge, das tröstet mich nicht. Dennoch habe ich mich über deine Zeilen sehr gefreut, danke! Ich betrachte als eigentlichen Sieg die Tatsache, dass ich mit dem Ausgang des Laufes nicht mehr hadere. Früher, als ich nur einen Marathon im Frühjahr und einen im Herbst lief, hätte ich die ganze Saison als verdorben angesehen.
LöschenKlasse Sache, so ein zügiger Mara. Sieh' es positiv: du hast (immer) noch ein Ziel vor Augen, und der erfreuliche Aspekt an der Erfahrung, die das Altern mitbringt, ist ja, dass ein Marathon kein Lebensziel mehr ist. Hast ja schon genügen absolviert.
AntwortenLöschenHilft dir das? Vermutlich nicht.
Wenn ich endlich meine eigene Dauererkältung, die mich schon seit -zig Wochen nervt, losgeworden bin, darf ich auch wieder regelmäßig rennen!
Viele grüße,
Harald
Hallo Harald,
Löschenzügig hat sich der Marathon irgendwie nicht angefühlt.
Aber nach den Berg-Läufen hier auf Mallorca (werde berichten) ist das Malheur schon Geschichte.
Dir gute Besserung!
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