Der aufmerksame Leser wird an dieser Stelle den Bericht zum
Kö-Lauf erwarten, für den ich einen Startplatz bei Markus’ Verlosung gewonnen hatte. Ein Termin in Leipzig am Wochenende um den 7.9.2014 vereitelt
meine Teilnahme am Düsseldorfer Lauf-Ereignis. Doch ich mache aus der Not eine
Tugend und starte beim Händellauf. So heißt der Halbmarathon, der im Rahmen des
13. Mitteldeutschen Marathons in Halle an der Saale stattfindet.
Nun ist Händel, der 1685 in Halle geboren wurde und seine
ersten 18 Lebensjahre dort verbrachte, nicht unbedingt für seine Fähigkeiten
als Langstreckenläufer bekannt geworden. Trotzdem gelingt es dem Stadtmarketing
Halle, einen Bezug zwischen dem Lauf und Händel herzustellen. Der Goldene
Händel wird mit dem Slogan „Seit 1685 ein Renner“ an den Start geschickt.
"Seit 1685 ein Renner" *1 |
Auch ich finde mich auf dem Hallenser Marktplatz ein, wo um
10:30 Uhr der Halbmarathon und der 10-km-Lauf gleichzeitig gestartet werden
sollen. Entsprechend groß ist das Gedränge, denn Startblöcke gibt es nicht.
Dabei hätten allein für den Halben, der erstmalig ausgetragen wird, 1400 Läufer gemeldet, teilt man mir bei der
Nachmeldung mit.
Hallenser Marktplatz vorm Start - der Morgennebel lichtet sich |
Und so versuche ich mir ein startliniennahes Plätzchen zu
sichern. Denn die aktuelle 10-km-Bestzeit ließ mich ganz vermessen einen Blick
in den 3-Stunden-Marathon-Trainingsplan von Herrn Steffny werfen. Und der sieht
eine Halbmarathonzeit von 1:25 vor! Das wäre schon unter optimalen Bedingungen
wahrscheinlich kein realistisches Ziel für mich. Doch heute ist kein
Bestzeiten-Wetter. Wir stehen in der prallen Sonne und mir läuft, obwohl noch nicht
in Bewegung, unter der Startnummer schon der Schweiß die Brust herunter. Ist ja
toll, dass der Sommer doch noch einmal zurückgekommen ist. Aber musste das
unbedingt heute sein? Bei der Rückfahrt wird das Thermometer des Autos 26 Grad
anzeigen.
Schild - gesehen im Nachmeldebüro |
Ich hänge meinen negativen Gedanken in Bezug auf eine zu
laufende Bestzeit nach. Und wie ich wieder zu mir komme, hat sich direkt vor
mir ein älterer Herr platziert. Und keiner von der fitten Sorte. Derart
eingekeilt werde ich auch noch von hinten beiseite geschoben, als sich eine
Dame mit auffälliger Rückenbeschriftung nach vorn bis in die zweite Reihe
drängt. Dieser Rücken wird jetzt zur Projektionsfläche meiner aufgestauten negativen Energie. „Du läufst heute nicht vor mir ins Ziel!“
Geografisch befinden wir uns in der Leipziger Tieflandsbucht.
Da rechnet man mit einer topfebenen Laufstrecke. Tatsächlich geht es aber
leicht ansteigend aus der Fußgängerzone heraus, hinauf auf eine Hochstraße.
Dort laufen wir auf dem vor Hitze flimmernden Asphalt durch die öde Betonwüste
dieser Stadt – nur durch eine Leitplanke vom Autoverkehr getrennt. Nach drei
Kilometern wird es besser. Jetzt geht es zumindest auf dem Fußweg weiter, wo
auch ein paar Bäume stehen. Hier entdecke ich auch die erste auf den Boden
gesprühte Kilometer-Markierung. Zwischenzeiten stoppe ich trotzdem nicht. Die
angezeigte Pace ist sowieso schon jenseits von Gut und Böse.
Beim Halbmarathon brauche ich unterwegs normalerweise nichts
zu trinken. Rund 1,5 Stunden geht es auch ohne Getränk, und es ist schade um
den Zeitverlust. Bei der heutigen Hitze nehme ich an jeder der zahlreichen Verpflegungsstationen
Wasser, das ich mir teils über, teils in den Kopf schütte.
Ab Kilometer Acht habe ich das Gefühl, endlich in diesem Lauf
angekommen zu sein. Inzwischen ist die Strecke schattig und grün geworden, und
mein Hadern mit der Pace ist einer gewissen Akzeptanz der Umstände gewichen.
Das jetzt gewählte Tempo fühlt sich so an, als ob ich es bis ins Ziel halten
kann. Immer wieder hängen sich Läufer an meine Fersen, versuchen einen
Ausbruch, scheitern alle. Seltsamerweise wechseln die Gesichter dauernd.
Vielleicht liegt es daran, dass ich jetzt nach und nach das Feld aufrolle.
Offenbar leide nicht nur ich unter der Hitze. Außerdem sind die schnellen 10-km-Läufer
mittlerweile abgebogen.
Bei Kilometer Zehn interessiert mich dann doch mal die
Zwischenzeit für eine Hochrechnung. Doch was ist das? Die Uhr hat wieder bei Null angefangen zu zählen! Hat sie sich unterwegs zurückgesetzt? Habe ich einen falschen
Knopf gedrückt? Ich weiß es nicht. Immerhin, die Pace-Anzeige
funktioniert irgendwie noch.
Wir kommen durch einen Park und an einer Freilichtbühne
vorbei. Während heute Morgen auf dem Markt ein paar spärliche Dixies die
üblichen Schlangen verursachten, nehmen wir jetzt eine gut 50 Meter lange
Dixie-Parade ab. „Ach, hier sind die alle!“, kommentiert das mein Hintermann.
Später im Park zieht ein Mitläufer gleichauf und fragt, ob
er wir denn seine geplante 1:28 noch schaffen. Ich muss auf meine kaputte Uhr
verweisen. Er dreht sich um, und meint lachend, ein schönes Trüppchen würden
wir da anführen. Nach einer Weile erreichen wir die Klausberge. Vom Trupp ist
mir nur ein einzelner Fersenkumpan geblieben. Er schnauft am Anstieg: „Das ist ja hier
wie auf dem Rennsteig!“ Am Ufer der Saale, auf der reger Ausflugsbootverkehr
herrscht, erhebt sich ein Fels. In dessen Innerem befindet sich die Jahnhöhle, in
der angeblich einst Turnvater Jahn Zuflucht suchte. Was für ein passender Ort für eine
Sportveranstaltung! Vielleicht wäre der alte Jahn der bessere Namenspatron für diesen
Lauf gewesen. Wie auch immer, hier ist eindeutig die landschaftlich schönste
Stelle dieses Laufes.
Jahnhöhle in den Klausbergen *2 |
Etwa um den Kilometer 15 herum verlassen wir die grüne Lunge
und machen uns auf den bekannten, tristen Rückweg. Gefühlt beschleunige ich.
Die Uhr dagegen zeigt steigende Rundenzeiten – das kaputte Ding! Ein oder
zweimal werde ich jetzt überholt, ohne dass ich mich an die Fersen des
Schnelleren heften kann. Doch in der Glut der Hochstraße gelingt es mir einen weiteren kecken Überholversuch zu unterbinden, denn jetzt weiß ich trotz fehlender
Kilometer-Markierungen, dass es nicht mehr weit ist. Die pralle Sonne lässt den
Asphalt wie einen Backofen wirken. Das fordert Opfer. Einige Teilnehmer des
Walking-Wettbewerbs sitzen erschöpft am Straßenrand oder bleiben einfach, auf
ihre Stöcke gestützt, stehen. Ich passiere zwei mächtige Hinterteile, auf denen
zu lesen steht: „Ich laufe, weil ich wirklich gern esse“. Eigentlich müsste da
stehen: „Ich walke …“. Und noch jemand geht. Die Dame mit der auffälligen
Rückenbeschriftung! Nicht ganz ohne Genugtuung löse ich mein am Start gegebenes
Versprechen ein.
Am finalen Anstiegssegment beschleunige ich, um den letzten
Fersen-Mann abzuschütteln. Dann geht es bergab auf die Zielgeraden. Ich gebe
Gas und überhole noch einen der beiden Läufer vor mir. Ob ich auch den zweiten noch
erreichen kann? Dann packt mich der Ehrgeiz. Auf den letzten Metern gehe ich
voll ans Limit. Einerseits bin ich froh, dass ich den Mann noch überhole,
andererseits bedaure ich, die Reserven nicht früher mobilisiert zu haben. Auf
die kaputte Uhr drücke ich gar nicht erst, kenne also meine Zielzeit nicht.
Egal, Hauptsache diese Hitzeschlacht ist vorbei.
Unter meinen Medaillen das Exemplar mit dem größten Durchmesser |
Nach 1:32 kommt der Kollege herein, der die 1:28er Zeit anpeilte.
Und an den üppig ausgestatteten Verpflegungsständen höre ich manche Klage über
hitzegeschuldete Zeitverluste. Mein Puls beginnt sich zu normalisieren, frische
Kohlenhydrate lassen Glukose in die Zellen strömen und ein paar Blutstropfen
wagen sich wieder zurück ins Hirn. Sie ermöglichen mir zu erkennen, dass meine vermeintlich
kaputte Uhr lediglich den Bildschirm „Rundenzeit“ dargestellt hat. Ein
einfaches Umschalten auf den Bildschirm „Gesamtzeit“ hätte gereicht!
Nach einer Dusche und einer Pizza werde ich dann doch
neugierig auf meine Zeit und stelle mich in die Schlange nach der
Soforturkunde. Das Dokument versöhnt mich mit dem heutigen Lauf. Unter den
ersten drei Prozent aller Finisher, vor der dritten Frau und als Fünfter der
Altersklasse bin ich ins Ziel gelaufen. Offenbar war auch den anderen warm.
Für jedes Grad über 18 Grad Außentemperatur muss man zwei Minuten auf die Marathonzielzeit aufschlagen.
So lautet eine Faustformel. Nimmt man die Hälfte des
Aufschlages für den Halbmarathon, dann bin ich ziemlich genau in der Vorgabe
und kann im Nachhinein noch meinen Frieden mit dem alten Händel machen. Er hat
mich heute Demut gelehrt, die mich hoffentlich vor allzu ambitionierten
Marathonplänen bewahren wird.
*1 Foto mit freundlicher Genehmigung durch Stadtmarketing Halle
*2 Foto by Milenavaleska (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons
Schade, dass es mit der Kö nicht geklappt hat... aber hattest hier ja eine tolle Alternative.
AntwortenLöschenUm dich von deinem Träumen mal abzubringen: Selbst mit meiner 1:22h beim HM letztes Jahr hätte ich wahrscheinlich keine Sub3 geschafft. Der Einbruch auf dem Streckenabschnitt über 35km wäre zu stark geworden.
Danke nochmal für den Startplatz, den ich nun leider nicht nutzen konnte.
LöschenVon dem sub3-Versuch habe ich mich schon verabschiedet. Zumindest eine neue Bestzeit werde ich aber anstreben.
Ja da war doch noch was in D'dorf...? Aber ok, wenn ein HM auf dem Plan stand. Auch wenn es dann ein durchwachsener wurde. Kann ich mir lebhaft vorstellen, wie die Hitze quälte, und wenn man dann solch ein Riesenfeld ohne Startblockeinstellung loslässt, ist es auch für die Schnelleren wie Dich frustrierend. Nun gut, Du hast das Beste draus gemacht, Glückwunsch zum gefinishten Lauf!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Elke
Danke dir, Elke. Im Nachhinein betrachtet war es ein ganz schöner Lauf mit viel Zuschauer-Engagement an der Strecke. Da ich aber plante, meine Bestzeitenserie fortzusetzen, habe ich es unterwegs als frustrierend empfunden.
LöschenDas nenne ich mal sehr sehr unterhaltsames Jammern auf sehr hohen Niveau :-)))
AntwortenLöschenIch finde diese Faustregel sehr hilfreich und ich denke die stimmt :-). Irgendwie kann ich bei Wärme auch gar nicht. Aber so schnell wie du könnte ich noch nicht mal mit 18 Grad und Düsenantrieb.
Beeindruckende Leistung und dann noch so amüsant rübergebracht!
Daumen hoch :-)
Liebe Grüße
Helge
Danke Helge, da können wir uns ja gemeinsam auf die kühle Jahreszeit freuen ;-)
LöschenDeine Faustregel muss ich mir merken. Bei mir nimmt die gelaufene Zeit aber nicht linear zu. Gefühlt glaube ich einen quadratischen Verlauf ab 30 °C. Mit jedem Grad verdoppelt sich die Zeit. :-)
AntwortenLöschenLG
Harald
Das ist ein ganz heißes Thema!
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