Montag, 8. September 2014

Mitteldeutscher Marathon - Händellauf



Der aufmerksame Leser wird an dieser Stelle den Bericht zum Kö-Lauf erwarten, für den ich einen Startplatz bei Markus’ Verlosung gewonnen hatte. Ein Termin in Leipzig am Wochenende um den 7.9.2014 vereitelt meine Teilnahme am Düsseldorfer Lauf-Ereignis. Doch ich mache aus der Not eine Tugend und starte beim Händellauf. So heißt der Halbmarathon, der im Rahmen des 13. Mitteldeutschen Marathons in Halle an der Saale stattfindet.

Nun ist Händel, der 1685 in Halle geboren wurde und seine ersten 18 Lebensjahre dort verbrachte, nicht unbedingt für seine Fähigkeiten als Langstreckenläufer bekannt geworden. Trotzdem gelingt es dem Stadtmarketing Halle, einen Bezug zwischen dem Lauf und Händel herzustellen. Der Goldene Händel wird mit dem Slogan „Seit 1685 ein Renner“ an den Start geschickt.

"Seit 1685 ein Renner" *1
Auch ich finde mich auf dem Hallenser Marktplatz ein, wo um 10:30 Uhr der Halbmarathon und der 10-km-Lauf gleichzeitig gestartet werden sollen. Entsprechend groß ist das Gedränge, denn Startblöcke gibt es nicht. Dabei hätten allein für den Halben, der erstmalig ausgetragen wird, 1400 Läufer gemeldet, teilt man mir bei der Nachmeldung mit.

Hallenser Marktplatz vorm Start - der Morgennebel lichtet sich
Und so versuche ich mir ein startliniennahes Plätzchen zu sichern. Denn die aktuelle 10-km-Bestzeit ließ mich ganz vermessen einen Blick in den 3-Stunden-Marathon-Trainingsplan von Herrn Steffny werfen. Und der sieht eine Halbmarathonzeit von 1:25 vor! Das wäre schon unter optimalen Bedingungen wahrscheinlich kein realistisches Ziel für mich. Doch heute ist kein Bestzeiten-Wetter. Wir stehen in der prallen Sonne und mir läuft, obwohl noch nicht in Bewegung, unter der Startnummer schon der Schweiß die Brust herunter. Ist ja toll, dass der Sommer doch noch einmal zurückgekommen ist. Aber musste das unbedingt heute sein? Bei der Rückfahrt wird das Thermometer des Autos 26 Grad anzeigen.

Schild - gesehen im Nachmeldebüro
Ich hänge meinen negativen Gedanken in Bezug auf eine zu laufende Bestzeit nach. Und wie ich wieder zu mir komme, hat sich direkt vor mir ein älterer Herr platziert. Und keiner von der fitten Sorte. Derart eingekeilt werde ich auch noch von hinten beiseite geschoben, als sich eine Dame mit auffälliger Rückenbeschriftung nach vorn bis in die zweite Reihe drängt. Dieser Rücken wird jetzt zur Projektionsfläche meiner aufgestauten negativen Energie. „Du läufst heute nicht vor mir ins Ziel!“

Geografisch befinden wir uns in der Leipziger Tieflandsbucht. Da rechnet man mit einer topfebenen Laufstrecke. Tatsächlich geht es aber leicht ansteigend aus der Fußgängerzone heraus, hinauf auf eine Hochstraße. Dort laufen wir auf dem vor Hitze flimmernden Asphalt durch die öde Betonwüste dieser Stadt – nur durch eine Leitplanke vom Autoverkehr getrennt. Nach drei Kilometern wird es besser. Jetzt geht es zumindest auf dem Fußweg weiter, wo auch ein paar Bäume stehen. Hier entdecke ich auch die erste auf den Boden gesprühte Kilometer-Markierung. Zwischenzeiten stoppe ich trotzdem nicht. Die angezeigte Pace ist sowieso schon jenseits von Gut und Böse.

Beim Halbmarathon brauche ich unterwegs normalerweise nichts zu trinken. Rund 1,5 Stunden geht es auch ohne Getränk, und es ist schade um den Zeitverlust. Bei der heutigen Hitze nehme ich an jeder der zahlreichen Verpflegungsstationen Wasser, das ich mir teils über, teils in den Kopf schütte.

Ab Kilometer Acht habe ich das Gefühl, endlich in diesem Lauf angekommen zu sein. Inzwischen ist die Strecke schattig und grün geworden, und mein Hadern mit der Pace ist einer gewissen Akzeptanz der Umstände gewichen. Das jetzt gewählte Tempo fühlt sich so an, als ob ich es bis ins Ziel halten kann. Immer wieder hängen sich Läufer an meine Fersen, versuchen einen Ausbruch, scheitern alle. Seltsamerweise wechseln die Gesichter dauernd. Vielleicht liegt es daran, dass ich jetzt nach und nach das Feld aufrolle. Offenbar leide nicht nur ich unter der Hitze. Außerdem sind die schnellen 10-km-Läufer mittlerweile abgebogen.

Bei Kilometer Zehn interessiert mich dann doch mal die Zwischenzeit für eine Hochrechnung. Doch was ist das? Die Uhr hat wieder bei Null angefangen zu zählen! Hat sie sich unterwegs zurückgesetzt? Habe ich einen falschen Knopf gedrückt? Ich weiß es nicht. Immerhin, die Pace-Anzeige funktioniert irgendwie noch.

Wir kommen durch einen Park und an einer Freilichtbühne vorbei. Während heute Morgen auf dem Markt ein paar spärliche Dixies die üblichen Schlangen verursachten, nehmen wir jetzt eine gut 50 Meter lange Dixie-Parade ab. „Ach, hier sind die alle!“, kommentiert das mein Hintermann.

Später im Park zieht ein Mitläufer gleichauf und fragt, ob er wir denn seine geplante 1:28 noch schaffen. Ich muss auf meine kaputte Uhr verweisen. Er dreht sich um, und meint lachend, ein schönes Trüppchen würden wir da anführen. Nach einer Weile erreichen wir die Klausberge. Vom Trupp ist mir nur ein einzelner Fersenkumpan geblieben. Er schnauft am Anstieg: „Das ist ja hier wie auf dem Rennsteig!“ Am Ufer der Saale, auf der reger Ausflugsbootverkehr herrscht, erhebt sich ein Fels. In dessen Innerem befindet sich die Jahnhöhle, in der angeblich einst Turnvater Jahn Zuflucht suchte. Was für ein passender Ort für eine Sportveranstaltung! Vielleicht wäre der alte Jahn der bessere Namenspatron für diesen Lauf gewesen. Wie auch immer, hier ist eindeutig die landschaftlich schönste Stelle dieses Laufes.

Jahnhöhle in den Klausbergen *2
Etwa um den Kilometer 15 herum verlassen wir die grüne Lunge und machen uns auf den bekannten, tristen Rückweg. Gefühlt beschleunige ich. Die Uhr dagegen zeigt steigende Rundenzeiten – das kaputte Ding! Ein oder zweimal werde ich jetzt überholt, ohne dass ich mich an die Fersen des Schnelleren heften kann. Doch in der Glut der Hochstraße gelingt es mir einen weiteren kecken Überholversuch zu unterbinden, denn jetzt weiß ich trotz fehlender Kilometer-Markierungen, dass es nicht mehr weit ist. Die pralle Sonne lässt den Asphalt wie einen Backofen wirken. Das fordert Opfer. Einige Teilnehmer des Walking-Wettbewerbs sitzen erschöpft am Straßenrand oder bleiben einfach, auf ihre Stöcke gestützt, stehen. Ich passiere zwei mächtige Hinterteile, auf denen zu lesen steht: „Ich laufe, weil ich wirklich gern esse“. Eigentlich müsste da stehen: „Ich walke …“. Und noch jemand geht. Die Dame mit der auffälligen Rückenbeschriftung! Nicht ganz ohne Genugtuung löse ich mein am Start gegebenes Versprechen ein.

Am finalen Anstiegssegment beschleunige ich, um den letzten Fersen-Mann abzuschütteln. Dann geht es bergab auf die Zielgeraden. Ich gebe Gas und überhole noch einen der beiden Läufer vor mir. Ob ich auch den zweiten noch erreichen kann? Dann packt mich der Ehrgeiz. Auf den letzten Metern gehe ich voll ans Limit. Einerseits bin ich froh, dass ich den Mann noch überhole, andererseits bedaure ich, die Reserven nicht früher mobilisiert zu haben. Auf die kaputte Uhr drücke ich gar nicht erst, kenne also meine Zielzeit nicht. Egal, Hauptsache diese Hitzeschlacht ist vorbei.

Unter meinen Medaillen das Exemplar mit dem größten Durchmesser
Nach 1:32 kommt der Kollege herein, der die 1:28er Zeit anpeilte. Und an den üppig ausgestatteten Verpflegungsständen höre ich manche Klage über hitzegeschuldete Zeitverluste. Mein Puls beginnt sich zu normalisieren, frische Kohlenhydrate lassen Glukose in die Zellen strömen und ein paar Blutstropfen wagen sich wieder zurück ins Hirn. Sie ermöglichen mir zu erkennen, dass meine vermeintlich kaputte Uhr lediglich den Bildschirm „Rundenzeit“ dargestellt hat. Ein einfaches Umschalten auf den Bildschirm „Gesamtzeit“ hätte gereicht!

Nach einer Dusche und einer Pizza werde ich dann doch neugierig auf meine Zeit und stelle mich in die Schlange nach der Soforturkunde. Das Dokument versöhnt mich mit dem heutigen Lauf. Unter den ersten drei Prozent aller Finisher, vor der dritten Frau und als Fünfter der Altersklasse bin ich ins Ziel gelaufen. Offenbar war auch den anderen warm.

Für jedes Grad über 18 Grad Außentemperatur muss man zwei Minuten auf die Marathonzielzeit aufschlagen.

So lautet eine Faustformel. Nimmt man die Hälfte des Aufschlages für den Halbmarathon, dann bin ich ziemlich genau in der Vorgabe und kann im Nachhinein noch meinen Frieden mit dem alten Händel machen. Er hat mich heute Demut gelehrt, die mich hoffentlich vor allzu ambitionierten Marathonplänen bewahren wird.



*1 Foto mit freundlicher Genehmigung durch Stadtmarketing Halle
*2 Foto by Milenavaleska (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

8 Kommentare:

  1. Schade, dass es mit der Kö nicht geklappt hat... aber hattest hier ja eine tolle Alternative.
    Um dich von deinem Träumen mal abzubringen: Selbst mit meiner 1:22h beim HM letztes Jahr hätte ich wahrscheinlich keine Sub3 geschafft. Der Einbruch auf dem Streckenabschnitt über 35km wäre zu stark geworden.

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    1. Danke nochmal für den Startplatz, den ich nun leider nicht nutzen konnte.

      Von dem sub3-Versuch habe ich mich schon verabschiedet. Zumindest eine neue Bestzeit werde ich aber anstreben.

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  2. Ja da war doch noch was in D'dorf...? Aber ok, wenn ein HM auf dem Plan stand. Auch wenn es dann ein durchwachsener wurde. Kann ich mir lebhaft vorstellen, wie die Hitze quälte, und wenn man dann solch ein Riesenfeld ohne Startblockeinstellung loslässt, ist es auch für die Schnelleren wie Dich frustrierend. Nun gut, Du hast das Beste draus gemacht, Glückwunsch zum gefinishten Lauf!
    Liebe Grüße
    Elke

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    1. Danke dir, Elke. Im Nachhinein betrachtet war es ein ganz schöner Lauf mit viel Zuschauer-Engagement an der Strecke. Da ich aber plante, meine Bestzeitenserie fortzusetzen, habe ich es unterwegs als frustrierend empfunden.

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  3. Das nenne ich mal sehr sehr unterhaltsames Jammern auf sehr hohen Niveau :-)))
    Ich finde diese Faustregel sehr hilfreich und ich denke die stimmt :-). Irgendwie kann ich bei Wärme auch gar nicht. Aber so schnell wie du könnte ich noch nicht mal mit 18 Grad und Düsenantrieb.
    Beeindruckende Leistung und dann noch so amüsant rübergebracht!
    Daumen hoch :-)
    Liebe Grüße
    Helge

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    1. Danke Helge, da können wir uns ja gemeinsam auf die kühle Jahreszeit freuen ;-)

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  4. Deine Faustregel muss ich mir merken. Bei mir nimmt die gelaufene Zeit aber nicht linear zu. Gefühlt glaube ich einen quadratischen Verlauf ab 30 °C. Mit jedem Grad verdoppelt sich die Zeit. :-)

    LG
    Harald

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