Frau Pulsmesser mag keine Berge laufen. Der "Brocken" in „Osterlauf des
Brockenlaufvereins“ klingt daher zu martialisch, und ich melde uns zum synonymen
„Oster-Ilsetallauf“ an, weil "Tal" eher Flachland-Assoziationen weckt. Die 96 Höhenmeter scheinen auch akzeptabel für die 8,7 km
lange Strecke, die sich Frau Pulsmesser und der Junior ausgesucht haben. Das
jüngste Pulsmesserchen wählt flache 1,7 km. Und ich nehme die 16,7-km-Variante
mit 322 Höhenmetern.
Idyll am Start in Ilsenburg |
Die beiden Lang-Versionen unseres
Osterspaziergangs werden gemeinsam gestartet. Die Strecke teilt sich erst nach
gut 3 km. Doch bevor wir auf sie entlassen werden, gibt man uns eine Warnung
vor Glatteis mit auf den Weg. Nach der kalten Nacht ist die Brücke über die
Ilse trotz des sonnigen Morgens noch überfroren. Doch das scheint die
Spitzengruppe wenig zu stören, die dieses Hindernis mit hohem Tempo nimmt und
alsbald hinterm nächsten Hügel aus meinem Blickfeld verschwindet.
Hinterm Hügel? Wir sind doch noch auf dem gemeinsamen Streckenteil. Müsste es hier nicht flach sein? Oh, wie wird mich Frau Pulsmesser verfluchen!
Während ich im Geiste meine Frau um Gnade bitte, kommt eine
andere Frau in mein Blickfeld. Es ist die führende Läuferin, die ich kurz
darauf überhole. Vor mir läuft nun ein Herr mit vorbildlichem Laufstil. Die
Füße schwingen hinten lehrbuchhaft weit nach oben. Als ich zu ihm aufschließe,
folgt auch eine Situation wie aus dem Lehrbuch. Es heißt, man solle sich
niemals nach seinem Verfolger umsehen, da dies Angst signalisiere. Und was
macht mein Vordermann? Er dreht sich zu mir um. Und ich sehe tatsächlich die
Angst in seinem Gesicht! Spontan entschließe ich mich, genau jetzt
vorbeizuziehen. An der Streckenteilung hoffe ich kurz auf eine weitere Verbesserung
meiner Platzierung. Doch keiner tut mir den Gefallen, sich auf die kurze
Distanz und damit außer Konkurrenz zu begeben. Der ganze Pulk vor mir biegt
ebenfalls in die lange Strecke ein.
Waren wir bisher auf kleinen Pfaden unterwegs, geht es ab
jetzt auf einem Fahrweg bergauf. Und damit ist das Überholen für mich für heute
vorbei. Die lokalen Mitläufer haben vermutlich nicht nur den Vorteil der
Streckenkenntnis, sondern sind sicher auch das Berglaufen gewöhnt. Unablässig windet
sich der Weg hinauf, und ich lasse merklich Federn. Ich bin auch nicht ganz mit
mir im Reinen, ob ich eine Woche vor der Harzquerung heute wirklich alles geben
will. Und so gerät das Feld vor mir langsam außer Reichweite. Dann werde ich überholt.
Erst von einem Herrn in Weiß. Und danach von einem schwarzgekleideten Läufer,
der auch noch am Weißen vorbeizieht. Diese Schwarz-Weiß-Kombination wird mein
Anblick bis ins Ziel bleiben.
Nach ca. 8 km ist die Plessenburg, ein Berggasthof,
erreicht. Dort gibt es Verpflegung. Normalerweise nehme ich auf so kurzen
Distanzen nichts zu mir. Aber nach dem Gehechel am Berg ist mein Mund so
trocken, dass ich über einen Schluck vom warmen Tee recht froh bin.
Wenig später scheint der Scheitelpunkt überschritten zu
sein. Ein Waldweg leitet flach weiter und bald bergab, bevor er ins Ilsetal
mündet, wo eine Forststraße steil bergab in Richtung Ziel führt. Landschaftlich
ist es hier ganz herrlich. Ich bedaure, dass wir nicht auf dem parallel
verlaufenden, wurzeligen Pfad unterwegs sein dürfen, der sich neben der Ilse
entlang schlängelt. Angesichts der Osterspaziergänger, die sich dort in Scharen
empor quälen, sind wir auf dem Fahrweg wohl besser aufgehoben.
Plötzlich versagen meine Augen. Es wirkt, als ob die separat
von jedem Auge gelieferten Bilder vom Gehirn nicht mehr zu einem Gesamtbild
zusammen gefügt werden. Ein bisschen komme ich mir vor wie in einer dieser
Jahrmarktbuden mit den Zerrspiegeln. Jetzt bin ich richtig froh, dass wir auf
dem glatten, breiten Weg unterwegs sind! Während ich noch grübele, ob es die
eiskalte Luft an meinem ungeschützten Kopf ist, die meinem Hirn zusetzt, oder
ob einfach die Augen zu sehr im „Fahrtwind“ tränen, passt die Optik plötzlich
wieder. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Schwarze den Weißen – sicher unbeabsichtigt
– demütigt. Schwarz kniet nieder, um seinen Schuh zu schnüren, wobei er
natürlich von Weiß überholt wird. Doch kaum hat er sein Schleifchen fertig,
setzt er sich seelenruhig wieder an die Spitze.
Während ich das noch amüsiert zur Kenntnis nehme, droht mir auf
einmal Ungemach von hinten. Schritte werden lauter! Dass ich mich nicht
umdrehen darf, habe ich ja gerade nochmal eindrucksvoll lernen dürfen. Also
bleibt nur die Beschleunigung. Das Bergab-Laufen fällt mir nach der Umstellung
auf den Mittelfuß jetzt viel schwerer. Ich kann nicht mehr mit großen
Schritten auf die Ferse donnern. Die Oberschenkel schmerzen. Aber die
Uhr tröstet und zeigt die schnellste jemals gemessene Kilometerzeit! Die
Schritte verhallen.
Der Bodenbelag geht in Kopfsteinpflaster über und Bebauung
setzt ein. Und immernoch geht es weiter abwärts. Langsam will ich, dass das
aufhört. Immer wieder kämpfe ich mit mir, ob ich einen richtigen Endspurt
rauslassen soll, um Weiß noch einzuholen. Letztlich kann ich mir das heute nicht
abverlangen. Doch die Sorge vor den Schritten von hinten lässt mich das Tempo zumindest
halten. Und kurz vorm Ziel steht ein Zuschauer, der es versteht, mich richtig
anzufeuern. Er redet ziemlich viel auf mich ein. Die Worte dringen nicht bis in
mein Bewusstsein vor. Doch der empfangene Reiz scheint direkt von der Amygdala
an meine Beine gesendet zu werden, die daraufhin zum großen Finale ansetzen.
Gleich hinter der Ziellinie erhalte ich eine Blanko-Urkunde,
ein Osterei und ein paar Schoko-Häschen sowie einen Händedruck vom Verursacher
der Schritte von hinten. Er formuliert seinen Respekt für meinen Endspurt,
während ich, nach Luft ringend, noch keiner Worte fähig bin. Dass ich mich
tatsächlich ganz wacker inmitten der einheimischen Bergläufer gehalten habe,
zeigt später die Ergebnisliste, die mich als Altersklassen-Vierten ausweist.
Doch zunächst erwartet mich Frau Pulsmesser. Innerlich
wappne ich mich für die Standpauke wegen des Höhenprofils. Völlig beseelt von
ihrer Bezwingung des schwierigen Parcours fällt mir meine Frau jedoch glücklich
um den Hals. Unser Auftakt ins Osterfest erscheint recht gelungen.
Da da haste ja nochmal Glück gehabt :-)
AntwortenLöschenDann hatte Frau Pulsmesser also auch Spaß gehabt.
Glückwunsch zur super Platzierung.
Wie ist denn die Harzquerung gelaufen?
Liebe Grüße
Helge
Danke Helge!
LöschenDie Harzquerung muss ich noch verarbeiten, sowohl mental als auch blog-mäßig.
Ob deine besser Hälfte wohl einfach aufgrund der Höhenmeter zu nix anderem mehr in der Lage war als um Halt zu fragen? ;)
AntwortenLöschenAuf jeden Fall gut gemacht und wieder ein toller Bericht!
Hallo Markus, danke dir!
LöschenSo hat sie mir dann keine haltlosen Vorwürfe machen können ;-)
Glückwunsch zur Leistung und dass Du Dich im Feld der Ortskundigen so wacker geschlagen hast! Bei solchen Läufen ist Streckenkenntnis ein großer Vorteil bzw. im Falle des Nicht-Vorhandeseins ein Nachteil.
AntwortenLöschenUnd wie lief es bei den Messerchen? Ihr habt ja da eine völlig andere Art der familiären Freizeitgestaltung entwickelt;-)
Liebe Grüße
Elke
Hallo Elke, danke dir!
LöschenDie Messerinnen waren mit Mittelfeldplatzierungen sehr zufrieden, und der Junior gewann (als einziger Starter) die Altersklasse "SB". Was immer diese Abkürzung bedeuten mag, vielleicht Schnelle Buben?