Montag, 28. April 2014

Oster-Ilsetallauf am 19.4.2014



Frau Pulsmesser mag keine Berge laufen. Der "Brocken" in „Osterlauf des Brockenlaufvereins“ klingt daher zu martialisch, und ich melde uns zum synonymen „Oster-Ilsetallauf“ an, weil "Tal" eher Flachland-Assoziationen weckt. Die 96 Höhenmeter scheinen auch akzeptabel für die 8,7 km lange Strecke, die sich Frau Pulsmesser und der Junior ausgesucht haben. Das jüngste Pulsmesserchen wählt flache 1,7 km. Und ich nehme die 16,7-km-Variante mit 322 Höhenmetern.

Idyll am Start in Ilsenburg
Die beiden Lang-Versionen unseres Osterspaziergangs werden gemeinsam gestartet. Die Strecke teilt sich erst nach gut 3 km. Doch bevor wir auf sie entlassen werden, gibt man uns eine Warnung vor Glatteis mit auf den Weg. Nach der kalten Nacht ist die Brücke über die Ilse trotz des sonnigen Morgens noch überfroren. Doch das scheint die Spitzengruppe wenig zu stören, die dieses Hindernis mit hohem Tempo nimmt und alsbald hinterm nächsten Hügel aus meinem Blickfeld verschwindet.

Hinterm Hügel? Wir sind doch noch auf dem gemeinsamen Streckenteil. Müsste es hier nicht flach sein? Oh, wie wird mich Frau Pulsmesser verfluchen!

Während ich im Geiste meine Frau um Gnade bitte, kommt eine andere Frau in mein Blickfeld. Es ist die führende Läuferin, die ich kurz darauf überhole. Vor mir läuft nun ein Herr mit vorbildlichem Laufstil. Die Füße schwingen hinten lehrbuchhaft weit nach oben. Als ich zu ihm aufschließe, folgt auch eine Situation wie aus dem Lehrbuch. Es heißt, man solle sich niemals nach seinem Verfolger umsehen, da dies Angst signalisiere. Und was macht mein Vordermann? Er dreht sich zu mir um. Und ich sehe tatsächlich die Angst in seinem Gesicht! Spontan entschließe ich mich, genau jetzt vorbeizuziehen. An der Streckenteilung hoffe ich kurz auf eine weitere Verbesserung meiner Platzierung. Doch keiner tut mir den Gefallen, sich auf die kurze Distanz und damit außer Konkurrenz zu begeben. Der ganze Pulk vor mir biegt ebenfalls in die lange Strecke ein.

Waren wir bisher auf kleinen Pfaden unterwegs, geht es ab jetzt auf einem Fahrweg bergauf. Und damit ist das Überholen für mich für heute vorbei. Die lokalen Mitläufer haben vermutlich nicht nur den Vorteil der Streckenkenntnis, sondern sind sicher auch das Berglaufen gewöhnt. Unablässig windet sich der Weg hinauf, und ich lasse merklich Federn. Ich bin auch nicht ganz mit mir im Reinen, ob ich eine Woche vor der Harzquerung heute wirklich alles geben will. Und so gerät das Feld vor mir langsam außer Reichweite. Dann werde ich überholt. Erst von einem Herrn in Weiß. Und danach von einem schwarzgekleideten Läufer, der auch noch am Weißen vorbeizieht. Diese Schwarz-Weiß-Kombination wird mein Anblick bis ins Ziel bleiben.

Nach ca. 8 km ist die Plessenburg, ein Berggasthof, erreicht. Dort gibt es Verpflegung. Normalerweise nehme ich auf so kurzen Distanzen nichts zu mir. Aber nach dem Gehechel am Berg ist mein Mund so trocken, dass ich über einen Schluck vom warmen Tee recht froh bin.

Wenig später scheint der Scheitelpunkt überschritten zu sein. Ein Waldweg leitet flach weiter und bald bergab, bevor er ins Ilsetal mündet, wo eine Forststraße steil bergab in Richtung Ziel führt. Landschaftlich ist es hier ganz herrlich. Ich bedaure, dass wir nicht auf dem parallel verlaufenden, wurzeligen Pfad unterwegs sein dürfen, der sich neben der Ilse entlang schlängelt. Angesichts der Osterspaziergänger, die sich dort in Scharen empor quälen, sind wir auf dem Fahrweg wohl besser aufgehoben. 

Plötzlich versagen meine Augen. Es wirkt, als ob die separat von jedem Auge gelieferten Bilder vom Gehirn nicht mehr zu einem Gesamtbild zusammen gefügt werden. Ein bisschen komme ich mir vor wie in einer dieser Jahrmarktbuden mit den Zerrspiegeln. Jetzt bin ich richtig froh, dass wir auf dem glatten, breiten Weg unterwegs sind! Während ich noch grübele, ob es die eiskalte Luft an meinem ungeschützten Kopf ist, die meinem Hirn zusetzt, oder ob einfach die Augen zu sehr im „Fahrtwind“ tränen, passt die Optik plötzlich wieder. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Schwarze den Weißen – sicher unbeabsichtigt – demütigt. Schwarz kniet nieder, um seinen Schuh zu schnüren, wobei er natürlich von Weiß überholt wird. Doch kaum hat er sein Schleifchen fertig, setzt er sich seelenruhig wieder an die Spitze.

Während ich das noch amüsiert zur Kenntnis nehme, droht mir auf einmal Ungemach von hinten. Schritte werden lauter! Dass ich mich nicht umdrehen darf, habe ich ja gerade nochmal eindrucksvoll lernen dürfen. Also bleibt nur die Beschleunigung. Das Bergab-Laufen fällt mir nach der Umstellung auf den Mittelfuß jetzt viel schwerer. Ich kann nicht mehr mit großen Schritten auf die Ferse donnern. Die Oberschenkel schmerzen. Aber die Uhr tröstet und zeigt die schnellste jemals gemessene Kilometerzeit! Die Schritte verhallen.

Der Bodenbelag geht in Kopfsteinpflaster über und Bebauung setzt ein. Und immernoch geht es weiter abwärts. Langsam will ich, dass das aufhört. Immer wieder kämpfe ich mit mir, ob ich einen richtigen Endspurt rauslassen soll, um Weiß noch einzuholen. Letztlich kann ich mir das heute nicht abverlangen. Doch die Sorge vor den Schritten von hinten lässt mich das Tempo zumindest halten. Und kurz vorm Ziel steht ein Zuschauer, der es versteht, mich richtig anzufeuern. Er redet ziemlich viel auf mich ein. Die Worte dringen nicht bis in mein Bewusstsein vor. Doch der empfangene Reiz scheint direkt von der Amygdala an meine Beine gesendet zu werden, die daraufhin zum großen Finale ansetzen. 

Gleich hinter der Ziellinie erhalte ich eine Blanko-Urkunde, ein Osterei und ein paar Schoko-Häschen sowie einen Händedruck vom Verursacher der Schritte von hinten. Er formuliert seinen Respekt für meinen Endspurt, während ich, nach Luft ringend, noch keiner Worte fähig bin. Dass ich mich tatsächlich ganz wacker inmitten der einheimischen Bergläufer gehalten habe, zeigt später die Ergebnisliste, die mich als Altersklassen-Vierten ausweist.

Doch zunächst erwartet mich Frau Pulsmesser. Innerlich wappne ich mich für die Standpauke wegen des Höhenprofils. Völlig beseelt von ihrer Bezwingung des schwierigen Parcours fällt mir meine Frau jedoch glücklich um den Hals. Unser Auftakt ins Osterfest erscheint recht gelungen.

6 Kommentare:

  1. Da da haste ja nochmal Glück gehabt :-)
    Dann hatte Frau Pulsmesser also auch Spaß gehabt.
    Glückwunsch zur super Platzierung.
    Wie ist denn die Harzquerung gelaufen?
    Liebe Grüße
    Helge

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    1. Danke Helge!
      Die Harzquerung muss ich noch verarbeiten, sowohl mental als auch blog-mäßig.

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  2. Ob deine besser Hälfte wohl einfach aufgrund der Höhenmeter zu nix anderem mehr in der Lage war als um Halt zu fragen? ;)

    Auf jeden Fall gut gemacht und wieder ein toller Bericht!

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    1. Hallo Markus, danke dir!

      So hat sie mir dann keine haltlosen Vorwürfe machen können ;-)

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  3. Glückwunsch zur Leistung und dass Du Dich im Feld der Ortskundigen so wacker geschlagen hast! Bei solchen Läufen ist Streckenkenntnis ein großer Vorteil bzw. im Falle des Nicht-Vorhandeseins ein Nachteil.
    Und wie lief es bei den Messerchen? Ihr habt ja da eine völlig andere Art der familiären Freizeitgestaltung entwickelt;-)
    Liebe Grüße
    Elke

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    1. Hallo Elke, danke dir!
      Die Messerinnen waren mit Mittelfeldplatzierungen sehr zufrieden, und der Junior gewann (als einziger Starter) die Altersklasse "SB". Was immer diese Abkürzung bedeuten mag, vielleicht Schnelle Buben?

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