Mittwoch, 3. Februar 2016

Hivernaltrail 2016 – Ein Lauf mit Hindernissen


Als wir auf der Anfahrt zum Hivernaltrail an der längsten Treppe Hollands vorbeikommen, weise ich aus dem Fenster und lasse – betont beiläufig – den Satz fallen: „Da müssen wir gleich hoch.“ Ralf, der „Holland“ mit „flach“ assoziiert hatte, beginnt zu ahnen, dass sich auf den 30 Kilometern auch ein paar Höhenmeter akkumulieren werden. Was wir beide noch nicht wissen, es werden 760 davon zusammenkommen.
 
Längste Treppe Hollands, Wilhelminaberg (2015)
Kurz vor Elf halten wir unsere Startnummern in den Händen und ahnen noch nichts von dem sich anbahnenden Ungemach. Im Gegenteil, fröhlich applaudieren wir den Startern um 11 Uhr, in der Annahme, dass sich hier – wie in der Ausschreibung vorgesehen – die 19-km-Läufer auf ihren feuchten Weg machen.

Es hatte am Vortag zwar einen langen Newsletter in niederländischer Sprache gegeben. Darin wurden auch, ganz unten, die Startzeiten erwähnt. Dass sich diese gegenüber dem ursprünglichen Plan geändert hatten, war aber weder extra erwähnt, noch einem von uns aufgefallen. Erst kurz vor halb Zwölf werden wir gewahr (danke, Matthias!), dass unser Start von 11:30 Uhr auf um 11 vorgezogen worden war!

Nach kurzer Diskussion mit dem Zeitnehmer schaltet dieser für uns noch einmal die Nettozeitmessung scharf. Wir starten mit 19-minütiger Verspätung. Meine Laune ist im Keller. „Was ist denn das jetzt noch für ein Wettkampf? Da hätte ich ja gleich alleine den Track ablaufen können! Und von den kostenlosen Rosinenbrötchen für alle Starter haben wir auch keins mehr abbekommen.“ Müsste ich nicht laufen, könnte ich ja gleich mal trotzig mit dem Fuß aufstampfen. Ich bin wohl schon wieder bockig. Besonders ärgert mich, dass wir im Ziel auch nicht die in Aussicht gestellte Medaille erhalten werden. Weil der Hersteller „2015“ auf das Band des von mir so begehrten Bleches gedruckt hat, soll uns korrigierter Ersatz später per Post zugestellt werden.

Doch schon nach wenigen Metern versöhnen mich die Hindernisse, die die geniale Strecke bereit hält, mit den organisatorischen Hindernissen. Die 93 Meter hohe Treppe am Wilhelminaberg zwingt uns schon nach wenigen ihrer 508 Stufen in die Knie. Gehend bewältigen wir das 248 Meter lange Ungetüm. Vermutlich wären wir nicht einmal dann im Laufschritt hinauf gekommen, wenn danach keine weiteren 30 Kilometer auf uns warten würden.

Das Treppenende markiert auch das Ende befestigter Wege. Ab jetzt geht es auf Pfaden durch nasse, schwarze Schlacke. Zwei oder dreimal müssen wir die Halde – ein Zeugnis des ehemaligen Steinkohlebergbaus – rauf und runter. Als ich nach fünf Kilometern die Schlußläufer des Felds erreiche, mache ich mich als nächstes auf die Steilwand gefasst. Im Vorjahr mussten wir die Flanke einer Kiesgruppe erklimmen. Vielleicht war es auch ein eiszeitliches Relikt. Jedenfalls war es so steil, dass der Veranstalter Seile am unmittelbar darauf folgenden Abstieg befestigt hatte. Aber dieses Jahr scheint es keine Steilwand zu geben.

Stattdessen finde ich mich schon bald am gähnenden Abgrund wieder, der mir noch in guter Erinnerung ist. Rutschte ich hier vor 12 Monaten noch ärschlings zu Tale, so gibt es jetzt ein Seil, das mich sturzfrei eine Etage tiefer geleitet.
 
Der gähnende Abgrund
Verwirrung kommt am ersten VP auf. Ging es nicht letztes Mal links rum? Offenbar laufen wir heute die Schleife in der Gegenrichtung. Abwechslung muss sein! Schon allein die Bodenbeschaffenheit sorgt dafür. Es läuft sich deutlich leichter. Nicht, dass nicht genug Schlamm da wäre. Aber klebte man im Vorjahr beispielsweise bei der Passage über das Feld bei jedem Schritt im Lehm fest, so kommt man heute vergleichsweise gut voran.

Inzwischen habe ich längst meinen Frieden mit dem späten Start gemacht, bedeutet es doch ein beständiges Überholen, ohne sich seinerseits irgendwelcher Verfolger erwehren zu müssen. Trotzdem bin ich in den Wettkampfmodus geraten und spare mir die Stopps an den drei Verpflegungsstellen. Da man ohnehin seinen eigenen Becher hätte mitführen müssen, habe ich gleich den Rucksack mit einem Liter Wasser mitgenommen. Hatte mir das Wasser bei der Premiere noch gereicht, muss ich diesmal erstaunlicherweise auf das mitgenommene Not-Gel zurückgreifen. Ist mein Fettstoffwechsel schlecht trainiert?

Solchen negativen Gedanken kann ich nicht länger nachhängen. Denn plötzlich ragt doch noch die Kiesgrubenklippe vor mir auf. Mit dieser neuen Streckenführung verteilen sich die Hindernisse etwas gleichmäßiger über die Gesamtdistanz. Ich hatte fest geplant, ein Foto von der Steilstufe aufzunehmen. Aber der Wettkampfmodus lässt es auch diesmal nicht zu.
 
Start-/Zielbereich mit Unterstand
Letzten Endes komme ich als 26. von 78 Finishern ins Ziel. Die Nettozeit von 2:49:02 würde allerdings dem elften Platz entsprechen. Diese Platzierung ist identisch mit der der letzten Teilnahme, obwohl ich heute fast sieben Minuten schneller bin.

Unter der Dusche gibt es dann noch eine holländische Spezialität zu bestaunen. Einige Teilnehmer reinigen dort nicht nur ihre schlammigen Körper, sondern auch ihre noch viel schlammigeren Schuhe. Erheblicher Bodensatz ist die Folge.

Der Ausschank kostenloser Erbsensuppe kompensiert das anfangs entgangene Rosinenbrötchen und lässt alle initialen Schwierigkeiten endgültig vergessen. Die nächstjährige Teilnahme ist schon so gut wie gebucht, zumal dann wahrscheinlich sogar eine Marathondistanz angeboten wird.





11 Kommentare:

  1. Hört sich ja nach einem großen Spaß im flachen Holland an :) Wäre das nicht ganz soweit weg wäre ich nächstes Jahr gerne dabei!

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    1. Das denke ich auch dauernd, wenn ich von irgendwelchen Läufen lese. Man kann halt nicht auf allen Hochzeiten tanzen bzw. in jedem Schlamm rennen.

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  2. 760 Höhenmeter, und das in Holland! Hätte ich jetzt nicht gedacht, dass die dort solch ein Profile bieten. Das mit der verschobenen Startzeit ist ja äußerst blöd. Aber immerhin, man ließ euch auf die Jagd nach dem entgangenen Rosinenbrötchen gehen! Ob das das Doping für die 7 Minuten schnellere Zeit war? Nun ja, da nimmt man das Warten auf die Medaille und Schmutzfinken in der Dusche vielleicht in Kauf.
    Glückwunsch zur guten Zeit!
    Liebe Grüße
    Elke

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    1. Danke, Elke! Der Wilhelminaberg ist sowas Ähnliches wie eure Sophienhöhe.

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  3. Immer wieder sehr nett zu lesen, deine Berichte!

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    1. Danke, ohne dich hätte es diesmal ja beinahe nichts zu berichten gegeben.

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  4. Ja du meine Güte - Berge in den Niederlanden! Ich glaube, das schau' ich mir nächstes Jahr auch an!

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  5. Ich hätte nicht gedacht, das die Niederland überhaupt insgesamt 100 HM haben. Aber 760? Wow, das überrascht :-)
    Das mit dem späten Start und dem ständigen Überholen (ohne selbst überholt zu werden) ist natürlich clever ;-)
    Haste mit Absicht die Mail nciht gelesen ? :-)))
    LIebe Grüße
    Helge

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    1. Einfach mal ins Dreiländereck hinter Aachen fahren. Dort befindet sich der höchste Punkt der NL (Vaalserberg 322m über NN) Gleichzeitig ein riesiges Areal zum Laufen......

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    2. Ich habe die Mail sogar extra übersetzen lassen ...

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