Als wir auf der
Anfahrt zum Hivernaltrail an der längsten Treppe Hollands vorbeikommen, weise
ich aus dem Fenster und lasse – betont beiläufig – den Satz fallen: „Da müssen
wir gleich hoch.“ Ralf, der „Holland“ mit „flach“ assoziiert hatte, beginnt zu
ahnen, dass sich auf den 30 Kilometern auch ein paar Höhenmeter akkumulieren
werden. Was wir beide noch nicht wissen, es werden 760 davon zusammenkommen.
Kurz vor Elf
halten wir unsere Startnummern in den Händen und ahnen noch nichts von dem sich
anbahnenden Ungemach. Im Gegenteil, fröhlich applaudieren wir den Startern um
11 Uhr, in der Annahme, dass sich hier – wie in der Ausschreibung vorgesehen –
die 19-km-Läufer auf ihren feuchten Weg machen.
Es hatte am
Vortag zwar einen langen Newsletter in niederländischer Sprache gegeben. Darin
wurden auch, ganz unten, die Startzeiten erwähnt. Dass sich diese gegenüber dem
ursprünglichen Plan geändert hatten, war aber weder extra erwähnt, noch einem
von uns aufgefallen. Erst kurz vor halb Zwölf werden wir gewahr (danke,
Matthias!), dass unser Start von 11:30 Uhr auf um 11 vorgezogen worden war!
Nach kurzer
Diskussion mit dem Zeitnehmer schaltet dieser für uns noch einmal die
Nettozeitmessung scharf. Wir starten mit 19-minütiger Verspätung. Meine Laune
ist im Keller. „Was ist denn das jetzt noch für ein Wettkampf? Da hätte ich ja
gleich alleine den Track ablaufen können! Und von den kostenlosen
Rosinenbrötchen für alle Starter haben wir auch keins mehr abbekommen.“ Müsste ich
nicht laufen, könnte ich ja gleich mal trotzig mit dem Fuß aufstampfen. Ich bin wohl schon wieder bockig. Besonders ärgert mich, dass wir im Ziel auch nicht
die in Aussicht gestellte Medaille erhalten werden. Weil der Hersteller „2015“
auf das Band des von mir so begehrten Bleches gedruckt hat, soll uns
korrigierter Ersatz später per Post zugestellt werden.
Doch schon nach
wenigen Metern versöhnen mich die Hindernisse, die die geniale Strecke bereit
hält, mit den organisatorischen Hindernissen. Die 93 Meter hohe Treppe am
Wilhelminaberg zwingt uns schon nach wenigen ihrer 508 Stufen in die Knie.
Gehend bewältigen wir das 248 Meter lange Ungetüm. Vermutlich wären wir nicht
einmal dann im Laufschritt hinauf gekommen, wenn danach keine weiteren 30
Kilometer auf uns warten würden.
Das Treppenende
markiert auch das Ende befestigter Wege. Ab jetzt geht es auf Pfaden durch
nasse, schwarze Schlacke. Zwei oder dreimal müssen wir die Halde – ein Zeugnis
des ehemaligen Steinkohlebergbaus – rauf und runter. Als ich nach fünf
Kilometern die Schlußläufer des Felds erreiche, mache ich mich als nächstes auf
die Steilwand gefasst. Im Vorjahr mussten wir die Flanke einer Kiesgruppe
erklimmen. Vielleicht war es auch ein eiszeitliches Relikt. Jedenfalls war es
so steil, dass der Veranstalter Seile am unmittelbar darauf folgenden Abstieg
befestigt hatte. Aber dieses Jahr scheint es keine Steilwand zu geben.
Stattdessen
finde ich mich schon bald am gähnenden Abgrund wieder, der mir noch in guter
Erinnerung ist. Rutschte ich hier vor 12 Monaten noch ärschlings zu Tale, so
gibt es jetzt ein Seil, das mich sturzfrei eine Etage tiefer geleitet.
Verwirrung
kommt am ersten VP auf. Ging es nicht letztes Mal links rum? Offenbar laufen
wir heute die Schleife in der Gegenrichtung. Abwechslung muss sein! Schon
allein die Bodenbeschaffenheit sorgt dafür. Es läuft sich deutlich leichter.
Nicht, dass nicht genug Schlamm da wäre. Aber klebte man im Vorjahr
beispielsweise bei der Passage über das Feld bei jedem Schritt im Lehm fest, so
kommt man heute vergleichsweise gut voran.
Inzwischen habe
ich längst meinen Frieden mit dem späten Start gemacht, bedeutet es doch ein
beständiges Überholen, ohne sich seinerseits irgendwelcher Verfolger erwehren
zu müssen. Trotzdem bin ich in den Wettkampfmodus geraten und spare mir die
Stopps an den drei Verpflegungsstellen. Da man ohnehin seinen eigenen Becher hätte
mitführen müssen, habe ich gleich den Rucksack mit einem Liter Wasser mitgenommen.
Hatte mir das Wasser bei der Premiere noch gereicht, muss ich diesmal erstaunlicherweise
auf das mitgenommene Not-Gel zurückgreifen. Ist mein Fettstoffwechsel schlecht
trainiert?
Solchen
negativen Gedanken kann ich nicht länger nachhängen. Denn plötzlich ragt doch
noch die Kiesgrubenklippe vor mir auf. Mit dieser neuen Streckenführung
verteilen sich die Hindernisse etwas gleichmäßiger über die Gesamtdistanz. Ich
hatte fest geplant, ein Foto von der Steilstufe aufzunehmen. Aber der
Wettkampfmodus lässt es auch diesmal nicht zu.
Letzten Endes
komme ich als 26. von 78 Finishern ins Ziel. Die Nettozeit von 2:49:02 würde
allerdings dem elften Platz entsprechen. Diese Platzierung ist identisch mit
der der letzten Teilnahme, obwohl ich heute fast sieben Minuten schneller bin.
Unter der
Dusche gibt es dann noch eine holländische Spezialität zu bestaunen. Einige
Teilnehmer reinigen dort nicht nur ihre schlammigen Körper, sondern auch ihre
noch viel schlammigeren Schuhe. Erheblicher Bodensatz ist die Folge.
Der Ausschank
kostenloser Erbsensuppe kompensiert das anfangs entgangene Rosinenbrötchen und lässt
alle initialen Schwierigkeiten endgültig vergessen. Die nächstjährige Teilnahme
ist schon so gut wie gebucht, zumal dann wahrscheinlich sogar eine
Marathondistanz angeboten wird.
Hört sich ja nach einem großen Spaß im flachen Holland an :) Wäre das nicht ganz soweit weg wäre ich nächstes Jahr gerne dabei!
AntwortenLöschenDas denke ich auch dauernd, wenn ich von irgendwelchen Läufen lese. Man kann halt nicht auf allen Hochzeiten tanzen bzw. in jedem Schlamm rennen.
Löschen760 Höhenmeter, und das in Holland! Hätte ich jetzt nicht gedacht, dass die dort solch ein Profile bieten. Das mit der verschobenen Startzeit ist ja äußerst blöd. Aber immerhin, man ließ euch auf die Jagd nach dem entgangenen Rosinenbrötchen gehen! Ob das das Doping für die 7 Minuten schnellere Zeit war? Nun ja, da nimmt man das Warten auf die Medaille und Schmutzfinken in der Dusche vielleicht in Kauf.
AntwortenLöschenGlückwunsch zur guten Zeit!
Liebe Grüße
Elke
Danke, Elke! Der Wilhelminaberg ist sowas Ähnliches wie eure Sophienhöhe.
LöschenImmer wieder sehr nett zu lesen, deine Berichte!
AntwortenLöschenDanke, ohne dich hätte es diesmal ja beinahe nichts zu berichten gegeben.
LöschenJa du meine Güte - Berge in den Niederlanden! Ich glaube, das schau' ich mir nächstes Jahr auch an!
AntwortenLöschenDann sehen wir uns wahrscheinlich!
LöschenIch hätte nicht gedacht, das die Niederland überhaupt insgesamt 100 HM haben. Aber 760? Wow, das überrascht :-)
AntwortenLöschenDas mit dem späten Start und dem ständigen Überholen (ohne selbst überholt zu werden) ist natürlich clever ;-)
Haste mit Absicht die Mail nciht gelesen ? :-)))
LIebe Grüße
Helge
Einfach mal ins Dreiländereck hinter Aachen fahren. Dort befindet sich der höchste Punkt der NL (Vaalserberg 322m über NN) Gleichzeitig ein riesiges Areal zum Laufen......
LöschenIch habe die Mail sogar extra übersetzen lassen ...
Löschen