Montag, 10. November 2014

Fersengeld beim Martinslauf


Für den ausgebuchten Düsseldorfer Martinslauf am 9.11.2014 habe ich rechtzeitig gemeldet, jedoch verspüre ich nicht die rechte Motivation aufs Ganze zu gehen. Zu hoch habe ich die Latte vor einem Jahr gelegt. Jetzt liegt sie da oben ziemlich ehrfurchteinflößend herum. Da ich mich also nicht so recht in Wettlaufstimmung zu bringen vermag, genehmige ich mir anstatt der üblichen, kargen Vor-Wettkampf-Kost ein üppiges Sonntagsfrühstück. Und trotzdem, die Pace, die für eine neue Bestzeit nötig wäre, habe ich im Vorfeld doch mal ausgerechnet: 4:05 min/km.

Obwohl ich es vom Start weg betont ruhig angehe und überholt werde, ist der erste Kilometer mit 4 min zu schnell. Das Tempo fühlt sich aber gar nicht so schlecht an. Ich hänge mich an den Träger eines Hemds (ist aber kein Trägerhemd) mit der Aufschrift: „Back Pain?“ Nein, der Rücken ist in Ordnung. Und auch sonst tut noch nichts weh. Die Frage erinnert mich jedoch an ein Erlebnis vor vielen Jahren auf Kreta.


Beim Querfeldein-Wandern blieb die Spitze eines rostigen Zauns, den zu überklettern ich trachtete, in meiner Hand stecken. Als der kretische Arzt die Wunde später ohne Betäubung nähte, fragte er bei jedem Stich durch meine Handinnenfläche mit einem genüsslichen Grinsen: „Pain? Pain?“ Schmerz kam allerdings erst auf, als er mir die Rechnung für diese Handarbeit präsentierte.


Irgendwann erlahmt der Fragesteller ein wenig und ich ziehe vorbei. Vorbei auch am ruhig im herbstlichen Sonnenlicht daliegenden Unterbacher See, in dessen Wasserfläche sich das goldgefärbte Laub spiegelt. Als die Szenerie auch noch von Kranichen überflogen wird, scheint das Laufglück für einen Moment perfekt.

Doch wie das mit dem Glück so ist, währt es nicht ewig. Im linken Schuh macht sich etwa bei Kilometer Sechs ein Stein bemerkbar. Genau unter der Ferse. Und wie ich den Fuß auch schüttele, der Stein bewegt sich keinen Millimeter. Ich versuche, die Ferse kaum noch abzusetzen. Doch jeder zweite Schritt bleibt Pein. Nun heißt es warten. Warten bis die Endorphin-Ausschüttung ein Maß erreicht, das mich den Schmerz nicht mehr wahrnehmen lässt. Immerhin geht von Laufpabst Strunz die Kunde, er habe nicht gespürt, wie er sich einen Stein so tief in die Ferse eingelaufen habe, dass er herausoperiert werden musste. Doch ich spüre mein Steinchen noch. Und da ich verweichlicht in meinen Fuß hineinhorche, verschleife ich das Tempo. Das bemerke ich erst, als mir plötzlich die Frage nach dem Schmerz wieder von ihrem Träger vor Augen geführt wird. Immerhin kann ich jetzt mit Pain aufwarten.

Da kann ich mich auch noch ein bisschen mehr quälen und das Fragehemd wieder hinten verschwinden lassen. Aber irgendjemand hängt in meinem Rücken fest. Erst bei Kilometer 14 lässt er sich blicken und spricht zu mir, bevor er von hinnen zieht: „Entschuldigung, ist nicht böse gemeint. Ich kann meine Pace noch nicht richtig einschätzen.“ Als wären die Worte noch nicht Schmach genug, bringt er sie auch noch so unangestrengt hervor, als läge er auf der Couch. Im Ziel wird er mir erzählen, dass er heute seinen ersten Wettkampf bestritten hat und noch keine Laufuhr besitzt. Ein junger Mann mit Potenzial!

Lange Zeit war weit vor mir, quasi als Langfristziel, ein Herr in Blau gelaufen. Inzwischen ist er ein- und überholt, aber er klebt hartnäckig an meinen Fersen. So sehr, dass er diese sogar berührt. Meine Geste, er möge etwas Abstand wahren, quittiert er damit, dass er sich vor mich setzt. Mittlerweile ist Kilometer 16 erreicht, und damit der Punkt, der den Stein im Schuh vergessen macht. Auf den folgenden Kilometern wechseln der Blaue und ich uns mit der Führung ab. Doch als mir bei der 19-Kilometer-Marke schwant, dass das mit der Bestzeit heute tatsächlich noch klappen könnte, werde ich beflügelt. Der Blaumann bleibt zurück und ich kann auf der finalen Strecke sogar noch einmal Gelb und einmal Weiß überholen.

Als der Sprecher meinen Namen ausruft, sehe ich die Uhr gerade auf 1:26 umspringen. Auf der Sofort-Urkunde steht „AK-Platz 1“ und „1:26:05“. Das sind 39 Sekunden weniger als die alte Bestmarke – selten hat das Ziel-Erdinger so gut geschmeckt!
Siegprämie
Nun wird es endlich Zeit, mich von meinem blinden Passagier zu trennen. Als ich den elenden Stein aus dem Schuh schütten will, fällt nichts heraus! Mmmh, dann muss der Fremdkörper wohl in der Socke stecken. Nur auch dort kann ich, außer einem von blutgetränktem Stoff umsäumten Loche, nichts entdecken. Erst die nähere Untersuchung der Schuhsohle offenbart ein Stück Split, das sich – einem Mini-Faustkeil gleich – durch die dünne Sohle des Barfuß-Schuhs gebohrt hat. Nachdem ich den Eindringling herausoperiert habe, bleibt ein Loch in der Sohle. Schuh kaputt, Socke kaputt, Ferse kaputt. Ein teuer erkaufter Sieg!
 
Ferse nach dem Lauf
Schuh mit Loch und Eindringling (oben rechts)

9 Kommentare:

  1. Au weia! Das vorletzte Bild tut ja schon beim Hinsehen weh! Und dan damit noch neue PB gelaufen! Was wäre wohl passiert, wenn Du nicht den Störenfried aufgesammelt hättest? Wärst wie der Götterbote an gelb, grün, blau, orange und was sonst noch da unterwegs war vorbei gezischt. Das legt ja nun wiederum die Latte für 2015 noch eins höher...
    Aber auf alle Fälle: Ganz herzliche Glückwünsche zur Zeit, zu Platz 1 der AK und zum ebenso bemerkenswerten Sieg über den blinden Passagier im Schuh!!!
    Liebe Grüße
    Elke

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    1. Das habe ich mich auch schon gefragt, liebe Elke!
      Das nächste Mal laufe ich ohne Zusatzgewichte ;-)

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  2. Auja! Das tut doch weh! Und du hast Bestzeit mit diesem Hinkelstein im Fuß geschafft. Na da sollen die anderen sich mal warm anziehen. Wenn du erst ohne Hinkelstein läufst :-)))
    Glückwunsch. Eine wirklich beachtliche Zeit. Unglaublich wie man sooo schnell laufen kann.
    Hast du echt gut gemacht. Aber wie schon gesagt: probier es doch das nächste Mal ohne Loch im Fuß.
    Gute Besserung für deinen Fuß
    Liebe Grüße
    Helge

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  3. Oh weh, das tut beim Hinsehen schon weh! Bei dem Scherz kann ich dir nur wünschen, dass zumindest der Wein lecker war oder ist ;)

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  4. Autsch. Aber so ist das mit den Barfussschuhen. Ich hatte mir mal eine Glasscherbe in die Sohle eingetreten. War auch nicht lustig. Aber wenigstens im Training, so dass ich anhalten konnte.
    Glückwunsch zum AK Sieg :-) .
    Und einem in die Ferseb treten gaht ja wohl gar nicht. So eng war es sicher nicht, als dass "Mann" keinen Abstand halten kann.
    Viele Grüße
    Karina
    P.S. Man kann beim Uewersauertrail noch nachmelden, hihi. Ich laufe dort den 10er Sprint-Trail.

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    1. Danke für den Glückwunsch und den Lauf-Tipp, Karina! Ja, Windschattenlaufen ist gar nicht so einfach. Mir ist es zu anstrengend. Man muss ja praktisch im Gleichschritt mit dem Vordermann laufen. Aber bei dem Lauf hatte ich ungefähr 2/3 der Strecke jemanden am Heck. Das ist gar nicht so einfach auszuhalten. Andererseits treibt es auch an.

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  5. Hey, kann so ein Stein auch dazu führen, dem Schmerz davon zu laufen? Die Zeit ist jedenfalls genial. Herzlichen Glückwunsch. Und vielleicht legst Du Dir ja für den nächsten Rekordversuch eine Reißzwecke zurecht ... ;-)

    Viele Grüße
    Rainer

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    1. Hallo Rainer, du meinst, so wie die russische Spitzenathletin, von der Herbert Steffny im "Großen Laufbuch" berichtet? Sie hatte sich die Sicherheitsnadel der Startnummer in den Oberschenkel gerammt, um sich anzu"spornen"!

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