Gestartet wird am Hang. Deshalb wollen alle vorne stehen, um die zusätzlichen Höhenmeter zu vermeiden, die ein Start weiter unten mit sich bringt. Es würde reichen, dass dieser Hügel im Zieleinlauf zu nehmen sei, meint die Dame neben mir.
Die ersten beiden Kilometer geht es fast ausschließlich aufwärts. Und so lange brauche ich auch, um den Schmerz aus der Ferse rauszulaufen. Bis es so weit ist, werde ich reihenweise überholt, und meine Tochter zieht immer weiter davon. Da sie sich ob des schneidend kalten Windes, der die 7 Grad gefühlt an den Gefrierpunkt rückt, meine orange Mütze geborgt hat, ist sie sehr gut im Feld auszumachen.
Apropos Feld, wir laufen auf einer eigens für uns gesperrten Landstraße durch eine reizend schöne Gegend, bestehend aus Wald, Wiese und eben Feld. Da dieses Natur-Arrangement auch noch auf hügeligem Untergrund drapiert wurde, ist es ein Wettkampf ganz nach meinem Geschmack. Angesichts der Kulisse stört es auch nicht, dass im Nachbarort einfach wieder gewendet wird. Sorgt doch die Begegnung für noch mehr Abwechslung. Zunächst kommen uns die 4,2-km-Läufer entgegen, auf Platz Zwei ein 11-Jähriger!
Zur speziellen Atmosphäre dieses Wettkampfes trägt auch die Start-/Ziel-Lokation bei, eine uralte Turnhalle, in der sich alle Geschlechter gemeinsam umziehen. Schon der Geruch beim Betreten lässt Erinnerungen an den Schulsport aufkommen. Scheinbar haben sich nicht nur die Bauwerke, sondern auch noch gewisse Bräuche gehalten, wie meine Kollegen, die mit Grundschulkindern rückübersiedelt sind, berichten. Hatten die Kinder bisher ihren Sportunterricht mit einem Sitzkreis begonnen, so heißt es hier noch immer "Stillgestanden!". Immerhin, das "Sport frei!" wurde wohl in der Schule abgeschafft, doch im Dresdner Kieser-Studio werde ich nach wie vor so begrüßt. Dieser Gruß kann durchaus zu Verwirrung führen. Im Buch "Dresden läuft: Die schönsten Laufstrecken der Stadt und ihre Geschichten" wird nicht nur der Oberlichtenauer Silvesterlauf empfohlen, sondern auch von einer Schweizer Athletin berichtet, die in Dresdens Großem Garten beim Joggen einen älteren Herrn traf, der ihr "Sport frei" zurief, und sie sich daraufhin wunderte, warum der Park "sportfrei" gehalten werden soll.
Die Landstraße ist heute nicht sport-, sondern autofrei. An der Wende kommt mir die Tochter auf Platz Zwei der Damen entgegen, eine Konkurrentin knapp hinter ihr. Während der zweiten Hälfte der 9,2-km-Strecke sehe ich dabei zu, wie sie zunächst auf den dritten Rang zurückfällt und danach immer langsamer wird. Zwei Herzen wohnen in meiner Brust. Zum einen wittere ich meine Chance, sie noch einholen zu können. Zum anderen wünsche ich mir, dass genau das nicht passieren möge, denn an meinen Fersen klebt die Viertplatzierte. Jedenfalls nehme ich das an. Oder warum rufen die Zuschauer immer "Toll, Franzi!", wenn ich angelaufen komme?
Schloss Oberlichtenau by X-Weinzar [CC BY-SA 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)] |
An der letzten Abwärtspassage hinab zum Barockschloss Oberlichtenau ziehe ich den Schritt besonders lang, um mal von meiner Physiognomie zu profitieren. Scheinbar hat Franzi kürzere Beine, denn plötzlich sind keine Schritte mehr hinter mir zu vernehmen. Dafür gerät mein Nachwuchs in greifbare Nähe, als es den Hügel hoch ins Ziel geht. Doch die Strecke ist zu kurz. Sie beendet den Lauf ein paar Sekunden vor mir und verschenkt etwas offizielle Zeit, weil sie den Transponder am Handgelenk nicht sofort an den Sensor im Ziel hält. Trotzdem hat sie den Podestplatz erreicht und wird bei dieser effizient organisierten Veranstaltung nahezu unmittelbar geehrt. Neben der Urkunde erhält sie eine Flasche "Müller"-Milch. Dieser zunächst seltsam anmutende Preis dürfte dem lokalen Sponsor geschuldet sein, den man eigentlich wegen des noch immer im Ohr klingenden Werbe-Songs im Allgäu vermutet. Er produziert aber hier im nahen Leppersdorf neben den "Sachsenmilch"-Produkten laut Homepage auch "Molkederivate für Sportler". Dann passt es wohl.
Als ich ins Ziel komme, geht für mich eine Ära zu Ende. Es war der letzte Lauf am letzten Tag in der AK M45. Und ich habe mich angesichts der körperlichen Umstände ganz wacker geschlagen. Immerhin entspricht die Zielzeit von 39:11 einer 4:15er Pace - bei 132 Hm kann man das gerade noch gelten lassen. Das bedeutet Platz 5 in der AK. Der anstehende Altersklassenwechsel scheint keine Vorteile zu bieten, auch da wäre es der 5. Platz gewesen.
Grund zur Freude habe ich im Ziel so oder so. Denn ich muss lachen, als ich realisiere, was mir da als Finisher-Präsent in die Hand gedrückt wurde. Es ist eine Packung Pulsnitzer Lebkuchen, eine lokale Spezialität, nach der die Pulsmesserin in den letzten Tagen sämtliche Dresdner Weihnachtsmärkte vergeblich abgeklappert hatte. Da hat sich die Lauferei heute wieder für die ganze Familie gelohnt!
Ich roch sie förmlich, die Turnhalle, und hörte die kurzen schrillen Pfiffe des Sportlehrers...
AntwortenLöschenScheint nun wohl öfter zu sein, Pulsmesser muss sich an seinen Junioren messen... Glückwünsche an Euch für den Fight zum Finish! Ha, und dass der Einsatz lohnte und die Tafel daheim bereicherte, ist ja das Sahnehäubchen!
Neue AK, da musst Du durch, ich auch in 2020 ...
Liebe Grüße
Elke
Danke dir, Elke! Zum Glück erwischt uns der AK-Wechsel nur alle 5 Jahre.
LöschenIch wechsel zusammen mit dir in die AK50. Aber nicht freiwillig :-))))
AntwortenLöschenDu hast also mein vollstes Mitgefühl ;-)
Gratuliere zum grandiosen Lauf. Auch an die schnelle Tochter :-)
Liebe Grüße
Helge
Vielen Dank, Helge. Ich bin auch nicht freiwillig dabei!
LöschenAus eigener Erfahrung: die AK50 schmerzt nur kurz, es wird wieder besser :-)
AntwortenLöschenInteressante Finisher-Präsente, Glückwunsch an euch beiden!
Danke, Oliver! Die Ferse tut deutlich mehr weh ...
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