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La Seu und die Zelte der Kleiderbeutelabgabe |
Man trainiert bei Sonne und Hitze, quält sich mit trockener Zunge zum nächsten Friedhof, um dort die Wasserflasche wieder zu befüllen. Sonntags klingelt der Wecker vor dem ersten Hahnenschrei, damit wenigstens die erste Hälfte des langen Laufs in den kühlen Morgenstunden möglich ist. Und das alles, um dann beim Herbstmarathon vor Kälte schlotternd in Nebel und Regen an der Startlinie zu frieren.
Ganz anders sieht dieses Szenario aus, wenn man sich für den Mallorca-Marathon angemeldet hat. Dann herrscht auch beim Wettkampf große Hitze. Irgendwie hatte ich diesen Aspekt völlig übersehen, als ich mir vorgenommen hatte, im Herbst 2013 eine neue Bestzeit zu laufen und ausgerechnet Mallorca dafür auserwählt hatte. Der Start-Termin passte einfach zu gut zu den Schulferien, und die Kombination aus Familienurlaub und Marathonreise war verlockend.
Bei der Fahrt zum Startbereich zeigt das Autothermometer schon vor Sonnenaufgang 20 Grad an. Vorhergesagt sind für heute bis zu 27 Grad. Und ich grübele noch immer, ob ich mein Renntempo den Temperaturen anpassen oder die Bestzeit versuchen soll. Die Pulsmesserin meint, dass ich beim Oberelbemarathon 2012 zwar vernünftig gewesen sei und mein Tempo der damaligen plötzlichen Hitze angepasst habe, aber dann trotzdem noch eingebrochen sei. Ich solle also diesmal die morgendliche Kühle erstmal zum schnellen Laufen nutzen und dann weitersehen. Als Halbmarathoni weiß sie nicht um die Qualen, die ein Einbruch jenseits der 30 km bedeuten. Trotzdem will ich ihrem Rat folgen, denn ich beziehe meine ganze Lebensweisheit aus Witzen. Und mir kommt gerade dieser in den Sinn:
Ein Mann betet zu Gott: "Lieber Gott, bitte lass mich im Lotto gewinnen."
Am nächsten Tag betet er wieder: "Herr, bitte mach, dass ich im Lotto gewinne."
So geht das Tag für Tag. Nichts passiert.
Der Mann betet tapfer weiter. Eines Tages tönt eine tiefe, laute Stimme von oben herab: "Gib mir eine Chance! Kauf dir einen Lottoschein!"
Wenn ich es nicht versuche, werde ich definitiv
keine Bestzeit laufen. Also werde ich es wagen, auch wenn die Chancen heute schlecht stehen.
Der Veranstalter weiß offenbar, was hohe Temperaturen für die Laufzeiten der Teilnehmer bedeuten. Vorm Start lässt er Glückskekse verteilen. Darin finde ich folgenden Spruch:
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Aus einem Glückskeks des Marathon-Veranstalters |
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Start-/Zielbereich |
Das Pfund, mit dem die Mallorquiner Marathonmacher wuchern, ist die Kathedrale La Seu. Dieses Gebäude spielt in einer Liga mit solchen Bauten wie dem Kölner Dom. Nur gelingt es den Inselbewohnern deutlich besser als den Rheinländern, das Bauwerk in ihren Lauf zu integrieren. Die Kathedrale thront atemberaubend über dem Meer. In einem palmenbestandenen Park zu ihren Füßen befindet sich der Start-/Zielbereich. Was für eine Kulisse! Die trutzigen Mauern werden von einem künstlichen See umspült. An dessen Gestaden hat der Veranstalter Strandliegen aufgestellt, auf denen Läuferbeine vor oder nach dem Lauf ausruhen können.
Auch die Zelte für die Kleiderbeutelabgabe befinden sich hier. Nur habe ich keinen der gelben Kleiderbeutel bei der Startunterlagenabholung am Vortag mehr abbekommen. Das kann nur bedeuten, dass es deutlich mehr Nachmelder als erwartet gegeben hat. Hoffentlich reichen wenigstens die Medaillen! Als ich meinen privaten Kleidersack abgebe, bekomme ich als Entschädigung einen TUI-Rucksack ausgehändigt. Eine nette Geste!
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Rucksack als Kleiderbeutelersatz |
Auch am Info-Point erweist man sich als nett. Obwohl ich 9 min nach 8 Uhr, dem Annahmeschluß für Eigenverpflegung, dort erscheine, nimmt man meine Flasche für km 33 noch entgegen, und verspricht, eine Auslieferung zu versuchen, obwohl das Fahrzeug gerade abgefahren ist.
Meine Familie hatte für einen möglichst späten Aufbruch zugunsten maximalen Nachtschlafes plädiert. Trotzdem ist wegen der kurzen Wege noch viel Zeit bis zum Start. Die Dixies an der Startlinie haben eine Wartezeit von nur ca. 5 min und überraschen mit einer manuellen Pumpe für die Spülung. Der in Deutschland übliche Blick in die - im besten Falle blaue - Grube entfällt.
Die Einteilung der Startblöcke mutet etwas seltsam an und stiftet bei manchem Verwirrung. Alle 1200 Marathonis stehen in Block A. In den Blöcken B - D folgen die 10-km-Läufer und die Halbmarathonläufer. Mein Nebenmann ist verunsichert, ob er sich richtig einsortiert hat. Er will heute 3:10 laufen, er habe ja Urlaub. Und so bleibt er bei mir stehen, als ich ihm meine 3:15er Zielzeit nenne. Wir werden uns heute noch mehrfach begegnen.
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Start |
Der Startschuss schickt uns über die initiale Matte des Championchip-Zeitmess-Systems. Schon nach kurzer Strecke folgt eine zweite Matte. Basierend auf diesen beiden Messungen ermittelt Mika Timing die Pace jedes Läufers und erstellt eine Hochrechnung für die Zwischenzeiten und die Zielzeit. Diese lässt sich mittels der Mika-Timing-App abrufen. Weitere Matten liegen bei km 10, beim Halbmarathon und bei km 30. Aufgrund dieser Daten wird mich meine Familie nach 3:14h im Ziel erwarten.
Doch jetzt geht es erstmal flach und schattig am Hafen vorbei, wo Unmengen an Jachten ruhig auf dem unbewegten Wasser liegen. Dann führt die Straße einen Hügel hinauf, nur um auf der anderen Seite wieder abwärts zu leiten. Hier begegnen mir die führenden Läufer. Am tiefsten Punkt endet die Straße an der häßlichen Einfahrt zum Industriehafen. Warum will der Veranstalter uns diese zeigen? Zwei Streckenposten notieren eifrig Startnummern, denn wir müssen hier wie die Schwimmer eine Wende hinlegen und den Berg wieder hochrennen. Solche 180-Grad-Kehren werden heute immer wieder das Streckenbild prägen. Auf dem Gipfel biegen wir ins Gelände des Militärmuseums ein, wenden dort erneut und laufen den Berg wieder hinab. Km 5 ist erreicht. Ich habe mehr als 6 min dafür gebraucht. Bin ich am Berg wirklich so langsam geworden? Nein, offenbar stehen die Schilder wie sie wollen. Denn bei km 6 bin ich nach nur zwei weiteren Minuten. Irgendwie gelingt es mir heute nicht, ein konstantes Tempo zu finden. Nach diesem Schilder-Erlebnis glaube ich zunächst an unsauber aufgestellte Markierungen. Auch dem GPS ist heute nicht zu trauen. Es gaukelt mir eine Pace von 4:22 vor. So schnell bin ich definitiv nicht. Diese Information geben die Zwischenzeiten immerhin her.
Noch stehen nicht allzu viele Zuschauer an der Strecke. Ich passiere eine junge Mutter, die ihr Kleinkind auf dem Arm trägt. Just, als ich sie erreiche, gefällt es ihrem Sohn (es muss ein Sohn sein), ihre Bluse zur Seite zu ziehen und mir den Blick auf den nackten, mütterlichen Busen zu gewähren. Hat er mir nicht sogar dabei verschwörerisch zugezwinkert, der Kleine? Danke für diese Art der Motivation, mein Junge! Schmunzelnd ziehe ich weiter.
Ich erreiche die Altstadt und freue mich, bei km 11 meine Familie zu treffen. Für die Sehenswürdigkeiten fehlt mir der Blick. Aber als ich im Bogen über einen Kirchplatz laufe, klatscht ein ganzes Straßencafè Beifall. Das macht schon Spaß. Überhaupt ist das Publikum an der Strecke hier sehr dankbar. Ständig wird man mit seinem Namen angefeuert. Manche rufen auch nur "Germany!" oder "Vamos!". Kurz vor der nächsten 180-Grad-Kehre begegne ich Sonja Oberem, die heute die schnellste Frau ist. Insofern ist unser Treffen recht kurz.
Teilweise leitet der Kurs an befahrenen Straßen durch die Stadt, bevor noch einmal ein Höhepunkt folgt. Ich könnte kurz vor km 20 die Mauern der Kathedrale im Vorbeilaufen berühren, wenn ich wollte. Stattdessen genieße ich die Erhabenheit des Moments und den Blick hinunter in den Parc de la Mar. Derart erfrischt mache ich mich bereit für die nun folgende mentale Prüfung. Wir laufen jetzt 10 km Richtung S'Arenal auf dem gesperrten Fahrstreifen einer Straße, während uns der Gegenverkehr auf dem anderen Streifen entgegenbrandet. Der Lärm der Autos wird von dem der Flugzeuge noch übertroffen, als wir am Flughafen entlang geschickt werden. Von oben brennt jetzt die Sonne. Schatten wird es bis ins Ziel nicht mehr geben.
An der Halbmarathonmarke bemerke ich, dass ich etwas im Zeitplan zurückliege. Es fällt mir schwer, bei der Hitze das Tempo zu halten. Trotzdem beschleunige ich jetzt und beginne langsam und stetig zu überholen. Das fühlt sich gut an und gibt mir in dieser Straßenwüste Kraft.
Aller drei Kilometer erwartet uns ein Verpflegungspunkt. Meist wird er von Schülern betrieben, die uns lauthals anfeuern. Statt Plastikbechern bekommen wir gekühlte Wasserflaschen gereicht. Der Verschluß ist bereits geöffnet. Was für ein Komfort! Man kann die Flasche bis zur nächsten Labestelle mitführen, wenn man möchte, und unterwegs immer wieder trinken. Ich nehme ein paar Schlucke und dusche mit dem Rest.
Endlich ist die vermeintlich letzte Wendestelle bei km 30 erreicht. Hier drängen sich jubelnde Massen! Nun geht es auf der Strandpromenade zurück zum Ziel, quasi eine 12 km lange Zielgerade. Und ich liege wieder voll im Zeitplan. Gleichzeitig wird mir klar, dass ich das Tempo nicht bis ins Ziel halten können werde. Wie zur Bestätigung bemerke ich bei km 31, dass ich bei der letzten Zwischenzeitnahme statt die Rundenzeit zu nehmen, die Uhr ganz angehalten habe. Offenbar hat mir die Sonne bereits das letzte bisschen Verstand aus dem Hirn gebrannt. Ich muss jetzt ca. 4 min auf die angezeigte Zeit addieren. Eine Bestzeitenjagd kann ich mit der Methode vergessen. Und so nimmt mir das Malheur auch den Druck von den Schultern. Ich füge mich in mein Schicksal und nehme auch den körperlichen Einbruch hin.
Ich habe zwar Durst, bekomme das Wasser aber kaum noch runter. Mein Magen rebelliert so stark, dass ich den Pulsgurt lockere und fortan als Hüftgurt trage, um Druck vom Oberkörper zu nehmen. Ich sehne mich jetzt nach meiner Eigenverpflegung bei km 33. Sie ist aber nicht da. Und ansonsten gibt es hier nur Wasser.
Der schönste Moment das ganzen Laufes wartet bei km 36 auf mich. Dort ist die nächste Verpflegungsstelle. Und es gibt Iso! Noch nie hat mir ein Getränk so gut geschmeckt! Ich kann förmlich spüren, wie die Energie jede einzelne Zelle meines Körpers flutet. Viel zu schnell ist der Becher geleert. Doch außerdem habe ich mir noch ein Tütchen "Sport Beans" und eine Flasche Wasser geschnappt. Ich schiebe die zuckersüßen, klebrigen Beans hinterher und brauche viel Wasser zum Nachspülen. Doch der Iso-Kick ist nicht wiederholbar.
Ich schleppe mich weiter. Ich werde nicht stehenbleiben, ich werde nicht gehen! Das verspreche ich mir, auch wenn ich jetzt fast eine Minute pro Kilometer zusätzlich spendieren muss. Es dauert verdammt lange, bis ich eine gewöhnliche Joggerin, die auf der Promenade unterwegs ist, überholt habe. Aber gemessen an den anderen erbarmungswürdigen Gestalten geht es mir regelrecht gut. Während sich mancher mit Krämpfen im mallorquinischen Staub wälzt, überantworten andere ihren Mageninhalt eben jenem Staube. Ich hingegen mache mich aus demselben, indem ich weiterhin im Laufschritt bleibe. Eine Zeit unter 3:30 werde ich auf diese Weise sicher erreichen.
Gerade habe ich wieder ein paar Geher überholt, als es plötzlich hinter mir ruft: "He, Drei-Fünfzehn! Na, auch hinterm Plan?" Es ist mein Nebenmann vom Start, der jetzt wieder den Laufschritt aufnimmt und mich begleitet. Er läuft so flott, dass ich an einer kleinen Steigung Mühe habe, Schritt zu halten. Plötzlich verabschiedet er sich und wechselt wieder ins Gehen. Wir werden uns in der Dusche noch einmal treffen. Dann wird er mir erzählen, wie er bei km 41 seiner Frau vor die Füße kotzt, und sie ihn nicht mehr weiterlaufen lassen will. Er schafft es aber bis ins Ziel, wenn auch deutlich nach der 3:30-Marke. Doch wir sind heute nicht die einzigen, die der Hitze Tribut zollen müssen. Selbst der Gewinner hat in der zweiten Hälfte fünf Minuten verloren.
Die Kathedrale kommt in Sicht. Das täuscht etwas darüber hinweg, dass noch ein paar Kilometer vor mir liegen. Doch irgendwann ist es geschafft, der Zielbogen erscheint im Blickfeld, dann folgen die Markierungen der Startblöcke. Die breite Avenida ist dicht gesäumt von riesigen Menschenmengen, die hier so dicht Spalier stehen, dass man als Läufer gerade noch durchschlüpfen kann. Stimmung wie am Kölner Rudolfplatz! Doch was für eine Enttäuschung, als ich den Zielbogen erreiche! Wir müssen daran vorbeilaufen und nach ein paar Hundert Metern den wirklich letzten U-Turn auf die Zielgerade nehmen. Hier jubelt mir meine Familie zu, und ich kann noch einen Endspurt andeuten und ein paar der Läufer überholen, die ich auf den letzten Kilometern passieren lassen musste. Elf Minuten haben mich die letzten zwölf Kilometer zusätzlich gekostet, als ich die Ziellinie nach 3:26 erreiche. Verglichen mit den 3:42 unter ähnlichen Bedingungen beim Oberelbemarathon 2012 ist das ein respektables Ergebnis. Für diese Erkenntnis werde ich aber noch ein paar Stunden brauchen. Jetzt bin ich einfach nur froh, endlich im Ziel zu sein.
Anhang - Tipps für künftige Ballermänner
Parken
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Streckensperrungsplan am Info-Desk 2013 |
Wegen der Streckensperrungen ist das Parkhaus unter dem Parc de la Mar am Marathontag nicht erreichbar. Ich habe im empfohlenen Parkhaus am stadtseitigen Ende der Carrer de Manacor (etwa bei N39 34.272 E2 39.433) geparkt. Von dort sind es ca. 10 min Fußweg zum Start-/Zielbereich. Kurz vor 8 Uhr waren die Straßen und das Parkhaus nahezu leer.
Abgerechnet wird im Minutentakt. Eine Minute schlägt mit 3 Cent zu Buche. Schnell laufen lohnt sich also. Mich hat der Marathontag 12,50 Euro gekostet. Lt. Reiseführer ist das Parken in den Straßen auf eine max. Dauer von 1,5 h beschränkt.
Eigenverpflegung
Kann am Veranstaltungstag am Infopoint bis 8 Uhr (und nicht länger) abgegeben werden.
Duschen
Direkt hinter der Nudelausgabe durch den Torbogen in der Stadtmauer und dann links.
Massage
Ich habe weder die Massage-Stelle noch Hinweisschilder gesehen.
Medaillen
Üblicherweise werden einem an der Ziellinie Medaillen umgehängt. Hier ist hinterm Ziel - nichts. Es gibt weder Medaillen, noch Wasser - auch keinen Schatten. Gitter halten die Läufer auf der Straße Richtung Nachzielbereich. Ca. 50 m hinter dem Ziel und neben dem Gitter auf dem Fußweg befindet sich ein nur für Läufer freigegebener Bereich. Dort gibt es unter Pavillons Wasser und Medaillen.
Zielverpflegung
Der Nachzielbereich befindet sich im Parc La Mer. Dort gibt es Wasser, Iso, Erdinger Alkoholfrei, Äpfel, Bananen und Kekse.