Montag, 17. Juni 2019

Meine Ardennenoffensive - Epic Trail 50

Während sich das Gros der Szene an der Zugspitze drängt, genieße ich Läufer-Wellness in Spa. Aber nicht die Therme, sondern die belgischen Trails locken mich da hin. Beim Epic Trail 50 sind 1700 Höhenmeter auf 50 km ausgeschrieben.

Google übersetzt die Ausschreibung mit: "Die pikanten Strecken in und um Spa sind anspruchsvoll und oft anspruchsvoll ..." Ich stelle mich also wohl besser auf eine anspruchsvolle Strecke ein. Und da es sich um Belgien handelt, habe ich die Schuhe mit den längeren Stollen angezogen. Der Schokoladenfan schwört auf "Belgische Pralinen", während der Schlammfreund "Belgische Trails" genießt.
Leopold II-Galerie
Gut 100 Starter haben sich im Parc des Sept Heures eingefunden, wo das unscheinbare Veranstaltungszelt fast untergeht neben den Konstruktionen aus dem 19. Jahrhundert, die vom damaligen Eklektischen Stil zeugen. In der Leopold II-Galerie aus Eisen und Glas wird gerade ein riesiger Flohmarkt aufgebaut. Das Vordach eines der historischen Pavillons dient uns als Kleiderbeutelaufbewahrung.

Ein Dixi-Besuch ist ohne jedes Schlangestehen möglich. Und die Hände wasche ich mir danach am Brunnen der kohlesäurehaltigen Quelle, die auch die hiesige Therme speist. ("Sie baden gerade Ihre Hände drin!", kommt mir unwillkürlich die legendäre "Tilly" in den Sinn.)

Gelaufen wird dann doch auch noch. Ich halte mich zunächst an die führende Frau, lasse mich aber von einem Überholer mitreißen. Nur um wenig später diesen selbst hinter mir zu lassen. Die Top Ten sind längst entsprungen. So stelle ich mich ab jetzt auf ein einsames Rennen ein. Was für eine Fehleinschätzung!

Ich genieße die "anspruchsvolle Strecke", die hauptsächlich aus Single Trails besteht. Aussichten gibt es nur wenige. Einmal wird der Blick auf eine Burgruine frei, ein paar andere Male sieht man in die Ardennen-Landschaft oder auf einen See. Ansonsten ist hier ganz klar die Strecke selbst der Star. Ich zitiere einfach nochmal Freund Google: 

"Die Läufer werden durch die wunderschönen Berge in und um Spa geführt und stoßen auf unterschiedliche Oberflächen. Schlamm, Felsen, Baumwurzeln, breite Waldwege, einzelne Spuren, ... sind immer miteinander durchsetzt. Dies schließt angepasstes Schuhwerk ein."

Und dann sehe ich zwischen den Stämmen plötzlich einen braunen Rücken hüpfen. Es ist aber kein Reh, sondern ein Läufer vor mir. Der wiederum hat einen weißen Mitstreiter in Reichweite. Ich habe am Berg die beiden fast eingeholt. Doch scheinbar spüren sie meinen heißen Brodem in ihrem Genick, denn im Nu sind sie wieder entfleucht. 

Als ich das nächste Mal der beiden ansichtig werde, liegt nun der Weiße hinten, den ich bald darauf auch überhole. Gefühlte Ewigkeiten später ziehe ich endlich am Braunen vorbei. Es rollt jetzt richtig gut. Eine Zeit unter 5 Stunden scheint trotz der 1700 Hm möglich. Wenn ich nicht gerade völlig überziehe ...

Schienen der Standseilbahn hinten, vorn der Quellbrunnen

Nach dem VP bei km 22 zeigt das Höhenprofil die Zähne, als es neben der Standseilbahn hinauf zur Therme geht, in der ich mich 2015 vom Finish des Crêtes de Spa erholte. Ich bin nun wieder allein unterwegs. Ein mentales und körperliches Tief bemächtigt sich meiner. Die tollen Downhills können nicht mehr so richtig in Speed umgewandelt werden, da die Oberschenkel schon etwas in Mitleidenschaft gezogen sind. Da steckt das Wort "Mitleid" drin. Davon habe ich wohl gerade ein bisschen zu viel mit mir. Jedenfalls naht der Braune wieder heran, und wir laufen gemeinsam in den VP bei km 32 ein. Und auch wieder aus. Man durchläuft hier nämlich eine Halle, in der die Verpflegungstische mit Orangen, Rosinen, Bananen, Melone, Kuchen, Müsli, Gummizeugs und Riegeln aufgereiht sind. Coole Idee!

Nur, wo ist denn jetzt der sehr junge Mann in Braun? Egal, Hauptsache hinter mir! Obwohl es meist bedeckt ist, bin ich froh über die Sportbrille, da mir ständig die Äste ins Gesicht peitschen, wenn ich mir den Weg über den meist matschigen Untergrund bahne. Eine leichte Brise kühlt den erhitzten Leib bei läuferisch angenehmen 15 bis 19 Grad. Außerdem überhole ich noch einen Blauen. Toll, was ein wenig Nahrungsaufnahme doch wieder für eine Energie gibt!


Höhenprofil
"Vor ihm gähnte der Abgrund, hinter ihm der Verfolger", lautet eine bekannte Stilblüte. Ungefähr so stellt sich meine Situation dar, als sich vor mir ein Gewässer erstreckt. Ein Flüsslein von etwa sieben Metern Breite gilt es zu durchqueren. Das munter strömende Nass reicht bis zum Knie und gibt dank des klaren Inhalts den Blick auf den felsigen und steinigen Boden frei. Mein ganzes Trachten richtet sich darauf, nicht zu stürzen. Obwohl ein Bad recht willkommen wäre, möchte ich das Handy im Rucksack nicht wässern. 

Auf der anderen Seite ragt ein steiler Anstieg auf. Den schmalen Pfad kommt gerade ein Pferd herabgeschlittert, auf dessen Rücken eine ältere Dame sitzt und irgendetwas Französisches mit "Passage" ruft. Mir wäre gar nicht in den Sinn gekommen, mich vor das Pferd zu stürzen. Also lasse ich sie passieren und will fotografieren, wie der Gaul durch die Fluten spritzt. Ich drehe mich dazu um, nur um meinen keineswegs gähnenden Verfolgern ins Auge zu blicken! Es bleibt keine Zeit für eine Foto-Session! Blau und Braun hetzen heran, angeführt von einem Roten, der sich offenbar von hinten durch das Feld arbeitet.

Stöckeschwingend zieht der Rote schon bald vorüber. Und auch der junge Braune lässt mich wieder hinter sich. In dieser Reihenfolge laufen wir in den letzten VP bei km 42 ein. Als die beiden Führenden schon weiterrennen, kommt noch Blau hinzu. Ich trabe weiter.

Offenbar hat der Blaue einen enormen Energieschub bekommen. Während ich mich mit meiner abgeschlagenen Platzierung schon zufrieden gegeben habe und gemächlich weiterzuckle, kommt der Blaue von hinten regelrecht angesprintet. "Der nicht auch noch", denke ich mir. Und sprinte mit!

Unglaublich, was sich da gerade in mir entfesselt! Es ist eben doch alles nur Kopfsache. Wir jagen gemeinsam dahin und kommen ins Gespräch. Der Mann ist Holländer, hat bisher zwei Marathons gefinisht und läuft gerade seinen ersten Ultra. Zunächst überholen wir Braun und dann den Roten. Die beiden wirken äußerst überrascht, uns noch einmal zu sehen. Wir laufen schneller als zu Beginn des Rennens, was auch am Höhenprofil liegt, das nun ein Einsehen hat. Irgendwann muss es ja auch mal wieder runter gehen.

Nur kurz vorm Finale hat sich der Veranstalter noch einen "Endgegner" als Schlussgag einfallen lassen. Statt uns geradewegs durch den Park ins Ziel laufen zu lassen, geht es noch einmal über Felsen hoch Richtung Therme und dann weglos steil bergab. Dort im Unterholz verliere ich erst den Halt und dann meinen blauen Begleiter, mit dem ich gemeinsam finishen wollte.

So kommt es, dass ich nach 4:48:45 als Achter einlaufe. Dank der elektronischen Zwischenzeitnahmen mit Live-Updates fieberte die Familie zu Hause mit, wie ich mich vom 12. Platz vorgearbeitet habe, und sendet direkt Glückwünsche. Medaillen oder Urkunden gibt es keine, dafür war die Strecke, die letztlich nur 48 km Länge aufwies, perfekt markiert.

Ich genieße nun, worauf ich mich seit Stunden gefreut habe. Dank neuester Wettkampfausrüstung gibt es ein eiskaltes Zielbier. Meine Frau überreichte mir am Vorabend eine kleine Kühltasche, die genau eine Flasche nebst Kühlakkus fasst. Sehr empfehlenswert!

Mini-Kühltasche

7 Kommentare:

  1. Einen tollen Lauf hattest Du, im epischen Belgien. Formidabel vorangearbeitet, Glückwunsch! Gab es wenigstens Ziel-Pralinen oder Ziel-Pommes?
    Liebe Grüße
    Elke

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    1. Danke, Elke. Im Bereich des Trödelmarktes gab es einige Fressbuden. Aber ich war ja autark dank Kühltasche ;-)

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  2. So ein tolles Finish! Coller Lauf mit anschließendem kühlen Bier :lol:
    Und die Goggle Übersetzungen sind ja wohl 1A. Die Strecke war doch anspruchsvoll! Zum Glück wusstest du das :-)
    Und bunt war der Lauf auch. Rot, braun, blau ...
    Schade nur, das es kein Bild vom Reittier gibt, aber man muss halt Prioritäten setzen
    Liebe Grüße
    Helge

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    1. Helge, ich finde es grandios, wie du toll und cool in einem Wort zusammengefasst hast. Diese Wortschöpfung hat es verdient in den Duden aufgenommen zu werden!
      Vielleicht wird eines Tages die Chronistenpflicht das Läuferherz bezwingen. Dann gibt es Bilder von allen Hindernissen - mit und ohne Pferd!

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    2. Tja, der Andi findet meine Wortschöpfungen auch immer ganz toll :-)))
      Ich bin halt, was Deutsch angeht, ein richtiges Naturtalent ...

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  3. Spa-Trail-Wellness Witze gibt es wahrscheinlich zur Genüge, spare ich mir. Matsch, Ardennen, Singletrail und dazu das fiese Höhenprofil, mehr muss man eigentlich nicht wissen.
    Glückwunsch zum entfesselten Durchkämpfen des respektablen Platzes!

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    1. Danke für den Glückwunsch und die ersparten Witze, Oliver!

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