Montag, 25. November 2013

Lorbeerernte bei Blumensaat

Startunterlagenausgabe und Verpflegung in warmer Turnhalle am Start
23.11.2013. Es ist der große Tag der Pulsmesserin. Fünf Jahre nach ihrem Halbmarathondebüt will sie noch einmal auf dieser Distanz antreten. Aber nur, wenn ich eine sehr flache Strecke für sie finde! Es bietet sich der August-Blumensaat-Gedächtnislauf an, der für sich die schnellste Strecke im Großraum Essen reklamiert. Direkt am Ufer des Baldeneysees liegt der 5,27 km lange und topfebene Pendelkurs.

Dort findet sich unser Familien-Dreier aus Mutter, Sohn und Vater gegen Mittag ein. Der Start um 14 Uhr ermöglicht Ausschlafen, geruhsames Frühstück und eine stressfreie Anfahrt.

Noch am Vorabend stand meine Teilnahme auf der Kippe. Nach einer Grippeschutzimpfung schmerzte seit Tagen die linke Schulter. Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit ließen eine aufkommende Erkältung befürchten. Aber vor einem Wettkampf ist man ja meistens "krank". Und oft ist es nur der Kopf, der die Beschwerden vorgaukelt. Nach ausgiebigem Schlaf befinde ich mich jedenfalls am Morgen für wettkampftauglich. Es geht heute ja um nichts - ich bin doch "nur mit".

Hier am Baldeneysee fand vor ein paar Wochen der RWE-Marathon statt. Gladys wurde die drittplatzierte Frau, um kurz darauf den Martinslauf zu gewinnen. Heute will sie die schnelle See-Strecke nutzen, um ihre Halbmarathonbestzeit von 1:28:23 zu unterbieten. Und sie offeriert, als Tempomacherin für mich zu agieren. Für sich selbst hat sie offenbar die flotte Silke als Zugläuferin verpflichtet. Geplant ist eine Pace von 4:10. Meine Bestzeit liegt bei 1:29:10. Eine 4:13 würde mir daher schon reichen. Trotzdem nehme ich das Angebot dankbar an, denn allein mit mir und der Uhr fehlt mir oft die mentale Stärke, ans Limit zu gehen. Und da es heisst, dass man kurz nach dem Marathon auf Unterdistanzen Bestzeiten laufen könne, will ich es einfach spontan versuchen.

Frau und Kind haben sich im Feld platziert. Und ich stehe direkt hinter meinen beiden Häsinnen etwa in vierter Reihe nach der Startlinie. Die beiden Damen prügeln vom Start weg wie von Furien gehetzt. Dabei bin ich es doch nur, der an ihren Fersen klebt. Bei km 1 haben wir eine Pace von 4:00! "Wir wollen doch keinen 10er laufen, sondern noch doppelt so viel!", denke ich. Offenbar bemerkt auch Silke, dass wir zu schnell sind. Denn sie gibt Zeichen, wir mögen uns zügeln. Viel hilft das nicht. Die beiden Damen donnern mit 4:04 weiter über die Uferpromenade. Ich bekomme erhebliche Zweifel, ob ich das durchhalten kann. Mein Atem ist schon stark hörbar, während die Mädels lautlos dahingleiten.

Kurz vor der ersten Wende begegnen uns die Führenden. Es zeigt sich, dass nur eine Frau darunter ist. Ich lasse mich hier also von den Aspirantinnen auf Platz Zwei und Drei mitnehmen. Was das für eine Ehre ist, wird bei jeder Zuschauerbegegnung deutlich. Immer wird den Damen hochachtungsvoll Beifall gezollt. Meist werden sie, bekannt als lokale Laufprominenz, sogar mit ihren Namen angefeuert. Nach der Wendestelle zeigt sich, dass die Platzierung meiner Begleiterinnen unangefochten ist. Keine weibliche Konkurrenz auf unseren Fersen.

Jetzt auf dem zweiten Segment fällt es mir leichter. Ich "bin drin" in diesem Lauf. Vielleicht liegt es daran, dass unsere Pace auf 4:06 gesunken ist. Die Begegnung mit meinem Junior, der locker wirkt und lachend winkt, erleichtert mich zusätzlich. Es geht ihm gut, und er übertreibt es nicht. Auch meine Frau scheint Spaß an dem Lauf zu haben. Munter schwatzend hat sie sich ein paar lustigen Herren angeschlossen.

Unser Dreigestirn überholt einen Läufer, der sich nicht abschütteln lassen will. Auch er möchte den Windschatten der zwei Frauen nutzen und versucht, mir meinen Platz streitig zu machen. Das geht bis hin zu einem Zusammenprall an der Schulter. Ist die Strecke nicht breit genug? Angesichts seines rasselnden Atems nehme ich es gelassen und wette, dass er dasTempo nicht bis ins Ziel durchhält. Bei km 8 ist er weg. Damit ist er nicht der Einzige. Auch Silke setzt sich jetzt ab, allerdings nach vorn. Da können wir doch jetzt bestimmt ein bisschen langsamer laufen? Nein, können wir nicht. Denn wir kommen durch den Start-/Zielbereich, wo gejubelt und angespornt wird. Das beflügelt Gladys merklich, und ich muss Gas geben, um dranzubleiben.

Wir nähern uns der kritischen Phase eines Halbmarathons. Bei km 14 messe ich mit 4:12 eine Zeit jenseits des angestrebten km-Splits. Und was mich sonst im Wettkampf wütend macht, ist mir heute völlig egal. Wir haben so viel Polster herausgelaufen, dass ich mir bereits jetzt ganz sicher bin, mit einer neuen Bestzeit ins Ziel zu kommen, wenn ich mich nicht noch verletze. Dieses Wissen gibt mir offenbar mentale Kraft. Denn nun ist es an mir, einen Beitrag zum Tempo zu leisten. War ich bisher hinter Gladys gelaufen, bewegen wir uns jetzt Seite an Seite vorwärts.

Ab der letzten Wende spüre ich, dass ich die "zweite Luft" bekomme und beginne mich zu fragen, ob es fair ist, sich durch so ein Rennen ziehen zu lassen, um dann im Endspurt seinen Tempomacher zu überholen. Darüber hatten wir vorab nicht gesprochen. So ein Szenario schien mir völlig undenkbar. Mit derlei Gedanken bin ich nun etwa eine Fußlänge voraus und hoffe, Gladys so ziehen zu können.

Die Laufstrecke im Juni 2013
Zwischen km 18 und 19 passiert es. Wir werden überholt! Ich will das Tempo des Gegners mitgehen und spüre, wie ich Gladys verliere. Der Überholer scheint gleich darauf langsamer zu werden. Ich ziehe an ihm vorbei und lasse jetzt alles raus. Das wird die Bestzeit meines Lebens! Mein sauerstoffunterversorgtes Hirn kriegt es nicht genau ausgerechnet, aber unter 1:28 wird es werden. Diese Gewissheit könnte mich ausruhen lassen, stattdessen beflügelt sie mich zusätzlich. Was für ein Hochgefühl, sich seines Erfolges schon vorab sicher zu ein! Einen Konkurrenten kann ich noch einsammeln. Dann naht schon das Ziel. Trotz Tunnelblicks erkenne ich auf der Uhr, dass ich Kilometer 21 mit 4:03 hinter mich gebracht habe. Mit für mich völlig unglaublichen 1:26:44 erreiche ich die weiße Linie. Nie hätte ich eine derartige Zeit für mich für möglich gehalten, hätte es nie gewagt, ein Rennen so forsch anzugehen.

"Danke Gladys! Selten hat mich eine Frau so glücklich gemacht!",  begrüße ich meine Mitstreiterin, als sie - ebenfalls noch unter 1:27 - als drittplatzierte Frau und mit einer neuen Bestzeit im Ziel eintrifft. Auf Wolke Sieben laufen wir gemeinsam eine Runde aus. Gladys hat heute ihren Traum verwirklicht, während für mich ein Traum in Erfüllung ging, den ich gar nicht zu träumen gewagt hatte.

Wieder im Zielbereich, erwartet uns dort schon mein Pulsmesserchen. Er hatte sich 1:55 für den Lauf vorgenommen, ist aber schon nach 1:48:20 ins Ziel gekommen. So entspannt wie er wirkt, scheint er dabei nicht an seine Grenze gegangen zu sein. Um ihn anmelden zu können, hatte ich ihn vier Jahre älter machen müssen, da der Lauf ab 16 Jahren zugelassen ist. Zu allem Überfluss legt der Veranstalter bei der Siegerehrung die U18 mit der U20 zusammen, so dass sich der Junior mit einem undankbaren vierten Platz begnügen muss.

Die Pulsmesserin erreicht das Ziel ebenfalls frohen Mutes. Sie hat sich von uns allen am allermeisten verbessert und ihre Bestzeit auf 2:03 um vier Minuten nach unten korrigiert. Hatte meine Frau in der Trainingsphase oft geklagt: "Das tu ich mir nie wieder an!", so hoffe ich jetzt - nach so viel Lorbeer für die ganze Familie - auf eine baldige Wiederholung.






6 Kommentare:

  1. Wow! Ein tolles Familieerlebnis mit einer wirklich tollen Zeit für dich! Glückwunsch!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke dir, Markus! Ja, man kann von einem gelungenen Wochenende sprechen.

      Löschen
  2. Familie Das Pulsmesser " scharf - schneidet alles " - en route mit der ganzen Familie, da lacht mein Läufer ♥, kommt mir sehr bekannt vor, wenn auch - du gestattest - auf längeren Strecken, aber das gute Gefühl ist das gleiche !! Ich finde das auch toll, wenn Familienmitglieder mitziehen - man gemeinsam an einem Lauf teilnimmt, wenn auch nicht zusammen im Ziel eintrifft - super - du weißt, dass man so etwas nicht jeden Tag findet !!

    Glückwunsch zu deinem erneuten Schnelldurchgang, getragen durch weibliche Präsenz, in der du dich sonnen durftest, wenn man das so sagen darf - macht Spaß, davon zu lesen !!

    Noch ein Wort zur Grippe-Impfung, auch ich lasse mich in jedem Jahr, und in jedem Jahr eine Woche danach - kann ich darauf warten - ein Infekt - in diesem Jahr doppelt und dreifach stark - und nicht nur ich alleine, wobei wir ernsthaft überlegen, es im nächsten Jahr wieder zu tun !

    Nochmals Glückwunsch !
    und windige Grüße von der Ostee
    aber immerhin mit Sonne
    auch wenn sie gerade untergegangen ist ! ;)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke für die Glückwünsche. Es ist mir eine Freude, auch dein Läuferherz zum Lachen gebracht zu haben.
      Ich nehme es als kostbares Geschenk, dass die Familie meine Begeisterung nicht nur mitträgt, sondern sogar teilt.
      Es heisst, hinter jedem erfolgreichen Mann stehe eine starke Frau. Manchmal läuft die starke Frau hinter ihm - und sogar noch eine vor ihm.

      Löschen
  3. Ganz herzliche Glückwünsche! Was für ein Lauf, wow, wenn es dermaßen rollt, dass Du sogar nichtgeträumte Träume überholst! Und Frau und Sohn hatten auch erfolgreiche Läufe, das steigert doch die Freude gleich nochmal! Das spornt an für weitere Taten, ich bin gespannt!
    Liebe Grüße
    Elke

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank, Elke! Ich werde berichten, spätestens vom Siebengebirgsmarathon. Den gehe ich aber gemütlich an.

      Löschen