Der neongrüne Zeit-Sensor im Ziel |
Nun muss ich mir glücklicherweise in Bezug auf Distanzen und Geschwindigkeiten nichts mehr beweisen. Und so kann ich mich - frisch gehirngewaschen wie ich bin - daran erfreuen, überhaupt wieder Laufen zu können. Mittlerweile sind 3 Einheiten pro Woche und Umfänge von 5 bis 10 km wieder möglich. Ich habe sogar schon zarte Bande zur lokalen Laufszene geknüft und mich von einer ehemaligen Iron-Männin und Ultraläuferin zu gemeinsamen Bergsprints animieren lassen.
Und wie ich gestern so knappe 8 km durch den Ostflügel meiner neuen läuferischen Wohnstube - die Dresdner Junge Heide - trabe, treffe ich auf Gestalten, die Flatterbänder und Sprühkreide im Gelände verteilen. Es stellt sich heraus, dass nur 1 Kilometer von meiner tatsächlichen Wohnstube entfernt der Radebeuler Wintercross veranstaltet werden soll.
Das alte Lauffieber bricht spontan aus! Diese Gelegenheit, mir wieder Wettkampfluft in die Lunge zu pumpen, kann ich doch nicht auslassen. Noch näher geht es ja wohl kaum. (Dass der Start des Mt.-Everest-Treppenmarathons auch nur 2,5 km entfernt liegt, muss ich verdrängen, siehe oben.)
Die treuen Leserinnen und Leser werden überrascht sein, dass ich Vernunft walten lassen kann. Statt beim 8,7-km-Hauptlauf zu starten, melde ich mich für die 5,8 km an. Diese Distanz ist hier Frauen, jungen Männern und Herren jenseits der 60 vorbehalten. Alle anderen dürfen außer Konkurrenz dabei sein und werden in der Altersklasse "mVS" zusammengefasst. Möglicherweise steht die Abkürzung für "männlich, versehrte Senioren". Würde in meinem Fall jedenfalls passen.
Der Lauf ist ganz nach meinem Geschmack. Für schlanke 6 Euro kann man sich in einer Garage anmelden. Ein Kreidestrich am Waldrand markiert den Start. Immerhin gibt es Toiletten und eine Brutto-Zeitmessung per Transponder. Die Strecke führt über Waldwege, Single-Trails, feuchte Wurzeln und durch nassen Sand. Dabei sind 2 Runden zu absolvieren.
Den Startschuss verpenne ich im Gequatsche mit dem "Senior" neben mir. Egal, ich habe mich ohnehin dezent im hinteren Bereich des kleinen Feldes aufgestellt. Die Jugend entschwindet rasch zwischen den Baumstämmen. Ich versuche mich an einer 5er Pace und finde nach ein paar Überholvorgängen in einer Dame im roten Dress mit Werbung für den "Dresdner Laufsportladen", dem die schweren, gedämpften Trailschuhe an meinen Füßen entstammen, eine gute Tempomacherin.
Meine Tochter findet sich als Zuschauerin ein und ruft mir zu, ich sei "zweite Frau". Das gibt mir den Mut, auf der zweiten Runde sanft zu beschleunigen und die "Woman in Red" hinter mir zu lassen. Bestraft werde ich nun mit permanentem Keuchen in meinem Nacken. Ich wähne die Rote auf meinen Fersen. Immer wenn ihr Atemgeräusch lauter wird, versuche ich davor wegzulaufen. Auf dem letzten Kilometer hat sie mich weichgekocht. "Wenn sie jetzt angreift, kann ich mich nicht mehr wehren!", meldet der wunde Kopf. Es ist dieser Moment, wenn die Antilope weiß, dass sie dem Löwen nicht länger entfliehen kann und sich in ihr Schicksal ergibt. Doch meine Löwin kommt nicht!
Dann biegen wir auf die asphaltierte Zielgerade. Überrascht von deren unerwarteter Länge, kann ich mich noch nicht zum Endspurt aufraffen. Im Gegensatz zur Verfolgerin! Statt des erwarteten roten Leibchens strebt ein auffälliger Blondschopf (die Löwenmähne!) dem Ziel und dem Gesamtsieg der Damenwertung entgegen. Offenbar hat sie sich mit strategischem Geschick von hinten durch das Feld gearbeitet. Immerhin ist das hier der Auftakt zur Serie der Stadtmeisterschaften. Vier Sekunden nach ihr halte ich meinen Transponder an den Sensor.
Trotz des verlorenen Zweikampfes war der letzte Kilometer der schnellste. Und mit der Gesamt-Pace von 4:30 darf ich wohl auch zufrieden sein. Immerhin hat es für die Top Ten gereicht! Davon abgesehen, war es herrlich zu spüren, dass doch noch Leben in dem maroden Kadaver steckt.
Folgerichtig ist dann wohl die nächste Station der Oberelbemarathon. Da gibt es laut Ausschreibung nämlich auch eine 5-km-Distanz.