Noch nie sah ich
so eine edle Start-Ziel-Location wie beim Grüngürtel-Ultra über 63 km um Köln! An
der hohen Decke des lichtdurchfluteten Rundbaus prangt ein riesiger
Kronleuchter. Ich werde fotografiert, als ich das Luxus-Objekt bestaune.
Bildtitel: „Kronleuchter mit Armleuchter“.
Die
Veranstalter Thorsten Klenke und Thomas Eller punkten nicht nur mit edlem Ambiente. Sie empfangen uns
mit Kaffee und Laugenbrezeln und verteilen Startnummern mit Namensaufdruck. Diese tragen
das Logo des nahezu perfekt beschilderten Rundweges G1, den wir gleich belaufen
werden. Außerdem sind schon die Finisher-Trophäen zu bewundern.
Kacheln, auf denen das Wanderweg-Logo prangt, sind mit den Namen der Finisher personalisiert und in einem feinen Holzrahmen gefasst.
Auf die ganz Schnellen warten Pokale in Form des stilisierten Kölner Doms.
So ein Pokal ist
ein toller Anreiz, doch ich will heute nicht ans Limit gehen. Zu Hause wälzt
sich die Familie mit schwerer Grippe auf dem Siechbett, und mir kratzt es auch
schon im Hals. Da möchte ich das Open-Window nicht über Gebühr weit aufstossen,
zumal in einer Woche eine Reise gebucht ist, die ich gern gesund antreten würde.
Also halte ich mich in respektvollem Abstand zur Führungssgruppe. Die erste
rote Ampel trennt uns endgültig.
Trophäen und Poser-Kram sind wohlfeil |
Die Rotphasen-Wartegemeinschaft wächst und wird zur Laufgemeinschaft. Mit Toni begleite ich
die führende Frau. Simone und ich hatten uns einst an einem lauen Mai-Abend in Eisenach kennengelernt und sofort die Nacht zusammen verbracht - mit 50 anderen Schläfern im Massenquartier vorm Rennsteig-Super-Marathon.
Tonis beim „Kölnpfad“ erworbene Teil-Strecken-Kenntnis
erweist sich als nützlich. Und sechs Augen sehen mehr als vier. Tendiert
man im Duo dazu, beim Quatschen die Markierungen zu übersehen, passt einer von
Dreien dann doch irgendwie auf. Obwohl auf der ganzen Strecken maximal drei
Wanderwegzeichen fehlen, brauchen wir doch zusätzlich die Tracks auf zwei Uhren
und die Karten-Navigation auf einem Handy.
Der Spitzen-Läufer ist offenbar weniger
gut präpariert, kommt er doch plötzlich mit seiner Radbegleitung von hinten! Da
er sich mehrfach verläuft, passiert das von nun an öfter. Er zeigt die mentale
Stärke, die ich gerne hätte, und nimmt es mit Humor. So wird
das Duo im doppelten Sinne zum „Running Gag“. Gewinnen wird er trotz seines Umwegs von insgesamt
vier Kilometern.
Die
Sieg-Aspiranten haben mit einer Besonderheit zu tun. Die eine Hälfte der
Starter läuft nämlich die Runde im Uhrzeigersinn, die andere entgegen. Dadurch kann
man seine Position im Gesamtfeld nur anhand der Begegnungen abschätzen.
Grün und flach |
Der Lauf macht
seinem Namen alle Ehre. Nie hätte ich die Gegend um Köln für so grün gehalten!
Bei dem herrlichen Wetter ist es einfach nur eine Freude draußen zu sein.
Besonders schön sind die Passagen am Rhein entlang. Der Europäischen Union hat
es sogar gefallen, die Aufstellung zweier Aussichtstürme auf einem Feld neben
der Autobahn zu finanzieren. Es gibt aber auch historische Gebäude zu sehen und
einen Schloßpark voller durchgeknallter Kunst und noch durchgeknallterer
Pokemon-Go-Jäger. Beruhigend zu sehen, dass auch andere Leute abgefahrene
Hobbys pflegen!
Toni berichtet
von einem Weltrekordversuch, bei dem 330 von 400 Startern ins
100-km-Ziel gelangen mussten. Obwohl sie es schaffen, gab es keinen Eintrag ins Guinness-Buch.
Der Abgesandte der Guinness-Kommission, der den Rekord bezeugen sollte, war
nicht erschienen!
Wir laufen zwar
nicht um den Weltrekord, aber Simone lässt durchblicken, dass sie die
Spitzenposition doch ganz gerne bis ins Ziel verteidigen würde. Da wir einer anderen Läuferin schon kurz
nach der Hälfte begegneten, scheint es angebracht, das einmal
angeschlagene Tempo beizubehalten. Toni, der eigentlich nur im 6er Schnitt
laufen wollte, geht es ab Kilometer 40 geruhsamer an. Für unser verbliebenes
Duo wird es anstrengend. Denn dieser herrliche Sonnentag hat die Temperatur von
den morgendlichen minus drei Grad mittlerweile um acht Grad ansteigen lassen. Die
Medien hatten polare Kaltluft mit Sturm furchteinflößend als „Russenpeitsche“
angekündigt. Und nun sind wir viel zu warm angezogen.
Ich leide
außerdem unter den Auswirkungen meines Ernährungsexperiments. Mein Sohn hat mir
vegane Energiekugeln aus Nüssen, Rosinen und Banane zubereitet, die ich statt
industrieller Riegel verzehre. Die sind zwar sehr lecker und sättigend, verursachen
aber extreme Blähungen. Also leide eigentlich nicht ich, sondern vor allem
Simone. Darmwinde statt Polarsturm.
Wenn es an diesem
hervorragend organisierten Lauf mit seinem üppig ausgestattenen
VP auf reizvoller Strecke überhaupt etwas zu bemängeln gibt, dann ist es die
Schranke, die sich auf den letzten Kilometern genau vor uns schließt, um drei
Minuten lang unten zu bleiben. Bis hier lagen wir exakt im Plan, um unter sechs
Stunden zu finishen. Aber drei Minuten auf vier Kilometern wieder
herauszulaufen, ist uns schier unmöglich. Das Geile ist, wir versuchen es
trotzdem!
Obwohl uns die
Russen-Peitsche plötzlich ein paar heftige Böen entgegenschleudert, die uns
fast zum Stillstand bringen, laufen wir am Ende die schnellsten Tageskilometer und drücken die Pace final unter 5 min/km. Wir kacheln für die Kacheln! Meine
Begleiterin hat noch die Kraft zu sprechen und erzählt etwas über die Frauen,
die uns begegnen. Entweder halluziniert sie unter akuter Sauerstoffnot oder ich
laufe mit Tunnelblick. Jedenfalls sehe ich weder Frauen noch sonst jemanden.
Es nützt alles
nichts. Wir reißen die 6-Stunden-Marke knapp. Zu unserem Glück werden bei der Zeitmessung
keine Sekunden erfasst, so dass wir uns eine glatte 6:00 aufschreiben dürfen. Wir teilen uns den siebten Platz, und Simone darf den Dom-förmigen Siegespokal
der Damen in ihre Trophäen-Sammlung aufnehmen.