Eingequetscht
stehe ich in der unruhigen Menschenmenge. Vor mir recken einige die geballte Faust
nach oben. Sie bringen damit ihren Unmut zum Ausdruck. So wie ich sind auch sie
unzufrieden mit der Situation. Denn die Uhren an ihren emporgestreckten
Handgelenken empfangen kein GPS-Signal. Selbst da oben nicht. Meine Fenix 3,
die sonst in Sekunden den Sat-Fix bewerkstelligt, schafft es auch in den
verbleibenden sieben Minuten bis zum Start des Ratinger Neujahrslaufes nicht,
ihre Position zu bestimmen. Zum Glück habe ich vor dem Lauf die Auto-Lap-Funktion
ausgeschaltet. Ich will meine Geschwindigkeit anhand der Zwischenzeiten bei den
Kilometer-Markierungen bestimmen.
Unvermittelt
knallt der Startschuss. Den letzten schnellen 10er lief ich im April 2015. Seitdem
stand Tempotraining nicht ganz so weit oben auf der Prioritätenliste. Doch
angesichts der Dreipaarundvierzig, die ich nach dem ersten Kilometer stoppe,
denke ich: „Mensch, ich kann’s ja doch noch.“ Wie im Jahr zuvor würde ich gern
unter Vierzig Minuten bleiben. Inzwischen hat sich das Feld sortiert. Vor mir
klafft eine Lücke. Im Feld davor erkenne ich die Gestalten zweier Läufer aus
meiner Leistungsklasse. Da ist zum einen der Triathlet, der im Vorjahr deutlich
schneller war als ich, den ich dann aber bei der Winterlaufserie abhängen konnte, und zum anderen der Mann, den ich nicht wegen seiner Statur,
sondern aufgrund seiner Rückenbeschriftung heimlich „Jean-Claude Van Damme“
nenne. Ihn konnte ich vor einem Jahr auf diesem Kurs hinter mir lassen. Der
Abstand zu den beiden sollte also keinesfalls größer werden.
Bis Kilometer
Vier bleiben mir nur die beiden Herren als Marker, denn ich verpasse bis dahin
alle Kilometer-Schilder. Als es auf Runde Zwei erneut den langezogenen,
leichten Anstieg zu bewältigen gilt, denke ich noch, dass er mir diesmal gar
nicht so zu schaffen macht. Dann reisst mich die Fünf-Kilometer-Marke aus
meinem schönen Traum. Fünfvierunddreißig! Das kann doch wohl nicht wahr sein!
Der Abstand nach vorn ist doch stabil und überholt hat mich auch keiner.
Andererseits sind schon über 21 Minuten Laufzeit verstrichen. Ich denke kurz ans
Aufgeben, besinne mich wenig später und will wenigstens die
Kilometer sammeln. Die Erleichterung kommt bei Kilometer Sechs, wo ich eine Kilometerzeit
von Zwei-Irgendwas messe. Vielleicht liegt
es an der Enttäuschung über die scheinbar falsch aufgestellten Schilder, dass
ich alle weiteren verpasse.
Bisher verlief das Rennen ziemlich statisch. Ich
wurde kaum überholt und überhole selten. Doch am Beginn der dritten Runde zieht
ein Trio aus einer Dame und zwei Herren an mir vorbei. Während ich versuche, an
der Gruppe dranzubleiben, kommen wir „Van Damme“ immer näher. Als ich endlich
neben ihm bin, höre ich ihn vernehmbar keuchen und nehme dies als Zeichen für
zwei Dinge. Erstens scheint von ihm nun keine Gefahr mehr auszugehen. Und
zweitens wird es auch für mich langsam mal Zeit, in den Schnappatmungsmodus
umzuschalten.
Die letzte Kurve ist bewältigt. Es geht nun geradeaus hinunter
durch die Innenstadt über Kopfsteinpflaster bis ins Ziel. Jetzt trete ich das
Gaspedal voll durch. Kick-down! Die Frau und ihre beiden Begleiter bleiben
zurück. Wen ich sonst noch überhole, kann ich jetzt im Tunnelblick nicht mehr
ausmachen. Doch die blöde Uhr erkenne ich. Sie springt gerade auf Vierzig
Minuten um. Der Triathlet geht kurz vor mir durchs Ziel. Auch er bleibt nicht
unter Vierzig. Aber ist das ein Trost?
VierzigNullAcht.
Dass es neuerdings in Ratingen „Erdinger“ im Ziel gibt, bleibt damit im Moment das
einzig Erfreuliche. Doch während ich mit meinem alkoholfreien Weizenbier in der
Hand in Richtung Dusche trotte, passiere ich noch einmal die Strecke, wo viele
Läufer ihre letzte Runde beginnen. Als mich ein Zuschauer fragt: „Schon fertig
oder aufgegeben?“, wird mir klar, dass ich wohl ganz zufrieden sein darf.
Man nennt das Jammern auf hohen Niveau :-)))
AntwortenLöschenEin gesundes neues Jahr wünsche dir und deiner Familie und ich hoffe, auch dieses Jahr viele von deinen Laufabenteuern lesen zu dürfen.
Und bei dieser katastrophal schlechten 10er Zeit am 1.1. kann das Jahr ja nur besser werden ;-))
Liebe Grüße
Helge
Vielen Dank, Helge! Auch dir ein erfolgreiches, neues, triathletisches Jahr!
LöschenFrohes neues Jahr! Anständig durchgezogen. Und nächstes Jahr bin ich hoffentlich auch mal dabei (vielleicht vergess ichs dann auch ausnahmsweise mal nicht), ist ja in der Nachbarschaft.
AntwortenLöschenHallo Oliver, da hast du ja schon mal einen guten Vorsatz für 2017 gefasst ;-)
LöschenSo darf das Jahr eindeutig starten :) Eine Top-Zeit und eben jammern auf hohem Niveau!
AntwortenLöschenWenn es sonst mit dem hohen Niveau schon nicht klappt, dann wenigstens beim Jammern!
LöschenNee ne, welch eine Katastrophe, über 40! Das kann ja heiter werden, ich würde sofort alle Pläne für 2016 hinsichtlich der Erwartungshaltung überprüfen...
AntwortenLöschen(Diese Einleitung bitte genau so ironisch lesen, wie Dein Jammern, dessen hohes Niveau hier schon wiederholt konstatiert wurde, hoffentlich gemeint war).
Ich würde mal sagen, fulminant ins neue Jahr gestartet, weiter so!
Liebe Grüße
Elke
Na, wenn das Jahr so heiter wird wie deine Beiträge hier, liebe Elke, dann will ich schon zufrieden sein ;-)
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