Mitte Februar
herrscht in Deutschland der Winter. Im Rheinland wird jedoch die fünfte
Jahreszeit, der Karneval, ausgerufen. Danach geht man in Köln nahtlos
zum Frühling über und veranstaltet am 22. Februar 2015 den „Tortura-Frühjahrs-Ultra“.
Und das Wetter
gibt dem kleinen, privaten Organisationskomitee recht. Mit ein paar Sonnenstrahlen
bleibt es bei windstillen zwei bis acht Grad niederschlagsfrei. Das ist auch
gut so. Denn die 50 km lange Strecke führt über zehn Runden jedesmal die steilste
Flanke des sogenannten Todesbergs hinauf. Wäre diese Passage feucht, so hätten die
Sherpas des Veranstalters dort die - für alle Fälle schon bereitliegenden - Fixseile
anbringen müssen. Doch ob trocken oder nass, es bleibt laut Auschreibung bei insgesamt knapp 1000 Höhenmetern.
Ich gehe mit
idealem Wettkampfgewicht an den Start, denn aus Japan hatte ich mir nicht nur Narben im Gesicht, sondern auch eine fiebrige Darmgrippe mitgebracht. Die erste Runde erfolgt
als Gemeinschaftslauf zur Streckenerkundung, da der Kurs nicht markiert ist. Es
zeigt sich, dass der GPS-Track angesichts der Vielzahl der Parallelwege wenig
hilfreich ist. Das verschlungene Zick-Zack durchs Unterholz kann sich keiner
nach nur einer Runde merken. Und es kursiert der Witz, dass die größte
Herausforderung bei diesem Lauf die Orientierung ist. Tatsächlich müssen wir auch
auf der zweiten Runde auf ortskundige Führer warten, die uns dann durchs
Dickicht geleiten. Doch schon auf Runde Drei kann irgendeiner aus unserem
Fünf-Mann-Führungsteam an dieser oder jener Abzweigung seinen Beitrag zur korrekten
Navigation leisten. Andere Gruppen hingegen sehen wir ratlos im Gehölz stehen.
Ein Herr in markant gefärbtem Dress fällt uns besonders auf. Denn er läuft plötzlich vor uns,
obwohl es zum Überrunden noch etwas früh ist. Und ohne, dass wir ihn überholen,
ist er auf einmal hinter uns. „Überholen, ohne einzuholen!“ Was Ulbricht nicht schaffte, gelingt uns
im Kölner Stadtpark! Als wir die Runde schließlich auswendig drauf haben, hat
der Veranstalter die neuralgischen Punkte mit Luftballons markiert.
Kurz nach Beginn
einer jeden Runde gilt es, den Todesberg zu erklimmen. Die Steigung macht einen
Laufschritt unmöglich. Man kann gerade noch ohne Handeinsatz hinaufklettern.
Etwa nach der Hälfte der Runde gibt es einen weiteren Hügel, der gleich zweimal
zu erklimmen ist. Und wenige Meter vor dem Start-/Ziel- und Verpflegungsbereich
wartet ein letzter kurzer, aber steiler Anstieg auf die Läufer.
Als der
Veranstalter wenige Tage vor dem Lauf ein Foto der Pokale für die ersten drei
Plätze herumschickt, löst das in mir ein Verlangen aus. Ich will nicht nur
unter fünf Stunden bleiben, sondern auch so eine Trophäe mit nach Hause
bringen. Dazu mache ich mir die Strecke zum Partner. Meine Strategie lautet
schlicht: „Abwarten“. Ich wage keine Experimente oder Ausbruchsversuche,
sondern laufe einfach im Spitzenfeld mit und setze darauf, dass die Distanz die
Gruppe von selbst ausdünnen wird.
Der
Verpflegungspunkt erweist sich dabei als mentales Sieb. Dort bleibt ab der
fünften Runde immer wieder jemand hängen. Nur noch zu viert gehen wir auf Runde
Sechs. Nach deren Ende fleht uns die Zeitnehmerin an, auf den verbleibenden
vier Runden doch bitte für eine eindeutige Rangfolge zu sorgen. Der Führende
lässt sich nicht lange bitten und spurtet los. Wir drei hetzen hinterher. Doch
schon bald lässt sich Nummer Vier mit den Worten vernehmen: „Das Tempo halte
ich keine vier Runden mehr durch!“ Uns anderen ist in jenem Moment noch nicht
bewusst, dass dieses Orakel für uns alle gilt. Stattdessen liefert unser
Tempomacher ein Lehrstück in positivem Denken, als er antwortet: „Es sind ja
keine ganzen vier Runden mehr!“
Runde Acht lässt
unser Fähnlein auf drei zusammenschrumpfen. Das Lied von den zehn kleinen
Negerlein kommt einem unweigerlich in den Sinn. Möglicherweise singt man
mittlerweile auch etwas Gleichstellungsgesetzkonformes. Auf jeden Fall ist
jedem von uns jetzt ein Pokal sicher, so wir denn das Ziel erreichen.
Doch das Sieb
verrichtet auch am Beginn der neunten Runde unbarmherzig sein Werk. Nur noch
ich spurte dem Führenden hinterher, der nach jeder Verpflegung einen
Startsprint hinlegt. Ansonsten läuft er, bis auf einige Bergab-Spurts, ein
extrem gleichmässiges Tempo. In seiner Haut möchte ich nicht stecken. Es
erfordert sicher einiges an mentaler Kraft, vier Stunden lang die
Spitzenposition zu halten.
Und dann darf er endlich
den Lohn der Führungsarbeit kassieren! Auf der neunten Runde ereilt mich die
Krise. Ich lasse abreißen und gebe mich dem Selbstmitleid hin. Mein linker Fuß
schmerzt stark. In meinem minimalen Schuhwerk spüre ich jede Buchecker am
Boden. Die Pein ist nicht so fürchterlich wie letztes Frühjahr. Doch ich gebe den Plan auf, den „Trailroc 150“ für einen 100er einzulaufen.
Die langen Strecken werde ich künftig mit dem bewährten „Trailroc 245“
absolvieren. Nicht nur meine Füße sind erlahmt, sondern auch mein Kampfgeist.
Das Wissen um den sicheren zweiten Platz hat mich schwach werden lassen.
Ich schleppe mich
auf die letzte Runde. Trotz meines Verfalls überrunde ich gelegentlich noch. So
auch einen Läufer, der anscheinend vor Schmerzen gekrümmt am Rand steht. Da gerät ein bekanntes Muster in den Fokus meines Tunnelblicks. Es ist das Waden-Tatoo, das ich vier Stunden lang vor Augen
hatte. „Mit allem hätte ich gerechnet, aber damit nicht mehr!“, sprudeln meine
Gedanken im Vorbeilaufen aus mir heraus. Jetzt zeigt sich einmal mehr, dass
Ultralaufen Kopfsache ist. Denn als ich realisiere, dass ich nun der Erste bin,
sind alle Schmerzen verflogen. Meine Fortbewegung beginnt plötzlich wieder,
einem Laufstil zu ähneln. „Die Führung lässt du dir nicht mehr nehmen!“, treibe
ich mich ins Ziel.
Die Uhr ist noch
nicht auf fünf Stunden umgesprungen, als die Organisatoren meinem Tag das
I-Tüpfelchen aufsetzen, indem sie ein Zielband spannen, das ich mit der
Brust zerreisse. Das wollte ich immer schon mal!
Der Mühen Lohn |
Glückwunsch zum 1. Platz! Ausdauer zählt sich eben aus!
AntwortenLöschenUnd dank einem anderen Blog weiß ich jetzt auch endlich wie du ausschaust ;)
Danke, Markus! Ja, Ultra-Laufen unterliegt eigenen Gesetzen und ist immer wieder ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.
LöschenUnd wahrscheinlich irrt immer noch der Eine oder Andere des Laufs durchs Kölner Gebüsch... Doch Du bist zäh, das hast Du bewiesen! Nochmals Glückwünsche und Anerkennung! Ja, der Kopf läuft mit ;-)
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Elke
Ach, deswegen stehen nur so wenige in der Ergebnisliste ;-)
LöschenVielen Dank, Elke! War ein nettes Blogger-Treffen!
Glückwunsch zum Sieg und gute Regeneration!
AntwortenLöschenSo kann eine Saison anfangen :-)
Steve, ich danke dir! Hast recht, war sozusagen der Frühjahrs-Marathon ;-)
LöschenHey, Herzlichen Glückwunsch.
AntwortenLöschenViele Grüße
Karina
Danke Karina!
LöschenHerzlichen Glückwunsch... stark!
AntwortenLöschenTom, vielen Dank!
LöschenHammer! Sieger! Herzlichen Glückwunsch. Und es zeigt mal wieder, "Hinten ist die Ente fett". Da warst du sooo sicher, das der erste davon ist und siehe da, plötzlich schwächelt er :-)
AntwortenLöschenHast du gut gemacht.
Liebe Grüße
Helge
Helge, ich danke dir! Dass ich mal als Erster in irgendein Ziel laufen würde, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Insofern war dieser Lauf eine Paradebeispiel für einen Ultra. Bis kurz vor Ende kann man beim Ultra eben nicht sagen, wie es ausgeht.
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