Montag, 2. Februar 2015

30 km Hivernal-Trail: Blut, Schweiß und Schlamm



Die Niederlande sind nicht unbedingt als Bergregion bekannt. Trotzdem findet dort am 1. Februar 2015 ein hügeliger Trail-Lauf statt - der Hivernal-Trail. Der Lauf soll an die Bergbaugeschichte rund um Landgraaf erinnern, wo einst Steinkohle abgebaut wurde, wovon noch heute die Abraumhalden Zeugnis ablegen. Genau, die Abraumhalden!
 
Die längste Treppe Hollands
Gleich nach dem Start des 30-km-Trails (es gibt auch zwei kürzere Distanzen) wird das Feld auf der längsten Treppe der Niederlande die Halde hochgescheucht. Es geht hinauf auf den 230 m hohen Wilhelminaberg, der auch einem holländischen Skigebiet Platz bietet – in einer Halle.
 
Niederländisches Skigebiet
Bis hierhin sind die Schuhe sauber geblieben. Was ab jetzt folgt, ist unbeschreiblich. Wenn ich bisher dachte, die Harzquerung 2013 sei eine schlammige Angelegenheit gewesen, so werde ich ab jetzt eines Besseren belehrt. Natürlich kann so eine Halde nicht mit dem Liebreiz eines Nationalparks konkurrieren. Aber was hier an Single-Trails aufgeboten wird, setzt Maßstäbe! Und wenn es einen Höhenunterschied zu bewältigen gibt, dann ist er vielleicht nicht sehr lang, aber immer eins: steil!

Mit dem 10-km-Rennen des Vortages in den Beinen, bin ich auf dem Berggipfel schon völlig platt, obwohl ich die Treppe nur gegangen bin. Mir scheint es sinnvoll, mit den Kräften zu haushalten. Ganz anders praktiziert es ein junger, bärtiger Einheimischer. Er fällt mir auf, da wir beide den gleichen Rucksack tragen und uns in gleiches Beinkleid gewandeten. Ungezählte Male überhole ich ihn. An jedem Berg jagt er wieder an mir vorbei. „Abgerechnet wird zum Schluss“, denke ich mir. „Mal sehen, ob die Erfahrung des Alters hier die Kräfte der Jugend kompensieren kann!“

Endlich haben wir die Steilhänge der Halde hinter uns gelassen, da ragt plötzlich vor uns eine Klippe auf. Vielleicht war hier mal eine Sandgrube, oder es handelt sich um einen eiszeitlichen Sander. Jedenfalls müssen wir da hoch! Damit wir überhaupt eine Chance haben, hängen Seile von oben herab, an den wir uns hinaufziehen können. Kaum oben angekommen, werden wir direkt wieder zu Tale geschickt. Hier gilt für mich nur eins: gesund unten ankommen. Als ich das geschafft habe, kann ich es nicht fassen. Wir müssen ans Parallel-Seil und nochmal hoch! Das hat hier eher etwas von einem Hindernislauf.

Natürlich weht der Bart jetzt wieder vor mir. Und ich arbeite mich wieder ran. Von links jagen Rehe übers Feld, um vor uns den Wald zu erreichen. Reh Eins springt und reisst die Latte! Es bleibt mit den Hinterbeinen im Stacheldraht hängen. Der wackelt immer noch, als wir die Stelle erreichen. Das Reh ist verschwunden. Kurz darauf sehe ich wieder ein Reh, das wild in einem Stacheldraht-umsäumten Feld hin und her rennt, ohne herauszufinden. Ob es das Tier von eben ist?

Am Start wurden wir üppig ausgestattet. Für 21,50 Euro Teilnahmegebühr gibt es ein Funktions-Shirt, ein Gel und Vollkorn-Rosinenbrötchen. Auch unterwegs hält der Veranstalter Verpflegungsstationen bereit. Diese sind aber becherlos, so dass in der Ausschreibung um Mitnahme eigener Trinksysteme zur Unterwegsbefüllung gebeten wurde. Also habe ich meinen Trinkrucksack gleich mit eigenem, heißen Wasser befüllt und spare mir den Boxenstopp.
 
Finisher-Shirt
Und damit knacke ich den jugendlichen Bartträger! Irgendwann war er mir am Berg entschwunden, und ich hatte mich schon demütig damit abgefunden. Doch was macht er? Rastet am zweiten Verpflegungspunkt! Was hat der denn in seinem Rucksack? Gleich fünf Mann kann ich auf diese Weise hinter mir lassen. Und ab jetzt werde ich noch öfter überholen.

Doch auch ich lasse Federn. Ab Kilometer 22 setzt Schneeregen ein, und ich wünsche, ich hätte ein Buff-Tuch dabei, um die eisigen Ohren zu bedecken. Viel schlimmer ist aber die „Weg“-Führung. Es geht über ein Feld. Mitten durch die jungen Triebe! Rhythmisches Schmatzen, das von den Schuhen heraufdringt, übertönt das Rasseln meines Atems. Es ist, als würde der Fuß nach jedem Schritt für einen Moment festgehalten. Die Schlammschicht am Fuß wird immer dicker. Ich werde überholt.

Da freut man sich fast über die drei Kilometer Asphalt, die die Tour bereithält. Doch schon bald geht es in eine üble Rinne. Links Stacheldraht, rechts ein Hang. Dazwischen die Schlammrinne. An den Rändern immer wieder die Spuren derjenigen, die versuchten neben der Rinne zu laufen und wieder hineinrutschten. Auch ich probiere es. Mit demselben Ergebnis. Es hilft nichts, nur im tiefen Schlamm kommt man überhaupt voran.

Gut, dass ich meine tiefergelegten 150-Gramm-Trailschlappen mit wasserdichten Socken komplettiert habe! Die Sohle des „Trailroc 150“ ist griffig. Der Schuh ist leicht und schnell. Und die Füße bleiben warm und trocken. Perfekt!

Mit seinen Steilstücken, Bachquerungen und Schlammpassagen bietet der Wettkampf genügend Sturz- und Verletzungspotential. Und was mache ich? Passe auf ebener trockener Strecke nicht richtig auf und bleibe schmerzhaft mit dem großen Zeh irgendwo hängen. In vollem Galopp streckt es mich nieder. Instinktiv rolle ich ab und bin wieder auf den Beinen. Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass alles noch dran ist. Die Trinkblase hat wohl den Aufprall am Rücken gedämpft. Und die Handschuhe haben die Hände mit einer Aufschürfung davonkommen lassen. Manche tragen aus diesem Grund auch im Sommer Fahrradhandschuhe auf dem Trail.

Die Strecke ist perfekt markiert – solange man nicht als Erster läuft. Irgendwann ist niemand mehr in Sichtweite vor mir. Und ich muss selbst die neonfarbenen Pfeile suchen. Das verlangt ziemlich viel Aufmerksamkeit, macht aber auch Spaß. Nur meinem exzellenten Holländisch verdanke ich, dass ich an der Streckenteilung richtig abbiege. Ich folge dem Pfeil mit der Aufschrift: „Lange Trail“.

Auch „Pass op“ verstehe ich noch, danach allerdings für einen Moment die Welt nicht mehr. Die ist nämlich hier zu Ende. „Vor ihm gähnte der Abgrund, hinter ihm der Verfolger“, kommt mir eine Schüler-Stilblüte in den Sinn, als ich ratlos oben auf einer Klippe stehe. Dann sehe ich unten an der Straße die nächste Markierung. Ich muss also wirklich hier runter. Wie beim Geröllsurfen im alpinen Gelände gleite ich hier im Laub hinab. Bis zur Hälfte gelingt das noch aufrecht. Den Rest sitze ich im Wortsinne „auf einer Arschbacke ab“.
 
Start-/Zielbogen
Irgendwie kommt mir die Gegend bekannt vor. Mir schwant, dass wir jetzt auf dem Hinweg zurück zum Start laufen. „Bitte nicht wieder über die Klippe und die Halde!“ wird zu meinem Mantra für die nächsten Kilometer. Einmal müssen wir zwar noch auf allen Vieren einen schwarzen Schlackepfad hinauf, aber ansonsten werde ich erhört. Keine Treppe, keine Seile! Die Uhr zeigt schon deutlich mehr als 30 Kilometer, als ich des Zielbogens ansichtig werde.
 
Zieleinlauf eines 10-km-Läufers
Gerade will ich voller Freude zum Endspurt ansetzen, da werde ich gewahr, dass eine Kehre wieder vom Ziel wegführt. Wieder ins Unterholz, wieder rauf und runter! Jetzt ist mentale Härte ist gefragt. Dann endlich, nach knapp drei Stunden Trail-Spaß, der ersehnte Eingang ins Stadion. Das Ziel liegt natürlich nochmal leicht erhöht! Dort werde ich zwar ohne Moderation, dafür per Handschlag empfangen. Das sind diese herzlichen, „handgemachten“ Läufe, die ich so mag!

11 Kommentare:

  1. Spannung von A - Z
    schön geschrieben
    gut gelaufen
    wenn man da teilweise noch von laufen reden kann
    den " Feind " abgeschüttelt
    bravurös
    Glückwunsch
    und das nach einem 10 - Kilometer-Lauf am Vortag

    Wird dich wohl kaum interessieren
    aber für mich wäre das nichts !

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    1. Danke dir!
      Unterwegs habe ich mich auch gefragt, ob das noch was für mich ist :-D

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  2. Gleich zu Anfang die Treppe hätte mir ja bereits den Rest gegeben... aber dann auch noch der Rest! Wahnsinn! Du bist vielleicht ein Beisser. Respekt. Ich kann kaum glauben, dass die Füße trocken geblieben sind... sind die Socken aus Plastik?
    Viele Grüße, Claudi

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  3. Hört sich Spaß und Abenteuer an. Und Matsch.
    Also genau das richtige :)

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  4. Ach Du mein Heimatland...! Erst einen flotten 10er und dann diese Quälerei - der Wahnsinn. Danke für die gefühlsechte Beschreibung, ich konnte es mir damit halbwegs vorstellen, denke aber, in der Realität war das noch um einiges härter. Glückwunsch und Respekt, dass Du das so gut absolviert hast!
    Liebe Grüße
    Elke

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    1. Da bin ich erleichtert, dass du das so siehst, Elke! Insgeheim habe ich immer befürchtet, die Leser denken, dass ich schamlos übertreibe. ;-)

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  5. Da bekommt einer nicht genug :-)
    1 Tag nach nem schnellen 10er ein 30 km Schlamm-Trail mit Treppen und allem Schnick-Schnack.
    Du bist ein Held.
    Diesen deinen Kampf hast du wunderbar beschrieben.
    Ich hab sogar Schlamm am Schuh, so real war das grade :-))
    Liebe Grüße
    Helge

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    1. Hallo Helge, allein für dieses Lob hat sich die Anstrengung schon gelohnt!

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