Die Niederlande
sind nicht unbedingt als Bergregion bekannt. Trotzdem findet dort am 1. Februar 2015
ein hügeliger Trail-Lauf statt - der Hivernal-Trail. Der Lauf soll an die
Bergbaugeschichte rund um Landgraaf erinnern, wo einst Steinkohle abgebaut
wurde, wovon noch heute die Abraumhalden Zeugnis ablegen. Genau, die
Abraumhalden!
Gleich nach dem
Start des 30-km-Trails (es gibt auch zwei kürzere Distanzen) wird das Feld auf
der längsten Treppe der Niederlande die Halde hochgescheucht. Es geht hinauf auf
den 230 m hohen Wilhelminaberg, der auch einem holländischen Skigebiet Platz
bietet – in einer Halle.
Bis hierhin sind
die Schuhe sauber geblieben. Was ab jetzt folgt, ist unbeschreiblich. Wenn ich
bisher dachte, die Harzquerung 2013 sei eine schlammige Angelegenheit gewesen,
so werde ich ab jetzt eines Besseren belehrt. Natürlich kann so eine Halde
nicht mit dem Liebreiz eines Nationalparks konkurrieren. Aber was hier an
Single-Trails aufgeboten wird, setzt Maßstäbe! Und wenn es einen
Höhenunterschied zu bewältigen gibt, dann ist er vielleicht nicht sehr lang,
aber immer eins: steil!
Mit dem 10-km-Rennen des Vortages in den Beinen, bin ich auf dem Berggipfel schon völlig platt,
obwohl ich die Treppe nur gegangen bin. Mir scheint es sinnvoll, mit den
Kräften zu haushalten. Ganz anders praktiziert es ein junger, bärtiger
Einheimischer. Er fällt mir auf, da wir beide den gleichen Rucksack tragen und
uns in gleiches Beinkleid gewandeten. Ungezählte Male überhole ich ihn. An jedem
Berg jagt er wieder an mir vorbei. „Abgerechnet wird zum Schluss“, denke ich
mir. „Mal sehen, ob die Erfahrung des Alters hier die Kräfte der Jugend
kompensieren kann!“
Endlich haben wir
die Steilhänge der Halde hinter uns gelassen, da ragt plötzlich vor uns eine
Klippe auf. Vielleicht war hier mal eine Sandgrube, oder es handelt sich um
einen eiszeitlichen Sander. Jedenfalls müssen wir da hoch! Damit wir überhaupt
eine Chance haben, hängen Seile von oben herab, an den wir uns hinaufziehen
können. Kaum oben angekommen, werden wir direkt wieder zu Tale geschickt. Hier
gilt für mich nur eins: gesund unten ankommen. Als ich das geschafft habe, kann
ich es nicht fassen. Wir müssen ans Parallel-Seil und nochmal hoch! Das hat hier
eher etwas von einem Hindernislauf.
Natürlich weht
der Bart jetzt wieder vor mir. Und ich arbeite mich wieder ran. Von links jagen
Rehe übers Feld, um vor uns den Wald zu erreichen. Reh Eins springt und reisst
die Latte! Es bleibt mit den Hinterbeinen im Stacheldraht hängen. Der wackelt
immer noch, als wir die Stelle erreichen. Das Reh ist verschwunden. Kurz darauf
sehe ich wieder ein Reh, das wild in einem Stacheldraht-umsäumten Feld hin und
her rennt, ohne herauszufinden. Ob es das Tier von eben ist?
Am Start wurden
wir üppig ausgestattet. Für 21,50 Euro Teilnahmegebühr gibt es ein
Funktions-Shirt, ein Gel und Vollkorn-Rosinenbrötchen. Auch unterwegs hält der
Veranstalter Verpflegungsstationen bereit. Diese sind aber becherlos, so dass
in der Ausschreibung um Mitnahme eigener Trinksysteme zur Unterwegsbefüllung
gebeten wurde. Also habe ich meinen Trinkrucksack gleich mit eigenem, heißen
Wasser befüllt und spare mir den Boxenstopp.
Und damit knacke
ich den jugendlichen Bartträger! Irgendwann war er mir am Berg entschwunden, und
ich hatte mich schon demütig damit abgefunden. Doch was macht er? Rastet am
zweiten Verpflegungspunkt! Was hat der denn in seinem Rucksack? Gleich fünf
Mann kann ich auf diese Weise hinter mir lassen. Und ab jetzt werde ich noch
öfter überholen.
Doch auch ich
lasse Federn. Ab Kilometer 22 setzt Schneeregen ein, und ich wünsche, ich hätte
ein Buff-Tuch dabei, um die eisigen Ohren zu bedecken. Viel schlimmer ist aber
die „Weg“-Führung. Es geht über ein Feld. Mitten durch die jungen Triebe! Rhythmisches
Schmatzen, das von den Schuhen heraufdringt, übertönt das Rasseln meines Atems.
Es ist, als würde der Fuß nach jedem Schritt für einen Moment festgehalten. Die
Schlammschicht am Fuß wird immer dicker. Ich werde überholt.
Da freut man sich
fast über die drei Kilometer Asphalt, die die Tour bereithält. Doch schon bald
geht es in eine üble Rinne. Links Stacheldraht, rechts ein Hang. Dazwischen die
Schlammrinne. An den Rändern immer wieder die Spuren derjenigen, die versuchten
neben der Rinne zu laufen und wieder hineinrutschten. Auch ich probiere es. Mit
demselben Ergebnis. Es hilft nichts, nur im tiefen Schlamm kommt man überhaupt
voran.
Gut, dass ich
meine tiefergelegten 150-Gramm-Trailschlappen mit wasserdichten Socken komplettiert
habe! Die Sohle des „Trailroc 150“ ist griffig. Der Schuh ist leicht und
schnell. Und die Füße bleiben warm und trocken. Perfekt!
Mit seinen
Steilstücken, Bachquerungen und Schlammpassagen bietet der Wettkampf genügend
Sturz- und Verletzungspotential. Und was mache ich? Passe auf ebener trockener
Strecke nicht richtig auf und bleibe schmerzhaft mit dem großen Zeh irgendwo
hängen. In vollem Galopp streckt es mich nieder. Instinktiv rolle ich ab und
bin wieder auf den Beinen. Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass alles noch
dran ist. Die Trinkblase hat wohl den Aufprall am Rücken gedämpft. Und die
Handschuhe haben die Hände mit einer Aufschürfung davonkommen lassen. Manche tragen
aus diesem Grund auch im Sommer Fahrradhandschuhe auf dem Trail.
Die Strecke ist
perfekt markiert – solange man nicht als Erster läuft. Irgendwann ist niemand
mehr in Sichtweite vor mir. Und ich muss selbst die neonfarbenen Pfeile suchen.
Das verlangt ziemlich viel Aufmerksamkeit, macht aber auch Spaß. Nur meinem
exzellenten Holländisch verdanke ich, dass ich an der Streckenteilung richtig
abbiege. Ich folge dem Pfeil mit der Aufschrift: „Lange Trail“.
Auch „Pass op“
verstehe ich noch, danach allerdings für einen Moment die Welt nicht mehr. Die
ist nämlich hier zu Ende. „Vor ihm gähnte der Abgrund, hinter ihm der Verfolger“,
kommt mir eine Schüler-Stilblüte in den Sinn, als ich ratlos oben auf einer
Klippe stehe. Dann sehe ich unten an der Straße die nächste Markierung. Ich
muss also wirklich hier runter. Wie beim Geröllsurfen im alpinen Gelände gleite
ich hier im Laub hinab. Bis zur Hälfte gelingt das noch aufrecht. Den Rest sitze
ich im Wortsinne „auf einer Arschbacke ab“.
Irgendwie kommt
mir die Gegend bekannt vor. Mir schwant, dass wir jetzt auf dem Hinweg zurück
zum Start laufen. „Bitte nicht wieder über die Klippe und die Halde!“ wird zu
meinem Mantra für die nächsten Kilometer. Einmal müssen wir zwar noch auf allen
Vieren einen schwarzen Schlackepfad hinauf, aber ansonsten werde ich erhört.
Keine Treppe, keine Seile! Die Uhr zeigt schon deutlich mehr als 30 Kilometer,
als ich des Zielbogens ansichtig werde.
Gerade will ich
voller Freude zum Endspurt ansetzen, da werde ich gewahr, dass eine Kehre
wieder vom Ziel wegführt. Wieder ins Unterholz, wieder rauf und runter! Jetzt
ist mentale Härte ist gefragt. Dann endlich, nach knapp drei Stunden
Trail-Spaß, der ersehnte Eingang ins Stadion. Das Ziel liegt natürlich nochmal
leicht erhöht! Dort werde ich zwar ohne Moderation, dafür per Handschlag empfangen.
Das sind diese herzlichen, „handgemachten“ Läufe, die ich so mag!
Spannung von A - Z
AntwortenLöschenschön geschrieben
gut gelaufen
wenn man da teilweise noch von laufen reden kann
den " Feind " abgeschüttelt
bravurös
Glückwunsch
und das nach einem 10 - Kilometer-Lauf am Vortag
Wird dich wohl kaum interessieren
aber für mich wäre das nichts !
Danke dir!
LöschenUnterwegs habe ich mich auch gefragt, ob das noch was für mich ist :-D
Gleich zu Anfang die Treppe hätte mir ja bereits den Rest gegeben... aber dann auch noch der Rest! Wahnsinn! Du bist vielleicht ein Beisser. Respekt. Ich kann kaum glauben, dass die Füße trocken geblieben sind... sind die Socken aus Plastik?
AntwortenLöschenViele Grüße, Claudi
Hallo Claudia,
Löschenguck mal nach Sealskinz.
Viele Grüße!
Danke für den Tipp!
LöschenHört sich Spaß und Abenteuer an. Und Matsch.
AntwortenLöschenAlso genau das richtige :)
Du sagst es, Markus!
LöschenAch Du mein Heimatland...! Erst einen flotten 10er und dann diese Quälerei - der Wahnsinn. Danke für die gefühlsechte Beschreibung, ich konnte es mir damit halbwegs vorstellen, denke aber, in der Realität war das noch um einiges härter. Glückwunsch und Respekt, dass Du das so gut absolviert hast!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Elke
Da bin ich erleichtert, dass du das so siehst, Elke! Insgeheim habe ich immer befürchtet, die Leser denken, dass ich schamlos übertreibe. ;-)
LöschenDa bekommt einer nicht genug :-)
AntwortenLöschen1 Tag nach nem schnellen 10er ein 30 km Schlamm-Trail mit Treppen und allem Schnick-Schnack.
Du bist ein Held.
Diesen deinen Kampf hast du wunderbar beschrieben.
Ich hab sogar Schlamm am Schuh, so real war das grade :-))
Liebe Grüße
Helge
Hallo Helge, allein für dieses Lob hat sich die Anstrengung schon gelohnt!
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