Mythos Venloop
Die gigantische Stimmung kenne ich bisher nur aus begeisterten Berichten von diesem stets Monate im Voraus ausgebuchten Lauf. Als sich wenige Tage vor der 2017er Austragung die Gelegenheit zur Startnummer-Übernahme ergibt, schlage ich kurzerhand zu, um den Mythos Venloop zu verifizieren.
Professionelle Logistik
Angeblich sind fast 10.000 Läufer allein für den Halbmarathon dieses mehrtägigen Lauf-Fests gemeldet. Die Logistik beeindruckt. Schon auf der deutschen Autobahn beginnt das Parkleitsystem. Der Shuttle-Bus bringt uns ohne jede Wartezeit zum Start, in dessen unmittelbarer Nähe die Kleiderbeutel abgegeben werden können. Der Geruch der Büsche im Park kündet von zu geringer Zahl der Toiletten für die Menge der Läufer. Die Startgasse dürfte mindestens 500 m lang sein.
Startgassen-Teilstück |
Ich bin nicht Svenja
Die Eingänge zu den Startblöcken sind gut bewacht, die Zäune mit einer Höhe von 2,50 m kaum zu überklettern. Es kostet mich eine kurze Diskussion mit dem Ordner, um Eingang in den Block für "1:30 - 1:45" zu finden, obwohl meine Startnummer für ">1:45" gilt. Dass ich unmöglich "Svenja" sein kann, für die mich meine Nummer trotz ordnungsgemäßer Ummeldung ausweist, überzeugt letztlich.
Spontaner Entschluss
Nach dem 70-km-Abenteuer des Vortages habe ich geplant, den Lauf gemütlich trottend zu absolvieren, unterwegs die gigantische Stimmung aufzusaugen und mit dem Handy fotografisch zu dokumentieren. Bei der Kleiderbeutelabgabe überkommt es mich spontan. Ich lege das Smartphone zu den Wechselsachen und entscheide mich für einen Tempo-Trainingslauf. Wenn ich schon mal hier bei einem Wettkampf bin! Trotzdem bleibe ich Realist und wage mich nicht vor das "<1:30"-Schild.
Partnersuche |
Dann rückt das ganze Feld Richtung Startlinie vor. Die Blöcke für "Elite" und "Lizenznehmer" geraten in den Blick. Und die 1:30er Hasen reihen sich ein. Hinter mir! Ist das ein Omen für den Verlauf des Rennens?
Blanke Wut
Nach dem Startschuss stecke ich im dichten Feld fest. Kilometer Eins schlägt mit 4:25 zu Buche, während für ein Finish in 1:30 nur 4:16 verbraten werden dürften. Da mich das ärgert, habe ich also offenbar sogar ein Zeitziel. Die ersten Kilometer sind die blanke Wut. Teams, die in breiter Front die Strecke blockieren. Die Frau, die mir urplötzlich seitwärts vor die Beine springt. Die Zuschauer, die mir den stinkenden Qualm ihres selbsgedrehten Knasters ins Gesicht blasen. Die viel zu laute Musik am Rand, die mich immer wieder die Ohren zuhalten lässt. Aber ich habe meinen Steffny gelesen! Der Meister empfiehlt, den Ärger in Motivation zu verwandeln.
Endlich frei!
Nach vier Kilometern habe ich mich endlich freigelaufen. Ein Schalter wird umgelegt. Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Die Zuschauer jubeln mir zu. Ich muss ein paar Meter mit geschlossenen Augen laufen, um das Glück den Rücken runterrieseln zu lassen.
Die Konkurrenz |
Mittlerweile habe ich eine 4er Pace aufgenommen und alle Systeme melden, dass ich die ins Ziel bringen kann. Die grafische Auswertung des Veranstalters zeigt später, was ich jetzt zu spüren glaube. Trotz des Gegenwindes auf der zweiten Hälfte und der einsamen Deich-Passage werde ich immer schneller, je näher ich dem Ziel komme. Ich überhole permanent, ohne überholt zu werden.
Geschwindigkeit |
Gestank
Düsseldorf, Köln, Berlin - nirgends sah ich bisher solche jubelnden Massen auf dem letzten Kilometer! Man könnte sich daran ergötzen. Ich muss allerdings aufpassen, dass mir der bestialische Gestank nach frittiertem Fisch nicht den Magen umdreht. Den Rest der Kraft verwende ich darauf, die Überholerei bis zur Ziellinie fortzusetzen, die ich nach 1:26:21 äußerst zufrieden überkeuche. Wer hätte vor zwei Stunden auf eine Zielzeit nur 16 Sekunden über pB gewettet?!
Abschluss-Polonaise
Wieder nimmt uns der Shuttle-Bus ohne jede Wartezeit an Bord. Kaum haben sich die Türen geschlossen, wurzelt der Fahrer das Soundsystem bis zum Anschlag auf. Holländische Stimmungsmusik animiert die Finisher auf den Stehplätzen zu einer Polonaise durch den Bus. Größer könnte der Gegensatz zum gestrigen Landschafts-Ultra kaum sein.
"Irgendwann musst Du nach Venlo" ging so nicht der Spruch? Scheint was dran zu sein. Da boxt wohl der Bär auf und neben der Strecke, olfaktorische Würze und akkustische Untermalung inklusive und am Ende wird der Bus auch noch gerockt.
AntwortenLöschenGlückwunsch zum freudebeseelten schnittigen Lauf!
Liebe Grüße
Elke
Danke, Elke! Ja, sollte man mal erlebt haben.
LöschenViel Stimmung darf auch mal sein. Solange es gesittet zu geht und nicht zuviele rauchende Gestalten an der Strecke stehen. Bei meinen ersten Marathons hatte ich wirklich noch Zeit und Lust die Anzahl derer die an der Strecke rauchen zu zählen :D
AntwortenLöschenVielleicht fahre ich nochmal nach Venlo, um den eigentlichen Plan des Stimmung-Genießens umzusetzen.
LöschenDas liest sich sehr gut, wahrlich ein krasser Kontrast zu dem, was du kurz davor hattest. Man muss alles mal erleben, die lauten wie die leisen, die kurzen wie die langen Läufe. Allerdings habe ich mich schnell von den kurzen verabschiedet, nicht nur, weil sie mir zu schnell waren, sondern auch zu viel, zu laut. Gratuliere zu deiner Zeit !
AntwortenLöschenAm besten jedoch gefällt mir dieser Satz:
" Ich muss ein paar Meter mit geschlossenen Augen laufen, um das Glück den Rücken runterrieseln zu lassen. "
Auch das kommt mir verdammt bekannt vor, hätte ich von dir gar nicht so erwartet !
Danke, für diese Momente laufen wir doch!
LöschenDa hat sich sich das warm laufen am Vortag ja gelohnt :-)))
AntwortenLöschenDie Stimmung muss ja gradios sein. Auch wenn ich mich frage, wie du das bei dieser Geschwindigkeit noch mitbekommen hast.
Dann jetzt mal gute Regerneration :-)
Liebe Grüße
Helge
Danke, Helge! Ich gebe zu, dass ein gewisser Tunnel manches ausgeblendet hat. Leider nicht den Geruch!
Löschen