Was für ein Auftakt! Kurz nach dem Start des Jokertrails auf dem Heidelberger Kornmarkt führt der Kurs auf einer Strecke von rund 1,5 km etwa 400 Höhenmeter hinauf - über 1600 Stufen! Auf die Treppe zum Schloss folgen 1200 grob behauene Steinquader der sogenannten Himmelsleiter. Und schon ist man auf dem Gipfel des Königstuhls!
Der nächste Höhepunkt der 50 km langen Strecke lässt nicht lange auf sich warten. Auf anspruchsvollen Trails geht es hinab durch das Felsenmeer. Später folgen wir einer Waldautobahn. Im allerletzten Moment sehe ich auf der Karte meines GPS-Receivers, dass wir in einen kleinen Pfad abbiegen müssen, der abwärts zu den Klippen über dem Neckar führt. Meinen temporären Begleiter, der wie viele andere nur mit der Wurm-Navigation seiner Sportuhr auf der nicht markierten Strecke unterwegs ist, kann ich noch rechtzeitig auf den Abzweig aufmerksam machen. Andere verpassen den Abstecher. Als wir uns auf verschlungenen Pfaden wieder aufwärts kämpfen, sehen wir über uns auf der Waldautobahn einen ganzen Pulk vorüberziehen. Ab diesem Moment bin ich geneigt der künftigen Ergebnisliste nicht allzu viel Beachtung zu schenken. Es wird mich etwa eine Stunde kosten, den Pulk wieder zu überholen.
Startplatz ist der Kornmarkt unterhalb des Schlosses |
Bald sind wir zurück am Ufer des Neckar, überqueren diesen und stärken uns am ersten von drei Verpflegungspunkten. Hier bei Kilometer 15 registriere ich, dass wir bereits die Hälfte der ausgeschriebenen 2000 Höhenmeter im Sack haben. Trotzdem geht es jetzt noch einmal ordentlich bergauf, denn nun erkunden wir die Hügel der anderen Uferseite. Und wie vorhin auf der Himmelsleiter geht es wieder ohne Serpentinen direkt nach oben.
Am Berg steht ein ratloser Läufer. Sein GPS-Gerät ist ausgefallen. Ein Stück kann ich ihn mitnehmen, dann fällt er zurück. Wenig später leitet der Track in einen mit frisch gefällten Bäumchen verstellten Rückeweg - natürlich bergauf. Als ich mich oben gerade aus dem Unterholz rappele, trabt von links, auf breitem Fahrweg kommend, ein Mitstreiter vorbei. Offenbar halten sich nicht alle so hündisch an den Track wie ich, bringen sich dabei aber um die eigentlichen Trail-Erlebnisse.
Der nächste Verpflegungspunkt bei km 24 ist wenig später erreicht. Ab hier ändert sich der Charakter des Laufes. Völlig allein trabe ich durch den sonnendurchfluteten Wald. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass das hier wie ein schöner Sonntags-Trainingslauf ist, und muss mich zwingen, ein bisschen auf's Tempo zu drücken. Meine Überheblichkeit wird auch prompt bestraft. Mit dem Profil des Schuhs bleibe ich an einem unter Laub verborgenen Stein hängen und stürze Kopf voran zu Tale. Adrenalin! Um Haaresbreite kann ich einen Sturz verhindern.
Teltschikturm - wird nur passiert, nicht bestiegen |
Ich fühle mich gut, habe mir die Kräfte offenbar vernünftig eingeteilt und rechne optmistisch meine Zielzeit hoch. Ich will unter sechs Stunden bleiben, und das klappt! Nur noch fünf Kilometer bis zum VP bei km 40, und ab da 11 km abwärts in Ziel. Abgelenkt durch solche Gedanken, vergesse ich nach dem Abbiegen zu kontrollieren, ob ich tatsächlich auf dem Track bin. Bin ich nicht! Sinnlose Höhenmeter geschrubbt. Schnell wieder runter!
Nachdem der Lauf auf den ersten 15 km seine Sensationen offenbar verpulvert hat, will ich die Schleife zwischen den beiden letzten VP's fast ein wenig langweilig finden und denke: "Verglichen mit dem Anfang ist das hier ja Wellness!" Da dreht die Route nochmal ordentlich auf. Auf "ehemaligen Wegen" wird wieder serpentinenfrei direkt nach oben gelaufen (andere nennen die Stelle "Arschloch-Berg"). Der hüfhohe Bewuchs entsprießt einem bachdurchweichten Boden. Der Wassereinbruch im Schuh löst zwei Empfindungen aus, die interessanterweise sequentiell mit einigem zeitlichen Abstand eintreten. Auf "Huch, wie nass!" folgt "Argh, wie kalt!" Offenbar befand sich die Brühe erst kürzlich noch in festem Aggregatzustand.
Als ich endlich bei Kilometer 40 die Schleife beende und noch einmal den VP erreiche, macht sich eine gewisse mentale Erschöpfung bemerkbar. Die Karte ist zugeschmiert mit dem Track und meiner gelaufenen Route. Beide habe ich dummerweise auf dieselbe Farbe gestellt. Außerdem sieht der Parkplatz von dieser Seite so anders aus, dass ich nichts wiedererkenne. Klar scheint nur, dass ich nach rechts abbiegen muss, um die letzten 11 Kilometer zum Ziel in Angriff zu nehmen. Kurzerhand entschließe ich mich, direkt weiterzulaufen, anstatt die 100 Meter Umweg zum mutmaßlichen VP auf mich zu nehmen. Immerhin habe ich noch einen Riegel und einen halben Liter Iso am Mann. Das ist mehr als ich brauchen werde. Verwirrenderweise kommt mir jetzt ein Läufer entgegen! Während ich noch grübele, ob ich fälschlicherweise in den Hinweg eingebogen bin, ruft er mir zu, er habe seine Stöcke am VP stehen lassen.
Ich bin also richtig, die Sonne scheint, es geht bergab. Guten Mutes mache ich mich an den Endspurt. Wenn nur die Oberschenkel nicht so brennen würden! An steilen Stellen kann ich mich nur sehr viel langsamer zu Tale tasten, als ich möchte. Ganz anders der Vergessliche! Mit schnellen Schritten zieht er - nun mit Stöcken - an mir vorüber. Diese
Doch auch der Stockmann navigiert nur mit seiner Uhr. An Weggabelungen stochert er immer so lange herum, dass ich ihn jeweils einhole, und wir gemeinsam den rechten Weg nehmen. Letztlich laufen wir als Duo. Aus dem Laufpartner wird ein Gesprächspartner. Überraschenderweise kommt doch noch ein langgezogener Anstieg. Allerdings ist er nicht steil genug, um in meinen Augen Gehen zu rechtfertigen. Mein Partner sieht das anders und schickt mich voraus.
Blick vom Philosophenweg auf Altstadt, Schloss und Königstuhl |
Final geht es nur noch abwärts. Ich fühle mich wie Moses, schließlich komme ich gerade vom Heiligenberg herunter. Sollte wohl künftig mit Sandalen laufen. Mit meiner Weissagungskraft hapert es allerdings noch. Der Track passt hier irgendwie weder zum Wegegeflecht auf der Karte, noch zu dem in der Realität. Nach einigem sinnlosen Hoch und Runter finde ich den richtigen Pfad und stoße dort auf den Mann mit den Stöcken. Wir befinden uns jetzt auf der sonnigen Höhe des Philosophenwegs, von wo aus sich ein herrlicher Blick auf den Neckar, das Schloss und die Heidelberger Altstadt bietet. Noch viel besser: das Ziel ist damit in Sicht!
"Schlangenpfad" heißt der gewundene, kopfsteingepflasterte Hohlweg ins Tal. Während ich versuche, schmerz- und stolperfrei nach unten zu gelangen, enteilt mein Partner stöckeschwingend. In der Altstadt kann ich wieder aufschließen, sodass wir uns zusammen zwischen den Gruppen überrascht dreinblickender asiatischer Touristen durchmogeln und gemeinsam das Ziel erreichen.
Das Ziel ist die Rezeptionsstube eines Backpacker-Hostels, wo unsere Laufzeit ganz offiziell mit einem Blick zur historischen Wanduhr als 5:34 ermittelt wird. Der Garmin am Handgelenk erweist sich als optimistischer und zeigt 5:31:52. So oder so ist die persönliche Vorgabe von "sub 6 h" deutlich getroffen. Somit kann nun dem Vorbild von "Vater Rhein" gefolgt werden, der im Heidelberger Schlosspark vorlebt, wie man so richtig regeneriert.
Vater Rhein im Schlosspark Heidelberg |
Sicherlich eine ganz tolle Strecke. Habe ich auch schon von anderen gehört.
AntwortenLöschenNur das mit dem Abkürzen und eben kaum kontrolliert werden ist doof. Entweder man schaut sich wirklich dann im Ziel die GPS-Tracks an oder man kündigt das erst garnicht an...
Mit der Wurm-Navigation wird man vermutlich nicht viel mehr machen können, als umzukehren und nach alternativen Wegen zu suchen, wenn man nicht mehr auf dem Track läuft. Die mentale Kraft zum Umkehren muss man im Wettkampf dann allerdings erstmal aufbringen.
LöschenIch denke und hoffe jedenfalls nicht, dass jemand bewusst abgekürzt hat. Verlaufen kann genauso zu Umwegen wie zu Abkürzungen führen.
Auch eine Art, Heidelberg zu erleben... Meine Hochachtung, nach 2000 HM auf 15 km dann immer noch weitere Irrungen und Wirrungen, Aufs und Abs zu durchlaufen. Scheint Dir ja aber Freude gemacht zu haben, das ist die Hauptsache. Ich gratuliere zum Finish und super erfüllten persönlichen Ziel!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Elke
Die Kinder hatten ein langes Wochenende. So konnten wir Heidelberg ausgiebig gemeinsam erkunden - der Vater etwas gründlicher.
LöschenDas hört sich nach einem wirklich interessanten Lauf an :-).
AntwortenLöschenIch wäre ja bei jedem Rennen verloren, wo ich mich selbst um den Weg kümmern müsste. Mein Orientierungssinn hat schon für sehr viel Freude gesorgt. Also bei anderen :-)
Vater Rhein hat es echt drauf. Regeneration ist einfach cool. Ich wünsche dir ganz viel davon.
Liebe Grüße
Helge
Regeneriert habe nicht am Rhein, sondern am Strand von Mallorca - jedenfalls nach dem täglichen Trailrunning ;-)
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