Montag, 21. September 2015

Drei an einem Tag



Eine Woche vor dem Wupperbergemarathon steht am 20. September ein letzter langer Lauf in entspanntem Tempo auf dem Plan. Da bietet sich die Teilnahme am 36 km langen Drei-Halden-Lauf an, der als Gruppenlauf ohne Wettkampfcharakter ausgeschrieben ist. Es lockt dreifaches Gipfelglück, denn wir sollen über die Halden Norddeutschland (105 m), Pattberg (92 m) und Rheinpreußen (102 m) geführt werden.

Am Sonntagmorgen um kurz nach Neun strecke ich meinen noch müden Leib im Rheinpreußen-Stadion aus, und lasse mich von der herrlichen Morgensonne durchwärmen. Als Sitzgelegenheit wähle ich eine Bank, die die einladende Laufgruppe „Die Stolperer“ aufgestellt hat. Denn die Stadiontribünen sind einsturzgefährdet, da der Verein, bei dem wir hier zu Gast sind, bereits sein 100-jähriges Jubiläum feiert. Auch von innen kann ich Wärme zuführen. Denn für meine 10 Euro Start- und 1,50 Euro Nachmeldegebühr bekomme ich neben einem Neopren-Chipband (ausgepreist mit 3,90 Euro) auch noch Verpflegungsmarken im Wert von zwei Euro, die ich direkt in heißen Kaffee und ein Käsebrötchen umsetze.


Nach dem Verzehr wäre ich dann bereit für den Start, der für 10 Uhr angekündigt wurde. Doch jetzt offenbart diese mit ganz viel Herzlichkeit und ebenso viel Freundlichkeit „von Läufern für Läufer“ (O-Ton: Ausrichter) umgesetzte Veranstaltung den einzigen Punkt mit Verbesserungspotenzial. Denn bevor wir laufen dürfen, möchten noch fünf(!) Herren eine Rede halten. Der Versuch der ungeduldigen Laufwilligen, ein Ende herbeizuklatschen, scheitert. Doch dann schlägt ein Veteran im traditionellen Bergmannskittel den Lauf nach Bergmannsart mit einer Glocke an. Und ab jetzt gibt es nichts mehr zu meckern.
 
Repräsentanten des Orga-Teams
Ein Oldtimer-Traktor geleitet uns als Führungsfahrzeug zum Stadion hinaus. Danach übernehmen ganz viele Helfer auf Mountainbikes diesen Job. Hinten folgt ein Kleintransporter (zumindest auf den Kfz-tauglichen Abschnitten), der als Sani- und Verpflegungswagen fungiert. Gebraucht wird er zum Glück nur in seiner letztgenannten Funktion, dafür umso häufiger. Denn jede halbe Stunde wird ein Büfett aus Wasser, Iso, alkoholfreiem Bier, Waffeln, Salzbrezeln, Riegeln, Äpfeln und Bananen kredenzt. Das hat ein bisschen was von Mast.
Führungsfahrzeug
Höhepunkte auf der ansonsten flachen und vielfach asphaltierten Strecke sind natürlich die Halden. Die Himmelsleiter der Halde Norddeutschland wird zuerst begangen. Ja, sie wird begangen. Im Pulk ist kein Laufen möglich. Überhaupt kann man ganz gut die Stau-Entstehung auf deutschen Autobahnen nachvollziehen, wenn man in einem Trupp von 100 Leuten unterwegs ist. Jede Wegverengung und jede Temporeduktion führt im hinteren Feld zwangsläufig zu Stillstand. Davon lässt sich niemand die gute Laune verderben. Die Gruppe bietet jede Menge Unterhaltung. Als es durch die Brennnesseln geht, bittet eine Dame darum, dass die Männer außen laufen. Das wird damit kommentiert, dass Brennnesseln doch gut gegen Cellulite seien, gefolgt von der rhethorischen Frage, warum Männer keine Cellulite hätten. Die Antwort folgt auf dem Fuße: „Weil es Scheiße aussieht!“
 
Himmelsleiter
Auch wenn ich mich nicht am Austausch von solchen Nettigkeiten beteilige, findet sich doch so mancher Gesprächspartner. Seltsamerweise hat man ja heutzutage Freunde bei Facebook, die man noch nie zuvor gesehen hat. So ein Lauf bietet dann Gelegenheit, das zu korrigieren. So treffe ich hier auf Fred, der in Sandalen unterwegs ist. Auf Socken hingegen, und somit unverkennbar, ist wieder der Mitstreiter vom 24-Stundenlauf in Breitscheid dabei. Die vielfältige Ausrüstung im Läuferfeld bietet auch Gelegenheit, meine heute erstmalig ausgeführte, nagelneue „Garmin fenix 3“ direkt mit einer V800 zu vergleichen und mit erfahrenen Fenix-Nutzern zu fachsimpeln. Dabei stellt sich dann oft heraus, dass man vergangene Läufe gemeinsam bestritten hat oder dass man sich bei künftigen Veranstaltungen wiedersehen wird.

Einmal wird das richtig peinlich. Als mein Gesprächspartner meint, mein Gesicht vom Hivernal-Trail zu kennen, erwidere ich scherzhaft: „Ich hatte eigentlich gehofft, du hättest mich nur von hinten zu sehen gekriegt.“ Darauf er trocken: „Kaum möglich, ich wurde Zweiter.“
 
Gipfelglück: Halde Norddeutschland
Die letzte Halde wartet noch mit ein paar Überraschungen auf. Nach der Rast am Fuße des Hügels wird innerhalb des gemütlichen Gruppenlaufes plötzlich doch zum sportlichen Wettstreit aufgerufen. Es wird je ein Preis ausgelobt für die schnellste Bezwingerin und den schnellsten Bezwinger des ca. 950 m langen Aufstiegs zur Halde. Da mache ich gern mit - ob es nun eine Woche vorm Marathon sinnvoll ist oder nicht! Nach dem Anpfiff (sic!) verheddere ich mich kurz im eilig gespannten Startband. Dann stürme ich an zweiter Position auf schwarzer Schlacke aufwärts. Von hinten schiebt sich ein junger Mann vorbei an die Spitze und baut seinen Vorsprung aus. Es folgt Serpentine auf Serpentine. Der Atem rasselt, die Beine brennen. Ich bleibe hinter Nummer Zwei. Als sich der Vierte anschickt, mich zu überholen, reicht es mir. Ich setze zum Spurt an und ziehe am Zweiten vorbei. Will zum Führenden aufschließen. Doch sein eben überholter Vereinskamerad setzt einen Warnruf ab. Derlei informiert, hält mich der Erste auf Distanz. Endlich ist Musik zu hören, dann kommt der Aussichtsturm in Sicht. Das muss der letzte Anstieg sein! Der Führende erlahmt sichtlich und schaut sich immer wieder um. Ich schnaufe heran. Auf der ebenen Zielgeraden kann ich nochmal Meter gutmachen. Unter wiederholtem Umsehen erkennt der schnelle junge Mann die Gefahr, kann ebenfalls nochmal beschleunigen und läuft mit etwas Vorsprung durchs Ziel. Respektvolles Schulterklopfen, für mehr reicht der Atem noch nicht.
 
Gipfelglück: Halde Pattberg
Als ich wieder Luft bekomme, widme ich mich der zweiten Überraschung. Auf der Halde steht ein Aussichtsturm in Form einer Grubenlampe. Habe ich heute schon die Vokabel „Bergmannskittel“ gelernt, so erfahre ich nun noch, dass die Funzel des Bergmanns „Geleucht“ heißt. Das Geleucht hat heute geöffnet, und ich steige hinauf. Oben entdecke ich den Quell der Musik. Zwei Bläser stehen im zugigen Turm und spielen für uns. Was für ein Lauf! Die Aussicht auf rauchende Schlote, Industriebauten, Ruhrschifffahrt und Autobahnbrücken erfüllt alle Ruhrgebietklischees. Mich fröstelt im kalten Wind, ich will weiter. Doch erst ist noch ein Gruppenfoto vorm Turm geplant. Als alle die Arme zur gestellten Pose hochreißen, bin ich plötzlich sehr dankbar für die kühle Gipfelbrise. Denn der kollektive Armwurf hat eine infernalische Wolke Läuferdunstes aufsteigen lassen, die der Wind glücklicherweise rasch abtransportiert, um in der Ferne von unserem sportlichen Tun zu künden.
 
Gipfelglück: Halde Rheinpreußen
Dann wird es lustig. Denn die Läuferschar wird vor Steinen auf dem Weg gewarnt. Hört, hört! Und tatsächlich gibt es gegen Ende ein paar Trailpassagen. Im dusteren, wurzeligen Wald kommt es sogar zu einem Sturz. Trotz des gewaltigen, dumpfen Aufprallgeräusches bleibt er zum Glück ohne gesundheitliche Folgen. Ganz zum Schluss wartet die Strecke sogar noch mit einem „Singletrail“ entlang eines Maisfeldes auf. Inzwischen habe ich meine Lektion gelernt und laufe am vorderen Feldende mit, so dass ich mich noch staufrei einfädeln kann. Und hier vorn spürt man plötzlich ganz deutlich den Stallinstinkt. Mit einem Mal geht es mit der Herde durch. Alle wollen ins Ziel und rennen deutlich schneller als die geplante 6er Pace. Ich selbst mache einen kurzen Stopp an meinem an der Strecke geparkten Auto, um meine Sporttasche zu holen. Derlei ausgerüstet laufe ich direkt in die Umkleide. So werde ich heute doch noch Erster. Der Erste unter der Dusche!
Ziel im historischen Stadion

11 Kommentare:

  1. Sehr amüsant geschrieben, liest sich nach einem abenteuerlichen Lauf der etwas anderen Art - und du mitten drin !

    Auf die " charmanten " Gespräche allerdings könnte ich als Frau verzichten, war wahrscheinlich (noch) nicht anstrengend genug, denn erfahrungsgemäß wird es immer ruhiger, je..........weißt schon !!

    Erster unter der Dusche ist auch was Besonderes !!

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    1. Ja, ich weiß ;-)
      Danke dir, freut mich, dass ich dich unterhalten konnte!

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  2. Fünf Reden bevor man loslaufen darf - auch eine Art von Ultra! Aber ansonsten scheint es ja ganz amüsant und ein Lauf der anderen Art. Und wenn es nicht so auf das Tempo ankommt, bzw. selbiges durch gemeinsames Treppengehen verunmöglicht wird, bestehen auch mehr Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme. Schade, dass Dein Sprint auf die dritte Halde nicht mit dem Etappensieg belohnt wurde, aber unterwegs noch die Sportsachen abholen und dann erster unter der Dusche ist ja auch eine neue Art des Wettkampfs ;-)!
    Wie fiel der Vergleich fenix zu V800 aus?
    Liebe Grüße und viel Erfolg am Sonntag!
    Elke

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    1. Zur fenix werde ich sicher noch mal separat bloggen. Die V800 ist besser ablesbar, hast alles richtig gemacht ;-)
      Danke und Dir auch viel Spaß am Sonntag am Todesberg!

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    2. Danke, ich gebe mein bestes.
      Wo schon die Sieger der ersten und zweiten Austragung sich nicht erneut diesem Lauf stellen ...

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  3. Yippey, erster unter der Dusche. Da war das Wasser wahrscheinlich auch noch warm :-)
    Und immerhin warst du ja zweiter oben auf dem Hügel.
    Was du noch alles so treibst so einen Woche vor dem Marathon.
    Was hast du dir für den Marathon vorgenommen?
    Liebe Grüße
    Helge

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    1. Im Gegenteil, ich hatte anfangs noch das kalte Wasser aus der Leitung!
      Der Marathon hat 1300 Hm und lt. Profil kein einziges flaches Stück - nur rauf und runter. Wenn ich da unter 4 h bliebe, wäre ich wahrscheinlich schon der Held. Zum Vergleich: Der Vorjahressieger hatte ne Bestzeit sub 3h und hat 3:45 gebraucht...

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  4. Absolut genial - der Lauf liest sich so wunderbar schrullig, dass er mir auch gefallen könnte...allein das Orga-Team und der Trompeter auf der Halde hat mir einen Begeisterungsjauchzer entlockt ;))
    Und Erster ist ERSTER! Egal wo ;))

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    1. Die Bläser waren ganz eindeutig der Höhepunkt. Ich meine, die hätten uns ja auch einfach nur laufen lassen können. Stattdessen hat man uns nicht nur üppig bewirtet, sondern auch noch mit Bergsprint und Kulturprogramm überrascht. Hinterher gab es sogar noch eine Tombola. Ich liebe solche Läufe "mit Seele"!

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  5. Echt toll geschrieben!
    So ein gemeinsamer Lauf hat sicherlich etwas. Wüßte nicht, ob es hier auch sowas gebe. Nur als Trainingsläufe soweit ich weiß...

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    1. Danke, Markus!
      Diese Laufidee finde ich auch total gut. Man muss sich halt mit dem Gruppentempo arrangieren.

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