„Sie gehen schnell oder sie rennen langsam, das ist joggen. Es ist die Art, wie 40-jährige Männer ihrer Umwelt mitteilen, dass sie im Moment nichts auf die Reihe bringen.“
Fredrik Backman
in „Ein Mann namens Ove“
Als Jünger
Steffnys liegt meinem Training des Gurus Plan für einen Marathon in 2:59 zugrunde,
den ich ein wenig an meine Ultra-Bedürfnisse angepasst habe. Dabei entstehen
nicht unbedingt größere Umfänge. Ich laufe sogar nur an fünf, statt sechs
Wochentagen. Dafür packe ich die fehlenden Kilometer dann in längere
Wochenendeinheiten. Steffny verlangt einen 10-km-Wettkampf. Ich starte
stattdessen bei meinem ersten Dreiviertel-Marathon.
Der Sengbachlauf feiert
am 23. August 2015 sein 40. Jubiläum. Aus diesem Anlass wird erstmals die
30,9-km-Distanz angeboten und als „Dreiviertel-Marathon“ ausgeschrieben.
Gelaufen wird auf einem schattigen Rundkurs um die Sengbachtalsperre, der etwa 10 km
misst. Je nach Rundenzahl entstehen Wettkampfstrecken von 11,3 km, 21,1 km und
eben der Dreiviertel-Marathon. Auf einer Pendelstrecke wird noch ein 3-km-Lauf
ausgetragen, bei dem die Pulsmesserin antritt. Der Junior wählt die
11-km-Distanz.
Laufpartner Ralf
wohnt um die Ecke und ist mit dem Fahrrad da. Beim Einlaufen offenbare ich ihm
meine Pläne, eine 4:50er Pace zu laufen, um unter 2,5 Stunden zu finishen.
Angesichts der Eintragung „Höhenunterschied 60 m“ in der Streckenskizze auf der Veranstaltungs-Homepage scheinen
mir meine Pläne realistisch. Ralf bezweifelt als erfahrener Sengbachläufer,
dass wir mit 180 Höhenmetern auf den drei Runden auskommen und hält einen 5er
Schnitt für angemessener. Um es vorweg zu nehmen, Ralf wird rund 600 Höhenmeter
mit barometrischer Messung ermitteln. Davon weiß ich am Start noch nichts. Und
als der Sprecher die Teilnahme von 150 Startern verkündet, meine ich optimistisch
zu Ralf: „Dann müssen wir auf Platz 15 laufen, um unter die ersten 10 Prozent
zu kommen!“
Offenbar habe ich
Ralf mit meinen ambitionierten Plänen eingeschüchtert. Bei Kilometer Drei
passieren wir eine Gedenktafel für einen Läufer, der hier bei der Ausübung
seines Hobbys starb. Eigentlich ein schöner Tod. Doch Ralf möchte heute nichts
riskieren und lässt mich vorsichtshalber ziehen. Als mich ein passend zu seinem
Haarton gekleideter Herr in weißem Gewand überholt, begebe ich mich auf dessen
Fährte. Irgendwann auf der ersten Runde kann ich den „Weißen Mann“ sogar wieder
abhängen.
Stattdessen folgt
nun mir ein blaues Hemd wie ein Schatten. Sein Träger geht gelegentlich
längsseits und beeindruckt mit seiner ruhigen Atmung, während ich schon hörbar
schnaufe. „Der muss noch ordentliche Reserven haben!“, denke ich mir noch. Da
kommt auch schon das dicke Ende der Runde. Von der Staumauer geht es jetzt
steil bergan, und der Blaue, als Lokalmatador vom Publikum namentlich
angefeuert, zieht auf und davon.
Ein Blick zur Uhr
stimmt mich wieder versöhnlich. Gut 48 Minuten sind seit dem Startschuss vergangen,
und ich bin damit innerhalb meiner zeitlichen Vorgabe. Während ich so zufrieden
und allein mit mir durch den Forst trotte, verschleife ich scheinbar des Tempo.
Woran ich das merke? Der „Weiße Mann“ überholt mich! Ich habe mich innerlich schon
geschlagen gegeben und liege einige Schritte hinter ihm. Da rufe ich mich zur
Ordnung. „Das ist hier ein Wettkampf. Da kannst du dich ja wohl mal ein bisschen
quälen und wenigstens versuchen dranzubleiben!“ Ich gehorche mir. Nachdem wir
eine Weile im Duo an der Talsperre entlangpreschen, lässt Weiß plötzlich nach
und bleibt zurück. Ist ja heute hier wie beim Schach. Weiß beginnt, Schwarz
gewinnt!
Mein einsamer
Lauf wird durch schnelle Schritte unterbrochen, die von hinten nahen. Der
führende 11-Kilometer-Läufer schießt vorbei. Dann kommt eine ganze Zeit niemand
mehr. Erst am Ende der zweiten Runde ziehen Platz Zwei und Drei vorüber.
Erstaunlicherweise laufe ich recht lange mit dem Drittplatzierten gemeinsam den
Anstieg nach der Staumauer hinauf. „Vielleicht sollte ich hier mal beim Elfer
mitmachen?“, denke ich voller Übermut.
Die gute Laune
wird noch durch einen Blick zur Uhr am Rundenende gesteigert. Wenn ich so
weiter laufe, bin ich nach 2:25 im Ziel. Perfekt! Bald überhole ich das
Besenfahrrad. Danach wird es etwas abwechslungsreicher, denn ab jetzt kreuze
ich permanent durch ein Gemisch aus Elfer-Startern und Halbmarathonis. Aber
auch ein 30er rückt irgendwann ins Blickfeld. Wie gut, dass der Mann seine
Startnummer am Band nach hinten gedreht hat! So gibt er mir wieder ein Ziel.
Bald ist er überholt. Doch ich kann sogar noch einen weiteren Platz gutmachen.
An einem Anstieg geht ein Athlet von fit wirkender Statur. Vermutlich hat er
sich auf den ersten beiden Runden verzockt. Und dann steht da noch eine Frau
mit roter 30er-Nummer am Streckenrand und hält ein Schwätzchen. Nun ja, sie
habe ich dann wohl nicht überholt, sondern überrundet. Denn vor mir laufen heute
keine Frauen.
Zum letzten Mal
quäle ich mich den Hang von der Staumauer hinauf. Ein paar Zuschauer fragen, ob
das schon meine dritte Runde sei. Als ich nicke, zeigen sie sich beeindruckt. Na,
das tut mal gut! Dummerweise ist der Berg diesmal aber nicht am Rundenbeginn zu
Ende. Jetzt gilt es, noch weiter hinauf und zurück zum Start zu rennen. Beim
Endspurt zeigt sich mal wieder, dass ich unterwegs zu sparsam war und noch Energie
vorhanden ist. Schade. Dennoch bin ich mit der Zeit von 2:24:23 überaus
zufrieden. Immerhin entspricht das einer Pace von 4:40. Und der Lauf hat sich damit
von Anfang bis Ende gut angefühlt. Die Platzierung hingegen ist eher
enttäuschend. AK-Platz Vier und Sechzehnter im Gesamteinlauf. Knapp am virtuellen
AK-Treppchen vorbei und ebenso knapp an der 10-Prozent-Hürde gescheitert! Die
Familien-Ehre wird aber von Frau und Sohn gerettet, die beide ihre Altersklasse
gewinnen.
Geehrt werden die
Altersklassen-Sieger seltsamerweise nur im Elfer-Wettkampf. Unter den derart Bejubelten
ist auch der Gewinner der M80. Diesen strahlenden Sieger hätte ich auf
allerhöchstens 65 Jahre geschätzt.
Auf dem Heimweg
schiebt sich eine ältere Dame in Begleitung, auf ihren Rollator gestützt, an
mir vorbei. (Um Missverständnissen über meinen Nachwettkampf-Zustand
vorzubeugen: sie kommt mir entgegen.) Dabei schnappe ich einen Gesprächsfetzen
auf. „Und nach dem Marathon habe ich mich schnell gekämmt und bin Tanzen
gegangen.“
Was muss ich tun,
damit meine Laufkarriere eher auf einem M80-Siegerpodest, als hinter einem Rollator
endet?
*Foto by Ralf L.
Glückwünsche an die ganze Familie zum erfolgreichen Laufen!
AntwortenLöschenWas ich mich frage, wie werden aus der Veranstalterangabe zu den Höhenmetern dann plötzlich so viele?
Ich finde es immer höchst bewundernswert, wenn Menschen jenseits des üblichen Rentenalters weiterhin so fit sind. Ich wünschte, das wäre bei mir auch so...
Ein Rezept für Dich also: Immer schön irgendwo mitlaufen, wo Du Frauen überholen kannst. Die spornen Dich ja gewaltig an und das hält dann fit. Am besten also gleich mal bei einem Frauenlauf mitrennen :-)
Na Spaß gemacht. Wenn ich das Rezept kennen würde, hätte ich sicher eine gute Geldquelle für meinen Lebensabend ;-)
Liebe Grüße
Elke
Danke für die Glückwünsche, Elke!
LöschenVermutlich meint "Höhendifferenz" einfach den Unterschied zwischen tiefstem und höchstem Punkt. Mittlerweile gibt es auf der Homepage ganz prominent ein richtiges Höhenprofil http://www.sengbachlauf.de/ Danach hätte der Lauf 670 Hm.
Also über deine Laufkarriere in der M80 solltest du dir keine Sorgen machen. Wahrscheinlich wirst du dann immer noch alle möglichen und unmöglichen Ultras und Marathons laufen :-)
AntwortenLöschenUnd gewinnen.
Herzlichen Glückwunsch an die ganze Pulsmesser Familie.
Von einem dreiviertel Marathon hatte ich übrigens auch noch nie gehört. Was es nicht alles gibt ... :-)
Liebe Grüße
Helge
Jetzt bin ich beruhigt, Helge! Danke!
Löschen