Zum Glück sind auch kürzere Strecken wohlfeil. Ich werde für die 10 km nachgemeldet. Meine Startunterlagen werden mir ins Haus gebracht. Ich muss also nur noch hinfahren und loslaufen!
Geparkt wird auf einer großen Wiese (direkt am Ortsrand von Ortrand, aua!) unmittelbar am Start-/Zielgebiet. Den Autos entsteigen Sportler mit Stöcken. Erwarten uns alpine Anstige, die wir nun mangelhaft ausgerüstet zu bewältigen haben werden? Meine Geografie-Kenntnisse und ein Blick auf die nicht ganz so stark ausgemergelten Stockträger rufen die Ausschreibung in Erinnerung: es sind auch Walker zugelassen! Eine nahe Sporthalle bietet Umkleiden, Duschen und Toiletten (Pro-Tipp: WC's ohne Anstehen gibt es versteckt auf der Galerie). Und direkt vor der Halle laufe ich mich auf der Aschenbahn warm, nachdem die Tochter auf ihre Langstrecke verabschiedet ist.
Gleich nebenan steht der Start- und Zielbogen. Dort wird es recht eng, denn 10 und 15 km werden gemeinsam gestartet. Außer den Läufern stellen sich auch noch die Wanderer mit auf. Ich möchte mich doch gern vor den Gehern im Feld platzieren und finde überraschend einen Bypass zu denen Absperrungen, der mich bis ganz nach vorn an die Startlinie bringt. Dort erhalte ich einen ordentlichen Rüffel von einer Ordnerin. Ich hatte versehentlich die Zieleinlaufgasse für den 5-km-Wettbewerb in Gegenrichtung benutzt!
Nun stehe ich gleich ein wenig zu weit vorn, habe ich mir doch nur eine Pace von 4:50 min/km vorgenommen. Mein Ruhejahr hat ganz schön an der Form genagt, so dass ich mit einer Zielzeit von sub 48 min zufrieden sein will. Doch das Feld sortiert sich schnell. Anfangs sind noch ein paar Sportler um mich herum, die ich vermutlich mit meiner Suche nach der Ideallinie verrückt mache. Dann verlassen uns die 15-km-Aspiranten, und ich bin recht einsam unterwegs.
Den Charakter des Laufes kann ich schwer einschätzen. Ich trage Trailschuhe, weil ich in Laufberichten von Schlamm und "schwieriger Strecke" gelesen hatte. Straßenschuhe wären aber auch ausreichend gewesen. An Untergründen wird vieles geboten: Asphalt, gepflasterter Wirtschaftsweg, Waldautobahn, Sand und sogar ein gewundener Pfad entlang eines baumbestandenen Bachlaufes. Vielleicht ist "Landschaftslauf" die passende Überschrift.
Unterwegs passiert nicht viel. Ich überhole eine kleine Gruppe nach etwa 3 km. Dann erschrecke ich, als furchtbar spät ein "4 km"-Schild auftaucht. Erleichtert lese ich beim Näherkommen den kleingedruckten Zusatz "Nur noch". Die 4- und 5-km-Marken habe ich also verpasst.
Ausgerechnet auf dem engen Pfad am Bach laufe ich noch einmal auf zwei Mitstreiter auf und stecke eine Weile fest. Ganz reicht es aber nicht zur Bezeichnung "Single Trail", so dass ich doch eine Möglichkeit zum Überholen finde.
Brav prüfe ich meine Zwischenzeiten und bin immer im Soll oder leicht darunter. Erst bei Kilometer 8 gucke ich auch mal auf die Gesamtzeit. Was?! Meine Hochrechnung ergibt ein mögliches Finish unter 46 Minuten! Nun kitzelt mich doch der Ehrgeiz. Ich beschleunige. So weit mir das möglich ist. Die Wettkampfhärte ist mir abhanden gekommen. Also Tunnelblick und speicheltriefende Lefzen braucht der Leser sich jetzt nicht vor's innere Auge zu rufen. Dennoch wird es immer besser! Ein letzter Blick zur Uhr 200 m vorm Ziel signalisiert: sub45 sind auch noch drin!
Hurtig nehme ich den Abzweig in die Zielgeraden, und höre aus dem Lautsprecher: "... legt sich in die Kurve und jetzt reißt er die Faust hoch!" Grund für den Jubel sind die Zielzeit von 44:33 min und der zweite Platz in der neuen Altersklasse M55.
Später stößt der Nachwuchs genauso glücklich dazu, hat sie doch die bisherige Schallmauer von 27 km durchbrochen und nebenbei Platz 2 ihrer AK, nein der W45 belegt.
Stolz lassen wir uns die wirklich schönen "Medaillen" umhängen. Das Gebimmel nervt zwar auf dem Weg zum Auto, aber wir beschließen, dass wir uns vom selben Veranstalter auch noch die Spreewaldgurke und die Schneeflocke verdienen wollen.