Sonntag, 7. Oktober 2018

Hollands härtester Halber: Häufig höchste Halde hurtig hinauf - Wilhelminaberg Trappenmarathon

Über überraschten Überraschungssieger, der auf einer Treppe auf's Treppchen läuft

Der Junior gewinnt auch, wenn er nicht startet. Als 400. Voranmelder bekommt er ein Handtuch, bestickt mit dem Logo des Wilhelminaberg Trappenmarathons. Auch bei dieser Veranstaltung hat er mich von der Marathondistanz auf den Halbmarathon heruntergehandelt. Gemeinsam wollten wir Stufe um Stufe 21-mal die Halde erklimmen.

Wegen seiner Verletzung bin ich allein hier und ihm sagenhaft dankbar für die Streckenhalbierung. Denn nicht eine einzige Treppe hatte ich im Vorfeld zumTraining besucht. Und die Oberschenkel brennen noch vom Feiertagssieg. Allein die Begeisterung für den Hivernaltrail und den Coriotrail hat mich hergetrieben. Denn dieser Treppenlauf, ausgeschrieben als "Hollands härtester (Halb-)Marathon", ist der dritte Wettkampf, den der sympathische Organisator auf die Beine stellt.

Treppe von oben

Die Königsdisziplin ist "Last Man Standing". Dabei gilt es, innerhalb von 9 Stunden so oft wie möglich die Treppe zu erklimmen. Mindestens ist jedoch die Marathondistanz zu schaffen. Der Marathon ist noch einmal eigener Bewerb, genauso wie je ein 10-, 5- und 1-km-Lauf.

Hollands längste Treppe mit ihren 508 Stufen ist mir schon vom Hivernaltrail bekannt, wo sie direkt zu Beginn den ersten Anstieg bildet. Mit ihren 80 (je nach Quelle auch 90) Höhenmetern zwingt sie bei diesem Trailrun den unten optimistisch zwei Stufen Nehmenden in der Mitte zu einer Reduktion auf eine Stufe. Spätestens oben gehen dann alle.

Aus dieser Erfahrung heraus will ich von Anfang an aufwärts gehen. Doch zunächst rennen wir bergab, denn Start und Ziel liegen auf dem Gipfel. Auf einem geschwungenen Pflasterweg werden wir talwärts geleitet, bis wir im unteren Haldenbereich auf die Treppe stoßen und diese bis zur Talsohle nehmen müssen. Unten umrunden wir einen kleinen Teich. An dessen Ufer gibt es einen Zuschauerbereich, einen Massage-Punkt und vor allem einen DJ, der einen nach der Wende mit seinen fetten Bässen die ersten Stufen quasi hinaufdrückt. Das macht richtig Laune. Und am oberen Ende empfängt einen der Moderator. Ich verstehe nicht wirklich, was dieser sagt. (Das wird noch Auswirkungen haben.) Aber langweilig wird es hier jedenfalls nicht.

Unterer Wendepunkt
Auffällig ist ein Läufer mit asiatischen Wurzeln wegen des großen Rucksacks, den er mitschleppt. (Es gibt auf der Runde einen VP, also aller 1000 Meter Versorgung.) Auch sein Laufstil ist seltsam, dreht er sich doch ständig um und wirkt gehetzt. Tatsächlich überhole ich ihn stets talwärts, während er treppauf an mir vorbeisprintet. Ich gehe nur zügig, nehme aber zwei Stufen auf einmal.

Auch abwärts überspringe ich jede zweite Stufe. Anfangs hatte ich trippelnd jede Stufe genommen. Das war zwar sicherer, dauerte aber einfach zu lange. Bei meiner "Doppelstufenstrategie" spielen mir die tiefstehende Sonne und mein Gehirn einen Streich. Man weiß ja von Kühen, dass sie diese im Boden eingelassenen Weideroste nicht überqueren können. Mir geht es beinahe so mit den Treppenstufen, die jeweils in einen schattigen und einen sonnigen Bereich geteilt sind. Dadurch erscheinen sie meinem Unterbewusstsein als zwei Stufen. Ich muss hier mit aktivem Nachdenken gegensteuern und strauchele trotzdem gelegentlich.

Haldenspitze

So richtig ins Stolpern bringt mich aber erst ein Mitläufer, der plötzlich die Arme ausbreitet und mich so fast niederstreckt. Ich klammere mich an seiner ausgestreckten Extremität fest, bis meine Füße wieder Halt finden. Nochmal gutgegangen!

Nach der fünften Runde vermisse ich meinen asiatischen Begleiter. Seine Bergsprints bleiben jetzt aus. Ich hingegen komme langsam in einen Rhythmus. Beim Start hatte ich ganz hinten gestanden und war es verhalten angegangen. Somit fiel die erste Runde mit 8 Minuten am langsamsten aus. Zu Hause hatte ich abgeschätzt, dass ich zwischen 2:30 und 3 Stunden für die ausgeschriebenen 1800 Hm benötigen dürfte. Wenn ich weiterhin unter 8 Minuten bleibe, kommt das genau hin.

Die achte Runde wird mit 7:04 meine schnellste. Ich gerate in den Flow. "Gleich hast du die Hälfte und bist 'über den Berg' (haha)!" Und dann renne ich wohl eine Weile in Trance. Wie immer drücke ich auf der Haldenspitze die Rundentaste und erwarte, meine zwölfte Runde abzuschließen. Da sind es schon 14! Überrascht überprüfe ich die Kilometer. Tatsächlich, auch 14! Die positiven Gefühle verstärken sich weiter.

Trappenmarathon

Lustig sind auch die nächsten Begegnungen mit dem berucksackten Läufer. Ich überrunde ihn noch zweimal. Jedesmal guckt er sich hektisch um, wenn ich hinter ihm auftauche, und legt einen kurzen Zwischensprint ein. Ob es was Persönliches zwischen uns beiden ist?

Bergab lasse ich es mitlerweile krachen. Die ursprüngliche Sorge, dass es abwärts besonders schmerzhaft werden könnte, bestätigt sich glücklicherweise nicht. Das bleibt dem Aufstieg vorbehalten. Hier nehme ich inzwischen gelegentlich das Geländer zu Hilfe. Ich habe mir sogar von den Vorjahresbildern einen Profitrick abgeguckt und einen Handschuh dabei. Tatsächlich ist die Metall-Reling erstaunlich kühl, aber bei den heutigen 25 Grad benötige ich den textilen Kälteschutz nicht.

Irgendwie waren meine morgendlichen Bergläufe mit jeweils etwa 1000 Hm im Sommerurlaub nicht völlig sinnlos. Sie sind jedenfalls das Einzige, was ich heute als Training vorzuweisen habe. Und so bin ich selbst erstaunt, dass ich bis zum Schluss meiner "Doppelstufenstrategie" sowohl ab- als auch aufwärts treu bleiben kann.

Unterer Hotspot mit Blick auf die Treppe

Nach 2:37:34 darf ich den roten Teppich betreten, mit dem die zusätzlichen Stufen, die zur Haldenspitze führen, ausgelegt sind. Oben erwarten mich Jubel und eine Pressefotografin. Als ich nach einer Weile den wohlmeinenden Kommentatoren zu bedenken gebe, dass ich des Holländischen nicht mächtig bin, ruft man mir zu: "You are the winner!" Völlig perplex gebe ich ungläubig zurück: "I'm the winner?" Und dann, als ich es realisiere: "I am the winner!" Daraufhin möchte die Pressefrau die Fotos nochmal machen. Eine andere Frau will ein Selfie mit mir! Vermutlich werde ich demnächst im Alkohol- und Drogenrausch mein Hotelzimmer demolieren.

Doch zunächst muss ich mit den zerstörten Beinen erstmal irgendwie diesen Berg wieder runterkommen.

Siegprämien





11 Kommentare:

  1. Na dann mal ne Runde Queen auf der Heimfahrt einlegen und mitgrölen ;)
    Herzlichen Glückwunsch

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    1. Vielen Dank! "Einlegen" ist ja fast schon ein historischer Begriff im MP3-Zeitalter.

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  2. Jesses, Bergrennen in Holland können ganz schön fordernd sein. Glückwunsch zum Sieg! Du bist ganz schön unterwegs in Sachen Rennen, und nächstes Jahr die 9-Stunden-Nummer?
    Liebe Grüße
    Elke

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    1. Danke! Ich denke, der Marathon dürfte erstmal reichen. Allerdings müsste ich dafür definitiv Treppentraining absolvieren!!! Während des Wettkampfes und direkt danach ging es mir ja noch vergleichsweise gut (der Drittplatzierte hatte Krämpfe, der Zweitplatzierte kam die Treppe nicht mehr runter). Aber die beiden Tage nach dem Lauf sind Hölle. Die Beine fühlen sich an wie nach dem ersten Marathon ...

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  3. YOU ARE THE WINNER - und du hast nichts gemerkt - mal ganz was anderes. Glückwunsch - mein lieber Herr Gesangverein, da geht die Post ab bei dir, Schlag auf Schlag - sag' ich doch ! Und jetzt Erholung ? Schaden könnte es nicht, bis du .................

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    1. Danke - ja, jetzt ist Pause bis zum Stralsund-Marathon. Den laufe ich aber nur als Trainingslauf.

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    2. ..............ob ich das glauben kann ?

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  4. Hallo Pulsmesser,

    du bist echt unmöglich. Ich wollte nächstes Jahr mal etwas kleiner Brötchen backen. Der Spartathlon-Finish letzte Woche war da ein guter Vorsatz mir und den lieben Meinen einzureden, es gitbt ja auch noch andere schöne Dinge wie Training. Aber bei Treppenlaufwettbewerben werde ich einfach hörig. Und nachdem im dieses Jahr in Reken den Treppenhausmarathon, und die Jahre zuvor in Hannover, Radebeul und am Niesen soviel Spaß am "treppeln" hatte, gibt es für 2019 nach deinem Bericht eigentlich nur noch ein "Bis zum letzten Mann" (oder auch Last Man standing, wie geil klingt das den) Leider kann ich überhaupt kein Holländisch, aber als Sieger werde ich dort eh nicht bei "Lauf bis zum Umfallen".

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    1. Hallo Klaus, Glückwunsch zum Spartathlon-Finish! Die Veranstaltung am Wilheminaberg kann ich dir nur empfehlen! Viel reden musst du dabei ja nicht. Und der Organisator spricht auch Deutsch und Englisch.

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  5. Ich hoffe, du hast das mit dem Alkohol und Drogenrausch gelassen. Und bevor du ein Hotelzimmer demolierst, schön dran denken, das das teuer werden kann.
    Wobei so ein VIP es sich ja meistens leisten kann :-))))
    Cool, Gewinner zu sein ohne sich dessen vorher bewusst zu sein.
    Aber den armen Asiaten haste wahrscheinlich zerstört ... und dabei hatte der doch schon genug mit sich rumzuschleppen :-)))
    Glückwunsch dem Sieger. Oder besser: Congratulations!!!
    Liebe Grüße
    Helge

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    1. Thank you, Helge! Glücklicherweise war ich morgens direkt zum Start gefahren und hatte gar kein Hotelzimmer. So kam ich nicht in Versuchung.

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