Meine neue Liebe wird schnell anstrengend |
Ich habe die Neanderland-Umrundung über 246 km in 4 Etappen aufgeteilt, die ohne Ruhetag zu laufen sind:
Da sich seit den Tagen des Neandertalers die Erschließung des Neanderlands mit öffentlichen Verkehrsmitteln etwas verbessert hat, entschließe ich mich zu einem Standquartier in Ratingen und minimiere dadurch Organisationsaufwand und Laufgepäck.
Neanderlandsteig - Etappen und Zuwege |
Nach Süden nach Süden
Schöner könnte mein Laufurlaub nicht beginnen! Da mich die erste Etappe in Richtung Südpol des Neanderlandes führt, laufe ich den ganzen Tag der Sonne entgegen. Und die scheint so intensiv vom wolkenlosen Himmel, dass ich die minus drei Grad des "Märzwinters" mit seinem starkem Nordost-Wind gerne in Kauf nehme. Ich werde heute brauner als letztens auf Mallorca.
Palmenstrand am Unterbacher See bei minus 3 Grad |
Und die lasse ich mir nicht trüben. Als ich ein Dreh-Gatter in einem Zaun passiere, weist ein Schild auf frei lebende Wildtiere in diesem Bereich hin. Hunde seien daher anzuleinen. Kaum habe ich das gelesen, schießt ein schwarzer Hund von rechts nach links aus dem Unterholz über den Weg. Aus zahlreichen Begegnungen mit Hunden und ihren Haltern habe ich die Erkenntnis gezogen, dass ein Ansprechen der Besitzer sinnlos ist und nur dazu führt, dass ich mich aufrege. Also weiter.
Nur wenige Hundert Meter vor mir geht der nächste Gassigänger leinenlos. "Ruhig, Pulsmesser, du sagst nichts!" Kaum habe ich das Duo passiert, springt mich der große Schäferhund bellend von hinten an. Ich lasse mich stellen. Dann kann ich nicht anders und weise den Halter höflich auf das Schild hin. Im selben Moment nehme ich das dudelnde Radio an seinem und die Alkoholfahne aus seinem Hals wahr. Die Erfahrung bestätigt sich ein weiteres Mal. Ich wende mich ab und laufe weiter: "Ich lasse mir meinen Laufurlaub nicht versauen!"
Ganz im Süden des Neanderlandes geht es offenbar etwas kultivierter zu. Ich treffe nacheinander drei Hundehalter, die ihre Tiere an der Leine führen! Ich staune ob des seltenen Anblicks.
Märzwinterfarben am Südpol des Neanderlands |
Die wasserreiche Etappe leitet zunächst am Unterbacher See und Elbsee vorbei, bevor sie später an den Rhein führt. Ein kürzerer Lauf in Gegenrichtung lehrte mich einst, dass ich mit einem VP rechnen kann. Tatsächlich materialisiert sich etwa zur Halbzeit zwischen dem Buschwerk ein Mc Donalds. Selten habe ich mich über den Anblick des großen M's so gefreut.
Als es nach 50 Kilometern gerade etwas anstrengend zu werden droht, lädt Aral zu einer spontanen Rast ein. Ich lerne, dass man dort den Kaffee 10 Ct billiger bekommt, wenn man seinen eigenen Becher mitbringt.
Da der S-Bahnhof Langenberg nicht direkt am Steig liegt, muss ich am Etappenende noch knapp 3 km der Straße folgen. Trotz aller Belastung bin ich schneller als die Pendler im Stau neben mir.
Die teuersten 3 Kilometer meines Lebens
Als mich die S-Bahn am nächsten Morgen bei Wind und bitterer Kälte wieder in Langenfeld ausspuckt, setze ich einen nächtlichen Entschluss um. Ich springe ins nächste Taxi und lasse mich dorthin fahren, wo ich am Vortag den Neanderlandsteig verließ. Im morgendlichen Stau wäre ich zu Fuß wohl wieder schneller gewesen, aber ich genieße die herrliche Wärme im Auto und ruhe mich noch ein paar Minuten aus. Mein Ziel ist, den Neanderlandsteig komplett abzulaufen. Sinnlose Zuweg-Kilometer sollen es nicht gefährden. Insofern halte ich die 10 Euro Taxigeld für gut investiert.
Schloss Laach |
Am Schloss Laach setze ich die ersten Schritte in den frisch gefallenen Schnee. Nach einiger Zeit kommt wieder die Sonne durch, ich aber komme heute scheinbar nicht vom Fleck. Nach 25 km weist ein Schild zu meinem Startpunkt, dem Bahnhof Langenfeld, in nur 1,1 km Entfernung! Und nach 30 km steht immer noch Langenfeld auf einem Ortsschild. Der Steig umkreist den südlichsten Ort und führt mich später in die Hildener Sandberge und durch die Ohligser Heide. Ich bin auch ein Stück auf der Strecke der Hildener Winterlaufserie unterwegs, die mich 2014 zu einer Bestzeit beflügelte.
Die Sherpas haben Fixseile angebracht |
Krankenhausaufenthalt
Mitten im Wald sehe ich plötzlich Unmengen von parkenden Pkw's. Das Rätsel löst sich kurze Zeit später. Der Parkplatz gehört zu einer Klinik am Waldrand. Da ich gerade die Hälfte der heutigen Distanz in den Beinen habe, benutze ich die dortige Cafeteria als VP.
Bei Solingen kommt mir der Kurs recht bekannt vor. Vor zwei Jahren lief ich dort zweimal "Rund um Solingen". Auch in diesem Jahr will ich an dem 100-km-Freundschaftslauf teilnehmen.
Sandklippen |
Genau mit meinem Eintreffen am Bahnsteig von Haan/Gruiten erreicht der Zug den Halteort. Ich springe aus vollem Lauf in den Wagen und umwehe die Mitfahrer mit meinem Odeur.
Der Fuchs
Der für den Morgen prognostizierte Nebel hält sich leider hartnäckig den ganzen Tag. Vom Bergischen Land ist auf der heutigen Etappe nicht viel zu sehen.
Dorf Gruiten |
Obwohl die Temperaturen in den Plusbereich gestiegen sind und sich der Wind gelegt hat, friere ich die ersten drei Stunden. Offenbar fühlt sich sonnenlose, feuchte Luft kälter an. Vielleicht laufe ich mittlerweile auch nicht mehr schnell genug, um richtig warm zu werden. Auf jeden Fall bin ich froh, dass bei einer Straßenquerung etwa zur Halbmarathon-Distanz eine Star-Tankstelle als wärmende Labestelle bereitsteht.
In den letzten beiden Tagen hatte ich schon einiges an Wildtieren beobachten können. Feldhase, Reh, Rotmilan, Buntspecht, Reiher, Zaunkönig und Kleiber gehörten dazu. Doch Reineke Fuchs ist der erste, der Blick-Kontakt mit mir aufnimmt und hält. Er beobachtet mich so lange regungslos, bis ich es endlich geschafft habe, mein Smartphone hervorzuholen, um den seltenen Moment festzuhalten.
Der Fuchs |
Der gelbe Sack
Die letzte Etappe starte ich mit der Gewissheit, dass ich den Etappenlauf tatsächlich ohne Ruhetag finishen werde. Doch habe ich die Rechnung ohne das Wetter gemacht. Es regnet bei 2 Grad und der Wind hat wieder aufgefrischt. Von der Regenjacke trieft die eisige Brühe genau in meinen Schritt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich bereits mit Sitzbädern eine Blasenentzündung kurieren. Mir wird klar: das halte ich nicht den ganzen Tag aus. Also werde ich kreativ. Ich habe ja Zeit zum Nachdenken. Ich muss nur einen alten Müllsack finden! Rettung bringt der Zivilisationkontakt in Form eines Waldkindergartens. Dort spendiert man mir einen Gelben Sack, dessen Boden ich aufreiße. Dann steige ich hinein und stopfe den oberen Rand in den Hosenbund. Regenjacke drüber - fertig! Der Schmutzsack wird zum Schutzsack. Der Schutzsack dient als Sackschutz. Einst trug der Mann den Gehrock, ab jetzt trage ich den Laufrock! Alle Welt verteufelt die Plastiktüte. Mir rettet sie heute - im Wortsinne - den Arsch.
Laufrock statt Gehrock |
Da ich kaum jemanden treffe, ist die Optik ohne Belang. Helmut Kohl sprach damals vom "Freizeitpark Deutschland". Offenbar sind wir davon (noch oder wieder) weit entfernt. Oder die Leute verbringen ihre Freizeit wochentags nicht im Wald. Jedenfalls beschränken sich meine seltenen Begegnungen im Wesentlichen auf Hundehalter. Dazu kommen noch ein paar Reiter und Spaziergänger sowie erstaunlich wenige Läufer.
Krankenhäuser werden offenbar ganz gerne an den Waldrand gestellt. Nach 27 km bildet heute die Rhein-Ruhr-Klinik den VP und taut mich mit einer heißen Tomatensuppe auf.
Das Ende naht
Die letzte Etappe endet zum Glück flach. Anstiege laufe ich schon seit gestern nicht mehr. Aber in der Ebene trabt es sich noch erstaunlich gut. Schwierig wird es paradoxerweise durch meine Streckenkenntnis auf diesem Segment. Dadurch verlaufe ich mich heute zwar ausnahmsweise nicht, muss aber gegen die vielen Versuchungen zum Abkürzen ankämpfen. Aber ich will ja den Neanderlandsteig einmal komplett gelaufen sein.
Bachtal im Ratinger Norden |
Die großen Gefühle bleiben aus. Die hatte ich unterwegs.
Mannomann, da hast Du aber eine Strecke gerockt! 4 Tage hintereinander ohne Pause - und dann noch munter Natur- und Kultubeobachtungen anstellend unterwegs! Ich glaube, das wird Dein Laufjahr! Grund genug für große Gefühle am Ziel wäre auf alle Fälle gewesen, aber wenn Dir selbige schon unterwegs zuteil wurden, umso besser. Der Taxifahrer wird wahrscheinlich länger an seinen Fahrgast denken, der sich im Läuferornat chauffieren ließ. Und wahrscheinlich konnte der Fuchs kaum glauben, was er da sah, schönes Foto. Dein kreativer Ausbruch in Sachen Läuferaccessoire ist natürlich der Hammer! Da hätte ich mir ja gar keinen Laufrock extra kaufen müssen, wenn man die bei der kommunalen Abfallwirtschaft beziehen kann ;-)
AntwortenLöschenKlasse gemacht, ich winde Dir einen (virtuellen) Lorbeerkranz und hoffe, so kurz nach Deiner Grippe kommt da nichts nach.
Gute Regeneration und liebe Grüße
Elke
Vielen Dank, Elke! Die Gelben Röcke werden sogar kostenlos von den Kommunen abgegeben.
LöschenMeine Güte ... mein ohnehin schon gehobener Respekt vor deinen Leistungen wächst nochmals, in vier Tagen die komplette Strecke, das unter diesen Wetterbedingungen unglaublich! Das eine oder andere Teilstück hatte ich ja auch bereits (bei schönem Wetter) unter den Laufschuhen, ich weiß also ganz gut wo die schmerzhaften Stellen sind, andererseits ist es aber auch ein toller Laufpfad.
AntwortenLöschenErhol dich ausreichend! Tolle Aktion!!
Danke, Oliver. Mach ich. Werde den Steig mal ein paar Tage meiden ...
LöschenRespekt! Was für ein Brett!
AntwortenLöschenUnd jetzt regeneriere dich erstmal ein wenig :-)
Ja, das ist jetzt nötig.
Löschen246 km an 4 Tagen. Respekt.
AntwortenLöschenUnd das bei diesem Mist-Wetter.
Zum Glück gibt es Krankenhäuser, Tankstellen und amerikanische Fast-Food Ketten zum Aufwärmen und Verpflegen :-)
Schicken Rock hast du da. Eventuell könntest du in Modebranche wechseln: design aus Plastik oder sowas.
Liebe Grüße
Helge
Upcycling heißt das wohl neudeutsch.
LöschenSo ein bisschen Infrastruktur ist ganz hilfreich. Zumindest am ersten Tag wären mir sonst die Getränke knapp geworden.
sehr gutes Projekt! weiter so! Bernd
AntwortenLöschenDanke, Bernd! Mach ich ;-)
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