Erst rennst du, zwei Stufen auf einmal
nehmend. Dann reicht die Kraft nur noch für eine Stufe. Und oben musst du
gehen. So gestaltete sich der Auftakt zum Hivernaltrail bei meinen letzten
Teilnahmen, als es gleich zu Beginn die längste Treppe Hollands am
Wilhelminaberg zu erklimmen galt. Diesmal bin ich schlauer und gehe konsequent
von unten bis oben. Trotzdem finde ich mich auf der Haldenspitze an dritter
Position wieder!
Die letzten Tage hatte ich mich nicht
besondes gut gefühlt. Deshalb wollte ich heute den Schonwaschgang einlegen und
gemütlich fotografierend dahintraben. Aber die Aussicht auf einen dritten Platz
reizt mich jetzt irgendwie doch. Da die beiden Führenden ganz plötzlich aus
dem Sichtfeld verschwunden sind, folge ich den neongrünen Pfeilen und staune
über die sehr coolen Singletrails. Früher verlief die Strecke anders. Dann
kommt mir alles wieder bekannt vor – verdächtig bekannt! Das ist doch der Weg
zum Zieleinlauf! Nun ja, diesmal laufe ich ja die 50 km, und nicht die 30.
Vielleicht gibt es da eine Einführungsschleife? Schließlich rennen mir ja noch
mindestens zwei Andere hinterher.
Nach gut vier Kilometern bin ich wieder
am Start, wo sich gerade die Aspiranten der nächsten Distanz unter dem Bogen
versammeln. Die Verantwortlichen zeigen wenig Interesse an meinem Missgeschick
und dem meiner Nachfolger. Frust! Aber nach vier Kilometern wieder nach Hause
zu fahren, ist auch keine Option. Der wahre Ultra nimmt eben erstmal vier
Kilometer Anlauf! Auf zur nächsten „Runde“! Oder besser nicht, denn nochmal das
gleiche Halden-Disaster tue ich mir nicht an. Früher kam man „hinter“ dem Steinkohle-Abraum-Hügel
herunter. Also umlaufe ich den Haldenkegel, sämtliche Beschilderungen
ignorierend. Und siehe da, plötzlich kommt mir das Gelände bekannt vor. Zwei
späte 50-km-Läufer sind dort auch anzutreffen. Nach deren Aussage gab es
allgemeine Wegfindungsprobleme. Nachts habe der Night-Trail stattgefunden und
bereits da hätten Jugendliche ein paar Schilder manipuliert.
Ab jetzt weicht das innerliche „Nie
wieder Hivernal-Trail“ dem Genießen der genialen Strecke durch lichten
Buchenwald und über windige Felder im Flockenwirbel. „Über Felder“ heißt
hier: quer über‘s Feld - über ein Feld, das unter Wasser steht. Dagegen wirkt
der BaTalU rückblickend wie ein Straßenlauf! Erst taucht der Fuß in die
eiskalte Brühe, dann saugt er sich in dem Matsch darunter fest. Das Laufen wird
so, nun ja, leicht kräftezehrend. Anstrengend sind auch die kurzen, knackigen
Steigungen. In der morgendlichen Anmoderation auf Holländisch hatte ich die
Wortgruppe „Deutsche Berg“ herauszuhören geglaubt, als alle sich zum Horizont
gewendet hatten, wo eine zweite Halde aufragte. Mittlerweile habe ich das
Ungetüm direkt vor der Brust. Die Beschilderung ist tatsächlich in Deutsch:
„Aussichtspunkt Gipfelblick“. Nach dem steilen Aufstieg bietet sich eine tolle
Fernsicht – auf weitere Halden im ansonsten platten Land. Offenbar befinde ich
mich auf der deutschen „Halde Adolf Merkstein“. Der Lauf ist also in jeder
Hinsicht ein Grenzgang.
Ein besonders schönes Bächlein mit
Mühlen und Wasserschloss ist als „grenzenloses Wurmtal“ beschildert. Trabte man
in den Vorjahren im Wesentlichen auf dem Hinweg zurück, so hat man jetzt eine
wunderschöne Variante oberhalb etlicher Seen gefunden. Eines der Seegrundstücke
wird nicht nur von einem schlossartigen Gebäude geziert, sondern auch von
zahlreichen, riesigen Kunstobjekten. Ein Hund in Sauriergröße dreht mir seinen
massiven Bronze-Hintern zu.
Während ich von hinten durch die
spärliche Läuferschar trotte, treffe ich auch auf den nackten Mann. Die
Kommentare der Umstehenden waren ihm gewiss, als er bei Null Grad in kurzen
Hosen und ärmellosem Shirt an den Start trat. Doch dann zündete er die nächste
Stufe und zog das Hemd auch noch aus!
Auf eine finale Bachquerung folgt der
letzte Haldenaufstieg. Wenn ich nicht wieder etwas falsch gemacht habe, ist die
Wegführung auch hier neu. Wir müssen noch einmal ganz die Halde hinauf, so dass
sich letztlich gut 1000 Höhenmeter im Garmin akkumulieren. Böses Déjà-vu? Ich
finde mich auf der Route wieder, die ich am Morgen schon einmal zum Ziel
gelaufen war. Nur kommen mir jetzt die Single-Trails nicht mehr ganz so cool
vor. Mittlerweile haben sie sich in Skipisten verwandelt. Ich stelle mich auf
beide Füße und schlittere wie mit Gleitschuhen von Bremsbaum zu Bremsbaum. Es
kommt, wie es kommen muss. Ein paar Meter fahre ich die Steinkohleabbau-Halde passenderweise
wie ein Bergmann auf seinem Arschleder zu Tale. Nur ohne Arschleder.
Ins Ziel schaffe ich es, nicht aber in
die offizielle Ergebnisliste. Bin wohl zu weit gelaufen. 53 Kilometer hat die
GPS-Messung aufgezeichnet, als ich nach 5:18:18 meine Medaille umgehängt
bekomme.
Dominiert in Deutschland „Erdinger“ die
Zielverpflegungsbereiche, so ist es in Holland „Chocomel“. Drei Becher und ich
habe alle Kalorien des Laufes wieder rein!
Cooles Teil. Da nimmt man doch gerne erstmal Anlauf um mehr Spaß zu haben
AntwortenLöschenJeder gelaufene Kilometer ist ein guter Kilometer!
LöschenWer will denn auch 50 km laufen? Es müssen schon mindestens 53 km sein :-))))
AntwortenLöschen3 zum Warmlaufen.
Mir wird ein wenig kalt um die Brust wenn ích den Nackedei da laufen sehe.
Aber wahrscheinlich hat der Hitzewallungen ;-)
Liebe Grüße
Helge
Das Weichei hatte beim Zieleinlauf sein Hemd wieder an!
LöschenOh weh, laufen auf holländisch! Ich wäre furchtbar ungebremst stinkesauer gewesen, bei solch aussichtsreicher Perspektive auf die falsche Fährte geschickt zu werden. Aber Chapeau, Du hast Dir den Spaß nicht nehmen lassen und das Event dennoch genossen. Die Medaille wird sicher einen besonderen Erinnerungswert haben! Glückwunsch zum Finish der persönlichen Prägung!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Elke
Danke, Elke! Ich habe tatsächlich ein paar km gebraucht, um meinen Frieden mit der Situation zu schließen ;-)
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