Ich hatte gerade die ersten Kilometer meines langen Wochenendlaufs (nun ja, "lang" ist relativ, ich habe mich bis maximale 23 km hochgearbeitet und will es zunächst nicht weiter steigern) hinter mir, als mir eine einzelne Dame auffiel, die sehr ambitioniert durchs Unterholz preschte. Neugierig geworden, schärfte ich den Blick und sah nun immer mehr Menschen, die in ein Sportdress gewandet und mit einem Zettel in der Hand kreuz und quer durch die Botanik spurteten. Das Rätsel löste sich, als ich auf einen Mann stieß, der im Walde an einem Campingtisch saß und auf seinen Laptop schaute. Er erklärte mir, dass hier gerade ein Orientierungslauf stattfände, und er das Ziel betreue. Wenn ich es einmal ausprobieren wolle, sei hier ein Chip für mich und der Start läge etwa 300 Meter in jene Richtung. Zum Einstieg empfahl er die kurze, einfache Runde. Die würden zum Beispiel die Kinder absolvieren. Immerhin wurde das Wort Bambinilauf vermieden.
Ich ließ mich nicht lumpen und fand tatsächlich den Start - ein quer über den Pfad liegendes Flatterband. Überrascht wurde dort zur Kenntnis genommen, dass ich als völlig Unbeleckter teilnehmen wolle, und das auch noch ohne Kompass! Auch hier wurde befunden, dass ich die Kinderrunde probieren solle. Man händigte mir die Karte für die Runde "Schneemann" aus und gab mir eine Kurzeinweisung in die spezielle Kartensymbolik der Orientierungsläufer.
Meine Aufgabe bestand nun darin, auf einem etwa 2 km langen Kurs 9 Stationen und das Ziel (das ich ja schon kannte) in der richtigen Reihenfolge zu finden. Die Stationen befanden sich irgendwo im Gelände, auf der einfachen Tour in den meisten Fällen jedoch relativ wegnah.
Ich rannte los und hatte sofort meinen Aha-Moment. Solange ich stehend auf die Karte geguckt hatte, schien mir noch alles klar. Aber sobald ich lief, konnte ich nicht mehr auf die Karte schauen. Also blieb ich gleich wieder stehen und suchte mir den Punkt auf der Karte, bis zu dem ich erstmal rennen wollte, um dann von dort wieder neu zu navigieren. Mir erschien es einfacher, den Umweg über die Wege zu laufen. So erreichte ich tatsächlich die Stationen 1 und 2, die beim Orientierungslauf "Posten" genannt werden. Es handelte sich jeweils um einen rostigen Erdspieß, an dessen oberen Ende eine etwa handhohe und beindicke Markierung in Orange einen Empfänger umschließt, in den man seinen Chip steckt, bis ein Piepton das erfolgreiche Einchecken bestätigt.
Der Posten 3 war nur querfeldein zu erreichen. Allerdings war die Stelle zwischen zwei Sandgruben sehr markant und auch für mich als Rookie auszumachen. Dennoch übersah ich im unebenen Gelände die Postenmarkierung und schämte mich nicht, eine Frau um Hilfe zu fragen, die die Runde mit ihren beiden Kleinkindern abwanderte.
Fortan lief es wieder, und meine Weg-Folgen-Strategie brachte mich von Station zu Station. Zu Posten 8 ging es wieder nur querfeldein. Es war der Canyon des "Verlorenen Wässerchens" zu queren. Hier half mir meine Ortskenntnis. Ansonsten kamen mir meine Erfahrungen im Umgang mit einer Karte aus den vielen Jahren des Geocachings zu Gute. Und meine Teilnahme als Schüler am sogenannten Militärischen Mehrkampf, bei dem u.a. mit Karte und Kompass im Gelände Stationen zu finden waren, erwies sich als nicht ganz umsonst. Und so konnte ich nach einer knappen halben Stunde meinen Chip zurückgeben und meinen langen Lauf fortsetzen.
Am Abend fand ich im Internet meinen Namen auf Platz 1 der Ergebnisliste. Der Stolz über mein gelungenes Debüt mischte sich mit der Scham darüber, die Kinder um ihre Podestplätze gebracht zu haben.