Montag, 27. Juni 2016

Nach mir die Sintflut - Der 24 Stundenlauf in Breitscheid

Oh, dieser betörende Duft! Nein, ich meine nicht das spezielle Odeur, das ein Läufer nach stundenlanger Belastung ausdünstet. Es riecht nach Rosen. Vielleicht sind es auch andere Blumen. Auf jeden Fall irgendein herrlicher Blütenduft. Sobald der Übergang vom Wäldchen zum Heckenbestand auf der Breitscheider 5-km-Runde geschafft ist, überkommt mich diese olfaktorische Wahrnehmung. Doch keiner will sie mit mir teilen! Betty meint, ich würde bereits halluzinieren. Immerhin, die Glühwürmchen sieht sie auch!

Der Beginn einer jeden Runde

Angesichts der feuchten Hitze und der vorhergesagten Unwetter habe ich mir diesmal keine neuen Großtaten vorgenommen.  Außerdem befürchte ich, dass sich die Sehnen wieder melden und so zum limitierenden Faktor werden. Zumindest soll aber die Nacht durchlaufen werden, dann die 100 km anvisieren und danach mal sehen. Es wird sich zeigen, dass "mal sehen" ein ganz schlechter Motivator ist.

Zunächst läuft es gut, ich liege sogar kurzzeitig in Führung. Doch schon die Runde auf dem Weg zum Marathon lässt mich kämpfen. Ganz schlecht, in Anbetracht der immensen noch vor mir liegenden Zeit. Der mentale Tiefpunkt ist auf der 65-km-Runde erreicht. Die Pace liegt mittlerweise bei 10 Minuten. Ich schlendere nur noch dahin. Selbst zu schnellem Gehen kann ich nicht aufraffen. Dabei tut mir noch nicht einmal irgendwas weh. Die Beine wollen einfach nicht mehr. Oder ist es eigentlich der Kopf?
Ultraverpflegung

Ich sitze 25 Minuten im Verpflegungszelt und hadere mit der Welt. "Nie wieder laufe ich weiter als 100 km!" "Und jetzt höre ich erstmal auf und lege mich hin." Gebrochen schleppe ich mich zu meiner Matte. Dort wähne ich auch meinen Sohn, der sich ein paar Stunden ausruhen wollte. Doch seine Lagerstatt ist verwaist! Wenn der knapp 15-Jährige das hier durchzieht, um sein ehrgeiziges 100-km-Ziel zu erreichen, kann ich mich ja wohl auch nicht lumpen lassen! Also doch weiter.

Die Sehnen spielen wunderbar mit. Trotzdem bekomme ich die Beine kaum vom Boden. Salzverkrustet trotte ich unter dem riesigen, dunkelgelben Halbmond dahin. Bei meinem jetzigen Tempo ist absehbar, dass ich die 160 km vom Vorjahr diesmal keinesfalls erreichen, geschweige denn toppen werde. Und irgendeine Zahl zwischen 100 und 160 bedeutet mir nichts. Ich fasse einen Entschluss: "Bei 100 hörst du auf!" Das lässt mir auch noch ein paar körperliche Reserven für den Firmenlauf am Dienstag und für den "Bergischen 6-Stundenlauf" am nächsten Samstag, für den ich mich in planloser Euphorie eingeschrieben hatte.

Im Morgengrauen ist dann alles egal. Ob ich mit den 100 nun gleich oder etwas später fertig bin, ist irgendwie nicht relevant. Ich wandere mal wieder. Plötzlich Schritte von hinten. Mein eigener Sohn holt mich ein! Das musste ja eines Tages passieren.

Gemeinsam bringen wir die Runde gut gelaunt zu Ende. Ich bin jetzt gelöst und rundherum zufrieden mit meinem Entschluss. Wie zur Bestätigung fängt es an zu gießen, kaum dass ich die Startnummer nach dreizehneinhalb Stunden abgelegt habe. Und es wird bis zum Ende der Veranstaltung in unverminderter Stärke weiterregnen. Nach mir die Sintflut!

Die Zeltwiese

Doch weder die neue Wetterlage noch mein Zureden können den Nachwuchs vom Weiterlaufen abhalten. Hatte er bisher unter seiner selbst auferlegten Bürde gelitten ("Ich mache hier nie wieder mit!"), so ist mittlerweile absehbar, dass er sein Ziel von 100 km tatsächlich erreichen kann. Entsprechend guten Mutes ist er. Er verschwindet im Regen.

Zurück bleibt ein Vater mit schlechtem Gewissen. Müsste ich dem Jungen nicht beistehen und ihn begleiten? Doch der Sprössling hat sich seine Vorgabe selbst gesteckt, und er zieht es allein durch. Ein Jüngling auf dem Weg zum Manne.

Mein Sohn!





8 Kommentare:

  1. Oha, wie kommts? Vielleicht hätte der Kopf etwas zum Ankämpfen gebraucht, saure Sehnen oder meuternde Muskeln...? Oder vielleicht zu viel der ultralangen Dinger? Aber immerhin, stattliche km-Zahl hast Du auf alle Fälle auf dem Tacho. Na und den Filius sein Ding durchziehen sehen, das müsste doch das Vaterherz mit Stolz erfüllen! Glückwünsche an den Junior (aber auch ein bisschen aufpassen, dass er es nicht übertreibt mit den langen Läufen, er ist noch im Wachstum...), was aus dem noch werden kann!
    Liebe Grüße
    Elke

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. In meinem Umfeld fiel sogar der Begriff Läufer-Burnout ...
      Der Mensch braucht eben ein Ziel zur Motivation. Wenn man wenigstens hätte irgendwo ankommen müssen ;-)
      Danke, Elke, die Glückwünsche werde ich übermitteln.

      Löschen
  2. Tja, erst zogst du ihn frech - und jetzt ist er groß. Gratuliere zu Sohn und eigenem Resultat!

    Ciao,
    Harald

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke, Harald! Vor allem auf den Sohn bin ich stolz.

      Löschen
  3. Wie war das noch bei den Isländern die jetzt so groß auftrumpfen? Da wurde vor Jahren auch der Vater ausgewechselt und der Sohn, heut ein Leistungsträger, kam ins Spiel. Aber hey, noch bist du noch raus aus dem Spiel, es ist nur Halbzeitpause und du kannst nochmals voll durchstarten :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Noch hoffe ich auf eine gemeinsame Phase mit dem Junior ...

      Löschen
  4. Ui, Glückwunsch an den Junior. Ja, so Dinger passieren irgendwann. Irgendwann sind sie an einem vorbei die Kinder :-)
    Aber der Senior jammert heute vielleicht und ist auch nicht in Bestform, aber eventuell ist das nur eine temporäre Situation? Heißt, bald ist die Welt wieder in Ordnung und der Senior nicht zu stoppen.
    Mal läuft es halt, und ein anderes Mal eben nicht :-)
    Liebe Grüße
    Helge

    AntwortenLöschen
  5. Danke, Helge, ich richte es dem Junior aus.
    Ehrlich gesagt, ich hoffe auch, dass es nur ein temporäres Schwächeln war.
    Viele Grüße!

    AntwortenLöschen